Roberto Rossellini Anniversary Edition
- Regie:
- Roberto Rosselini
- Jahr:
- 1946
- Genre:
- Drama
- Land:
- Italien
1 Review(s)
11.07.2006 | 18:32Rossellini-Box nur für Kinokenner
Pünktlich zum 100. Geburtstag: Vier der bedeutendsten Werke von Regie-Legende Roberto Rosselini (1906-1977), zwei davon mit Ingrid Bergman ("Casablanca").
1.) "Paisà": Sechs Episoden, in denen Rossellini über die Befreiung Italiens gegen Ende des 2. Weltkriegs reflektiert. Am Oscar-nominierten Drehbuch wirkten u. a. Klaus Mann ("Mephisto") und Federico Fellini mit.
2.) "Deutschland im Jahre Null": Im zerbombten Berlin muss der kleine Edmund alle möglichen Tricks anwenden und Arbeit annehmen, um seine Familie über Wasser zu halten. Rossellini verknüpft Edmunds Schicksal mit der Schuldfrage des deutschen Volkes. Großer Preis beim Filmfest in Locarno 1948.
3.) "Stromboli": Die Ausländerin Karin heiratet den italienischen Fischer Antonio und zieht zu ihm, auf die Vulkaninsel Stromboli. Dort erfährt sie das Leid eines Flüchtlingsmädchens. 1950 nominiert für den Goldenen Löwen von Venedig.
4.) "Reise in Italien": Bei einem Aufenthalt in Neapel muss ein englisches Ehepaar (Bergman, Sanders) herausfinden, wie sehr es sich doch fremd geworden ist. Ihre Ehe wird auf die Probe gestellt. "Das erste Werk des modernen Kinos" (British Film Institute).
Martin Scorsese sagt in seiner Doku über den italienischen Film: "Diese Filme waren und sind eine Quelle der Inspiration für Filmemacher aus aller Welt." Doch "Rom, offene Stadt" wird in dieser Auswahl schmerzlich vermisst. Das Ganze ist geschmackvoll in Weiß und Gold aufgemacht und mit einem üppigen Booklet garniert. Doch halten die inneren Werte, was das glanzvolle Äußere verspricht?
Filminfos
O-Titel: Paisà (I 1946)
FSK: ab 12
Länge: ca. 119 Min.
Regisseur: Roberto Rosselini
Drehbuch: Roberto Rosselini (Federico Fellini, Klaus Mann, s.o.)
Musik: Renzo Rosselini
Darsteller: Carmela Sazio u.a.
Handlung
Der Film erzählt in sechs Episoden italienische Schicksale, die in der Begegnung mit den amerikanischen Befreiern zwischen Mitte 1943 und Ende 1944 entstehen. Die Episoden sind durch Kriegsberichterstattung sehr knapp miteinander verbunden. Ich würde sagen, dass der gemeinsame Nenner der Episoden der Begriff des Helden bzw. der Heldin ist. Es geht um Überleben, und das wird oftmals unterschiedlich gestaltet und bewertet. Die Begleiterscheinungen können durchaus schockieren und Anstoß erregen.
Der Film ist in den drei Originalsprachen Italienisch, Amerikanisch und Deutsch gedreht und mit Untertiteln versehen.
~ Episode 1 ~
Am 10. Juli 1943 beginnen die Amerikaner und Briten mit der Invasion Siziliens. Nach dem Verrat Mussolinis haben die Deutschen ganz Italien besetzt. Die Landungstruppen müssen sich vor Minen in Acht nehmen. Die Deutschen wiederum machen mit Verrätern und Partisanen, die sie als vogelfrei betrachten, kurzen Prozess.
Um das Minenfeld, das sich um ein Dorf erstreckt, soll die junge Carmela die GIs durch die Lava des Ätna führen. Ist sie vertrauenswürdig? Die Dörfler halten die Amis zunächst für Deutsche; es gibt Verständigungsprobleme. Doch ein Dolmetscher stammt mit seiner Familie aus Gela und kann Carmela und die Dörfler beruhigen: Es hat alles seine Richtigkeit.
In einer alten Burgruine findet der Spähtrupp eine minenfreie Unterkunft. Während die anderen den Rest der Kompanie nachholen, bringt Joe aus Jersey der jungen Italienerin die Grundbegriffe des Englischen bei und stellt sich als Milchausfahrer vor. Leider begeht er einen dummen Fehler: Er zündet sich am Fenster eine Zigarette an. Sofort wird er von einem deutschen Scharfschützen angeschossen.
