Throw of Dice, A - Schicksalswürfel
- Regie:
- Franz Osten
- Jahr:
- 1929
- Genre:
- Drama
- Land:
- Indien, Deutschland
- Originaltitel:
- Prapancha Pash
1 Review(s)
20.12.2007 | 20:31Einführung:
Denkt man an Stummfilme, dann fallen dem gut informierten Filmfreund sicher zuerst die großen deutschen Regisseure wie Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Joe May, Ernst Lubitsch oder Robert Wiene ein, die ganz großen Filmemacher der "UFA" in den ´20er Jahren. In dieser Kinoepoche sind wohl die besten expressionistischen Werke der Filmgeschichte entstanden. Vielleicht denkt man beim Begriff "Stummfilm" aber auch an die amerikanischen Werke mit Buster Keaton, Charlie Chaplin oder Oliver Hardy.
Kaum einem Filmfreund würde jedoch ein indischer Film aus dieser Zeit einfallen. Doch es gab sie - frühe Bollywoodklassiker, von denen uns "Rapideyemovies" jetzt einen Vertreter der ´20er Jahre direkt ins heimische Wohnzimmer serviert: "A THROW OF DICE – SCHICKSALSWÜRFEL".
Der Regisseur Franz Osten ist ein 1924 ausgewanderter Deutscher - so gibt es also auch deutsche Wurzeln in Bollywoods Filmgeschichte. "A Throw of Dice" ist somit als ein echter "Weltfilm" zu bezeichnen. Franz Osten ist einer der Gründerväter der Filmindustrie Bollywood - wer hätte das gedacht.
Die Geschichte die in "A Throw of Dice" erzählt wird, beruht übrigens auf einer zentralen Episode des „Mahabharata“, ist also Teil des einflussreichsten indischen Volksepos. Dazu aber später mehr...
Daten:
Darsteller: Seeta Devi (Sunita), Himansu Rai (Sohan), Charu Roy (Ranjit), Modhu Bose, Sarada Gupta, Lala Bijoykishen, Tincory Chakrabarty
Produktionsland: Indien
Produktionsjahr: 1929
Regie : Franz Osten
Laufzeit: 76 Min.
Zur Person "Franz Osten":
- Name: Franz Osten (als Franz Ostermayr geboren)
- Geboren: 23. Dezember 1876 in München
- Gestorben: 2. Dezember 1956 in Bad Aibling
Mit dem Filmen begann Franz Osten bereits in den sehr frühen Tagen des Stummfilms nach 1910. Seinen ersten eigenen Film „Emelka“ drehte er aber erst im Jahr 1920 – übrigens im bayerischen Geiselgasteig (daraus gingen die Bavaria Filmstudios hervor), das auch heute als ein wichtiger deutscher Produktionsort dient ("Das Boot", "Die unendliche Geschichte").
1924 wurde der bayerische Regisseur von seiner Produktionsfirma als Leiter einer „Indienexpedition“ abgeordnet, um zusammen mit dem indischen Philosophen Himansu Rai eine Reihe von Filmen über die großen Weltreligionen zu produzieren. Dabei sollte er auch den Hinduismus vorstellen.
Von Abenteuerlust getrieben und weil Osten auch gerne an Originalschauplätzen drehen wollte, wandert er 1924 zusammen mit seinen Kameramännern Willi Kiermeier und Josef Wirsching sowie dem Regieassistent und Dolmetscher Bertl Schultes nach Bombay (Indien) aus.
Dort drehte er ab 1925 die ersten deutsch-indischen Filme – so z.B. „Prem Sanyas“ („Die Leuchte Asiens“) mit Himansu Rai und zwei weitere deutsch-indische Koproduktionen. Einer dieser Filme ist auch der hier besprochene „A Throw of Dice – Schicksalswürfel“.
Bereits nach fünf Jahren kam Osten aber wieder zurück nach Deutschland – allerdings nur kurz, denn im Jahr 1934 zog es ihn erneut nach Indien, wo er ebenfalls mit Himansu Rai und dessen Frau Devika Rani für „Bombay Talkies“ indische Filme zu drehen begann.
„The Bombay Talkies Limited“ war eine indische Filmgesellschaft. Sie wurde 1934 von Himansu Rai in Bombay gegründet. Das Studio war eine der Keimzellen des modernen Bollywoodkinos. 1954 wurde die Gesellschaft nach Unstimmigkeiten jedoch bereits wieder aufgelöst. Das ehemalige Studiogelände in Mumbai ist aber auch heute noch in verfallenem Zustand.
