Red Letters – Späte Abrechnung
- Regie:
- Bradley Battersby
- Jahr:
- 2000
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
07.03.2006 | 16:18Hawthorne reloaded: Der schmale Grat zwischen Erotik und Knast
Professor Dennis Burke ist beliebt bei den weiblichen Studenten, aber als eine von ihnen ihn wegen sexueller Belästigung anschwärzt, muss er umziehen. Im neuen Appartement findet er Briefe, die an seinen Vormieter gerichtet sind. Als seine Neugier auf die Schreiberin geweckt ist (v. a. durch Fotos), schreibt er zurück und lernt die attraktive Lydia Davis kennen. Sie wurde zu 30 Jahren Knast wegen Mordes an der Ehefrau ihres Ex-Geliebten verurteilt, doch sie sagt, sie sei unschuldig. Als sie ausbricht und Dennis bittet, ihre Unschuld zu beweisen, lässt er sich auf ein Spiel ein, das sich als gefährlicher herausstellt, als er erwartet hatte.
Filminfos
O-Titel: Red Letters (USA 2000)
Dt. Vertrieb: Koch Media (03.02.2006)
FSK: ab 16
Länge: ca. 99 Min.
Regisseur: Bradley Battersby
Drehbuch: Bradley Battersby und Tom Hughes
Musik: John Van Tongeren
Darsteller: Peter Coyote, Nastassja Kinski, Fairuza Balk, Jeremy Piven, Paul Gleason u. a.
Handlung
Hätte er bloß nicht vor zwanzig Jahren diesen erotischen Roman verbrochen! Schon wieder liest ihm eine seiner Studentinnen die besten "Stellen" aus diesem Machwerk vor, und das auch noch im Evaskostüm. Als Professor für englische Literatur hat man’s nicht leicht, findet Dennis Burke (Coyote), wenn man bei den Studentinnen so populär ist. Als er nicht mit ihr schlafen will, zeigt sie ihn wegen sexueller Belästigung an, und er muss seine Koffer packen.
Am neuen College findet er zu seinem Leidwesen schnell heraus, dass sein Seminar weniger wegen des Themas Nathaniel Hawthorne besucht wird, sondern wegen seines, Burkes, Ruf als Autor eines erotischen Romans. Besonders die Tochter des Dekans, Gretchen van Buren (Fairuza Balk), erweist sich als hartnäckig in ihren Bemühungen, Prof. Burkes erotische Welt zu erkunden. Sie hat schon mit 13 sein Buch gelesen und ist seitdem von ihm besessen. Der Witwer ist seinem Kollegen Thurston Clarque (Piven) dankbar, ihn von der Klette zu befreien, zumindest für den Moment. Thurston stellt sich als Hacker vor. Ein Jammer, dass er ein so intrigantes Frauenzimmer wie Karen (Heather Ehlers) zur Frau hat.
Per Zufall bekommt Dennis die Briefe, die an seinen Vormieter Anthony Griglio geschickt wurden. Absender ist stets eine Lydia Davis. Als er ihre Fotos durch Papier schimmern sieht, muss er alle Briefe öffnen und lesen. Ehrlich gerührt oder auch nur stockbesoffen, beginnt er, ihre Briefe zu beantworten, unter seinem richtigen Namen. Lydia Davis (Kinski), so recherchiert er, ist zu 30 Jahren wegen vorsätzlichen Mordes an der Frau ihres Ex-Geliebten George Kessler (Udo Kier) verurteilt worden. Doch bislang hat sie nur sechs davon abgesessen, und schon hat sie die Schnauze voll.
Der "Kontaktbesuch" im Knast stellt sich als sehr bewegend heraus. Nicht nur, weil Lydia eine Schönheit ist, sondern auch weil sie ihn als Mann begehrt, ihn küsst und umarmt. Dennis schenkt ihr Briefpapier. Sie sagt, die Briefe an Griglio seien nur ein Spiel der Phantasie gewesen, doch Dennis schreibe ganz anders. Kein Wunder, denn Dennis war verheiratet, doch seine Frau ist schon vor langem gestorben (vermutlich an ALS).
Dann macht Dennis einen folgenreichen Fehler. Er verrät Lydia, dass sein Freund Thurston für eine Affäre alles riskieren würde. Wenige Tage später schleppt eine sexy Blondine den wehrlosen Hacker ab, wahrscheinlich, um ihn um den Verstand zu vögeln. Als Dennis den inzwischen untergetauchten Thurston wiederfindet, versteckt dieser sich in einem schäbigen Motel, ist von seiner blonden "Göttin" besessen und hackt sich unbemerkt in den Computer des Gefängnisses, in dem Lydia einsitzt. Denn Lydia und jene sexy Blondine namens Cheryl Russo sind Halbschwestern. Dennoch überrascht Dennis die Nachricht, dass Lydia aus dem Knast ausgebrochen ist.
Dreimal darf man raten, wo sie als erstes auftaucht: in Dennis’ Wohnung! Diese wurde inzwischen von Karen Clarque auf den Kopf gestellt und sieht wenig wohnlich aus. Nachdem sie einiges erklärt hat, trösten sie einander so intim es nur geht.
