Hass - La Haine
- Regie:
- Mathieu Kassovitz
- Jahr:
- 1995
- Genre:
- Drama
- Land:
- Frankreich
- Originaltitel:
- La Haine
1 Review(s)
27.09.2006 | 09:30Handlung:
Irgendein französisches Sozialbau-Ghetto in irgendeiner Stadt: Randalierende Jugendliche und Banden liefern sich in der Nacht schwere Kämpfe mit der Polizei und stürzen das Viertel in Zerstörung und Unruhe. Bei diesen Krawallen wird ein sechzehnjähriger Junge brutal von den staatlichen Sicherheitskräften zusammengeschlagen und ringt in Folge seiner Verletzungen im städtischen Krankenhaus mit dem Tod. In diesen unheilschwangeren Zeiten ziehen Hubert, Said und Vinz durch die trostlosen Viertel aus grauem Beton. Ein Tag beginnt, der ihr Leben für immer verändern wird.
Auswertung:
Wer erinnert sich nicht an die Bilder aus Frankreich, die 2005 in allen Medien weltweit zu sehen waren: Brennende Autos, geplünderte und in Brand gesetzte Läden und nächtliche Straßenschlachten, in denen Jugendbanden gegen die örtlichen Sicherheitskräfte kämpften. Es wurde im Anschluss, sei es in öffentlichen Gesprächsrunden oder Zeitungen, ausgiebig über die Ursachen und Hintergründe für diese Krawalle debattiert und man versuchte die ganze Problematik sozialwissenschaftlich zu analysieren. Man kam erneut zu der Erkenntnis, die man eigentlich schon zu lange kannte. Jugendliche mit Migrationshintergrund, die sich ohne Ausbildung, finanzielle Möglichkeiten oder Perspektive in den grauen Ghettos vieler Großstädte vorfinden, stellen einen gefährlichen Sprengsatz für unsere Gesellschaft dar. Doch wer sind die großen Massen, die sich in den nächtlichen Straßenschlachten gegen das „Establishment“ zu Wehr setzen? Wer sind die Menschen, die kaum Perspektive haben in einer Gesellschaft, die sie politisch zu oft übersieht?
Kassovitz gibt dieser breiten Masse in "Hass – La Haine" ein Gesicht und eine Stimme. Er zeigt den Alltag der drei Jugendlichen Vinz, Hubert und Said, für die das Ausgestoßensein aus der Gesellschaft zum Alltag gehört. In schwarzweißen Bildern fängt der französische Regisseur die Perspektivlosigkeit seiner Protagonisten ein, die sich mit der einen oder anderen kriminellen Aktion übers Wasser halten. Die Bilder in schwarzweiß verleihen dem Film bewusst keine erhabene Ästhetik, sondern harmonieren mit den grauen Betonlandschaften der Vororte, in denen die Jugendgangs umherziehen. In dieser Kulisse verfolgt die Kamera die Protagonisten und ihre Gedanken über die Umwelt.
Vor allem Hubert sticht aus der Gruppe der drei Jugendlichen heraus. Er ist begeisterter Boxer, jedoch wird die Sporthalle, in der er regelmäßig trainiert, während der nächtlichen Randalen abgebrannt. Übrig bleibt nur eine öde, dunkle Halle, die für Hubert einst so viel Hoffnung und Zuversicht in seinem Leben bedeutet hatte. Trotz dieser extremen Enttäuschung versucht er keinen Hass auf die Verantwortlichen zu entwickeln oder ihn auf die Ordnungshüter zu übertragen. Er erkennt, dass Hass keine Möglichkeit zur Bewältigung von Konflikten ist, da Hass nur noch mehr Hass auf beiden Seiten hervorruft. Er wird zum verlorenen Propheten in einer trostlosen Betonwüste, dem keiner in seiner Umgebung wirklich Gehör schenken will. Zu groß sind die Vorurteile auf beiden Seiten, zu oft schütten Einzelereignisse neues Öl in die lodernden Feuer der sozialen Brennpunkte.
So wie die triste Farbgestaltung in Kassovitz' Werk ist auch dessen realitätsnahes Bild einer Gesellschaft, die sich weit von dem demokratischem Gebot der Integration entfernt hat. Hoffnungslosigkeit, blinder Zorn und Armut brennen in den Köpfen so vieler Ausgestoßener und wie Kassovitz festhält, ist dieser Sachverhalt eine der größten Problematiken unserer heutigen Zeit. Er zeigt nicht mit dem moralischen Zeigefinger auf die Fehler des Systems, sondern lässt die Betroffenen schlicht für sich sprechen. Durch diesen speziellen Umgang mit der Thematik, wird Kassovitz' Botschaft umso deutlicher und intensiver.
