BEDSORE: Interview mit Jacopo Gianmaria Pepe

24.12.2024 | 21:14

"Dieses Wechselspiel zwischen dem Surrealen und dem Brutalen ist der Kern unserer künstlerischen Identität." Authentisch bis in die letzte Faser und dabei musikalisch so vielseitig wie großartig: BEDSORE.

Die Progger unter uns sollten jetzt aufpassen. BEDSORE ist zwar keine Prog-Band, die den Genre-typischen Sounds hinterherläuft, dafür aber progressive Musik im Wortsinn macht. Eine rasante Entwicklung gegenüber dem Debüt macht das neue Album der Italiener, "Dreaming The Strife For Love", zu einem Highlight im ohnehin starken Metal-Jahr 2024. Gitarrist und Sänger Jacopo Gianmaria Pepe steht Rede und Antwort, uns die künstlerische Vision der Band und natürlich alles Wissenswerte zum Album selbst zu erläutern.


BEDSORE ist (noch) nicht sehr bekannt. Der Bandname zielt darauf ab, "auch einen metaphorischen Abstieg in die obskuren Aspekte der menschlichen Erfahrung zu verkörpern" (sagen die Metal Archives). Was ist euer Konzept hinter der Band?

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Auf den ersten Blick mag der Name BEDSORE im Widerspruch zur beschwörenden Natur der Musik stehen, die wir machen. Es gibt jedoch eine tiefere und sehr kohärente Bedeutung dahinter. Der Name spielt auf die Idee des "Leidens des Bettes" an, ein Ort, an dem Träume und Alpträume aufeinanderprallen. Diese Dualität - zwischen irdischen Qualen und einer traumhaften Reise - spiegelt perfekt unsere innere Welt wider, die zwischen lebhafter Fantasie und roher, unkontrollierter Intensität balanciert. Darüber hinaus ist der Name eine Hommage an die Ästhetik des Death Metal, der die klinische, distanzierte Terminologie oft in eine Art makabre Poesie verwandelt. Dieses Wechselspiel zwischen dem Surrealen und dem Brutalen ist der Kern unserer künstlerischen Identität.

Eure neue Platte ist von dem Renaissancebuch "Hypnerotomachia Poliphili" beeinflusst und auch danach benannt (natürlich übersetzt). Was genau ist euch daran so wichtig?

Wie du schon gesagt hast, ist unser neues Album "Dreaming The Strife For Love" stark von dem visionären Renaissance-Roman "Hypnerotomachia Poliphili" beeinflusst. Die Verflechtung von Liebe, Träumen und Transzendenz in einem einheitlichen Konzept diente uns als Inspirationsquelle. Sein zentrales Thema - eine zutiefst menschliche Reise des inneren Wachstums und des Streben nach etwas Höherem, das wir einfach "Exzellenz" nennen könnten, hat uns tief berührt. Dennoch ist unser Album nicht einfach eine musikalische Nacherzählung des Romans. Obwohl wir uns von den Schlüsselthemen des Romans leiten ließen, spiegelt das Album eine zutiefst persönliche Reise wider - eine Reise, die wir zuerst als Individuen erlebt haben. Die reichhaltigen Details des Buches waren ausschlaggebend für die Gestaltung der Klangtexturen des Albums. Dieser Einfluss erstreckt sich auch auf unkonventionelle Klangfarben wie Synthesizer und Mellotron- oder orchestrale Klänge, die zu musikalischen Echos der narrativen Strukturen des Romans wurden. Wiederkehrende Motive geben dem Album einen kohärenten Charakter und erinnern an die großartigen Architekturen und traumhaften Landschaften von Poliphilos Welt.

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Zum ersten Mal gibt es italienische Texte. Handelt es sich dabei um Texte direkt aus dem referenzierten Buch?

