WHITECHAPEL - Kin
Auch im Soundcheck: Soundcheck 10/2021
Mehr über Whitechapel
- Genre:
- Melodic Death Metal
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Metal Blade Records
- Release:
- 29.10.2021
- I Will Find You
- Lost Boy
- A Bloodsoaked Symphony
- Anticure
- The Ones That Made Us
- History Is Silent
- To The Wolves
- Orphan
- Without You
- Without Us
- Kin
Bestialisch gute Songs, kleine Schwächen im Finish.
WHITECHAPEL ist vor zwei Jahren mit dem siebten Bandoutput ein seltenes Kunststück gelungen: Während zahlreiche Bands der harten Zunft mit der Preisgabe ihrer rohen Wurzeln meist die treue Anhängerschaft verprellen und zudem an den Klippen der Mainstream-Harmlosigkeit Schiffbruch erleiden, gelang dem Sextett aus Knoxville, Tennessee, mit "The Valley" ein Geniestreich und zugleich der musikalische Ausbruch aus der Deathcore-Sackgasse. Richtig guten Metal gab es auf einmal zu hören, mit deutlich mehr Abwechslung, mehr Melodik und Einfühlsamkeit, und dadurch einer viel größeren künstlerischen Bandbreite. Würde die Truppe dieses Bravourstück, das nur zwei, drei Lückenfüller in der Tracklist von einer absolute Spitzennote trennte, noch toppen können?
Tatsächlich: Die Leistung von "The Valley" wird nicht nur bestätigt, sie wird auf "Kin" in weiten Teilen sogar übertroffen! Zwei Drittel des Albums sind gefüllt mit bockstarken, abwechslungsreichen und mitreißenden Songs, wie wir sie nur von wenigen, den deathig-corigen Klängen verschriebenen Kapellen bislang gehört haben. Wenn der Opener 'I Will Find You' mit ungewohnten Akustik-Gitarrenakkorden beginnt, diese von der verzerrten, wuchtigen Stahlsaiterfraktion abgelöst werden, rollende Doublebass-Salven die Szenerie betreten und schließlich Phil Bozeman garstig brüllend das Heft in die Hand nimmt, dürften Fans der Band schon kein Halten mehr kennen. Die melodischen Leads im Hintergrund und der getragene Refrain bringen WHITECHAPELs neuere Charaktermerkmale ein, und in den nun nicht mehr so überraschenden ruhigen Parts glänzt Bozeman wieder mit seinem einfühlsamen Klargesang. Und wie die ruhigen Parts von den brodelnden E-Gitarren unterwandert und schließlich wieder gesprengt werden... Wow, was für ein brutal guter Song, welch ein Einstieg in dieses mit hohen Erwartungen begleitete achte Werk der US-Amerikaner! Danach gibt es ein grindig-metzelndes Deathcore-Feuerwerk namens 'Lost Boy', wie es früher typisch für WHITECHAPEL war, ebenfalls versetzt mit einem etwas eingängigeren Kehrvers und einem sehr zurückgenommenen Interlude. Erneut gewinnt die Gewalt jedoch die Oberhand und das zweite Stück wird schwermetallisch solierend zu Ende gedroschen.
Das Verrückte ist, dass es auf diesem starken Niveau zunächst nahtlos weitergeht. In Sachen Songwriting beweist der Sechser auf "Kin" Souveränität und Stärke; High-Speed-Geballer, genickerschütternde Mammut-Grooves und Melancholie gehen bei WHITECHAPEL mittlerweile ganz selbstverständlich Hand in Hand. Nach der fetten 'Bloodsoaked Symphony' folgt mit 'Anticure' an vierter Stelle nochmal ein Song, der vollends für offenen Kinnladen sorgen dürfte: Eine, sagen wir Death-Metal-Ballade, ein zerbrechliches, tieftrauriges Stück, das voll unter die Haut geht und mit einer sagenhaft schönen Melodie glänzt. Und nach einer groovigen Brechstangennummer namens 'The Ones That Made Us' und dem erneut starken Wechselspiel aus balladesken Tönen und einem tragisch-wütenden Refrain bei 'History Is Silent' folgt mit der rasenden, düsteren Mosh-Attacke 'To The Wolves' nochmal einer der besten WHITECHAPEL-Songs überhaupt! Nach dem siebten Track stellt sich die Frage, ob "Kin" hier gar an einer 10er-Wertung kratzen könnte.
Leider fällt das Spannungslevel im letzten Albumdrittel aufgrund der nun endültig dominierenden ruhigen Gangart doch deutlich ab. Vor allem der zurückhaltende, etwas unspektakuläre abschließende Titeltrack, der den Vergleich mit dem erschütternden Ausklang 'Doom Woods' von "The Valley" klar verliert, besonders aber 'Orphan', der schwächste Song des Albums mit seiner kalkulierten STAIND- oder NICKELBACKschen Radiotauglichkeit, ziehen diesem Monster leider noch einige seiner Zähne.
Nichtsdestotrotz steht WHITECHAPEL aber auch anno 2021 wieder für anspruchsvollen, vielschichtigen Metal und haut uns auf "Kin" gleich mehrere absolute Top-Hits um die Ohren. Das Teil mischt auf jeden Fall im Kampf um das Death-Metal-Album des Jahres mit!
Anspieltipps: I Will Find You, Anticure, To The Wolves
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Timon Krause