Christie Malrys blutige Buchführung
- Regie:
- Paul Tickell
- Jahr:
- 2000
- Genre:
- Drama
- Land:
- Niederlande/Großbritannien/Luxemburg
- Originaltitel:
- Christie Malry's own double-entry
1 Review(s)
09.10.2006 | 10:01Hintergrund
"Christie Malrys blutige Buchführung" basiert auf dem gleichnamigen Roman des englischen Schriftstellers B.S. Johnson. Der 1933 geborene Johnson hatte von Beginn an mit Widrigkeiten in seinem Leben zu kämpfen. In London geboren, wurden seine Mittelklasse-Familie und er während des Zweiten Weltkriegs evakuiert. Schon mit 16 verließ Johnson die Schule, um Buchhalter zu werden. Nebenbei lernte er abends Latein und absolvierte letztlich sogar das Kings College London. Nach seinem Studium begann er experimentelle Bücher zu schreiben. Mit "Travelling People" brachte Johnson 1963 sein erstes Werk auf den Markt, das noch recht konventionell war. Der 1969-er Roman "The Unfortunates" sorgte schon eher für Aufsehen: Das Buch wurde ungebunden in einer Box verkauft. "House Mother Normal" (1971) wurde in strikter, chronologischer Form geschrieben, so dass sich die Gedanken und Ereignisse um die Charaktere Satz für Satz kreuzten und verwickelten. Johnsons Werke stachen aber nicht nur wegen ihrer ungewöhnlichen Einbände oder Schreibart heraus - sie waren größtenteils auch sehr persönlich, fast autobiographisch. Neben seinen experimentellen Büchern schrieb er auch Gedichte und Buchkritiken, drehte sogar Filme.
Wegen familiärer Probleme und des anhaltenden Misserfolgs, sollte "Christie Malrys blutige Buchführung“ im Jahre 1973 sein letztes zu Lebzeiten veröffentlichte Buch werden - Johnson nahm sich mit gerade einmal 40 Jahren das Leben. Posthum stieg B.S. Johnson zum Kultautor auf, seine Werke wurden einem breiteren Publikum zugänglich und der lang ersehnte Erfolg stellte sich ein. 2000 adaptierte Paul Tickell ("Dublin Desperados") "Christie Malrys blutige Buchführung" und brachte den Film auf die Leinwand.
Handlung
Christie Malry (Nick Moran, "Bube, Dame, König, Gras") ist einer unter einer Millionen. Ein durchschnittlicher, unauffälliger junger Mann, Mitte Zwanzig. Tagsüber arbeitet er in einer Bank, nach der Arbeit pflegt er seine krebskranke Mutter. Sein Leben verläuft in geregelten, völlig unaufregenden Bahnen. Doch der Schein trügt. Innerlich verflucht Christie alles und jeden. Abstruse Sex- und Gewaltphantasien spuken in seinem Kopf, wo nichts und niemand vor ihm sicher zu sein scheint.
Vor lauter Langeweile belegt Christie einen Buchführungskurs, der sein Leben radikal verändern soll. Frei nach den Prinzipien der doppelten Buchführung (Soll und Haben), rächt er sich für jedes ihm angetane Leid in einer für ihn gerechten Art und Weise. So rächt sich Malry z.B. an seinem unfreundlichen Chef, indem er wichtige Firmenunterlagen stiehlt. Durch die Methodik und Struktur des Buchführungskurses werden seine Racheakte immer ausgeklügelter und raffinierter, wobei sich der angerichtete Schaden immer weiter steigert. Waren anfangs noch kleine Revancheaktionen an der Tagesordnung, die einzelne Personen direkt betrafen, richtet sich Malry im Verlauf der Handlung an die gesamte, seiner Meinung nach verdorbene Bevölkerung. Dabei bedient er sich klassischer Terrorakte...
Kritik
"Christie Malrys blutige Buchführung" ist eine typische Independentproduktion, mit all ihren Vor- und Nachteilen. Vordergründig ist natürlich festzuhalten, dass es sich bei diesem Film um eine Romanadaption handelt. Diverse andere Filme haben bewiesen, dass es durchaus schwierig sein kann, einen Roman adäquat auf die Leinwand zu bringen. Zu häufig werden wichtige Handlungsstränge aus- oder nur angeschnitten, stimmt die Filmästhetik nicht mit der des Buches überein, oder es wird durch eine falsche Besetzung der Rollen das Publikum verfehlt. Leider trifft dies auch auf diesen Film zu. Essenzielle Handlungsstränge des Buches wurden aus verschiedenen Gründen verworfen, unnütze andere eingefügt. Dies zeigt sich besonders in den neuen Renaissance-Szenen, die sich einerseits um den Erfinder der doppelten Buchführung Pacioli (Marcello Mazzarella) und andererseits um Leonardo da Vinci (Mattia Sbragia) drehen. Die Intention dieser Szenen ist zwar klar, passt aber nicht ins Gesamtbild des Films und stört sowohl die Haupthandlung, als auch den eigentlichen Filmfluss. Regisseur Tickell wollte mit den Paciolo-Sequenzen den Beginn des Kapitalismus markieren und durch da Vinci den Niedergang der damaligen Gesellschaftsordnung karikieren - was beides an sich sehr gut zur Haupthandlung passt. In dieser rebelliert der Protagonist Christie Malry nämlich offen gegen die bestehende gesellschaftliche Ordnung, gegen den Kapitalismus und die Demokratie in ihrer jetzigen Form. Doch stehen die Renaissance-Sequenzen in einem zu großen Kontrast zur eigentlichen Handlung, wirken nicht integriert, sondern viel mehr rein geschnitten und anfänglich zusammenhangslos. Als Zuschauer fragt man sich nach dem Sinn, richtet das Hauptaugenmerk auf das Ergründen eben jenes und lässt die Haupthandlung außen vor. Dadurch entsteht kein wirklicher Fluss, man wird immer wieder aus einer der drei Geschichten herausgerissen und muss die anderen mühevoll rekonstruieren. Das wird durch den visuellen Stil noch unterstützt, da die kühlen, untersättigten Farben der Haupthandlung, den farbenfrohen und kräftigen Renaissance-Bildern gegenüberstehen.