Carmela bringt ihn im Keller in Sicherheit, doch er überlebt nicht lange. Sie kann den eintreffenden Deutschen weismachen, sie sei nur hier, weil sie Angst vor den Amis habe. Dass die Deutschen nichts Gutes im Schilde führen, ist klar. Doch Joe hat ein Gewehr bei sich. Carmela ergreift die Gelegenheit, sich für den ermordeten Vater und Bruder sowie für Joe zu rächen, doch das wird ihr zum Verhängnis …
~ Episode 2 ~
Schon zwei Monate später gelingt es den Alliierten, nach einer Landung im Golf von Sorrent Neapel einzunehmen. Der wichtige Seehafen wird zu einem wichtigen Logistikzentrum. Doch die Stadt ist schwer zerstört: überall Ruinen. Von erwachsenen Italienern ist kaum etwas zu sehen, dafür umso mehr von italienischen Kindern, ausländischen Soldaten und viel Militärpolizei.
Der Junge Paisà, knapp zehn, schlägt sich durch wie ein Profi. Er hilft einem schwarzen GI, als dieser betrunken einer MP-Patrouille in die Hände zu laufen droht. Er hat es auf Joes tolle Stiefel abgesehen und probiert seine Mundharmonika aus. Joe phantasiert sich in den Himmel der US-Helden und träumt von einer Konfetti-Parade auf dem Broadway, in der man ihn als Helden feiert.
Am nächsten Tag will Joe seine Stiefel zurückhaben und fährt mit Paisà in dessen Elendsquartier. Hier, in den Ruinen einer katakombenhaften Vorstadt, leben nur kleine Kinder und Frauen jeden Alters. Kein Mann weit und breit. Paisàs Eltern kamen durch Bomben um. Joe wirkt stark ernüchtert und fährt allein zurück in die Zivilisation.
~ Episode 3 ~
Die verlustreiche und lange Schlacht um Monte Cassino hat die Alliierten sehr lange aufgehalten. Erst im Juni 1944 können sie Rom befreien. Sie werden mit Jubel willkommen geheißen. Doch schon sechs Monate später hat sich das Bild gewandelt. Nun gibt es überall junge Frauen, die sich durch Prostitution usw. durchschlagen. Nur wenn die Polizei eine Razzia macht, lassen sie sich aus den GI-Klubs vertreiben. Doch die Frau, die sich den betrunkenen GI Fred auf der Straße angelt und mit nach Hause nimmt, entgeht geschickt der Verhaftung.
Sie liegen zusammen auf ihrem Bett, als er zu erzählen anfängt, wie es doch vor einem halben Jahr ganz anders war. Die Frauen waren frischer und offener. Besonders gern erinnert er sich an Francesca. Bei ihr konnte er sich den Staub der Straßen abwaschen. Sie erlebten ein kurzes Glück, bevor er wieder gehen muss. Er ahnt nicht, dass Francesca, die er nie wiedersah, jetzt neben ihm im Bett liegt. Als er einschläft, hinterlässt sie bei ihrer Vermieterin ihre Adresse und einen Treffpunkt, an dem Fred sie treffen soll. Durch seine Sorglosigkeit kommt es dazu nicht. "Sie war nur eine weitere Hure …", sagt Fred und wirft den Adresszettel in die Gosse. Dann zieht er weiter.
~ Episode 4 ~
Anfang August 1944 tobt die Schlacht um Florenz. Deutsche, Alliierte, Partisanen und Faschisten beschießen alles und jeden; die Lage ist extrem unübersichtlich. Der Palazzo Pitti ist ein Flüchtlingslager. Die Krankenschwester Harriett hat in Florenz viele Jahre verbracht und sich in den Kunstmaler Guido Lombardi verliebt. Dieser ist jetzt allerdings besser als Partisanenführer Lupo, der Wolf, bekannt. Als sie in der Zeitung liest, er sei verwundet worden, beschließt sie, ihn zu suchen und schließt sich dem am Arm verwundeten Massimo an, der in der Stadt seine Familie besuchen will.
Die Expedition in die umkämpften Viertel artet zu einem gefährlichen Spießrutenlaufen aus. Gefangene werden von Partisanen standrechtlich erschossen. Von einem sterbenden Partisanen erfährt Harriett endlich das Schicksal Guidos.
~ Episode 5 ~
Im grünen Gürtel rings um Florenz hat ein Franziskanerkloster auf einem Hügel die Schlacht unbeschadet überstanden. Die Glocken läuten und die Mönchen knien zum Dankgebet nieder. Da treffen am Tor drei alliierte Kaplane ein, die um Unterkunft bitten. Sie wird ihnen gerne gewährt. Captain Bill Martin, ein katholischer Priester, flößt seinen Begleitern gehörigen Respekt ein, als er sagt, das Kloster sei älter als die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus.
