Warum läuft Herr R. Amok?
- Regie:
- Rainer Werner Fassbinder, Michael Fengler
- Jahr:
- 1970
- Genre:
- Drama
- Land:
- BRD
1 Review(s)
07.09.2006 | 05:47Handlung:
München in den 70er Jahren. Herr R., technischer Zeichner in einer kleinen Firma, führt ein geregeltes und normales Leben. Er hat eine nette, gut aussehende Frau und einen Sohn, der noch zur Grundschule geht. Am Wochenende wird die Familie regelmäßig von den Schwiegereltern oder Freunden besucht. Alles scheint absolut normal und alltäglich, bis Herr R. eines Abends zum Kerzenständer greift und seine Frau, seinen Sohn und eine benachbarte Freundin der Familie erschlägt. Wie gewohnt geht er an dem darauf folgenden Morgen zu Arbeit.
Auswertung:
Der Wahnsinn des Alltags – so könnte man Rainer Werner Fassbinders "Warum läuft Herr R. Amok?" zusammenfassen. Was der Zuschauer in dem Großteil der 84 Minuten Spielzeit des Films zu sehen bekommt, sind Bilder des alltäglichen Lebens, ohne große Ereignisse oder Abwechselung. Die von Handkamera aufgenommenen Bilder erzählen im eigentlichen Sinne keine fortlaufende Geschichte, sondern dokumentieren eher Ausschnitte aus dem Leben des Herrn R. Gerade durch die Handkamera übernimmt der Zuschauer die Rolle eines Beobachtenden, der den Ereignissen im Leben der Familie R. lediglich beiwohnt. Diese dokumentarisch wirkende Kameraarbeit richtet nicht über die einzelnen Hauptcharaktere, noch gibt sie Möglichkeit, sich in eine der Rollen hineinzuversetzen. Sie bleibt neutral und gibt Einblick in einen verlogenen Alltag:
Wenn auf den ersten Blick betrachtet das Leben des Herrn R. als heile Welt erscheint, offenbart der Film bei näherer Betrachtung Abgründe des menschlichen Miteinanders.
Die Ehe des Herrn R. ist längst an einem Punkt angelangt, an dem sich beide Partner nichts mehr zu sagen haben. Zuhause schweigt er seine Frau an oder sie reden über Nichtigkeiten des Alltags. Herr R. erscheint ohnmächtig seine Gefühle zu artikulieren und über Dinge zu reden, die ihm persönlich wirklich wichtig sind. Als ihn seine Frau einmal bei einer Autofahrt über das Klima auf der Arbeit ausfragt, gibt er nur einige allgemeine, unbedeutende Floskeln als Antwort. Auf einer Weihnachtsfeier seines Betriebes hält Herr K. eine Rede im angetrunkenen Zustand und als er noch Bruderschaft mit seinem Chef trinken will, blitzt ein Anflug von Aggression in seiner Frau auf. Sie wirft ihm vor, dass er immer dicker und dümmer werde, und kann das Verhalten ihres Mannes nicht verstehen. Diese kurze Aggression scheint das einzige ehrliche Gefühl zu sein, das sie für ihren Mann noch aufbringen kann.
Sei es beim Besuch der Schwiegereltern, der Freunde oder generell die Atmosphäre am Arbeitsplatz des Herrn R., in jedem Gespräch mit Mitmenschen lauern Heuchelei, Verlogenheit und Leere – Ein grausames Bild vom Alltag, aus dem Herr R. mit einem Akt der Gewalt ausbricht. Den Kerzenständer, mit dem er Amok läuft, zündet er vor dem Zuschlagen an. Das Anzünden der Kerze erscheint wie eine Art religiöser, spiritueller Akt. Vielleicht erhofft sich Herr R. Erlösung von einem Leben, in dem er und seine Mitmenschen selbst schon innerlich tot sind, oder sein Amoklauf ist seit langem die ehrlichste Handlung gegenüber seinen Mitmenschen.
Was am Ende übrig bleibt, ist nicht die Frage nach dem "Warum", sondern nach dem "Warum nicht schon eher?"
Umsetzung auf DVD:
Die DVD "Warum läuft Herr R. Amok?" erscheint im Arthaus-Verlag und ist in gewohnt guter Qualität. Das Bild ist klar und relativ scharf. Ab und an ist eine leichte Unschärfe zu sehen, die jedoch den Genuss der DVD nicht merklich stört.
Der Ton ist durchschnittlich gut. Nur manchmal sind die wenige Charaktere mit starkem bayrischem Akzent aufgrund der Tonqualität schwieriger zu verstehen.
Weitere Extras der DVD:
- Kapitelauswahl
- "Ich will nicht nur, dass ihr mich liebt" (Dokumentation)
- Biographie R. W. Fassbinder
- Starinfos zu Kurt Raab
Fazit:
"Warum läuft Herr R. Amok?" ist ungewöhnliches Kino. Für die einen mag der Großteil des Films, der fast dokumentarisch wirkt, langweilig und belanglos erscheinen, für die anderen ist es ein interessanter Einblick in den ganz alltäglichen Abgrund des Alltags. Den Wahnsinn des Alltags durch Dokumentation des Alltags einzufangen, ist wirklich sehenswert, gerade wegen der Tatsache, dass der Film bis heute nicht seine Eindringlichkeit und Aktualität verloren hat. Jedem Cineasten, der auch einmal gerne ungewöhnliche Inszenierungen bevorzugt, kann ich diesen Film empfehlen.
- Redakteur:
- Thomas Graef