Havoc
- Regie:
- Barbara Kopple
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
19.07.2006 | 09:21Story:
Die beiden Schülerinnen Allison und Emily entstammen reichen Familien aus dem Stadtteil Bel Air in Los Angeles. Jedoch gefällt ihnen das Schickimicki-Gehabe ihrer Eltern nicht sonderlich. In einer Gang versuchen sie gemeinsam mit ihren weißen Freunden das Ghetto-Leben der berüchtigten Hip-Hop-Gangster nachzuempfinden und geben sich in ihrer Clique auch richtig tough. Große Partys werden gefeiert, und das Gehabe der Protagonisten gleicht schon sehr stark dem Image der schwarzen Vorbilder. Nach einem weiteren Gelage suchen Allison, Emily und ihr Freund Toby die Ghettos im Osten von Los Angeles auf, um sich dort vor den richtigen Gangstern zu profilieren. Bei einem Crack-Deal geraten die Freunde aber dann arg in die Klemme: Toby wird von dem feindseligen Latino mit einer Waffe bedroht und kann seinen Kopf nur knapp aus der Schlinge ziehen. Während die Jungs die Gegend fortan meiden, zeigen sich Emily und Allison von den fremden Latinos fasziniert. Bereits kurze Zeit später machen sie sich erneut auf den Weg zu Bandenführer Hector und seinen Kumpanen und schaffen es tatsächlich, am Ghetto-Leben der "16 Street"-Gang teilzuhaben. Allerdings sind die beiden Mädels aus reichem Hause nicht auf das vorbereitet, was der dortige Lifestyle mit sich bringt. Zwischen oberflächlichem Getue im Freundeskreis und der bitteren Realität liegen nämlich immer noch riesige Unterschiede...
Meine Meinung
Die ersten Minuten dieses Streifens ließen mich Schlimmstes befürchten; ein recht unscheinbarer Teenager begleitet einige seiner Schulkameraden mit der Kamera beim Ausleben ihres scheinbar harten Lebens auf der Straße und fängt dabei einige Platitüden ein, die stark an der Grenze zur totalen Peinlichkeit stehen. Das Bild ist wirklich abschreckend: Ein paar weiße verwöhnte Kids sitzen in ihrer noblen Karossen und wollen in der selbst in Auftrag gegebenen Dokumentation das Image der 'Tough Guys' abgeben, obwohl sie eher den Eindruck ein paar armer, fehlgeleiteter Würstchen abgeben. Zumindest ist das proletante Auftreten der verwöhnten Reichen vollkommen daneben und wirkt eher lächerlich als beängstigend im eigentlichen Sinne.
Nach den ersten Partys und mit dem ersten Besuch bei der "16 Street"-Gang wendet sich dann aber das Blatt. Plötzlich wird den Junge und Mädels das tatsächliche Bild offenbart, welches mit dem erwünschten Image verbunden ist, und als der Gangführer Hector dann auch noch seine Pistole zieht, wird den vermeintlichen harten Kerlen plötzlich ganz weich in den Knien. Mit einem Mal wird man wieder von der Realität eingeholt, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Toby muss einsehen, dass man nicht einfach vorgeben kann, der Gangster-Posse angehörig zu sein, sondern dass dazu einiges mehr gehört und man prinzipiell schon in dieses Leben hineingeboren wird. Außerdem wird ihm nach dieser Begegnung klar, wie seine eigentliche Stellung aussieht.
Allison und Emily hingegen haben Blut geleckt. Genervt vom Leben ihrer Familie sind sie bei diesem Aufeinandertreffen einer neuen Faszination verfallen, die ihnen in den kommenden Tagen keine Ruhe lässt. Besonders Allison, die von der Aura Hectors verzaubert ist, drängt darauf, zurück in das Gangsterviertel zu reisen, um tiefer in das Bandenleben einzudringen. Mit flotten Sprüchen und personifiziertem Selbstvertrauen kehrt sie zurück nach East L.A. und passt sich dem Leben der dort vorherrschenden Gang an. Trotz mehrere Vorfälle und Konflikte mit dem Gesetz, nach denen auch ihre Eltern von der neuen Vorliebe der beiden Teenager erfahren, lässt sie sich vollkommen auf das Leben bei Hector und den finsteren Jungs der "16 Street" ein und fühlt sich in ihrem neuen Leben auch immer wohler. Als es dann bei der selbst herbeigesehnten Aufnahmeprüfung der beiden zu einem Eklat kommt, wird Allison und Emily aber erst bewusst, welch hoher Preis hinter all dem steht.
