Atanarjuat
- Regie:
- Zacharias Kunuk
- Jahr:
- 2001
- Genre:
- Drama
- Land:
- Kanada
1 Review(s)
19.01.2006 | 07:16In seinem Entstehungsjahr war dieser Streifen aus Kanada ein Anwärter auf den Oscar in seiner Kategorie. Den endgültigen Preis räumte "Atanarjuat" allerdings nicht ab, dafür jedoch vergleichbar bedeutende Auszeichnungen wie die Goldene Kamera bei den Filmfestspielen in Cannes.
Basierend auf einer berühmten Legende in der Kultur der Inuit, erzählt Zacharias Kunuk in seiner Geschichte vom schnellen Läufer zugleich die Geschichte einer Dorfgemeinschaft, die durch die Ankunft eines Schamanen ins Ungleichgewicht gerät, woraufhin ein brutaler Kreislauf einsetzt, den nur noch der Protagonist brechen kann. Was sich hier recht simpel anhört, ist ein monumentales Epos eines Volkes, das in der westlichen Welt kaum Beachtung findet, diese aber - der Film zeigt es - definitiv verdient hat.
Story:
Mitten in der kanadischen Arktis wohnt ein friedvoller Stamm von Inuit-Nomaden, bei dem die Stärke der Gemeinschaft stets im Mittelpunkt steht. Doch eines Tages erscheint ein mysteriöser Schamane, der den Frieden des Dorfes stört. Kumaglak, der Führer des Stammes, wird ermordet, und damit einher geht ein von Eifersucht, Hass und Machtgier getriebener Kampf um seine Nachfolge los, den schließlich Sauri für sich entscheiden kann - ganz zur Beunruhigung seines Kontrahenten und neuen Feindes Tulimaq, der ebenfalls gerne das Zepter an sich gerissen hätte. Dieser Streit geht auch in die nächste Generation über, in der Tulimaqs beiden Söhne, der starke Amagjuag und der schnelle Atanarjuat, Sauris Nachkommen Oki gegenüberstehen.
In einem Wettbewerb gewinnt Atanarjuat schließlich die Gunst der schönen Atuat, die eigentlich Oki versprochen war. Doch Sauris Sohn zeigt sich zunächst als fairer Verlierer, schmiedet aber hinterrücks schon Pläne, um seine beiden Gegner endgültig aus dem Weg zu räumen. Bei einem Attentat wird schließlich auch Amagjuag getötet; Atanarjuat hingegen kommt seine Schnelligkeit zugute, so dass er gerade noch entkommen kann.
Seine Flucht führt ihn zu einem weisen Ehepaar, das ebenfalls vor einigen Jahren aus dem Camp geflohen ist. Gestärkt von der Auseinandersetzung mit übernatürlichen Kräften, wagt Atanarjuat den Weg zurück ins Dorf. Nun steht er vor seiner schwierigsten Entscheidung. Soll er an seinen Gegnern selber Blutrache nehmen oder stattdessen die neuen Lehren dazu verwenden, mit der Gemeinschaft erneut in Friede und Eintracht zu leben und so auch den Fluch, der über dem Volk liegt, besiegen?
Meine Meinung:
Antarktis, Eskimos, man hat es alles schon gehört, doch richtig Bescheid wissen dann doch nur die Wenigsten. Die Inuit sind auch heute noch sehr tief in den Wurzeln ihrer Vorfahren verankert, gerade was Riten, Traditionen und das Leben in der Sippe anbelangt. Die Gemeinschaft als Schutz, Heimat und Lebenseinstellung; die Grundsätze und die Einstellung sind stets auf das Wohl des gesamten Volkes gerichtet, und das kommt bei "Atanarjuat" auch in dem Moment zum Vorschein, als ein äußerer Einfluss das Gleichgewicht durcheinander bringt.
Dieser Film beleuchtet nicht nur die eigenwillige Kultur der Eskimos, sondern auch ihre Mythen, gleichzeitig aber auch die Hilflosigkeit, die eintritt, wenn die grundlegenden Strukturen verworfen werden müssen. Dies alles ist hier eingebunden in ein modernes Märchen, das meistens auch als bloße Dokumentation über einen ganz besonderen Stamm dient. Dokumentation gerade deswegen, weil die Landschaftsaufnahmen hier immer wieder in den Vorgrund treten und die Natur als wichtiger Verbündeter der Eskimos einen nicht unwesentlichen Anteil am Verlauf der Geschichte hat.
