Bin-Jip
- Regie:
- Kim Ki-Duk
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Melodrama
- Land:
- Korea
1 Review(s)
19.10.2006 | 09:21Handlung:
Der wortkarge Tea-suk ist ein Stalker und bezieht auf seinen Streifzügen für kurze Zeit fremde Wohnungen, deren Hausbesitzer verreist sind. Er bricht in diese ein, erledigt Hausarbeiten für die Besitzer, kocht und schläft in den fremden Räumen. Dann verlässt er die Häuser nach einiger Zeit und sucht sich ein neues Wohnquartier aus. Seine Vorgehensweise gerät jedoch ins Wanken, als er beim Einbruch in ein luxuriöses Wohnhaus das Model Sun-hwa antrifft. Diese trägt Verletzungen an ihrem Körper, die ihr Mann ihr im alkoholisierten Zustand zugefügt hat, und folgt den schweigsamen Stalker. Es beginnt eine Liebesbeziehung, deren Auslebung innerhalb Gesellschaft auf diverse Schwierigkeiten stoßen soll.
Auswertung:
„Die am meisten lieben, sprechen am wenigsten“. Das ist eine alte schottische Weisheit, die wie zugeschnitten für die Thematik in Kim Ki-Duks Werk über die Liebe ist.
Dieser lässt seine Hauptcharakter die größte Zeit des Films schweigen und konzentriert sich hierbei vielmehr auf deren Interaktion mit der Umgebung. Tea-suk fährt so zum Beispiel mit seinem Motorrad durch eine unbekannte Stadt und beobachtet, welche Häuser zum Einbruch leer stehen. Ohne ein Wort zu verlieren, steigt er in die fremden Häuser ein und geht mit voller Hingabe den anfallenden Hausarbeiten nach. So entspringt sein illegales Handeln nicht aus dem Wunsch, sich an fremdem Eigentum zu bereichern, sondern eine innere Sehnsucht treibt ihn an. Der Hauptcharakter versucht also, durch das Einbrechen in fremde Wohnungen kurzzeitig ein Gefühl von Geborgenheit und Heimat zu erlangen. Da jedes Haus eine ganz persönliche Note von seinem eigentlichen Besitzer bekommt, taucht Tea-suk in das schon „vorgelebte“ Profil ein und findet Befriedigung für seine tief empfundene Sehnsucht. Diese Sehnsucht ist jedoch in jedem Menschen so universell, das der Hauptcharakter sich nicht mit Worten erklären muss. Seine stille Ausübung der häuslichen Aufgaben wird zum Sinnbild für einen inneren, unbeschwerten, aber auch nur kurzzeitigen Frieden, denn er verlässt die Wohnungen nach einiger Zeit, um dann wieder ziellos durch die Straßenschluchten der Großstadt zu fahren.
Geschickt lässt der koreanische Regisseur seinen Protagonisten wortlos, um den Zuschauer einen individuellen Zugang zum filmischen Werk zu ermöglichen. Der Betrachter wird aufgefordert, sich ein eigenes Bild vom inneren Antrieb des Protagonisten zu machen oder von seiner möglichen Vorgeschichte. Durch diese Vorgänge beim Betrachten des Films schafft es Kim Ki-Duk, eine sehr entspannende und beruhigende Atmosphäre zu erschaffen, die in den oftmals meditativen Bildern brilliert.
Wichtiger Wendepunkt in “Bin-Jip“ ist das Aufeinandertreffen von Tea-suk mit dem unglücklichen Model Sun-hwa, die von ihrem Mann misshandelt wird. Sie scheint der Gegenpart des wortkargen Stalkers zu sein, ist sie doch ebenso ruhig und doch innerlich suchend nach Geborgenheit und Nähe. Sie verstehen sich ohne Worte und kontrastieren somit die laute und unruhige Umgebung, die mit dem gesprochenen Wort oft die meditative Ruhe des Films bricht. Die erhabene Stille findet ihren Höhepunkt in der sich langsam entwickelten Liebesbeziehung der beiden Protagonisten. Ihre innige Liebe und Harmonie heben die Charaktere für den Zuschauer auf eine schwierig zu beschreibende Wahrnehmungsebene. Die Umwelt, die mit lauten Worten alle Dinge zerredet, wirkt im Vergleich zu den liebenden Hauptcharakteren falsch und verlogen. Sie wirkt wie ein blasses Zerrbild einer Bühne, auf denen die beiden Seelenverwandten in Eintracht verschmelzen. Durch ihre Zuneigung zueinander scheinen sie mehr als bloße Menschen zu sein. Sie wirken wie das verlorene, engelsgleiche Paar Adam und Eva, das sich nach dem Paradies ihrer Zweisamkeit sehnt.
Diese spezielle Existenzebene ist eine der wesentlichen Grundthematiken in Ki-Duks Werk und wird von ihm bis in die Auflösung der Unterschiede zwischen Realität und Traum großartig weitergeführt. Auch Tage nach dieser Gradwanderung zwischen den Realitäten bleiben dem Zuschauer einige wesentliche Frage im Kopf hängen: Was ist Heimat? Und was macht Heimat zur Heimat? Der Film liefert eine schlichte Antwort. Zu Hause ist dort, wo das Herz ist. Häuser, Wohnungen, Räume sind irrelevant, leer und unbedeutend. Solange das Herz in inniger Harmonie mit einem anderen Menschen schlägt, kann nach “Bin-Jip“ die Heimat überall auf der Welt sein, wo zwei verbundene Seelen beieinander sind.
Umsetzung auf DVD:
Die Umsetzung auf DVD ist gelungen. Das Bild ist klar, scharf und rauscht an keiner Stelle des Films. Der Ton ist überdurchschnittlich gut und Dialoge sind absolut gut verständlich.
Weitere Extras der DVD:
- Interview mit dem Regisseur
- Ausschnitte von den Dreharbeiten
- Preisverleihung Venedig
- Trailer
Fazit:
Wenn ein Film den Silbernen Löwen für die beste Regie bekommt, dann darf man gewiss sein, dass der Regisseur etwas von seinem Handwerk versteht. Bestes Beispiel hierfür ist Kim Ki-Duks Werk “Bin-Jip“, das mit voller Kraft gegen viele oberflächliche und konventionelle Auswüchse des Mainstreamkinos über das Thema Liebe kämpft. “Bin-Jip“ ist kein klassischer Liebesfilm, sondern eine spirituelle Reise in uns selbst, die unsere tiefsten und menschlichsten Sehnsüchte offenbart. Die „Zaubermaschine Kino“ brilliert hier in absoluter Höchstform und schickt den Zuschauer auf eine seltsame Reise. Am Ende der Reise hat er etwas gewonnen. Darüber Worte zu verlieren ist schwierig. Am besten orientiert man sich an dem einfachen Vorbild aus “Bin-Jip“. Man schweigt still, denn Worte würden diesen Moment nur zerstören. Großes Kino aus Fernost mit philosophischen und spirituellen Tiefgang.
- Redakteur:
- Thomas Graef