Drehbuchautor Stephen Gaghan hat bereits mit seinem preisgekrönten Plot zu "Traffic" begeistern können. Und auch hier liefert er einige sehr interessante Ideen, denen es vor allem in der zweiten Hälfte des Films kaum an Authentizität mangelt. Man hat hier in Europa sicherlich viele Vorstellungen vom Leben in den Slums der amerikanischen Großstädte, und was das anbelangt, kommt Gaghan diesem 'Idealbild' auch schon ziemlich nahe. Zumindest deckt er hier alle Punkte ab, die einem die eigene Vorstellungskraft beim Ersinnen eines amerikanischen Großstadt-Ghettos vorgibt. Regisseurin Barbara Kopple hat dies auch weitestgehend überzeugend umgesetzt, verfehlte es aber leider, das weiße Pendant zu den gefährlichen Latinos entsprechend authentisch darzustellen. Toby und seine Pseudo-Gang sind ein geradezu lächerliches Konstrukt, bei dem lediglich die versnobte Einstellung mancher verwöhnter Bengels nach außen gekehrt wird. Zur Erstellung eines Kontrasts - sofern dieser hier ersucht wurde - ist dies zwar absolut dienlich, doch alles in allem sind die Auftritte der weißen Gangster absolut peinlich. Da hilft auch der Griff zu den Waffen und die oberflächliche Dokumentation mittels Kameraaufnahmen nicht mehr.
Trotzdem ist "Havoc" ein sehr guter Film geworden, der aber erst im letzten Abschnitt seine tatsächliche Klasse offenbart. Nach der Bedienung sämtlicher Klischees geht die Regisseurin endlich weiter ins Detail und konzentriert sich nicht mehr bloß auf die oftmals gesehene Wiedergabe des Ghettolebens, sondern vielmehr auf das Drama um die beiden Mädchen. Und diese emotionsgeladene Darstellung ist ihr nach anfänglichen Zweifeln auch sehr schön gelungen, wobei die beiden Schauspielerin Anne Hathaway (u.a. "Plötzlich Prinzessin" und "Brokeback Mountain") und Bijou Phillips ihre Rollen auch sehr lebendig und mitreißend ausfüllen.
Die DVD zu "Havoc" trägt das ihrige dazu bei, dass der Film zu einem echten (wenn auch spät zündenden) Genuss avanciert. Mit einem wirklich prachtvollen, kontrastreichen Bild und einem makellosen Ton ausgestattet, weiß der Silberling vollkommen zu überzeugen. Lediglich das Fehlen von originellem Bonusmaterial (den Originaltrailer ordne ich nicht in diese Kategorie ein) ist zu beklagen.
Fazit
Filme, in denen die Ghettos der amerikanischen Großstädte eine übergeordnete Rolle spielen, sind meistens Grenzfälle. Drehbuchautor Stephen Gaghan und die ausführende Regisseurin Barbara Kopple haben sich dem Thema jedoch von einer gänzlich anderen Seite genähert und beschrieben, was passiert, wenn in diesen Bereichen Gegensätze aufeinandertreffen bzw. wie und ob diese überhaupt miteinander harmonieren können. Herausgekommen ist ein manchmal sehr erschreckendes Gesamtbild, das in gewisser Hinsicht auch auf gängigen Klischees beruht, aber dennoch bisweilen unter die Haut geht. Den letztgenannten Fakt nehme ich deswegen auch zum Anlass, um diese gelungene Produktion an das hier angesprochene Klientel weiterzuempfehlen. Und wer auf solche Sachen steht, dem empfehle ich noch "Menace To Society", den vielleicht besten Film aus dieser Sparte.
- Redakteur:
- Björn Backes