Die braven Mönche sorgen sich darum, was sie ihren unverhofften Gästen wohl vorsetzen können. Es ist wenig genug, doch durch Gottes Gnade bringen ein paar Dorfbewohner Geflügel und Gemüse. Die Konserven, die ihnen einer der Kaplane gibt, werden nicht verwendet. Beim Abendgebet wundert sich einer der Mönche, warum Captain Martins Begleiter nicht mitbeten. Der Grund ist einfach: Der eine ist Protestant und der andere ein Jude.
Der Schock sitzt tief, und in Windeseile hat sich die Schreckensnachricht im Kloster verbreitet: zwei vom Glauben Abgefallene unter ihrem Dach. Möge der Herr uns beschützen! Und dann auch noch ein Jude! Captain Martin sieht sich bald einem intensiven Drängen des Abtes ausgesetzt, die beiden Abtrünnigen zu bekehren. Beim Abendmahl kommt es zu einem stillen Eklat. Die Franziskaner fasten lieber, als mit den beiden Renegaten zu speisen.
~ Episode 6 ~
Ende 1944 haben sich die Kämpfe in die Po-Ebene verlagert. Im schilfreichen und unübersichtlichen Delta halten sich aber noch Deutsche gegen die italienischen Partisanen, die von amerikanischen Geheimagenten des OSS, einem Vorläufer der CIA, unterstützt werden. Als ein toter Partisan im Fluss vorübertreibt, starten Partisanen und US-Agent eine gemeinsame Rettungsaktion, um den Kämpfer standesgemäß bestatten und ihm die letzte Ehre erweisen zu können. Dies gelingt ihnen.
Doch Proviant und Munition sind knapp geworden. Zivilisten versorgen sie zwar mit ein wenig Essen, doch für die Munition muss ein Flugzeug herbeigelotst werden. Das ist aber riskant, denn die nötigen Signalfeuer verraten den Deutschen die Position der Widerstandskämpfer. Und tatsächlich erweist sich die Aktion als fatal in ihren Folgen. Die Deutschen töten die Zivilisten und liefern den Partisanen eine Schlacht. Die Gefangenen hoffen auf keine Gnade. Der deutsche Offizier erkennt die Partisanen nicht als von der Konvention geschützte reguläre Soldaten an. Die Männer werden gefesselt in den Fluss gestoßen und ertrinken. Der aufbegehrende US-Agent wird von einer MG-Garbe niedergemäht.
Mein Eindruck
Es war dem vorherigen Dokumentarfilmer Rossellini ein Leichtes, die Episoden entsprechend so aufzubauen, das sie wie zufällig vorgefundene Ereignisse wirkten, wie ein Kaleidoskop von Realitätsausschnitten. Aber dieser Eindruck täuscht völlig. Meist wird das Geschehen durch eine ungelöste Frage oder einen Konflikt zu einem Höhepunkt hin getrieben. Dieser verläuft in aller Regel tragisch: die tote Carmela auf den Küstenfelsen, der sterbende Partisan, der das gesuchte Rätsel löst, die verlassene Römerin, der verlorene Sohn Paisà, der hingerichtete US-Agent etc.
Bemerkenswert ist die Chronologie der Ereignisse, anhand derer die Episoden wie Perlen an einer Kette aufgereiht werden. Es entsteht durch die Episoden ein Gesamtbild der Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse, die durch eine propagandistische "Wochenschau" sicher nicht derart semi-realistisch dargestellt worden wären.
Allerdings ist auch Rossellinis Darstellung nicht unbedingt für bare Münze zu nehmen. Neben der dramatischen Stilisierung ist auch die Auswahl der Figuren zu bemängeln: Es gibt keinen einzigen Kommunisten, keine Adligen, keine Funktionäre wie etwa Bürgermeister. Angeblich ist hier das einfache Volk in einer realistischen Umgebung zu sehen. Doch was soll an der Ausnahmesituation des Krieges und der Nachkriegszeit "realistisch" sein? Vielmehr ist eher der veristische, nichts beschönigende Blick zu loben. Das schließt natürlich die Darstellung sterbender Partisanen mit ein. Es verwundert nicht, dass der Film in Italien durchfiel, aber in Paris und New York Ovationen einheimste.
Die Bild- und Tonqualität ist erträglich und das Ansehen wird nicht zur Mühsal. Ganz anders der nächste Film.
Filminfos
O-Titel: Germania anno zero (I 1948): "Deutschland im Jahre Null"
FSK: ab 12
Länge: ca. 71 Min.