Doch dann beginnt der Ernst des Lebens mit Macht zuzuschlagen. Denn Lydia wird ja landesweit gesucht, und Dennis deckt sie. Während ihm die Bullen in Gestalt des gewieften Detective Teal (Ernie Hudson) auf die Pelle rücken, versuchen er und Lydia die Tatwaffe zu finden, mit der Kesslers Frau angeblich von Lydia erschossen wurde. Dennis hätte nicht gedacht, dass er einmal solche Energie entwickeln würde, wenn man mit einer Pumpgun auf ihn schießt.
Mein Eindruck
"Red Letters" – der O-Titel bleibt zunächst rätselhaft, wohingegen der deutsche Titel "Späte Abrechnung" ziemlich genau beschreibt, worum es geht. Der Film ist eine erotisch aufgeladene Kriminalkomödie, wie man sie zu Dutzenden kennt. Allerdings haben die wenigsten solcher Komödien Mimen dieses Kalibers aufzuweisen.
Mit Peter Coyote steht und fällt die ganze Handlung. Er sieht aus wie Leonard Cohen zu seinen melancholischsten Zeiten, denn Dennis Burke hat ja schließlich erst die Frau und dann die Professorenstelle verloren, ist zu einem Drifter geworden. Das bedeutet aber nicht, dass er sich mit jeder Studentin einlassen würde, ganz im Gegenteil: Aus Schaden klug geworden, zeigt er autoritäre Härte, nicht nur gegen sich selbst überschätzende Studentinnen wie Felicity Marx, sondern auch gegen weibliche Fans, die sich wie Gretchen in sein Wohnzimmer schleichen, um ihn abzufangen.
Peter Coyote hat jedoch in "E.T.", in "Bitter Moon" (als Alter Ego von Regisseur Polanski) und in "Erin Brockovich" mitgespielt, um nur die bekanntesten Filme zu nennen. Er ist ein Sprecher von National-Geographic-Dokus und schreibt – wie seine Figur Burke – selbst Romane und Storys. Ein derart integrer Schauspieler wie Coyote beherrscht die Szene in jedem Augenblick, und man nimmt es ihm ohne weiteres ab, wenn er mit dem Vertreter der Polizei eine kumpelhafte Übereinkunft treffen möchte – und bekommt.
Burkes Lebenslage zwischen erotischem Begehren und bedrohter beruflicher Stellung hat ein komisch-ironisches Element, ohne Zweifel. Sein Dilemma wird kontrastiv hervorgehoben von Thurstons misslicher Lage, der sich in seine blonde "Göttin" verknallt hat und nun am College in Ungnade gefallen ist. Als daher Lydia Davis ihre Reize spielen lässt und Burke sich trösten lässt, gerät er in ein ganz anderes Dilemma, das ebenso ernst ist. Er muss sich dem Zugriff der Polizei wegen Fluchtbeihilfe entziehen und sich gleich darauf dem Gangster Kessler (Udo Kier) stellen.
~ Schwächen ~
Halb zog sie ihn, halb sank er hin – so könnte man Burkes Dilemma umreißen. Mit einer Sirene wie Nastassja Kinskis Lydia David fällt das Hinsinken sicher nicht schwer. Kinskis Verkörperung einer "gefährlichen Freundin" erinnert an Jonathan Demmes gleichnamigen legendären Film mit Melanie Griffith und Ray Liotta. Traurigerweise richtet sich die Kinski auch noch entsprechend diesem Vorbild her: schwarz gefärbte Strähnen, die nicht bis auf die Schultern fallen – Neunzigerjahre-Schick. Selbstredend muss das Kleid rot sein. Sie hat es von Gretchen geliehen.
Doch die visuellen Zitate gehen noch weiter. Wie aus den Biografien zu entnehmen ist, posierte die Kinski in ihren besten Tagen für den Fotografen Richard Avedon nackt und nur mit einem riesigen "Python bekleidet" (ob sein Name wohl "Monty" lautet?). Prompt taucht auch in "Red Letters" ein Python auf – in der Wohnung von Anthony Griglio, dem lange gesuchten Vormieter Burkes.
~ Der Professor als gefallener Missionar ~
Lydia Davis ist die gefallene Frau und für Prof. Burke, den Verkünder der Wahrheit (über Literatur), eine echte lockende Versuchung. Doch der literarische Missionar ist seinerseits eine gefallener Engel, weil er vor 20 Jahren einen erotischen Roman veröffentlicht hat. Diese Tat verfolgt ihn bis heute. Die Frage ist nun, ob die beiden zusammenkommen können und falls ja, unter welchen Bedingungen.
Die Konstellation von Missionar und Sünderin verweist auf den Nathaniel Hawthornes berühmten Roman "Der scharlachrote Buchstabe". Darin entwickelt die Siedlerin Hester Prynne (in der Verfilmung gespielt von Demi Moore) einen sinnlichen Appetit auf den Gottesmann der kleinen puritanischen Siedlung Salem (wo auch Hexenprozesse stattfanden). Aus dem Ehebruch und dem Zölibatsbruch entwickelt sich die Katastrophe, in deren Verlauf Hester den scharlachroten Buchstaben A (für "adultery" = Ehebruch) aufgenäht bekommt und so zur Ausgestoßenen wird.