Vier Jahre lang drehte Osten für dieses Studio Spielfilme und gehört damit zu den Gründungsvätern der heute so populären Bollywood-Filmproduktionen. Sechzehn Werke können ihm aus dieser Zeit zugeschrieben werden – sein letzter Film war Kangan (Der Armreif), den er aber aufgrund des Ausbruchs des 2. Weltkrieges nicht beenden konnte.
Im September 1939 wurde Osten von den Briten verhaftet und interniert. Der unfertige Film wurde von seinen indischen Kollegen fertig gestellt. Franz Osten starb am 2. Dezember 1956 in Bad Aibling.
Für Filmfans, die sich für das Leben Franz Ostens näher interessieren, gibt es eine Dokumentation aus dem Jahr 2001. In dieser zeigt Gerald Koll die Arbeit Franz Ostens in Indien. "Ein Sonderling im Orient", so der Titel.
Zum Mahabharata:
Das „Mahabharata“ ist das bekannteste indische Epos. Es wurde erstmals zwischen 400 v. Chr. bis 400 n. Chr. niedergeschrieben, die Geschichten sind aber wohl viel älter und wurden vor dieser Zeit nur mündlich überliefert. Dieses monumentale Werk umfasst etwa 100.000 Doppelverse.
Das „Mahabharata“, gilt für Hindus als eines der wichtigsten Dharma-Bücher – ein wichtiger Leitfaden im Leben eines Hindus. In diesem Werk fanden hunderte philosophische Geschichten und Parabeln ihren Platz, deren Einfluss auf die indische Gesellschaft wohl nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In diesem Werk lernt man viel über die Inder, ihre Religion und ihre Hindi-Götter.
Viele dieser Geschichten haben auch schon zahlreiche Verfilmungen erfahren. „A Throw OF Dice“ ist eine Verfilmung einer zentralen Episode des „Mahabharata“. Eine vollständige deutsche Übersetzung des Gesamtwerkes gibt es aber leider bis heute noch nicht.
Die Handlung:
Die Geschichte dreht sich um zwei verwandte Könige in Indien. König Sohat ist der Vetter von König Ranjit – er strebt nach mehr Macht und neidet seinem Vetter so gut wie alles, was er besitzt. Vor allem möchte er sich das Königreich seines Vetters aneignen.
König Ranjit ist hingegen ganz zufrieden – er hat nur ein kleines Laster, das ihn immer wieder in Schwierigkeiten bringt – seine Spielsucht, die alles andere in seiner Umgebung vergessen lässt.
Als die beiden Könige eines Tages zusammen auf Tigerjagd gehen, sieht König Sohat seine Chance. Ein Pfeil trifft seinen Vetter, der nun schwer verletzt zu Boden geht. Ranjit ist sich schon des Königreichs seines Vetters sicher, doch die treuen Untergebenen König Sohats bringen den mit dem Tode ringenden König zu einem Naturheiler. Dort wird er wider Erwarten vom Gelehrten und seiner schönen Tochter Sunita gesund gepflegt und verliebt sich daraufhin in die junge hübsche Frau.
Von blinder Eifersucht getrieben, versucht Ranjit von diesem Zeitpunkt an alles, um die beiden Liebenden auseinander zu bringen und seine Saat des Bösen doch noch aufgehen zu lassen. Viele Versuche scheitern, doch als er am Vorabend der Hochzeit seinen Vetter um ein Spiel bittet, holt Ranjit zu einem letzten bösartigem Schlag aus. Mit falschen Glückswürfeln nutzt er die Spielsucht Sohats aus, um ihn um alles zu bringen was er besitzt – auch Sunita soll nun ihm gehören…
Kritik:
Ich muss zugeben: Ich habe mich riesig gefreut, als ich gelesen habe, um was für einen Film es sich bei „A Throw Of Dice“ handelt. Zum einen bin ich ein großer Anhänger des Stummfilms – nicht zuletzt aus filmhistorischem Interesse - zum anderen bin ich natürlich auch ein Fan der indischen Bollywoodproduktionen. Dieser Film sollte nun also zu den Wurzeln der indischen Filmwirtschaft vorstoßen und vielleicht auch ein wenig mehr Klarheit in die Andersartigkeit der dort gedrehten Filme bringen.
