London to Brighton
- Regie:
- Paul Andrew Williams
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Großbritannien
1 Review(s)
17.11.2008 | 18:25Gejagte (Un-)Schuld
Gejagt, verkriechen sich Kelly (Lorraine Stanley) und Joanne (Georgia Groome) in einer heruntergekommenen Toilette. Ein dickes Veilchen „ziert“ Kellys Gesicht. In der kurzen Atempause beschließt das ungleiche Paar nach Brighton zu fahren, in Sicherheit. Geld für den Zug haben sie jedoch nicht. Innerhalb einer Stunde will Kelly das nötige Geld besorgen, sich an Männer verkaufen, um ihr beider Leben zu retten – Joanne ist schließlich erst 12.
Derek (Johnny Harris ), Londoner Kleinkrimineller und Kellys Zuhälter, hat sie in diese Situation gebracht. Sein bedeutendster Kunde, Duncan Allen (Alexander Morton), verlangte nach „Frischfleisch“ - möglichst jung und unschuldig. Um dem alternden Pädophilen zu bringen, wonach er verlangt, hat Derek Kelly losgeschickt, passende Ware zu finden, welche diese in Joanne fand.
Die junge Ausreißerin lebt erst ein paar Tage auf den dreckigen Straßen Londons und kann jedes Pfund gebrauchen. Ohne zu wissen, worauf sie sich einlässt, willigt sie ein, sich für 100 Pfund zu verkaufen. In Allens Anwesen angekommen, geht alles schnell auf schnell. Duncan lässt Kelly zurück und nimmt Joanne auf sein Zimmer. Als von dort Schreie zu ihr dringen, hört Kelly auf ihr Gewissen und kommt Joanne zu Hilfe. Nach einem wilden Handgemenge schafft sie es, die kleine Ausreißerin zu befreien und mit ihr zu fliehen, während Duncan blutüberströmt auf dem Boden liegt.
Es ist nun an Duncans skrupellosem Sohn Stuart (Sam Spruell) die Sache zu bereinigen. Er gibt Derek 24 Stunden, um die beiden flüchtigen Frauen zu finden, oder er schläft mit den Fischen. Sein Leben hängt an dem der Prostituierten und dem des 12-jährigen Mädchens.
Realistische Hetzjagd
Filme mit heikler Thematik können den Zuschauer jäh verprellen, was Gaspar Noé 2002 mit dem Vergewaltigungs-Thriller "Irreversible“ bewies. Ist das Sujet in der Realität schon verstörend genug, kann eine unbedachte filmische Realisierung für Kopfschütteln bei den Zuschauern sorgen. Mit Kindesmissbrauch hat sich Regiedebütant Paul Andrew Williams eines der schwierigsten Themen überhaupt für seinen Erstling "London to Brighton“ ausgesucht.
Ohne Effekthascherei erzählt er in dreckigen Bildern eine realistische Geschichte, die irgendwo zwischen Drama, Coming-of-Age-Story und Thriller angesiedelt ist. Dank glaubwürdigen Charakteren und einem grundsoliden Plot läuft Williams nie Gefahr, mit dem heiklen Thema unterzugehen. Der Film wirkt tief in der Realität verankert, verzichtet auf Überzeichnungen und liefert mehrdimensionale Charaktere, die man so auf Londons Straßen vermuten würde.
Es ist Paul Andrew Williams hoch anzurechnen, dass er weitestgehend ohne eine schwarz/weiß Malung auskommt. Die kleine Joanne wirkt anfangs sehr tough, zeigt im Verlauf aber auch viel kindliche Naivität und sogar ein Stück Unbeschwertheit. Ihr Spiegelbild ist die Prostituierte Kelly, die im Flucht-Handlungsstrang wie eine Ersatzmutter wirkt, ihr anderes Ich aber in den Flashbacks zeigt. Besonders herausragend ist aber Johnny Harris Rolle Derek: Harris spielt mit solch einer Intensität und Freude, dass sein an sich eindimensionaler Charakter eine Tiefe bekommt, die man anhand des Drehbuchs nicht für möglich gehalten hätte. Überhaupt sind die Darsteller mit das größte Plus des Films.
Ein weiteres Plus findet sich im cleveren Schnitt, der die Zuschauer mitten ins Geschehen versetzt. Der Film beginnt mit der oben beschrieben Szene, die zweifelsohne viele Fragen aufwirft. Diese werden erst im späteren Verlauf des Films in zwei Flashbacks geklärt, die ihrerseits Spielraum für ein großes Finale lassen, welches mit einer interessanten, wenn auch leicht vorhersehbaren Wendung aufwartet.
Die Kameras sind beängstigend nah an den Charakteren, was dem rauen, förmlich bodenständigen Stil des Films zugute kommt. Durch das geringe Budget von gerade einmal 250.000 Pfund wurde fast der gesamte Film mit Handkameras gedreht, die jedoch analog aufnahmen. Der resultierende Look passt mit seiner rauen Art wunderbar zum schwierigen Plot und rundet das Gesamtwerk gekonnt ab. Low Budget als Chance!
Die DVD
Das Bild (2.35:1) setzt keine Maßstäbe, bleibt in allen Bereichen aber solide. Die Schärfe ist ok, der Kontrast könnte besser sein und das leichte Hintergrundrauschen ist an der Grenze zum Störfaktor. Die natürlichen Farben überzeugen hingegen.
Ähnliches gilt für den Ton. Mit 250.000 Pfund stand kein Blockbuster Budget zur Verfügung, was man auch am Ton merkt (abgesehen davon, dass sich das Filmgenre ohnehin nicht für Raumklangwunder eignet). Ab und an dürfen die Rears kurz tönen, im Großen und Ganzen spielt sich das Geschehen aber auf der Front ab.
Dick auftrumpfen kann die Ascot Elite DVD aber bei den Extras: mit einem Audiokommentar, Deleted Scenes, einem alternativen Ende, Castingaufnahmen und Behind the Scenes Material steht viel zur Auswahl. Das interessanteste Extra ist jedoch das knapp 30-minütige Q&A mit Regisseur Paul Andrew Williams, in welchem er offen und frei über die Produktion spricht.
Fazit
"London to Brighton“ ist alles andere als massenkompatibel und verlangt dem Zuschauer einiges ab. Wer anspruchsvolles Kino mag, auf MTV-Optik und digitale Glattbügelung verzichten kann, sollte dem Film definitiv eine Chance geben. Viel besser als hier kann man sich dem Thema Kindesmissbrauch wohl nicht annehmen.
- Redakteur:
- Martin Przegendza