Flight 93 – Es geschah am 11. September
- Regie:
- Peter Markle
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
13.07.2006 | 20:01Fliegerhorror im Dokufiction-Format
Flug United Airlines 93 fliegt am 11. September 2001 zunächst Richtung San Francisco, dann jedoch wird die Maschine von vier Al-Quaida-Terroristen entführt und nach Washington, D.C., gesteuert. Als gelenkte Bombe soll sie das Weiße Haus oder das Capitol treffen, ähnlich wie die drei anderen Flugzeuge, die ins World Trade Center und ins Pentagon gesteuert wurden. Doch diesmal läuft etwas schief: Die Passagiere schlagen zurück …
Filminfos
O-Titel: Flight 93 (USA 2005)
Dt. Vertrieb: e-m-s (Verleih: 18.05.2006; Verkauf: 31.08.2006)
FSK: ab 12
Länge: ca. 90 Min.
Regisseur: Peter Markle
Drehbuch: Nevin Schreiner
Musik: Velton Ray Bunch
Darsteller: Colin Glazer ("Insects"), Brenan Elliott ("V for Vendetta"), Patricia Haras ("Outer Limits") u.a.
Handlung
Es ist der 11. September 2001, ein wunderschöner Morgen an der Ostküste Amerikas. Um 6:13 Uhr verabschiedet sich Kopilot LeRoy Homer von seiner Frau Melody und seinem Baby, um zum Flughafen Newark, New Jersey, zu fahren. Flug 93 der United Airlines wartet dort auf ihn. Pilot ist Jason Dahl.
Ungefähr zur gleichen Zeit rasiert der Libanese Zaid Jarrah sein Brusthaar, damit er für den Einzug ins Paradies bereit ist. Seltsam ist, dass auch er das Flugzeug von UA-Flug 93 zu steuern gedenkt. Die Flugkenntnisse hat er sich in einer Studentenmansarde in Hamburg selbst beigebracht und in Florida an einer Flugschule verfeinert. Heute ist sein großer Tag. Er ist 26 Jahre alt, der älteste der vier.
Den Sicherheitsprüfpunkt des Flugsteigs passiert Zaid Jarrah zusammen mit drei Gesinnungsgenossen ohne Probleme. Keiner der Prüfer findet den Plastiksprengstoff, die Kabel und Zünder, die Platine. Und schon gar nicht die Teppichmesser.
Der Flieger ist halb leer: nur 34 reguläre Fluggäste, die vier Terroristen und sechs Besatzungsmitglieder. Die vier Araber sitzen alle in der Ersten Klasse, von wo sie nur einen kurzen Weg zum Cockpit haben. Darauf haben sie es abgesehen. Aber wie sollen sie hineinkommen?
Mark Bingham schafft es gerade noch in letzter Sekunde, das Gate zu erreichen, bevor die Tür geschlossen wird. Auch er sitzt in der Ersten Klasse. Er hätte sich nicht zu beeilen brauchen: Der Flieger muss wegen des Verkehrs exakt 43 Minuten auf der Startbahn auf die Starterlaubnis warten. Statt um 8:00 Uhr geht es also erst 8:43 Uhr los – eine Verzögerung, die sich als entscheidend für das Schicksal dieses Fluges erweisen soll.
Denn nur drei Minuten später fliegt eines der anderen drei entführten Flugzeuge in den Nordturm des World Trade Center und setzt mit seinem Kerosin das Gebäude in Brand. Nun zählt jede Minute. 18 Minuten später rast die zweite Maschine in den Südturm, mit ebenso verheerenden Folgen. Erst jetzt erkennt die Flugüberwachung der Luftfahrtbehörde, dass diese Crashs kein Zufall, sondern ein Angriff auf die Vereinigten Staaten sind. Immer noch sind keine Militärjets in der Luft. American Airlines hört die letzten Worte der Flugbegleiterin Amy, dann verstummt die Frau für immer.
