Begegnung
- Regie:
- David Lean
- Jahr:
- 1945
- Genre:
- Drama
- Land:
- Großbritannien
- Originaltitel:
- Brief Encounter
1 Review(s)
09.04.2006 | 10:08Regisseur David Lean ist einer der erfolgreichsten Filmemacher aller Zeiten. Moment: David Lean? Nie gehört. Wer ist das denn? Das mögen sich vielleicht einige von euch fragen. Im Gegensatz zu seinem Namen dürften die größten Erfolge des Engländers, die ihm zu Weltruhm verhalfen, aber fast jedem bekannt sein. Filme wie "The Bridge On The River Kwai" (1957), "Lawrence Of Arabia" (1962) und "Doctor Zhivago" (1965) haben all jene, die sich entfernt für die Welt des Kinos interessieren – unabhängig davon, ob sie diese als Klassiker geltenden Werke letztlich gesehen haben oder nicht –, irgendwo auf ihrer Gedächtnisfestplatte gespeichert.
Der vorliegende "Brief Encounter" bescherte David Lean im Jahr 1945 den endgültigen Durchbruch. Im Gegensatz zu den erwähnten Hochglanzproduktionen, die ihm den Ruf einbrachten, ein Blender zu sein, der außer einer opulenten Ausstattung und hunderttausend Komparsen nichts zu bieten hat, konzentrierte er sich in diesem Kammerspiel ausschließlich auf seine Charaktere. Er bewies damit, dass er durchaus in der Lage war, eine aufs Wesentliche reduzierte Geschichte zu erzählen, weshalb die späteren Anfeindungen haltlos waren. Der Film bietet dabei eine ebenso simple wie effektive Handlung, mit der sich viele Zuschauer identifizieren konnten und können:
Die verheiratete Laura Jesson begegnet durch Zufall dem ebenfalls verheirateten Alec Harvey. Beide verlieben sich sofort unsterblich ineinander und beginnen eine Affäre, die vor allem die weibliche Protagonistin in ein großes Gefühlschaos stürzt, an dem sie fast zerbricht. Auch aufgrund dieser lebensnahen und unkitschigen Story wurde der Film von Kritikern und Publikum gleichermaßen begeistert aufgenommen.
Heute ist der Konflikt des Streifens nichts Besonderes mehr, und das war er damals auch nicht. Dennoch begab sich Lean mit dieser Thematik auf sehr dünnes Eis, da Ehebruch ein absolutes gesellschaftliches Tabu war. Man sprach nicht darüber, schwieg es tot, weil es mit den gängigen Wertvorstellungen kollidierte. Dass ein Regisseur dies in aller Öffentlichkeit in einem Spielfilm zur Diskussion stellte, erregte großes Aufsehen. Zu allem Überfluss entwickelte der Engländer seine Geschichte auch noch aus dem Blickwinkel der weiblichen Hauptfigur, was das Weltbild einiger Zuschauer zusätzlich gehörig ins Wanken brachte. Eine Frau, die sich das gleiche Recht herausnimmt wie die Männerwelt, war nur schwer zu verkraften und eigentlich auch völlig untragbar.
Wer bei diesen Vorzeichen ein heißblütiges Feuerwerk erwartet, wird (natürlich) enttäuscht. Dem Entstehungsjahr des Films entsprechend bleibt die Affäre zwischen den beiden Hauptcharakteren jederzeit absolut keimfrei, was aber der Botschaft keineswegs abträglich ist. Auch wenn das Gezeigte aus heutiger Sicht ein harmloses Techtelmechtel ist, das nicht einmal ansatzweise unter den Begriff "Affäre" fällt, bleibt die innere Zerrissenheit der Laura Jesson auch in der Jetztzeit glaubwürdig und nachvollziehbar. Um den Zuschauer ganz nah an die weibliche Hauptfigur und deren Gefühlswelt heranzuführen, erzählt David Lean die Geschichte in episodenhaften Rückblenden, die teilweise von Off-Kommentaren der Protagonistin begleitet werden. Stück für Stück wird so enthüllt, warum sich Laura Jesson zu Beginn des Films in einem derart aufgewühlten Zustand befindet und warum sie sich überhaupt auf Alec Harvey einlässt.
Ein kleiner Wermutstropfen des Films ist seine Vorhersehbarkeit – und das liegt nicht an der Perspektive des Jahres 2006 und der Tatsache, dass seit 1945 unzählige Streifen gedreht wurden, die sich dieser Thematik angenommen haben, sondern einzig und allein an Regisseur David Lean. Dieser lässt während der knapp 90 Minuten nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass er selbst ein Verfechter der klassischen Werte ist. Er stellt seine beiden Hauptfiguren zwar nicht an den Pranger und lässt sie somit nicht als völlig triebgesteuerte Personen erscheinen, die man nur verurteilen kann – alles andere als das. Aber in der Art, wie er beispielsweise die Figur des Fred Jesson entwirft, bezieht er deutlich Stellung. Obwohl dieser Charakter und die zur Routine gewordene Beziehung der Auslöser für die Ereignisse des Films sind, wird er als makelloser und vor allem ziemlich netter Typ dargestellt, weshalb für die weibliche Protagonistin vermeintlich kein Grund besteht, ihn zu verlassen. Und so ist die Auflösung der Geschichte absolut keine Überraschung.
Nichtsdestotrotz ist "Brief Encounter" sehenswert und für Freunde von gehaltvollen Liebesdramen, die an einem verregneten Sonntagnachmittag ein (ehrliches) Tränchen verdrücken wollen, allemal interessant.
- Redakteur:
- Oliver Schneider