Regisseur: Roberto Rosselini
Drehbuch: Sergio Amidei, Max Colpet/Kolpé, Roberto Rosselini
Musik: Renzo Rosselini
Darsteller: Edmund Meschke (Edmund Köhler), Ernst Pittschau (Priester), Ingetraud Hinze (Eva Köhler), Franz Grüger (Karl-Heinz), Erich Gühne (Hausmeister Rademacher) u.a.
Handlung
1947 leben bereits wieder 3,5 Mio. Menschen in der ausgebombten Stadt. Nicht nur die alliierten Besatzungstruppen, sondern auch zahllose Überlebende und Flüchtlinge. Die Straßen sind längst wieder von Trümmerstücken befreit, und es fahren sogar Straßenbahnen. Doch die Menschen in den wenigen intakten Wohnungen fristen ihr Dasein von Rationsmarken, die an den Ausgabestellen für Lebensmittel einzutauschen sind. Strom ist teuer, und oft werden Hauptleitungen illegal angezapft. So macht es Hausmeister Rademacher. Er weiß, er kann die Schuld immer auf die Mieter schieben.
Edmunds Vater ist wegen Entkräftung krank, und der 13-Jährige hält sich lieber draußen auf, um Geschäfte zu machen oder etwas zum Beißen zu finden. Auf der Straße wird ein Pferd geschlachtet, aber man scheucht ihn weg. Er klaut ein paar Kohlen, denn wie gesagt, ist Energie teuer. In Edmunds Zwei-Zimmer-Wohnung leben er, der Vater, die Schwester Eva und der von der Wehrmacht desertierte Bruder Karl-Heinz, der sich vor der Polizei verstecken muss. Alle Ex-Soldaten werden überprüft – es könnte ja Nazibonzen darunter sein (so wie Heinrich Himmler, der sich in einem Kriegsgefangenenzug versteckte, bevor ihn die Briten erkannten). Evas Mann oder Verlobter Helmut, auf den sie wartet, ist irgendwo in Kriegsgefangenschaft. Weil sie nichts von ihm hört, geht sie in Klubs und Bars, um einen Mann zu finden. Man weiß ja nie.
Edmund stößt beim Streunen auf seinen früheren Lehrer Henning, der auffallend zärtlich zu ihm ist. Er nimmt ihn in ein mondänes Stadthaus mit, um ihm etwas zu zeigen. Edmund soll eine Schallplatte, auf der eine Führerrede gespeichert ist, an alliierte Soldaten verhökern. Edmund bekommt 200 Mark dafür, und Henning gibt ihm davon 10 Mark Provision. Hitler ruft zum Endsieg auf – der blanke Hohn angesichts dessen, was vom 1000-jährigen Reich übrig geblieben ist.
In den Ruinen leben Jugendbanden, die den Schwarzmarkt versorgen. Bei einer Aktion darf Edmund mitmachen, und er lernt das Waisenmädchen Christel kennen. Mit ihr verbringt er die Nacht, doch was dabei passiert, erfahren wir nicht. Natürlich ist Eva, seine Schwester, gar nicht über sein Fernbleiben erfreut, und der Vater haut ihm eine runter. Sie waren offenbar sehr besorgt um ihn.
Ein Arzt weist den Vater ins Krankenhaus ein, und alles scheint gut zu werden. Drei Mahlzeiten am Tag – man stelle sich vor! Doch als er wieder nach Hause geschickt wird, gibt es dort nichts für ihn zu essen. Lehrer Henning weist Edmund ab, der um etwas zu essen bettelt. Er faselt darwinistische Naziparolen von wegen, das Schwache müsse ausgemerzt werden. Jetzt weiß Edmund, was zu tun ist. Im Krankenhaus klaut er Gift und versetzt das Getränk damit, das er seinem Vater zu Hause verabreicht.
Nach seinem Vatermord fühlt sich Edmund elend und schuldig. Er kann nirgendwo hin, die Jugendbande wirft ihn raus, und nach Hause traut er sich nicht. Als er Henning seine Tat gesteht, ist dieser entsetzt und ohrfeigt ihn. Edmund ist erstaunt und deprimiert. Er streunt durch menschenleere Vorstadtstraßen, hört die Orgel in einer leeren Kirche, geht in ein leeres Haus, das sich gegenüber der Wohnung seiner Familie befindet. Der Leichenwagen transportiert seinen Vater ab. Der Laster ist mit Särgen bis obenhin vollgeladen.