Hätte sich Tickell stärker an die Buchvorlage gehalten, wäre "Christie Malrys blutige Buchführung" deutlich unterhaltsamer und wertvoller geworden, da die Kernhandlung durchaus überzeugen kann. Die Geschichte des Protagonisten ist interessant und hat ihre Reizpunkte, strotzt vor Gesellschaftskritik und bitterem, schwarzem Humor. Das Prinzip der doppelten Buchführung ist der Leitfaden einer Aktion/Reaktion-Handlung, die sich stetig bis zur Resonanzkatastrophe aufpendelt. Malrys simpler Vandalismus steigert sich ins Unermessliche und endet in Terrorismus. Er rechtfertigt seine Taten, indem er sich immer wieder auf die verkommene Gesellschaft beruft. Sein Liebesleben steht im klaren Kontrast dazu. Im Gegensatz zum Alltag ist er dort nämlich glücklich, schmiedet Heiratspläne und lebt so, wie es ihm die Gesellschaft vorgibt. Dieser schizophrene Kontrast ist neben der offenen Gesellschaftskritik der Hauptreiz des Films.
Technisch offenbart sich bei dieser Produktion ein zwiespältiger Eindruck, was bei einer solchen Independentproduktion aber nicht weiter verwundert. Die Kameraarbeit ist solide, die trostlose Farbpalette gut gewählt und die Darsteller machen allesamt einen guten Job. Vom Hauptdarsteller Nick Moran, über die italienischen Darsteller der Renaissance-Sequenzen bis hin zum letzten Statisten kann man nicht klagen. Auch die Musik ist sehr gut gewählt und passt größtenteils wie die Faust aufs Auge, was der Atmosphäre zu Gute kommt. Leider überzeugt der Schnitt keineswegs, die häufig angesprochenen Einschübe sind sehr störend und in gewisser Weise überflüssig. Bei den Effekten machen sich dann die niedrigen Produktionskosten dieser Independentproduktion bemerkbar, wobei das bei dieser Art von Film nicht so schwer wiegt.
Die DVD
Epix muss sich den Vorwurf gefallen lassen, diese Veröffentlichung ein wenig verbockt zu haben. Das Bild liegt in 1.33:1 (4:3) vor, obwohl das Ausgangsmaterial in 1.85:1 (16:9) vorlag. Dadurch ergibt sich ein gecropptes Bild, das man so nicht hätte haben müssen. Zudem rauscht es deutlich, die Schärfe schwankt von mittelprächtig-gut bis recht mau und der Kontrast ist auch nicht besonders gut. Stellenweise ist das Bild viel zu dunkel, wobei der gute Schwarzwert zu loben ist. Die Farben sind dank Filtereinsatz im Hauptteil eher kühl und untersättigt, während sie im Renaissance-Teil kräftig und warm erstrahlen. Hier wäre deutlich mehr drin gewesen.
Beim Ton gibt es kaum Anlass zur Kritik. Die Sprachverständlichkeit der drei Tonspuren (Deutsch 5.1 und 2.0, sowie Englisch 2.0) ist gut und erlaubt sich auch in der lauten Discoszene keine Schwächen. Surroundeffekte sind rar gesät, die hinteren Kanäle werden hauptsächlich vom guten Score angesteuert, ebenso der zeitweise kräftig brummende Subwoofer. Der O-Ton sollte nur von Leuten angewählt werden, die des Englischen sehr gut mächtig sind, da ausschließlich Straßenenglisch gesprochen wird. Die Renaissance-Szenen sind im O-Ton auf Italienisch gehalten, was viele Zuschauer auf Grund der komplett fehlenden Untertitel vor größere Probleme stellen könnte.
Die Extras sind auch nicht wirklich berauschend, bestehen sie doch lediglich aus einem Originaltrailer, einer Epix Trailershow und diversen Texttafeln (u.a. zur Adaption des Romans) - bei einem audio-visuellen Medium wie der DVD erwartet man mehr!
Fazit
Es erscheint geradezu tragisch, dass der bekennende Independentfilmer Tickell so mutig an B.S. Johnsons Werk rangegangen ist. Die Unzulänglichkeiten in der Erzählweise mit den unnötigen, eingeschobenen Renaissance-Sequenzen verhindern einen ganz großen Wurf. "Christie Malrys blutige Buchführung" ist sicherlich kein schlechter Film und dürfte sein Publikum finden. Schwarzer Humor, Sozialkritik und ein wenig Sex sind immer gute Vorraussetzungen für einen Erfolg. Was jedoch ärgert, ist die Tatsache, dass Tickell sehr viel Potential verschenkt hat, wodurch ein möglicher Kultfilm zu einem lediglich netten Filmchen verkommt. Kenner der Buchvorlage sollten einen Blick riskieren um sich ein eigenes Urteil zu bilden, alle anderen sollten sich vor dem Kauf durch einen Gang in die Videothek absichern.
- Redakteur:
- Martin Przegendza