Die vier Araber auf Flug 93 binden sich rote Kopfbänder um die Stirn, was die Passagiere teils amüsant, teils verschroben finden. Dann aber springen sie auf, zeigen ihre ausgefahrenen Teppichmesser und einer droht damit, sich in die Luft zu sprengen. Der Bombengürtel an seiner Hüfte ist unübersehbar, und er hat den Daumen am Auslöser. Passagier Mark Rotrhenberg steht auf und mahnt zur Besinnung. Sofort wird er niedergestochen. Er stirbt im Laufe der folgenden Ereignisse.
Indem er eine der Flugbegleiterinnen bedroht, verschafft sich Zaid Jarrah Zugang zum Cockpit. Die Piloten werden außer Gefecht gesetzt. Es ist unklar, ob sie sofort an ihren Wunden sterben oder verbluten. Von allen Passagieren ist kein einziges Staubkörnchen übrig geblieben, das darüber Aufschluss geben könnte.
Mit einem brutalen Flugmanöver zwingt Jarrah die Maschine auf eine niedrigere Flughöhe. Er scheint nicht zu wissen, dass man, je tiefer man fliegt, auch umso langsamer fliegen sollte. Die Boeing 757 droht auseinander zu brechen. Die Passagiere geraten langsam in Unruhe, dann sogar in Panik. Sie werden alle nach hinten gescheucht.
Aber keiner der vier Entführer nimmt ihnen die Mobiltelefone ab. So können Tom Burnett, Jeremy Glick, Mark Bingham und all die anderen ihre Familienangehörigen erreichen. Aus den Antworten erfahren sie, dass ihr Flugzeug nur eines von vieren ist, die von Entführern zur Bombardierung von Zielen in New York City und Washington missbraucht werden. Die entscheidende Frage aber ist: Ist die Bombe am Sprenggürtel des Entführers echt oder nur eine Attrappe? Wenn sie nicht hochgeht, haben die Passagiere eine Chance, die Kontrolle über das Flugzeug zurückzuerlangen …
SPOILER
Um ca. 10:00 Uhr - nur 77 Minuten nach dem Start - stürmen die Männer, darunter Mark Bingham, Jeremy Glick und Tom Burnett, das Cockpit und überwältigen drei der vier Entführer. Pilot Jarrah fliegt eine Rolle und lenkt die Maschine in den Erdboden. Um 10:03 Uhr beobachtet ein Farmer das Aufsteigen eines schwarzen Rauchpilzes. Um 10:15 erteilt Vizepräsident Cheney die Erlaubnis, Flug UA 93 notfalls abzuschießen. Das erweist sich als nicht mehr erforderlich. Die Feuerwehr ist bereits im Anmarsch. Der Krater in einem Feld bei Shanksville, Pennsylvania, ist unübersehbar. Aber warum ist er so klein?
SPOILER ENDE
Mein Eindruck
In diesem knappen Inhaltsabriss fehlt fast vollständig die Seite der Angehörigen. Deren Szenen bilden einen mindestens ebenso gewichtigen Teil der Handlung wie die Szenen an Bord von Flug 93. Die Angehörigen waren es auch, die erstens überhaupt ihre Zustimmung zum Machen des Films gaben und zweitens die unerlässlichen Telefonmitschnitte bereitstellten, ohne die das Drehbuch nur eine Ansammlung von Spekulationen und Fiktionen geworden wäre. Die Mitschnitte, so etwa bei der Telefongesellschaft Verizon, wurden sicherlich durch Gedächtnisprotokolle ergänzt, denn nicht jede Gattin hat das Band laufen, wenn der Göttergatte an der Strippe ist. Weitere wichtige Daten wurden vom Flugschreiber geliefert, so etwa die letzten Worte im Cockpit: "Pull it down!" – "Zieh sie runter!"
Wie die Macher in ihren Beiträgen (s.u.) freimütig zugeben, bleibt aber immer noch ein gewisser Spielraum für Spekulationen. Das ist natürlich riskant für einen Film, der als in Echtzeit spielendes Doku-Drama aufgebaut ist. Die Handheld-Kamera und mit ihr der Zuschauer sind stets hautnah dabei. Die Figuren an Bord der Maschine erscheinen manchmal fast überlebensgroß. Kein Wunder, es sind ausnahmslos Helden. Wie am Schluss von Making-of oder Kommentar gesagt wird, sind sie die "ersten Soldaten im Kampf gegen den Terror, die auf amerikanischem Boden starben". Das sagt schon eine ganze Menge über die Haltung hinter diesem Film aus. Kritik an Helden ist grundsätzlich nicht zulässig.