Aus Salem ist das College von Dekan van Buren (Gleason) geworden, aus dem Gottesmann ein Literaturprofessor und aus Hester Prynne eine unschuldige Mörderin: Lydia. "Schuld, Sünde und Versuchung" sind die Themen in Hawthornes Werk, sagt Burke gleich zu Beginn seiner Vorlesung – und genau darum geht es offenbar in "Red Letters".
Nun wird auch der doppelte Sinn des O-Titel klar: Sowohl Burke als auch Thurston heftet die universitäre Gemeinschaft rote Buchstaben an, sobald sie sich versündigen. Lydia ist dies ebenfalls widerfahren, als sie durch einen Trick Kesslers verurteilt wurde. Und wenn Gretchen nicht aufpasst, kann ihr Ähnliches passieren: Ihr Papa straft erst einmal den Mann ab, den sie geküsst hat: Burke. Gretchen hat den Sündenfall schon mit 13 hinter sich gebracht, als sie Burkes Roman las: Den A-Buchstaben trägt sie seitdem inwendig. Und ihre Sexualität will sich seitdem befreien, wird aber ständig unterdrückt. F. Balk spielt die junge erotische Frau überzeugend.
"Letter" bedeutet aber nicht nur Buchstabe, sondern auch "Brief". Burke erwähnt mehrmals Hawthornes Briefe an seine Geliebte Sophia, und Burke selbst erhält und schreibt solche "roten Briefe": Briefe der Leidenschaft, die in den falschen Händen verhängnisvolle Folgen zeitigen können. Burkes Erstausgabe von "Der scharlachrote Buchstabe" ist als Dingsymbol die Zusammenfassung all dieser Briefe, und als er am Schluss dem Polizei-Detective diese Ausgabe übereignet, schneidet er nicht nur einen Teil seiner Schuldgefühle ab, sondern bekennt auch implizit, dass Literatur nicht alles sein kann. Das Leben mit einem geliebten Menschen ist ihm jetzt wichtiger. Die vom Dekan angebotene Festanstellung lehnt er deshalb ebenfalls ab und hilft lieber Kumpel Thurston, wieder in Brot und Lohn zu kommen.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1:1,85 (16:9)
Tonformate: D in DD 2.0 und DD 5.1, Englisch in DD 2.0
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Trailershow
- Diaschau
- Bio-/ Filmografien
Der Soundstandard DD 5.1 wird gut ausgenutzt und macht sich beispielsweise im fetzigen Abspannsong bemerkbar. Die Bildqualität ist ebenfalls in Ordnung. Neben der üblichen Werbung bietet die Silberscheibe vier Filmografien und drei Biografien. Eine Biografie zum Regisseur fehlt.
Bemerkenswert ist einerseits, dass die Bio von Fairuza Balk fehlt, aber die des Nebendarstellers Ernie Hudson (The Crow, Ghostbusters 1+2) drin ist. Vielleicht wurden die Texte nach Gehalt ausgesucht: Je länger eine Schauspielerkarriere, desto länger und ergiebiger der Text der Biografie – klingt plausibel.
Die Diaschau von rund drei Minuten Länge gewährt Anlass zu Reminiszenzen an besonders gelungene Filmszenen, unterlegt mit dem Abspannsong.
Unterm Strich
"Red Letters" ist eine Verfilmung von Hawthornes Roman "Der scharlachrote Buchstabe", führt aber das Thema Versuchung – Sünde – Schuld weiter Richtung Erlösung, sowohl für den gefallenen Professor als auch für die vermeintliche Sünderin: Sie kommen zusammen, indem sie alle Widerstände gemeinsam überwinden. Klingt märchenhaft à la Hollywood und ist es vielleicht auch.
Auf jeden Fall entwickelt der Film einige willkommene ironische Effekte, wenn man ein Ohr für die leisen Töne hat. Anhand dieser Ironie ist die Kritik, die der Streifen an der neopuritanischen Verlogenheit der College-Gemeinschaft – sie steht für die US-Gesellschaft unter Bush – übt, durchaus leicht verdaulich, denn an keiner Stelle wird der mahnende Zeigefinger gehoben.
Warum der Streifen eine FSK16-Einstufung erhielt, hat sich mir beim Ansehen nicht ohne weiteres erschlossen. Aber im Nachhinein scheint sie mir plausibel, wenn man der Full-frontal-Aufnahme in den ersten fünf Minuten die Schuld gibt. Der Anblick einer nackten Frau ist offenbar einem 12-Jährigen ebenso wenig zuzumuten wie die "dirty language", derer sich Kessler befleißigt. Udo Kier, König der Nebendarsteller, wird übrigens von Frank Glaubrecht synchronisiert, der Stimmbandvertretung von Al Pacino und Richard Gere.
Die DVD-Ausstattung ist nicht berauschend, aber annehmbar für diese Qualitätsklasse.
- Redakteur:
- Michael Matzer