Zum Inhalt selber gibt es über die eigentliche Beschreibung hinweg indes nicht viel zu sagen. "Atanarjuat" ist vorrangig ein Erlebnis mit einer enorm bewegenden Ausstrahlung, das man auch selber gesehen haben muss, denn auch eine ausufernde Inhaltsangabe kann kaum erfassen, was sich in den 160 Minuten dieses Films abspielt. Wichtig für die Umsetzung des Streifens ist zweifelsohne die Authentizität; man hat (natürlich) an Originalschauplätzen gedreht, somit aber auch die Muttersprache der Inuit aufgenommen, nicht aber synchronisiert. Manch einer wird jetzt sicher meckern, weil es mitunter recht anstrengend ist, über eine so lange Zeit konzentriert die Untertitel zu verfolgen, aber ich kann nur betonen, dass sich dies lohnt, weil die Übersetzung sich wirklich gut lesen lässt und man somit auch sehr viele Eigenheiten der betroffenen Charaktere kennen lernt - symbolisch für das reale Volk der Inuit.
Klar, in erster Linie verfolgt man natürlich die Handlung mit dem generationenübergreifenden Konflikt zwischen den gespaltenen Volksgruppen infolge der Ankunft des Schamanen, doch die Gewichtung hinsichtlich des Aspekts der Völker- und Landschaftskunde sowie die Auseinandersetzung mit der Kultur dieses Stammes bleibt hier in der Waage. Wichtig ist eigentlich nur eins: Man kann bei diesem Streifen eine Menge lernen, sehr viel erleben und wird am Ende durch und durch fasziniert sein von "Atanarjuat".
Die DVD-Version kommt, wie bei Sunfilm fast schon üblich, in einer 2-DVD-Fassung mit massig Bonusmaterial. Weil der erste Silberling ob der langen Spielzeit des Hauptfilms schon prall gefüllt ist, sind die Extramenüs auch ausschließlich auf die zweite Scheibe verteilt. Und auch das hier Gebotene darf man zu Recht als einen echten Augenschmaus bezeichnen. In der ersten Sektion wird die Legende bzw. der Mythos hinter dieser Geschichte noch einmal kurz aufgearbeitet. Hier kann man dann auch das Original mit der vorliegenden Fassung vergleichen und sehen, wie nahe sich der Regisseur tatsächlich an die Vorgabe gehalten hat.
Weiterhin gibt es ein ausführliches Tagebuch zur Produktion des Filmes sowie die typischen Bilder vom Set in "Behind The Scenes" und natürlich den Trailer, den man hierzulande mal wieder (leider) nicht zu Gesicht bekommen hat.
Die sonstige Aufarbeitung der DVD geht ebenfalls in Ordnung. Man muss schon berücksichtigen, dass der Film zunächst mit einer schlichten Digitalkamera aufgenommen und erst später nachbearbeitet wurde. Trotzdem ist das Bild noch recht ansehnlich und wirkt verständlicherweise auch sehr authentisch. Beim Ton ist es hingegn so eine Sache. Die verschwommene Sprache der Inuit wird man - außer man ist ein Experte auf diesem Gebiet - nicht verstehen, und manchmal ist sie dann auch ein wenig anstrengend. Die Untertitel sind dafür aber sehr gut geworden, und man bekommt trotz der Fülle an Material keine quadratischen Augen.
Fazit: Ein hierzulande unbekannter Mythos, der in der Kinofassung mehrfach preisgekrönt wurde, ist nun auch in Deutschland auf DVD erhältlich und bringt uns eine Kultur näher, die man aufgrund ihrer Abgeschiedenheit oft gänzlich übersieht. "Atanarjuat" ist jedoch nicht nur ein spannender Dokumentarfilm, sondern vor allem auch ein wunderschönes Märchen innerhalb einer faszinierenden Umgebung. Mir fällt es jetzt zwar schwer, eine genaue Zielgruppe für diesen Film zu definieren; fest steht aber, dass niemand es bereuen wird, dieses fast dreistündige Epos verschlungen zu haben.
- Redakteur:
- Björn Backes