Kritik an Versagern dafür umso mehr. Am 11. September war dies hauptsächlich die amerikanische Regierung. Manche Szenen gestatten uns einen Blick in den Bunker, der sechs Stockwerke unter dem Weißen Haus liegt und angeblich einem Atomschlag standhält. Immerhin treffen hier Nachrichten von den vielen Fronten des Geschehens am 11. September ein, doch woran es völlig mangelt, ist eine zentrale Befehlsgewalt, die die Entscheidungen und Befehle koordiniert. (Eine Heimatschutzbehörde gab es nicht.) So erfahren wir, dass die notwendigen Entscheidungen letzten Endes "in den Schützengräben" getroffen wurden, von den Leuten an der Ereignisfront: von Fluglotsen etwa oder – siehe oben – von den Helden, die wir als Passagiere kennen lernen.
Tom Burnett, der Weltkriegsinteressierte, und Louis Nacke, der Mann mit dem Schwarzen Gürtel in Karate, sind Helden nach dem rechten Geschmack der Amis. Doch sie sind keine Clint Eastwoods im Maßanzug, sondern sorgen sich allesamt um ihre Angehörigen. Denn sie wissen alle, dass der Sturm aufs Cockpit ihre allerletzte Tat sein könnte. Daher holen sie sich von Gattin, Mutter und Freundin quasi die Lizenz zum Töten. Die meisten sagen "Go ahead", aber es erstaunt dann doch, dass ausgerechnet Deena Burnett ihrem Mann sagt, er soll lieber kooperieren. Der Grund für ihren Rat ist der, dass das Handbuch für Stewardessen diese Verhaltensweise empfiehlt. Offenbar müssen die Richtlinien umgeschrieben werden – wie so viele Handbücher nach dem 11. September.
~ Taschentücher bereithalten! ~
Denn es ist Matthäi am Letzten für alle Menschen an Bord der entführten Maschine. Aber auch die Angehörigen am Boden haben weiß Gott nichts zu lachen. Eine Frau nach der anderen bricht unter der Last der Ereignisse und des Unausweichlichen zusammen. Es liegt wohl an der Auswahl, dass unter den Frauen erstaunlich viele Mütter sind: Fast alle tragen ein kleines Baby bei sich, und die Oma oder Schwester ist häufig ebenfalls in Reichweite. Die Folge dieser Auswahl ist eine weitere emotionale Erschütterung des Zuschauers – um das Wort "Manipulation" zu vermeiden.
Auch wenn dieser Verdacht zu einem kritischen Blick Anlass gibt, so erweist es sich doch als äußerst schwierig, die kritische Haltung durchzuhalten. Dass Klischees und Fettnäpfchen links und rechts auf die Macher lauerten, macht eine Bemerkung im Kommentar deutlich: "Der Bunker unter dem Weißen Haus sollte nicht wie in 'Dr. Seltsam' aussehen." Kubrick lässt grüßen. Allzu leicht hätte man die Militärs im War Room wie Irre und ahnungslose Idioten aussehen lassen können. (Besonders weil bei Gestalten wie Rumsfeld, Cheney und Bush dazu nicht viel nötig wäre.)
Die Bemerkung unterstreicht einen selbstkritischen Blick der Macher. Deshalb lag ihn auch an einer realistischen Darstellung der Schurken im Stück: Die vier Entführer sind keine reglosen Masken des Bösen, sondern in ihren Gesichtern stehen Furcht und Ratlosigkeit, als die Dinge schief zu laufen beginnen. Und als Darsteller wurden fast durchweg völlig unbekannte Gesichter gewählt – Markle und Co. wollten keine Stars mit festgelegten Images, die den Doku-Charakter verdorben, sondern im Gegenteil ein starkes, fiktives Drama verlangt hätten. Der Nachteil dabei: Die Dramaturgie entspricht nicht dem Theater, das nach starken Protagonisten und zahlreichen Höhepunkten verlangt. Folglich kann die Spannungskurve nicht immer nach oben zeigen. Dieser Nachteil wird durch ein hohes Tempo wettgemacht.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,78:1 (anamorph)
Tonformate: D in DTS und DD 5.1, Englisch in DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Trailer dt. und engl.