Edmund steigt ins oberste Stockwerk des ausgebrannten Hauses. Der einzige Weg heraus führt direkt nach unten. Er nimmt den kürzesten Weg …
Mein Eindruck
Wie der Off-Kommentar besagt, der dem Film vorausgeschickt wird, soll der Streifen keine Anklage oder dergleichen erheben, sondern vielmehr dazu beitragen, dieses geschundene Volk, die ausgebombten Deutschen, wieder aufzurichten und ihm Mut zuzusprechen. Aber wie wird dann dieses Volk charakterisiert? Als eine Ansammlung von Alt-Nazis, sich versteckenden Soldaten, Schwarzmarkträubern und anderen Ausbeutern. Einen Zusammenhang gibt es nicht, und nur die Besatzer scheinen etwas zu sagen zu haben. Eine irgendwie geartete Politik gibt es (noch) nicht. Im "Jahre Null" darf man so etwas vielleicht nicht erwarten, aber immerhin gibt es in den vier Besatzungszonen funktionierende Verwaltungen. Nichts davon ist zu sehen, außer ein paar Polizisten.
Dafür gibt es jede Menge mitleidheischende Bilder: menschenleere Straßen, über denen eine Orgel Gott preist; zerschmetterte Ruinen und vollgepackte Leichenlaster. Doch es ist nicht die deprimierende Kulisse, die Edmund in den Freitod treibt, sondern das Verbrechen des Vatermordes. Dass er der Philosophie eines Nazi-Reaktionärs, also einer überholten Denkweise, folgt, macht ihn zum Opfer der Vergangenheit. Soll bzw. kann man mit einem solchen Kind Mitleid haben? Viel eher scheint dies doch ein Aufruf zu sein, dem verlorenen Deutschland die rechte politische Gesinnung zu bringen. Doch welche wäre dies? Die Antwort bleibt Rossellini schuldig.
Filminfos
O-Titel: Stromboli – Terra di dio (I 1950)
FSK: ab 12
Länge: ca. 98 Min.
Regisseur: Roberto Rosselini
Drehbuch: Sergio Amidei, Gian Paolo Callegari, Renzo Cesana, Art Cohn und Roberto Rosselini nach seiner eigenen Geschichte
Musik: Renzo Rosselini
Darsteller: Ingrid Bergman (Karin), Mario Vitale (Antonio), Renzo Cesana (Priester), Mario Sponza (Leuchtturmwärter) u.a.
Handlung
Im Frühling 1948 sind die Flüchtlinge im römischen Auffanglager nach Frauen und Männern getrennt. Es gibt viele Vermisste, und auch die 28-jährige Karin, die aus Litauen stammt und in Tschechien ihren Mann durch die Nazis verloren hat, will nur noch weg von hier. Sie hat zwei Möglichkeiten: entweder mit einem Visum nach Argentinien auswandern oder ihren Verehrer Antonio, der im Lager nebenan logiert, heiraten und ihm in seinem Heimat folgen. Als ihr Visumsantrag abgelehnt wird, wählt sie das zweite. Sie ahnt nicht, auf was sie sich da eingelassen hat. Aber Antonio sang so schön für sie.
Über Messina geht es es mit dem Boot auf die Vulkaninsel Stromboli. Auf dem Boot lernt sie den Leuchtturmwärter kennen, einen Australier. Wenigstens kann er Englisch. Als Karin merkt, dass diese nicht einmal einen richtigen Hafen hat, will sie am liebsten gleich wieder weg. Außerdem scheint hier keine Menschenseele zu wohnen. Das Haus, in dem Antonio sie unterbringt, hat weder Möbel noch fließend Wasser oder gar – welch Luxus! – Elektrizität. Sie, die aus einer reichen litauischen Familie stammt, schaudert es. Doch es ist etwas ganz anderes, was sie vertreiben wird.
Es ist nicht der riesige über ihrem Kopf dräuende Vulkan, der ihr Angst einjagt. Und es sind auch nicht die stets schwarz gekleideten Frauen des Dorfes, die sie ihre Ablehnung spüren lassen. Sogar Antonio bringt jetzt wieder Geld heim, und die Handwerker richten die Wohnung mit Möbeln der Familie ein. Und am Pfarrer, den sie zu verführen versucht, der aber ihre Offerte als Gottesmann ablehnt, kann es schon gleich gar nicht liegen.
Doch indem sie auf ihrer weiblichen Unabhängigkeit besteht, nie die Kirche besucht und freizügige Kleider bevorzugt, fällt sie unangenehm auf. Sie bändelt sogar mit dem Leuchtturmwärter an, was nicht unregistriert bleibt. Antonio wird als "Gehörnter" (cornuto) gehänselt und schlägt Karin. Bilder der Todes beginnen sie zu erschrecken. Ein Frettchen, das Antonio besorgt hat, killt vor ihren Augen ein Kaninchen. Beim Thunfischfang – eine legendäre Sequenz – erschüttert das viele Blut die zart besaitete Frau. Und zu guter Letzt bricht auch noch der Vulkan aus, und die gesamte Inselbevölkerung muss aufs Meer fliehen, wo alle Heiligen, Jesus und Maria um Verschonung angefleht werden.
