Kameliendame 2000
- Regie:
- Radley Metzger
- Jahr:
- 1969
- Genre:
- Drama
- Land:
- Italien
- Originaltitel:
- Camille 2000
1 Review(s)
12.03.2006 | 12:22Radley Metzger ist eine der Personen, auf die der Begriff "Independent-Regisseur" hundertprozentig zutrifft. Der Amerikaner hatte seine eigene Vision und versuchte, diese umzusetzen. Der Massengeschmack war ihm dabei genauso egal wie die Tatsache, dass er mit seinen Filmen niemals Millionen von Dollar würde verdienen können. Und wenn man einmal zu dieser Erkenntnis gekommen ist, kann man frisch von der Leber weg die Sachen machen, auf die man Lust hat. Die Passion des New Yorkers war es, Sexfilme mit einem gewissen Anspruch zu realisieren, wobei man fairerweise sagen muss, dass er sich gerade zu Beginn seiner Karriere auf dem Feld des Dramas bewegte und sich die erotischen Komponenten, wenn überhaupt, dann aus der jeweiligen Geschichte ergaben. Sie wurden von ihm nicht zur Befriedigung voyeuristischer Gelüste in den Film gezwängt. Sein Publikum setzte sich konsequenterweise fast zu gleichen Teilen aus Erotikfilmfans und Kunst-Freaks zusammen, die sich in den Programmkinos dieser Welt seiner Werke erfreuten.
Metzgers Anspruch, die erwähnten Genres künstlerisch zu verschmelzen, führte ihn im weiteren Verlauf seiner Karriere bis in den Hardcore-Porno-Bereich. Die aus dieser Zeit stammende Sexkomödie "The Opening Of Misty Beethoven" (1976) – die Geschichte basiert auf dem Theaterstück "Pygmalion" des Iren George Bernard Shaw – gilt heute als Klassiker des Genres. Der Streifen steht dabei in qualitativer Hinsicht meilenweit über den aktuellen Ruckelfilmen und ist mit diesen auch überhaupt nicht vergleichbar. Wir reden hier definitiv nicht von einem Ich-ziehe-mir-mal-ein-prunkvolles-Kleid-an-und-mache-einen-auf-Handlung-Porno!
Mit dem vorliegenden "Kameliendame 2000" erreichte die Karriere des Regisseurs im Jahr 1969 einen ersten Höhepunkt. Die Verfilmung des Romans "La dame aux camélias" (1848) von Alexandre Dumas d. J. war seine bis dato teuerste Produktion, was man der Ausstattung des Streifens auch durchaus ansieht.
Story:
Duval reist nach Rom, um dort seinen Urlaub zu verbringen. Bei einem Opernbesuch lernt er durch seinen Freund Gastion Marguerite Gautier kennen und verliebt sich sofort in sie. Entgegen aller Ratschläge Gastions, sich doch besser nicht auf die äußerst wankelmütige Frau einzulassen, beginnt er eine Affäre mit ihr. Schnell merkt Armand, dass seine Gefühle für die bevorzugt ausschweifende Partys feiernde Marguerite nicht erwidert werden und er nur ein Abenteuer unter vielen zu sein scheint.
Kritik:
Man sollte nicht den Fehler machen, in Radley Metzger das von allen unterschätze Genie schlechthin zu sehen, was er definitiv nicht ist - allerdings gebührt ihm doch ein gewisser Respekt für seine Arbeiten. Speziell "Kameliendame 2000" unterstreicht, dass der Amerikaner durchaus in der Lage war, qualitativ hoch stehende Filme zu drehen bzw. einer literarisch gehaltvollen Vorlage gerecht zu werden, ohne sich nur in deren Glanz zu sonnen.
Die Geschichte nimmt sehr schnell Fahrt auf, und von Beginn an versteht es der Regisseur, Interesse für die simple Story zu wecken. Bereits beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Hauptfiguren bekommt man das Gefühl, dass dieser Film kein gutes Ende nehmen und die Beziehung von Armand und Marguerite vermutlich eine recht unerfüllte bleiben wird.
Großen Anteil am Gelingen des Streifens haben einerseits die Cutter-Erfahrung des Regisseurs, die er bei einigen Szenen im Schneideraum ausspielen konnte, und andererseits die erwähnte tolle Ausstattung. So ist das riesige Anwesen, in dem Marguerite wohnt, mit einem schneeweißen und mit vielen Spiegeln versehenen Schlafzimmer ausgestattet, das jenen Sequenzen, die dort angesiedelt sind, einen surrealen Touch verleiht. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass die Kamera zumeist nur die Spiegelungen einfängt und nicht unmittelbar die Akteure. Die Wahl der Farbe dieses Raums dürfte Metzger sicher auch nicht ganz zufällig getroffen haben, steht sie doch im totalen Gegensatz zu Marguerites dekadentem Lebenswandel. Dementsprechend protzig sind auch die übrigen Kulissen des großen Hauses, die Sinnbilder der Oberflächlichkeit der gesellschaftlichen Kreise sind, in denen sich die weibliche Hauptfigur bewegt.
An dieser Stelle möchte ich auch ein paar Worte zu den Sexszenen des Films verlieren: Ja, es gibt sie! Im Ernst: Aus heutiger Sicht sind diese Szenen vollkommen harmlos. Es wird nichts gezeigt, was man nicht schon nachmittags in den einschlägigen Ballermann-TV-Formaten zu sehen bekäme. Im Unterschied zu den unsagbar schlechten Katastrophen-Sendungen werden sie von Metzger allerdings äußerst kunstvoll und mit einem großen Sinn für Ästhetik inszeniert. Nix Bahnhofsklo-Atmosphäre! Bedenkt man das Entstehungsjahr, ist die Freizügigkeit des Films natürlich trotzdem sehr beachtlich. Neben den explizit erotischen Passagen betrifft dies auch die äußerst atmungsaktiven Kostüme der weiblichen Figuren, die für den einen oder anderen Fall von Atemnot unter den Zuschauern verantwortlich gewesen sein dürften.
Mit "Kameliendame 2000" ist Radley Metzger alles in allem ein sehenswertes Erotikdrama gelungen, das Respekt für die literarische Vorlage zeigt und deshalb nicht unbedingt mit dem Begriff "Exploitation" abgestraft werden sollte.
- Redakteur:
- Oliver Schneider