Während sich die drei Hauptcharaktere in einer öffentlichen Toilette aufhalten, lässt der begnadete Filmemacher aus Frankreich einen älteren Herren aus einer Toilettenkabine heraustreten und den Jugendlichen eine Geschichte aus dessen Leben erzählen. Der alte Mann schildert seine damalige Deportation nach Sibirien und die Umstände, unter denen er auf dem Weg in das Lager leiden musste. Um in der eisigen Kälte zu überleben, mussten sich die Menschen im Gefangenenzugwagon gegenseitig wärmen. Wenn der Zug dann eine Pause machte, um Wasser und Kohle für die Weiterfahrt aufzufüllen, konnten er und seine Mithäftlinge die kurze Zeit nutzen, um ihrer Notdurft hinter dem Zug nachzugehen. Nur sein bester Freund war sehr eitel und überheblich gewesen und hatte sich weiter vom Zug entfernt, um sich alleine hinter einem Busch zu erleichtern. Als der Zug dann wieder losfuhr, hatte es sein Freund nicht mehr geschafft, den Wagon zu erreichen und war im Schnee erfroren. Nachdem der alte Mann die Geschichte erzählt hat, verlässt er die Toilette und taucht im restlichen Film nicht mehr auf. Seine traurige Geschichte und filmische Schüsselszene über Menschen, die sich gegenseitig wärmen müssen, um zu überleben, wird zum Sinnbild für unsere Gesellschaft, die nur dann funktioniert, wenn sich der einzelne seiner Verantwortung für die Gesellschaft und umgekehrt bewusst wird. Der in der eisigen Kälte erfrorene Mithäftling, der sich wegen seiner Eitelkeit zu weit vom Zug entfernt hat, ist ein Mahnmal gegen unsere eigene Überheblichkeit und Ignoranz, die zulassen, dass wir Mitmenschen ausstoßen und in soziale Brennpunkte verfrachten. Aus Angst, dass wir uns vielleicht einen Zacken aus unserer Wohlstandskrone brechen, ignorieren wir sie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Der Zug der Zeit fährt an und es ist die Frage, ob unsere heutige Gesellschaft den Sprung schafft oder in ihrer eigenen Isolation erfriert.
Umsetzung auf DVD:
Ein so meisterhafter Film hat eine ebenso großartige Umsetzung auf DVD erhalten. Das Bild ist klar, scharf und rauscht an keiner Stelle des Films. Der Ton ist überdurchschnittlich gut und Dialoge sind absolut gut verständlich.
Glänzender Höhepunkt bei der DVD-Gestaltung ist das Steelbook, in dem zwei DVDs eingefasst sind. Diese Metallhülle ist Blickfang in jedem Regal und wirklich hochwertig gearbeitet. Dieses Steelbook erscheint in der Bulletproof-Collection und ist limitiert.
Weitere Extras der DVD:
- diverse Audiokommentare
- Trailer
- Dokumentation über den Film
- Hinter den Kulissen
- Making of
- Deleted Scenes
- Casting und Proben
- Drehbuch, Storyboard
- Bildergalerie
Fazit:
"Hass – La Haine" ist großes Kino über die großen Probleme der Neuzeit. Durch dieses filmische Werk sieht man die damaligen gewaltsamen Ausschreitungen in Frankreich mit ganz anderen Augen und versteht den sozialen und gesellschaftlichen Teufelskreislauf, in dem so viele Menschen stecken. Kassovitz zeigt eindruckvoll eine Gesellschaft, die im Fall ist und eines Tages definitiv auf dem Boden der Realität aufschlagen wird. Wenn sich die Stimmen und wütenden Rufe aus den Brennpunkten der Großstädte in einem gewaltigen Schrei entladen, wird es für ein Einlenken zu spät sein. "Hass – La Haine" ist ein Plädoyer für bewusste Integration und ein abermaliger Weckruf, bevor die Stunde Null schlägt. Für jeden, der sich für intelligente politische Filme mit Tiefgang und hohem Aktualitätsbezug interessiert, ist dieser großartige Film absolute Pflicht. Ein Must-have für jede DVD-Sammlung mit Anspruch.
- Redakteur:
- Thomas Graef