Gib's ihm Chris!
- Regie:
- Peter Medak
- Jahr:
- 1991
- Genre:
- Drama
- Land:
- Großbritannien
1 Review(s)
07.08.2006 | 11:21Story
Derek William Bentley ist ein geistig minderbemittelter Jugendlicher, der von seinen Freunden gerne für Streiche und kleinkriminelle Handlungen missbraucht wird. Bereits im Alter von vierzehn Jahren gerät er unbewusst mit dem Gesetz in Konflikt, als er bei einem Einbruch als Einziger zurückbleibt. Derek wird infolgedessen in eine Erziehungsanstalt gesteckt, in der er mit härtesten Maßnahmen Zucht und Ordnung gelehrt bekommt.
Nach seiner Rückkehr scheint Derek zunächst gefestigt, doch schon beim ersten Aufeinandertreffen mit dem Kleinganoven Christopher Craig gerät er wieder auf die schiefe Bahn. Craig ist der Anführer einer Jugendbande, die in der Gegend herumstreunt und verschiedene kleine Missetaten durchführt. Als jedoch sein Bruder mit großer Gegenwehr festgenommen und zu zwölf Jahren Haft verurteilt wird, schwört Christopher Rache. Gemeinsam mit Derek plant er in einer Nacht- und Nebelaktion den Einbruch in ein Geschäftshaus, wobei die beiden jedoch von den Nachbarn erwischt werden. Die sofort herbeigerufene Polizei versetzt Craig schließlich in den Wahnsinn; scheut er zunächst noch vor Gewalttaten zurück, stacheln ihn Dereks Worte dazu an, sich gegen die Gesetzeshüter zur Wehr zu setzen. Ein Polizist lässt dabei sein Leben, ein andere wird schwer verletzt. Die beiden vermeintlichen Attentäter, darunter auch der unschuldige Derek, werden ebenfalls vor Gericht gestellt. Craig, gerade erst sechszehn Jahre alt, kommt mit einer verhältnismäßig milden Haftstrafe davon; Derek hingegen muss wegen seines Alters – er ist zu diesem Zeitpunkt bereits neunzehn – dem Galgen ins Auge sehen…
Meine Meinung
Großbritannien zu Beginn der Fünfziger: Auch kurz nach dem Krieg herrschen auf der Insel noch harte Sitten und strenge Erziehungsmaßnahmen, die einige Jugendliche dazu anstacheln, sich den Vorgaben des Elternhauses und des Gesetzes zu widersetzen. Mitten unter ihnen ist der junge Derek, ein geistig behinderter Epileptiker, dessen Lernbehinderung ihm immer wieder zum Verhängnis wird. Derek ist ein leichtes Opfer für seine Scheinfreunde und wird von ihnen auch stets zu Dummheiten aufgefordert, die dem unscheinbaren jungen Mann nichts als Ärger gereichen. Sein Vater, der seinen Sohn trotz allem nicht in Schutz nimmt, fordert für Derek dieselben Strafen wie für die übrigen Jungs in seinem Alter und bricht somit auch das erste Mal das Vertrauen zu Derek, der für seine Taten in eine Anstalt gesteckt wird, in der er von seinen Ausbildern schonungslos heran genommen wird – aber im Endeffekt doch nichts lernt…
Von Anfang an sympathisiert man mit dem jungen Bentley und verzeiht ihm auch über die ganze Zeit hin all seine Dummheiten – denn eigentlich ist der Junge ein echt armer Kerl, der wegen seiner Behinderung nicht dazu in der Lage ist, den Verlockungen der falschen Seite zu widerstehen. Hinzu kommt die gestörte Beziehung zu seinem Vater, der seinen Sohn zwar fordert, ihm aber trotz seines Alters kaum Rechte zugesteht und ihn so auch weiterhin dumm hält. Derek soll sich entwickeln, bekommt aber hierzu nicht die benötigten Freiräume, was dazu führt, dass er sich oft aus Trotz gegen den Rat seiner Familie auflehnt und danach an anderer Stelle die ihm fehlenden Freiheiten auskostet. Der kleine Fiesling Craig spürt die Wankemütigkeit Bentleys und macht ihn zum Werkzeug seiner üblen Pläne. Er setzt ihn dabei weiter unter Druck, um ihn so noch mehr auf seine Seite zu ziehen und ihn gleichzeitig von seinem Elternhaus zu entfremden. Dort wundert man sich indes schnell über die plötzlichen Klamottenwechsel und seltsame unbekannte Gegenstände, die sich auf einmal in seinem Besitz befinden. Erst da ahnen sie, dass Derek sich in schlechtem Umgang befindet, können daran aber nichts mehr ändern. Und so läuft ihr Sohn ins offene Messer…