Die Geschichte stammt, wie schon berichtet, aus dem indischen Volksepos „Mahabharata“. In dieser Tatsache begründet sich vermutlich die Einfachheit der Storyline, denn weitere Handlungsstränge verlaufen neben der Hauptgeschichte nämlich keine. Die Geschichte der beiden Könige ist in der Art einer Parabel angelegt, aus der am Schluss eine Lehre gezogen werden soll – ganz so wie bei unseren deutschen Märchen ist durch diese effiziente Erzählstruktur für keinerlei Nebenhandlung Platz. Überhaupt können durchaus Vergleiche zu westlichen Märchen herangezogen werden, denn die Aussage von „A Throw Of Dice“ stimmt im Grunde mit den Aussagen unserer heimischen Märchen überein: „Begnüge dich mit dem, was du hast und neide niemandem etwas“. Die zweite wichtige Aussage: „Spielsucht kann alles kosten, was man hat.“
Die Geschichte ist also nicht der Grund, warum dieser Film so wichtig für "Rapid Eye Movies" ist, dass eine deutsche Version in der Reihe „Bollywood Classics“ erscheint. Nein, es ist der Stellenwert, den der Film in der indischen Filmgeschichte einnimmt – vielleicht auch der Stellenwert, den „A Throw Of Dice“ in der Geschichte des Weltkinos einnimmt.
Während zeitgenössische Filme in Europa und in den USA eher als expressionistische Werke in Studiokulissen gedreht wurden, setzte Franz Osten in Indien derweil auf realistische Filme, welche an Originalschauplätzen gefilmt wurden. Auch die Kameraarbeit und der Schnitt überraschen bei diesem frühen Film mit schnellen, kurzen Schnitten und dem zügigen Wechsel der Szenen, aber auch die Stimmung ändert sich ungewöhnlich schnell. Ein realistisches, melodramatisches Werk mit wegweisender Kameraführung konnte so entstehen.
Bei den Schauplätzen legte Osten großer Wert auf Authentizität, denn als Filmsets kamen nur Originalschauplätze zum Einsatz. Besonders imposant sind dabei die Außenszenen in den indischen Städten geraten. Osten füllte diese Szenen mit tausenden Statisten, Elefanten und Pferden, sodass hier wirklich schon von einem Monumentalfilm gesprochen werden kann. Sicher war es ein riesiger Aufwand, diese aus Schauspiellaien bestehenden Massen zu koordinieren.
Die Tatsache, dass es sich bei den gezeigten Kulissen in „A Throw Of Dice“ ausschließlich um Originalschauplätze handelt, hat für heutige Zuschauer den zusätzlichen Vorteil, dass ein echter Blick in die damalige Zeit geworfen werden kann. Ein echtes Zeitzeugnis aus Indiens 20er Jahren, mit seinen Städten, seinen Tempeln und den Menschen. Hier liegt auch der größte Unterschied zu anderen frühen Filmen über Indien, wie etwa Joe Mays und Fritz Langs „Der Tiger von Eschnapur“, die nur ein klischeehaftes Indien zeigen, eben nur eine Art „Orientfeeling“ erzeugen wollen.
So ist diese sorgfältig restaurierte Fassung des „British Film Institute“ gleichermaßen ein echtes Muss für Stummfilmfreunde und Bollywoodfans. Ein Dokument aus der frühen Zeit des Films und ein Blick in eine fremde Zeit. Einige Elemente der späteren Produktionen aus der „Traumfabrik Bollywood“ können bereits in „A Throw Of Dice“ wiedererkannt werden, so z.B. die aufwändigen Kostüme und die großartigen Filmsets. Auf Tanz und Gesang muss aber aus nachvollziehbaren Gründen verzichtet werden – das wäre bei einem Stummfilm wohl auch ein wenig schwierig gewesen. Dafür gibt es aber die neu komponierte Filmmusik von Nitin Sawhney zu hören, der zusammen mit dem Londoner Symphonieorchester hervorragende Arbeit geleistet hat.