Als sie im dritten Monat ist, packt Karin ihre Koffer, um abzuhauen. Sie will ihr Kind nicht diesem schrecklichen Gott des Stromboli – der "terra di dio" – opfern, doch Antonio nagelt einfach die Tür zu. Erst der Leuchtturmwärter befreit sie. Um auf die andere Seite der Insel zu gelangen und zu entkommen, muss sie über den Vulkankrater klettern. Dort entscheidet sich Karins Schicksal.
Mein Eindruck
Es war nicht der Film, sondern Rossellinis Affäre mit der verheirateten Mutter Ingrid Bergman, die zu seiner Ächtung in der kapitalistischen Welt führte. Die Italiener selbst, glaubt man dem Booklet, hielten seine Affäre eher für ein Kavaliersdelikt. Sie sahen also den Film unbefangener, und wir Nachgeborenen können "Stromboli" hoffentlich genauso sehen.
Unter allen vier DVDs in der Box ist dies mein Lieblingsfilm. Anders als in "Reise in Italien" oder "Germania anno zero" wirkt der Schluss nicht aufgesetzt, ganz einfach aufgrund der Tatsache, dass das Ende offen ist. Schafft es Karin über den Vulkan oder kommt sie darin um? Jeder kann und soll sich seinen eigenen Reim darauf machen, je nachdem, ob man die Verhaltensweise Karins verdammt oder gutheißt.
Der Film gemahnt aber auch an Robinson Crusoe. Karin strandet quasi auf einer Insel. Diese ist nicht einsam, könnte es aber genauso gut sein, denn absolut niemand ist wie sie. Im Gegenteil: Sie ist gezwungen, den Verhältnissen zu gehorchen oder unterzugehen. Sie wird abgelehnt, ausgegrenzt, dann diffamiert, schließlich auch noch vom Gatten verlassen. Dieses Land will sie nicht, denn es hat seine eigenen Gesetze, die ihm erlauben, zu überleben. Wer sie nicht befolgt, bringt alle in Gefahr. So heißt es für Karin: Friss, Vogel, oder stirb! Karin wählt Weg Nr. 3: die Flucht.
Ihre psychologische Entwicklung ist sowohl spannend als auch beklemmend zu verfolgen. Der Zuschauer ist durch die Erzählperspektive stets auf ihrer Seite. Wäre ich aber ein norditalienischer Zuschauer des Jahres 1950, so würde ich mich entweder über diese rückständigen Süditaliener mokieren oder ärgern. Aber meine Ablehnung der demütigenden Behandlung Karins würde wohl zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Mezzogiorno führen, wenn ich sie nicht eh schon hätte. "Stromboli" ist Frauen- und Schicksalsfilm sowie Kulturkritik in einem. Wieder spielt Politik keine Rolle. Eine Alternative wird über den Weg des Mitleids mit der geschundenen Kreatur angeregt, wie schon in "Germania anno zero".
Filminfos
O-Titel: Reise durch Italien (I/F 1954)
FSK: ohne Altersbeschränkung
Länge: ca. 82 Min.
Regisseur: Roberto Rosselini
Drehbuch: Roberto Rosselini, Vitaliano Brancati
Musik: Renzo Rosselini
Darsteller: Ingrid Bergman, George Sanders, Marie Mauban u.a.
Handlung
Ein englisches Ehepaar düst in seinem mondänen Luxuswagen Richtung Neapel. Es handelt sich um Cat (kurz für Catherine) und Axel Joyce. Er ist ein vielbeschäftigter Anwalt, der diese Fahrt insgeheim für Zeitverschwendung hält. Aber sie wollen die Villa des im hohen Alter verstorbenen Onkels Michael verkaufen, weil sie diese mangels Kinder und und hiesiger Freunde nicht nutzen können.
Dass Onkel Michael ein Kunstmäzen und genießerischer Freund der italienischen Lebensart war, merken sie schon bald bei der Besichtigung der Inneneinrichtung. Onkel Michaels Stipendiat Mr Burton führt sie herum und hofft insgeheim, dass sie das schöne Haus nicht verkaufen würden. Allein schon die Aussicht auf den Golf von Sorrent, mit Blick auf Capri, ist ein Vermögen wert.
