Chokher Bali
- Regie:
- Rituparno Ghosh
- Jahr:
- 2003
- Genre:
- Drama
- Land:
- Indien
- Originaltitel:
- Chokher Bali
1 Review(s)
06.01.2008 | 21:25Einführung:
Filme aus Indien werden ja - wegen der etwas einseitigen Vermarktung seitens RTL II - immer mit den bunten, romantischen Bollywoodstreifen gleichgesetzt, bei denen meist gesungen und getanzt wird. Doch das Filmland Indien hat wesentlich mehr zu bieten als nur diese klischeebehafteten Romanzen. Mit "Chokher Bali" habe ich einen sehr ungewöhnlichen Film aus Indien gesehen, den ich euch aufgrund seiner außergewöhnlichen Art einmal näherbringen möchte. Ich spreche hier von "Chokher Bali", einem Film des indischen Regisseurs Rituparno Ghosh, der sich ja auch später für "Raincoat" verantwortlich zeichnete (Ebenfalls von Rapid Eye Movies erhältlich).
Ebenso wie bei "Raincoat" kann man auch bei "Chokher Bali" eben nicht von einem typischen Bollywoodfilm sprechen, obwohl es ja eigentlich, bei näherer Betrachtung der vielfältigen indischen Filmlandschaft, keinen typischen Bollywoodfilm gibt.
Handlung:
Bengalen, Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Brüder Mahendra (Prosenjit Chatterjee) und Behari (Tota Raychaudhuri) einer reichen und angesehenen Familie sollen verheiratet werden. Deshalb bekommen sie viele Heiratsanträge von heiratswilligen Frauen, die sie aber mit nur wenig Interesse über sich ergehen lassen.
Bei diesen Anträgen ist auch ein Brief der hübschen Binodini, welcher aber ebenfalls keine Beachtung findet. Binodini heiratet deshalb kurz darauf einen anderen Mann, der doch leider bereits ein Jahr nach der Hochzeit an einer schweren Krankheit stirbt. Sie ist nun Witwe - mit allen dazugehörigen Tabus - denn heiraten durften die Witwen zu dieser Zeit nicht mehr, und aus diesem Grund lebten sie in Armut ohne jemals wieder die Freuden des Lebens genießen zu können.
Auch einer der Brüder, Mahendra, ist inzwischen verheiratet. Seine bessere Hälfte ist eine gutherzige, aber naive Frau namens Ashalata (Raima Sen), die ihre ehelichen Pflichten auch gut erfüllt.
Kurz darauf macht die Mutter der beiden Brüder eine Reise in das Heimatdorf Binodinis, in dem sie sofort auf die ungewöhnliche junge Witwe aufmerksam wird. Binodini ist gebildet und hat einen außergewöhnlich weltoffenen und emanzipierten Charakter. Die beiden Frauen freunden sich schnell an. Deshalb lädt sie Binodini auch ein, um bei ihrer Familie zu wohnen. Doch mit Binodini hat sich die ahnungslose Mutter auch gleich viel Ärger mit ins Haus geholt, denn Binodinis revolutionären Denkweisen und ihr starker ungebrochener Wille bringen die Familie aus dem Gleichgewicht. Sie ist eine starke junge Frau mit viel Energie und Bedürfnissen, deshalb fügt sie sich nicht so einfach in die Rolle als Witwe.
Der Familie steht eine harte Probe bevor, deren Ausgang noch ungewiss ist....
Kritik:
Rituparno Ghosh bringt uns wie in seinem Folgefilm "Raincoat" einen indischen Film, der so gar nicht in unser Klischeedenken über "Bollywoodfilme" passen will. "Chokher Bali" ist ein westlich anmutendes Familiendrama, das mich ein wenig an die historischen Dramen Englands erinnert hat, nur, dass die handelnden Personen eben indisch sind. Im Film geht es dann hauptsächlich um die Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts, um die Rolle als Frau, Ehefrau, als Witwe und als Geliebte.
Rituparno Ghosh kritisiert bewusst die damals - manchmal auch heute noch - herrschenden gesellschaftspolitischen Verhältnisse, zeigt aber auch den in dieser Zeit durch die Briten verursachten, rapide fortschreitenden Wandel in der indischen Gesellschaft.
Traditionen gingen durch diesen Wandel unwiederbringlich verloren, manchmal zum Vorteil der Menschen, und manchmal auch zu ihrem Leidwesen. Damals (oder eben vor den Briten) waren Witwenverbrennungen noch die Regel, d.h. eine Frau wurde beim Tod ihres Mannes gleich mitverbrannt. Diesen großen Wandel projiziert der Regisseur in die kleine Welt dieser Familie. Entwurzelte indische Frauen auf der Suche nach ihrer Identität, die mit ihren neuen Freiheiten nicht viel anzufangen wissen; so ließe sich die Handlung in wenigen Worten zusammenfassen.
