Hinter dem Horizont
- Regie:
- Vincent Ward
- Jahr:
- 1998
- Genre:
- Fantasy
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- What Dreams May Come
1 Review(s)
05.08.2003 | 16:49"Hinter Dem Horizont" ist einer jener Filme, die an der Kinoleinwand von irgendeinem Blockbuster überschattet und so vom breiten Publikum kaum zur Kenntnis genommen wurden. Dabei sticht der Film von Vincent Ward, der vorher eigentlich nur Schrott gedreht hat, wohl schon vom Ansatz her jeden Kommerzfilm aus. Die Geschichte, die der Film erzählt, erinnerte mich zuerst an ein typisch-kitschiges Familiendrama aus Hollywood, doch später schwenkt die Szenerie um, und der Film mutet wie die Gegenversion zu "Dantes Inferno" an.
Der Plot: Chris Nielson führt mit seiner Frau Annie eine Ehe wie aus dem Bilderbuch. Er ist ein beliebter und erfolgreicher Kinderarzt, sie eine Kuratorin in einem Kunstmuseum. Die dazu passenden Kinder sind natürlich auch vorhanden, eine verwöhnte Tochter und ein deprimierter Sohn sorgen dafür, dass die Vorgeschichte nicht allzu kitschig wird. Durch die Schicksalsschläge wird der Film immer düsterer. Nach einem typischen Morgengespräch der ganzen Familie wird der Nachwuchs vom Hausmädchen zur Schule gefahren, kommt dort aber nie an. Der Autounfall, der dem Kindermädchen und ihren Schützlingen das Leben kostet, wirft das Leben des Traumpaares ziemlich aus der Bahn, doch finden beide wieder zu einem geordneten Leben zurück.
Als Chris seiner Frau einen Gefallen tun will, um ihr eine Ausstellung zu retten, gerät auch er in einen Autounfall, und kommt durch einen tragischen Zufall dabei ums Leben, als er den Opfern helfen will. Der Weg in den Himmel geht über die verschiedenen Etappen der Todeserkenntnis und des Loslassens, bis er sich schließlich in einer seltsam aussehenden Blumenlandschaft wiederfindet. Die Landschaft entpuppt sich als eins der Bilder seiner Frau, welches er nun in seinen persönlichen Himmel projiziert.
Sein vor Jahren verstorbener erster Chefarzt fungiert in den ersten Szenen seines Lebens im Jenseits als Stadtführer und Informant, und erklärt seinem ehemaligen Lehrling, dass man seinen persönlichen Himmel nach der eigenen Vorstellungskraft gestalten kann, was auch seine persönliche Welt in Acrylfarben erklärt, mit denen schließlich seine Frau gemalt hat. Nach wenigen Tagen in der Ewigkeit hat sich Chris an seine neue Umgebung angepasst, und wohnt seither nicht mehr in einem Haus aus Acrylfarbe, sondern in einem real vorgestellten Landhaus, für das andere Menschen im Diesseits wohl töten würden.
Das Wiedersehen mit den eigenen Kindern, die ja vier Jahre Vorsprung im Jenseits haben, lässt auch nicht lange auf sich warten, doch die grausame Realität holt Chris auch im Jenseits ein: seine Frau Annie kann sein Dahinscheiden nicht verkraften, und nimmt sich das Leben. Als Selbstmörderin kommt sie freilich nach altem Gesetz nicht in den Himmel, sondern muss in Selbstmitleid und Verkennung ihrer Selbst in der Hölle ihr Nichtsein fristen.
Daraufhin macht Chris sich mitsamt Mentor und Spurenleser auf, seine Frau aus dem Nirwana der Sünder zu retten, und begibt sich dabei auf eine Reise, die selbst Odysseus alle Ehre gemacht hätte, denn genauso, wie die Darstellung des Himmels mit seinen altertümlichen Gebäuden und der fantastischen Landschaft verzaubert, wird man von dem düsteren und martialischen Bild der Hölle fasziniert, das es so komplex wohl kein zweites Mal in der Filmgeschichte gibt.
Als Chris seine Frau endlich findet, steht er der größten Herausforderung gegenüber: er muss seine Frau davon überzeugen, dass sie alle wirklich tot sind, ohne selber in ihren Wahnsinn gerissen zu werden.
Die Handlung strotzt nur so von Anleihen aus altertümlichen Mythen. So kommt der Jüngling, der in den Hades hinabgeht, um seine Geliebte aus der Unterwelt zu retten bereits in der Geschichte des Orpheus vor, die Reinkarnation wurde vom Buddhismus ausgeliehen und die Darstellung des Himmels, in dem die Menschen arbeiten und leben, als hätte es so was wie die Endlichkeit gar nicht gegeben, erinnert mich ein wenig an Utopia. Gott an sich darf natürlich auch nicht fehlen. Er guckt unsichtbar auf die Menschen herab und hat sie furchtbar lieb. Keine große Veränderung dieser Leihgabe also.
Die Dialoge fallen teils ziemlich einfach aus, und das Happy End bekommt man so derbe vor die Nase geklatscht, dass der Kitsch fast schon weh tut, aber durch die meisterhaften Leistungen der Schauspieler wird dieses Defizit, das wohlweislich Hollywood anzulasten ist, wieder ausgebügelt.
Jeder Charakter scheint bestmöglich besetzt, so u.a. Cuba Gooding Jr. als ehemaliger Chefarzt von Chris oder Annabella Sciorra, die Annie auf eine Art und Weise darstellt, dass sie einen sofort in ihren Bann schlägt. Der Spurenleser, der von Max von Sydow dargestellt wird, scheint zudem die jenseitige Anstellung Obi-Wan-Kenobis zu sein.
Am überzeugendsten spielt (natürlich) Robin Williams, der hier mit seiner Rolle als Mischung von Peter Pan und Familiensupermann à la Mrs. Doubtfire brilliert - eine der Sorte Rollen, die dem Mann wie auf den Leib geschneidert erscheinen.
Fast ausgestochen werden die schauspielerischen Leistungen durch die fantastisch dargestellten Welten des Himmels und der Hölle, die immer wieder in ihren Bann schlagen. Der gesamte Film scheint im Zeichen der Kunst zu stehen, denn so ist auch, nachdem sich Chris' Himmel letztendlich ein wenig realer gestaltet, fast jede zu sehende Einstellung sehr gut festgehalten, einfach ein wahrer Augenschmaus. Auch die Hölle weiß durch beeindruckende Bilder zu fesseln und steht der heiteren Welt des Himmels in nichts nach.
Im Großen und Ganzen ein toller Fantasyfilm, der seine Schwächen in Dialog und Plot durch seine überragenden Stärken in Bild und Schauspielerei schnell wieder ausmerzt, und sofort in seinen Bann schlägt. Dass Spezialeffekte am meisten Kasse machen, wenn sie groß 'Bumm' und 'Peng' machen, oder irgendetwas spektakulär in die Luft fliegen lassen, ist bekannt. Aber dass sie am beeindruckendsten sind, wenn sie eine ganze Welt aus Farbe und Licht erschaffen, oder verschiedene Baustile zu einem gigantischen Himmelreich zusammenfügen, muss erst einmal wahrgenommen werden!
Ein Muss für jeden Fan von Robin Williams, neomythischen Geschichten oder purer Bildergewalt.
- Redakteur:
- Michael Kulueke