Das Drama beginnt jedoch erst im Anschluss, nachdem der Film über den verhängnisvollen Schusswechsel mit der Polizei, aus dem sich Bentley vollkommen heraushält, eine urplötzliche Wendung erfährt und der stets unschuldige junge Mann für seine Teilhabe an dem grausamen Verbrechen zu Tode verurteilt wird. Erst hier wird aus dem vorgezogenen Geplänkel Ernst und aus Streichen ein Spiel um Leben und Tod – das jedoch der falsche Mann bezahlen muss. Es entbrennt ein wilder Streit in der Öffentlichkeit, der fortan von Dereks anfangs noch optimistischer Familie und der britischen Justiz geführt wird, aber wegen der überzogenen Bürokratie seitens der Rechtssprechung erst dann verhandelt werden kann, als es bereits zu spät ist. Aus dem heiteren Filmchen wird mit einem Mal eine sehr traurige Realitätsaufarbeitung (die Geschichte beruht tatsächlich auf einer wahren Begebenheit), die bis zum Ende der Neunziger von Dereks Schwester Iris weiterverfolgt wurde. Es geht um Wahrheit, Ungerechtigkeit und all die moralischen Werte, die im Falle von Derek William Bentley von den urteilenden Geschworenen vernachlässigt wurden, um auf diese Weise einen Weg zu finden, den Tod des Polizisten zu rächen. Wütende Proteste, erschütterte Bürger und ein zerstreutes Großbritannien reichen tatsächlich nicht aus, um die Obrigkeit umzustimmen. Stattdessen treiben die Gesetzeshüter ein falsches Spiel mit der Familie, die bis zuletzt hofft, dass Gott ihr Kind begnadet. Mit fortlaufender Dramatik steuert die Geschichte jedoch auf ein trauriges Ende zu, das einen nicht nur erschüttert, sondern auch sehr wütend macht.
Warum bekommt Craig eine so milde Strafe? Warum wird Dereks Geisteszustand vor Gericht nicht berücksichtigt? Warum wird er überhaupt verurteilt, wo er doch eigentlich ein unschuldiges Opfer des einflussreichen Craigs ist? All diese Fragen entfachen beim Zuseher eine Wut, die auch weit über das Ende des Films hinausgeht. Es geht einem nahe, das Schicksal der Bentleys hautnah mitzuerleben und Schritt für Schritt dabei zuzusehen, wie Derek auf den sicheren Tod zusteuert. Und das soll auch das Ziel von “Gib’s ihm Chris!“ sein. Sieben Jahre nach seiner Entstehung im Jahre 1991 hat er nämlich doch noch dazu beigetragen, dass die Gerechtigkeit siegen konnte und Bentley von seinem beklagten Vorgehen freigesprochen wurde. Viel zu spät, wie viele nach Betrachten dieses Filmes sicherlich denken werden.
Und wie gesagt, damit hat der Regisseur all das erreicht, was er mit diesem Biografiewerk bezweckt hat. Das Publikum ist entsetzt und fühlt mit dem unschuldig Verurteilten, ohne dass die Emotionen dabei von einem eventuellen pathetischen Beigeschmack herrühren. Stattdessen spielen Hass und der Sinn für Gerechtigkeit eine große Rolle bei der Meinungsbildung, die durch die erstklassigen schauspielerischen Leistungen der betroffenen Hauptakteure noch weiter verdichtet wird. Und so etwas nenne ich dann persönlich auch einen echten Volltreffer, der einerseits aus der sich stetig steigernden Dramaturgie und andererseits aus der trotz aller Gefühle gradlinigen Darstellung der Handlung resultiert.
Schade dass dieser hervorragende Film in der DVD-Fassung einige eklatante Mängel bei Bild und Ton aufweist. Während Ersteres nämlich von vielen leichten Verschwemmungen gezeichnet ist, stören beim Sound vor allem die vielen Differenzen bei der Lautstärkeregelung. Ständig muss man die Fernbedienung zur Hand nehmen, um wieder eine angenehme Dynamik zu erzielen, und das ist auf Dauer (immerhin dauert das Ganze 112 Minuten an) schon ziemlich nervig. Für die Aufarbeitung gibt’s daher auch ein paar deutliche Minuspunkte.
Fazit
“Gib’s ihm Chris!“ ist ein echter Geheimtipp, der weniger durch seine erfrischende Handlung, sondern vielmehr durch die durchweg fühlbare Authentizität der bewegenden Geschichte überzeugt.
- Redakteur:
- Björn Backes