Dass Mrs Burton (Bergman) ein Leben hatte, bevor sie den Anwalt heiratete, wird klar, als sie einen englischen Dichter zitiert, der sie einst verehrte und ihr seine Verse widmete. Charles lebte während des Krieges in der Region um den Vesuv. Cat fühlt sich ihm seelenverwandt. Leider kam er ins Sanatorium. Noch in der Nacht vor ihrer Hochzeit vor acht Jahren kam er, um sie ein letztes Mal zu besuchen. Axel (Sanders) hat für solche Loser nur Hohn und Spott übrig. Sie hasst ihn dafür.
Zur Bestrafung fährt sie ohne ihn nach Neapel, um das Museum für antike Kunst zu besuchen. Die sinnenfrohen Plastiken von nackten Männern und Frauen vermitteln ihr einen Eindruck davon, wie reich und wertvoll das Leben sein könnte. Immer wieder bemerkt sie die vielen schwangeren Frauen und solche mit Kinderwagen – sie selbst hat keine Kinder gewollt, sagt Axel später.
Ein Fehler, wie sie erkennt, als die Frau von Mr Burton sie in eine antike Kirche führt, wo die Schädel der Toten aufgestapelt sind: Vergänglichkeitsmahnungen bis an die Decke. Dass sie auch die Liebe vermisst, wird ihr erst in der Höhle der cumäischen Sibylle bewusst: Hier suchten die Liebenden Rat über die Zukunft ihrer Beziehung. Cat läuft schluchzend weg. Ein Hinweis des Führers auf Sklavenketten empört sie zusätzlich, denn sie weiß zu gut, dass sie in einem Gefängnis lebt: im Gefängnis ihrer Ehe.
Nach einem Streit mit dem gefühlskalten und stets beherrschten Axel beschließt er, ein paar Tage auf Capri bei Freunden zu verbringen. Cat hat diese "Freunde" im Hotel in Neapel kennen gelernt. Besonders diese Judy, ein ordinäres Frauenzimmer. Doch auf Capri interessiert sich Axel nicht für Judy, sondern für Maria, die sich den Fuß gebrochen hat. Seine Hoffnungen zerschlagen sich jedoch, als Maria ihm gesteht, dass sie sich nach ihrem Mann zurücksehnt, der sich von ihr getrennt hat. Axel zögert seine Heimkehr lange hinaus, und in der Villa will er nichts mehr von Cat wissen …
Die Abreise ist unausweichlich geworden, und sie wollen beide die Scheidung. Mr Burton ahnt nichts von ihrem Zerwürfnis und lädt sie ein, eine archäologische Sensation zu besichtigen. Als Archäloge ist er damit beauftragt, das vom Vesuvausbruch 79 n.Chr. verschüttete Pompeji freizulegen. Diesmal fördert er die mit Gips ausgefüllten Umrisse eines auf der Flucht von der heißen Asche überraschten Paares ans Tageslicht ... Cat will sofort weg – sie sieht darin nur ein weiteres Symbol für die Lebensfeindlichkeit ihrer Ehe. Und selbst Axel ist erschüttert, wie er gesteht.
Doch auf der Rückfahrt geraten sie in ein großes religiöses Volksfest, bei dem die Kinder die Hauptrolle spielen (ein Kommunionsfest?). Der Menschenstrom reißt Cat von Axel fort. Wird er sie zurückholen?
Mein Eindruck
Psychologisch einfühlsam und weitaus komplexer in der Handlung und Visualisierung, stellt "Reise in Italien" eigentlich den Höhepunkt in der Reihe der vier Filme dar. Dennoch konnte ich mich mit dem Streifen nicht anfreunden, fand ihn stellenweise sogar plakativ und nervend. Das Motiv ist so abgedroschen wie vorhersehbar. Die neureichen Briten werden in der lebensfrohen Fremde mit ihren eigenen Mängeln konfrontiert: Allein schon die Serenade am Abend, die die allein gelassene Gattin trösten soll, ist ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Die zerbrechende Ehe der Joyces muss entweder gelöst oder gekittet werden. Unsere Sympathie gilt automatisch der unterdrückten Frau, aber auch der Ehemann kommt durchaus zu seinem Recht. Er will eine liebende Frau, die auch Kinder haben will – das trifft auf Catherine wohl kaum zu. Sie ist es ebenfalls, die einen Sinneswandel durchmachen muss. Und Axel muss ihr endlich mal Gefühle zeigen.