Die DVD:
Was das "British Film Institute" 2005 in dieser sorgfältig restaurierten Fassung bildtechnisch herausgeholt hat, lässt sich kaum in Worte fassen. Die Bildschärfe ist sehr gut, Bildfehler sind auch nicht sehr häufig zu entdecken und vor allem beim gut restaurierten Kontrast kann ich diesem Transfer nur die besten Noten geben. Gerade bei Filmen aus den 20er Jahren sind solche hervorragenden Ergebnisse bezüglich der Bildqualität wohl eher die Ausnahme. Nur die für solche alten Filme typischen, leichten Helligkeitsschwankungen und ein paar Laufstreifen sind als kleiner Wehmutstropfen bei diesem Film zu beobachten. "Rapid Eye Movies" hat bei "A Throw of Dice" die hohe Qualität des Ausgangsmaterials zum Glück auch auf die DVD konvertieren können.
Beim Ton gibt es ebenfalls keinerlei Anlass zu Kritik. Der Dolby Digital 2.0 (Mono) Ton des Londoner Symphonieorchesters ist nahezu makellos und in CD-Qualität auf die DVD gebracht worden. Auch ganz feine Nuancen sind zu unterscheiden und auch die Dynamik kann den Zuschauer überzeugen.
- DVD in hochwertigem Smartpac + Booklet
- Musik: DD 2.0 Stereo
- Untertitel: Deutsch (optional)
- Bild: 4:3 (Vollbild)
Die Extras:
- Interview mit Nitin Sawhney
- Trailer
Außer dem Trailer gibt es also nur das Interview mit dem Soundkomponisten Nitin Sawhney (The Namesake) als Bonusmaterial. In den ca. 35 Minuten Laufzeit erklärt er haargenau und fast Szene für Szene, wie er zur Filmmusik gekommen ist und warum er welche Instrumente zur entsprechenden Szene gewählt hat. Gerade für einen Stummfilm ist der Score von sehr großer Bedeutung, weil die Musik die Handlung wesentlich mehr Unterstützung erfährt, als beim Tonfilm. Dieses Interview erklärt aber auch Details der Zusammenarbeit Nitin Sawhneys, mit dem Londoner Symphonieorchester. Wirklich interessanter Stoff, den "Rapid Eye Movies" auf die Disc gebracht hat.
Ich vermisse allerdings Details über die Restaurierung des Films, woher das Master stammt und ob wirklich eine vollständige Kopie des Films zur Verfügung stand. Gerade bei alten Stummfilmen gab es unzählige Zensurschnitte, weshalb sich eine originalgetreue Restaurierung als sehr schwierig erweist. Ein paar mehr Infos hätten in dieser Hinsicht wohl nicht geschadet und hätten filmhistorisch Interessierten noch eine "Portion Filmwissen" liefen können – besonders, weil in der Imbd von einer längeren indischen Fassung die Rede ist.
Es wäre ebenfalls schön gewesen, wenn "Rapid Eye Movies" noch ein paar Fakten zum filmhistorischen Stellenwert des Werkes in Form eines Booklets beigefügt hätte. Warum wurde gerade dieser Film veröffentlicht, und in welcher Verbindung steht er zum modernen Bollywoodfilm. Also ein wenig mehr Hintergrundwissen hätte wirklich gut getan. Ich hoffe ich habe das Defizit jetzt mit diesem Artikel ein wenig nachholen können.
Fazit:
Mit „A Throw Of Dice“ hat "Rapid Eye Movies" einen echten Klassiker der Stummfilmzeit veröffentlicht, der einen ausführlichen Einblick in die Frühzeit des indischen Kinos gewährt. Die aufwändigen Kostüme und monumentale Massenszenen können auch heute noch begeistern. So ist dieses Werk nicht umsonst in der „Bollywood Classics“-Reihe des Labels erschienen.
Die Handlung wird zwar sehr einfach erzählt, sie bietet aber immer noch genügend Interessantes um nicht langweilig zu wirken. Auch die Technik verdient eine besondere Erwähnung. Diese ist für die damalige Zeit wegweisend und sehr realistisch. Ein Film, den jeder Bollywood-Fan einmal gesehen haben sollte.
Die Qualität des Transfers ist wirklich auf einem beispielhaft hohen Niveau. Mein sehnlichster Wunsch wäre es, wenn sich "Rapid Eye Movies" einen weiteren Klassiker aus der frühen Bollywoodzeit annimmt. „Die Leuchte Asiens“ würde sich da hervorragend anbieten, oder vielleicht auch ein paar wegweisende Werke aus den 30er, 40er oder 50er Jahren...
- Redakteur:
- Detlev Ross