- Audiokommentar mit Regisseur und Drehbuchautor
- Hinter den Kulissen von "Flight 93" (OmU)
- Flug 93 – eine Chronologie (Text),
- 11. September 2001 – eine Chronologie (Text)
Mein Eindruck: die DVD
Der Sound ist im DTS-Format hervorragend, doch die Möglichkeiten von DTS werden nur wenig ausgeschöpft. Es gibt weder welterschütternde Bässe noch kreischende Höhen, sondern einfach nur gediegenen Surround-Sound. Das Bild ist, wie man bei einer so jungen Produktion erwarten darf, einwandfrei und entspricht modernen Mäßstäben. Von HD-Standards ist bei dieser Silberscheibe keine Rede.
Das interessanteste Special ist sicherlich der Beitrag "Hinter den Kulissen", den man wegen seiner Länge von 13 Minuten ebenso gut ein Making-of hätte nennen können, nur dass eben weniger die Dreharbeiten im Vordergrund stehen, sondern die Aussagen der führenden Köpfe bei dem Projekt. Diese Köpfe gehören selbstredend dem betagten Produzenten Gerber (der offenbar einen künstlichen Kehlkopf besitzt), dem Regisseur Peter Markle und dem Drehbuchautor Nevin Schreiner – diese beiden letzten Herrschaften bestreiten auch den Audiokommentar. Verschiedene Bemerkungen habe ich bereits oben unter "Mein Eindruck" berücksichtigt, brauche ich also an dieser Stelle nicht zu wiederholen.
An diese Specials schließen sich die textbasierten Chronologien für a) Flug 93 und b) den 11. September 2001 an. Bei Chronologie a) ergeben sich keine Überraschungen gegenüber dem Regiekommentar, doch bei der Chronologie des 11.9. findet der Leser Informationen, die möglicherweise neu sind. Sie legen die Vermutung nahe, dass es sich bei Osama bin Laden um einen von Amerikanern ausgebildeten Mann handelt, den der CIA in Afghanistan für den Kampf gegen die Russen selbst zu einem antikommunistischen Kämpfer gemacht hat. Rund 13 Jahre später (1993) wandte er sich endgültig gegen seine Mentoren, als er die erste Bombe unter dem World Trade Center hochgehen ließ. Acht Jahre später hatte er sein Netzwerk Al-Quaida, was so viel wie "Basis" oder "Fundament" bedeutet, zu einem schlägkräftigen Apparat ausgebaut – mit den am 11. September sichtbaren Folgen.
Den Rest der Specials bestreitet Werbung in Form von Trailern.
Unterm Strich
Der Film ist ein packendes und sehr anrührendes Stück Dokufiction, und kein Zuschauer wird sich seiner Wirkung entziehen können. Darin liegt ein Vorteil – Mitgefühl für die Opfer – aber auch eine Gefahr: Ich fühlte mich manipuliert, besonders dann, als mir auffiel, das fast jede gezeigte Mutter (einzige Ausnahme: die Mutter von Elizabeth) mindestens ein kleines Baby hat. Gibt es in Amerika keine berufstätigen Gattinnen? Aber Yuppies will wahrscheinlich eh keiner sehen, wenn es um den 11. September geht. Nur Mütter können auch Heldinnen sein.
Die Extras sind passend und zufrieden stellend. Hier und da fehlt es nicht an kritischen Tönen gegenüber den Behörden (der Präsident hingegen wird nie erwähnt). Die Kommissionen und Anhörigen im Kongress und Senat haben genügend Fehler aufgedeckt, um mehrere dicke Leitzordner zu fühlen. Die Macher sind also auf sicherem Terrain, wenn sie Fehler erwähnen.
Den Film sollte man im Rahmen der beginnenden kinematografischen Aufarbeitung jenes Schicksalstages unbedingt gesehen haben. Später in diesem Jahr werden wir uns noch mit Oliver Stones Sicht der Dinge auseinander zu setzen haben. Ein Vergleich dürfte sich lohnen.
- Redakteur:
- Michael Matzer