Capote
- Regie:
- Bennett Miller
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
24.12.2005 | 09:17Felder, weite Felder, Wind säuselt zart, eine Farm, eine eigentlich glückliche Familie. An einem verhängnisvollen Abend wird das alles zerstört - und die Saat gelegt für ein geniales Buch, dem gleichzeitigen Beginn des Niedergangs eines großen Schriftstellers. Diese extremen Widersprüche in einem Film unterzubringen: Eine Kunst, die Regieneuling Bennett Miller mit seinem zweistündigen Werk "Capote" glänzend geglückt ist. Denn mit dem Streifen ist ihm ein authentisches und einfühlsames Meisterwerk darüber gelungen, wie ein Autor an der Story seines Lebens zerbricht und es doch mit diesem Werk letztendlich schafft, Literaturgeschichte zu schreiben.
Der Schriftsteller heißt Truman Capote, im wirklichen Leben starb er bereits 1984 an den Folgen von Alkoholismus und Tablettenabhängigkeit. Die Sucht begann mit der Arbeit an seinem 1966 erschienenen Welt-Bestseller "Kaltblütig - In Cold Blood" - genau in dieser Zeit der nervenaufreibenden Recherche und des schwierigen Schreibens spielt "Capote". Truman Capote - oscarreif gespielt und ausgefüllt von Philip Seymour Hoffmann (u. a. "Magnolia", "Der talentierte Mr. Ripley") - wird anfangs als erfolgreicher Schriftsteller, Journalist, Snob und Liebling der New Yorker Literaturszene dargestellt, der mit seinem Roman "Frühstück bei Tiffany" gerade in aller Munde ist. Auf der Suche nach einer Idee für eine Magazin-Reportage liest er zufällig in der Zeitung von einem grausamen Mord in einer Kleinstadt in Kansas im Mittleren Westen der USA. Dort wurde eine vierköpfige Farmerfamilie Clutter förmlich hingerichtet - mit Kopfschüssen aus einer Schrotflinte. Capote reist dorthin, will eine Reportage über die Stadt schreiben, wie es im amerikanischen Hinterland nach einer solchen Bluttat aussieht. Doch noch während seiner Recherchen werden die beiden Täter Perry Smith (Clifton Collins jr.) und Dick Hickock (Mark Pellegrino) gefasst. Capote beschließt, statt der Reportage ein Buch zu schreiben und damit ein neues Genre zwischen Journalismus und Literatur zu kreieren: Den Tatsachen-Roman, den "New Journalism". Doch weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass seine Recherchen knapp sechs Jahre dauern werden und aus dem Interesse bald eine Obsession wird, er sich mit zunehmendem Wissen immer stärker in die inzwischen zum Tode verurteilten Täter hineinversetzen kann, schließlich sogar die schreckliche Tat begreifen lernt - die den beiden Mördern gerade einmal 40 Dollar einbrachte.
Die faszinierende Geschichte der Entstehung von "Kaltblütig" und des eigentlichen Mordfalles schafft Bennett Miller in "Capote" meisterhaft zu vereinen. Behutsam schreitet die Handlung voran und versucht ohne dramatische Schnitte oder lautstarke Filmmusik alle Facetten der wahren Geschichte auszuleuchten. Da sind die moralischen Zweifel von Capote, der sich besonders mit Perry Smith immer stärker identifizieren kann - beide hatten eine schwere Kindheit, beide fühlen sich in gewisser Weise in ihrem Leben zu kurz gekommen. Gleichzeitig lernt Capote für seine Geschichte zu lügen und die Freundschaft zu den beiden Tätern zu nutzen, um von ihnen die ganze Wahrheit für sein Buch zu erfahren. Später muss der Autor ohnmächtig zusehen, wie die Todesstrafe für die zwei Mörder immer unausweichlicher wird. Seine Sorgen und inneren Zweifel bekämpft er mit Tabletten und Alkohol, seine alten Freunde vernachlässigt er immer stärker. Und die Tage, an denen Capote wegen seiner Depression nicht mehr arbeiten kann, häufen sich...
Die sympathischen und verwerflichen Seiten von Truman Capote stellt der Film nüchtern und geschichtlich chronologisch dar, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne Wertung. Dazu kommt der Blick in die damalige Zeit, ihre Irrungen und großen Gedanken, ihre Stars und Sternchen, all das transportiert "Capote" sachlich, mit dem Auge für kleine Details. Diese Glaubwürdigkeit ist die große Stärke des Streifens - denn auch von seinen Zeitgenossen wurde Capote als Mischung aus bigottem Lebemann, sich oft missverstanden fühlendem Künstler, genialem Schreiber und affektiertem Großstadtmensch beschrieben. So holt ihn die Kamera immer wieder in Großaufnahme ins Bild und zeigt so ganz nah den beginnenden Zerfall, aber auch den berückenden Erfolg von Capote - denn als er die ersten atemberaubend-spannenden und mit zupackenden Sprachbildern nur so gespickten Kapitel von "Kaltblütig" in einem voll besetzten Theater liest, liegen ihm die Massen danach zu Füßen. Gerade solche Kontraste machen "Capote" zu einem großen dramatischen Kinofilm - der doch so harmlos mit ewig weiten Feldern und sanften Winden beginnt.
PS: Der Film ist ab dem 16. Februar 2006 in den deutschen Kinos zu sehen.
- Redakteur:
- Henri Kramer