Gerade dieser gesellschaftliche Wandel lässt sich hervorragend auf unsere heutige Zeit übertragen, in der die Globalisierung unsere nationale Identität verwässert und alle Menschen gleich macht - oder eben doch nicht so ganz.
Die gesamte Szenerie wird in warmen Farben künstlerisch wertvoll eingefangen. Übrigens auch in Rituparno Ghoshs späterem Werk "Raincoat", nur dass dort vor allem kalte grünliche Farben dominierten. Das verleiht dem Film eine unverwechselbar warme Atmosphäre, und der Zuschauer fühlt sich durch die authentischen Sets um Jahrzehnte in die Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts zurückversetzt.
Die Erzählweise ist sehr langsam, behutsam, ja fast verträumt, und mit viel Fingerspitzengefühl wird der Zuschauer daher Schritt für Schritt in die indische Familie eingeführt. Das mag vielleicht nicht Jedermanns Sache sein, doch Rituparno Ghosh untermauert die sorgsam aufgebaute Szenerie mit ruhigen indischen Liedern. Diese Lieder finden aber zeitgleich zur Handlung statt und sind kein separates Element zur Unterhaltung wie in anderen Bollywoodfilmen.
Mit der Verpflichtung Aishwarya Rai's ist dem Regisseur erneut der große Wurf gelungen. Sie kann diese zarte und zugleich starke, emanzipierte Frau hervorragend spielen. Besonders ihre Mimik und Körpersprache sind, wie sie schon in anderen Rollen gezeigt hat, eine Klasse für sich. Toll! Ich wüsste für diese Schauspielerin wirklich keinen gleichwertigen Ersatz für die Rolle in diesem Film.
"Chokher Bali" kann ich aber nur Menschen empfehlen, die sich für sensibel, langsam erzählte Dramen begeistern können. Denn Bollywoodfans, die Gesang, Tanz und schwungvolle Inszenierung von "ihrem Bolly" erwarten, sind bei diesem Film an der falschen Adresse. Mich konnte der Film trotzdem emotional nicht erreichen. "Chokher Bali" ist ein sicher gut gemachter, engagierter Film, der meinen Geschmack aber leider nicht genau treffen konnte. Ich war immer nur Zuschauer und fühlte mich nicht mit den handelnden Personen verbunden, das lag vielleicht nur an mir, oder die Distanz war sogar vom Regisseur so gewollt.
Vielleicht wieder ein Film der Kategorie "Frauenfilm - für Männer in der Gesamtheit nicht nachzuvollziehen". Woran es lag, warum ich den Film nicht toll fand, kann ich nämlich gar nicht explizit sagen. "Raincoat" hat mir besser gefallen.
Die DVD:
Wie immer bringt uns Rapid Eye Movies die DVD in einem ausgezeichnet designeten Slim-Digi, das es Wert ist, als Schaustück mit der Frontseite nach vorne ins Regal gestellt zu werden. Die Bild- und Tonqualität sind ebenfalls wie von diesem Label gewohnt gut, wobei diesmal die hellen Bildflächen etwas zum Überstrahlen (haloring) neigen. Das kann aber vom Regisseur als Stilmittel gewollt eingesetzt worden sein, um so eine "nostalgische Stimmung" zu erzeugen. Ansonsten - wie bei allen anderen Veröffentlichungen dieses Labels - wieder sehr gute Arbeit der Techniker.
Den Ton gibt es dankenswerterweise wieder in Deutsch DD 5.1 und DD2.0 und Hindi DD 5.1, so dass Fans vom Originalton nichts zum Meckern haben dürften.
Extras:
- Trailershow zu weiteren Titeln des Labels
- Deleted Scenes
- Kinotrailer
Fazit:
Dieses waschechte historische Familiendrama wird in schönen behutsam eingefangenen Bildern erzählt und ist ein eher westlich anmutendes Werk Rituparno Ghoshs, der später auch für "Raincoat" verantwortlich war.
Im Film wird die Rolle der Frau in der indischen Familie aufgezeigt, sowie die hauptsächlich durch die Briten verursachten Wandlungen und die damit verbundenen Probleme in der indischen Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts.
Daher kann ich den Film nicht jedem empfehlen, der auf typische Bollywoodfilme steht. Fans solcher Dramen liegen aber sicher goldrichtig, und wer "Raincoat" gut fand, der sollte zumindest einen Blick auf dieses Werk werfen. Kein Bollywood-Kitsch, sondern ernsthafte, künstlerisch wertvolle Unterhaltung auf "Arthouse"-Niveau.
- Redakteur:
- Detlev Ross