Der Schluss wirkt aufgesetzt, wiewohl er dramaturgisch natürlich unerlässlich ist. Die Versöhnung wird quasi als Stenogramm geliefert: Umarmung, Kuss und aus! Ob damit wirklich die Probleme des Paares gelöst werden, wage ich zu bezweifeln. Aber wenigstens wissen sie jetzt mehr über sich als zuvor. Ein Anfang.
Die DVD
Dt. Vertrieb: Koch Media
VÖ: 12.05.2006
Amazon-Preis: 24,95 EU
Technische Infos
Bildformate: 4:3 (Vollbild)
Tonformate: D, I und Englisch in DD 2.0
Sprachen: D, Englisch, Italienisch
Untertitel: D, Englisch (OmU), Italienisch
Extras:
- Booklet
Mein Eindruck: die DVD
"Stromboli" und "Reise in Italien" sind von recht akzeptabler Bild- und Tonqualität, aber bei "Paisà" und besonders "Germania anno zero" trifft dies nur auf einen Großteil des Films zu. Eine Szene in "Germania" ist in so schlechtem Zustand, dass ich bei einem Zelluloidfilm den Filmriss in den nächsten Sekunden befürchtet hätte. All dies lässt darauf schließen, dass kein Digital Remastering ausgeführt wurde. Ein entsprechender Vermerk fehlt daher.
~ Bonusmaterial: das Booklet ~
Das 24-seitige Booklet enthält einen filmhistorischen Aufsatz von Hans-Jürgen Panitz mit dem Titel "Roberto Rossellini und die Bedeutung des italienischen Neorealismus". Diese Stilrichtung stellt Panitz von 1943/44 bis 1952 fest, was ein relativ langer Zeitraum ist. Und natürlich haben nicht alle Regisseure wie Rossellini oder Vittorio de Sica die ganze Zeit daran teilgenommen.
Die Wurzeln des Neorealismus lagen Panitz zufolge im Verismo zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dieser wiederum war von sizilianischen Romanen des 19. Jahrhundert beeinflusst. Welche das waren, erwähnt er nicht. In einer chronologischen Aufzählung wird die Entwicklung des Neorealismus aufgezeichnet, Rossellinis Mitwirken durch Zeitgenossen beurteilt und bis zum Ende verfolgt. Der Aufsatz zeugt von eingehender Sachkenntnis.
Aus meiner Beschreibung wird hoffentlich deutlich, dass Panitz es nicht als seine Aufgabe ansah, die vier Filme der DVD-Box vorzustellen und kritisch zu würdigen. Deshalb habe ich dies ohne fremde Quellen durchgeführt, in der Hoffnung, dass man mir die eventuell fehlende Fachkompetenz nachsieht. Das Fehlen von Quellen ist auf die auffallende Abwesenheit der sonst von Koch Media so aufwändig hergestellten Diaschauen zurückzuführen. Diese Diaschauen enthalten in der Regel historisches Doku-Material wie etwa Pressehefte und Werbevorschläge.
~ Fotos ~
Immerhin sind im Booklet auch Fotos abgedruckt. Alle zeigen Ingrid Bergman, teils in Filmszenen von "Stromboli", teils beim Dreh an der Seite von Rossellini. Ein Bild hat mir besonders gefallen. Ingrid Bergman steht mit acht Crewmitgliedern neben der Kamera. Sofort fällt dem Betrachter auf, dass sich Frau Bergman ein Taschentuch über Mund und Nase hält und auch vier der Kameraassistenten einen Mundschutz tragen. Der Grund dürfte wohl nicht im Ausbruch einer Seuche zu finden sein, sondern in der die Schleimhäute ätzenden Asche des Vulkans Stromboli, die als Staubpartikel alles durchdringt. Man kann sich leicht vorstellen, wie strapaziös die Dreharbeiten gewesen sein müssen.
Unterm Strich
Die DVD-Box kann ich lediglich ausgesprochenen Cineasten, Kinokennern und Rossellinifans empfehlen. Die fehlenden Dokumentationen und Beurteilungen zu den vier Filmen sprechen nicht gerade dafür, auch Neulinge an den Regisseur heranführen zu wollen.
Aber warum fehlt ein Rossellini-Klassiker wie "Rom, offene Stadt"? Der ist soeben in der SZ-Cinemathek erschienen. Sollen wir nun die Koch-Media-Box als Ergänzung zur SZ-Cinemathek betrachten? Die suboptimale Qualität des gebotenen Filmmaterials (durchgehend DD 2.0-Ton) lässt aber auch den Kenner zweifeln, ob sich die Investition lohnt. Immerhin jedoch müsste er etwas suchen, um die vier Filme zu beschaffen. Bei dem Preis von 25 Euronen erscheint dann die Box wieder attraktiv.
- Redakteur:
- Michael Matzer