Ja, wir haben uns zum ersten Mal dafür entschieden, auf Italienisch zu singen - eine Entscheidung, die sich sowohl spontan als auch natürlich anfühlt. Die italienische Sprache mit ihrer eigenen Musikalität und ihrem reichhaltigen Ausdruckspotenzial ermöglichte es uns, Emotionen authentischer zu vermitteln als es die englische Sprache könnte. Da sich das Album auf einen italienischen Text aus der Renaissance bezieht, erschien uns die Verwendung unserer Muttersprache als der perfekte Weg, um die Verbindung zwischen unserer Musik und unseren kulturellen Wurzeln zu stärken. Auch wenn diese Wahl für ein internationales Publikum eine Herausforderung darstellen mag, glauben wir, dass die universelle Kraft der Emotionen Sprachbarrieren überwindet. Das Singen auf Italienisch hat es uns ermöglicht, eine Erfahrung zu schaffen, die sich tief bewegend und doch unverwechselbar echt anfühlt.

Auf einigen Stücken sind sowohl Holz- als auch Blechblasinstrumente zu hören. Haben die Songs danach verlangt?

Auf jeden Fall. Die erzählerische Tiefe von "Dreaming The Strife For Love" ließ uns das Bedürfnis verspüren, unsere Klangpalette zu erweitern, was zur Zusammenarbeit mit einzigartigen Musikern wie Giorgio Trombino (Saxofon und Flöte) und Giulio Guidotti (Trompete und Posaune) führte. Diese Instrumente fügten Klangschichten hinzu, die zwar unserem üblichen Stil fremd sind, aber die akustische Atmosphäre des Albums bereichern und ihm eine filmische und orchestrale Qualität verleihen.

Die Einbeziehung von Elementen wie Mellotron, einer B3 Hammond-Orgel und 12-saitigen Gitarren passt perfekt zum Konzept des Albums und ruft Empfindungen hervor, die in der progressiven Bildsprache der 70er Jahre verwurzelt sind. Dies waren jedoch keine rein ästhetischen Entscheidungen. Diese Instrumente spielten eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der Komposition selbst. Der Mittelteil von 'A Colossus, An Elephant, A Winged Horse, The Dragon Rendezvous' wurde beispielsweise dank unserer alten Farfisa Compact von 1964 [eine italienische Kompaktorgel - NM] zum Leben erweckt, deren Klangpalette uns dabei half, kraftvolle Bilder heraufzubeschwören - irgendwo zwischen Fellinis italienischem Kino und den traumhaften Atmosphären von Fabrizio De André, mit einem Hauch von synthetischer Magie.

Habt ihr für 'Fanfare For A Heartfelt Love' eine echte Orgel in die Hände bekommen, oder ist das ein Keyboard-Sound?

Ja, natürlich! Die Suche nach authentischen Klängen war ein Eckpfeiler bei der Produktion dieses Albums. Für 'Fanfare For A Heartfelt Love' haben wir eine Mischung aus Mellotron (Kirchenorgel) und einer echten Hammond B3-Orgel verwendet. Wir sind der Meinung, dass die Unvollkommenheit physischer Instrumente eine emotionale Tiefe mit sich bringt, die sich digital nur schwer nachbilden lässt, zumal der taktile Aspekt für die musikalische Erkundung so wichtig ist. Ein Paradebeispiel - neben der Farfisa auf 'A Colossus...' - ist der pulsierende Sound am Anfang von 'Fountain Of Venus'. Er entstand durch Verstimmung der Oszillatoren unserer Moog Grandmother und Filterung durch einen LFO. Der daraus resultierende "Drop" - wie wir ihn nannten - wurde zu einem ikonischen Element des Tracks, das die aquatischen, venusianischen Themen miteinander verbindet und gleichzeitig als Leitmotiv dient, das die verschiedenen Abschnitte miteinander verknüpft. Dieser praktische Ansatz spiegelt nicht nur unsere Leidenschaft für alte und manuelle Instrumente wider, sondern fördert auch eine tiefere Verbindung zur Musik und ihrem Konzept.

Obwohl es immer noch etwas Death Metal gibt, habt ihr seit "Hypnagogic Hallucinations" eine ziemliche Entwicklung durchlaufen. Wie lange habt ihr an dem neuen Material gearbeitet?

Unsere künstlerische Entwicklung verlief weder plötzlich noch linear. Es fühlte sich eher wie eine allmähliche Reise zu einem größeren Bewusstsein an. "Hypnagogic Hallucinations" war eine instinktive Arbeit - roh und intuitiv, die die Dringlichkeit ungezähmter Träume widerspiegelt. Es spiegelte die Dringlichkeit wider, die wir als Band bei unserem Debüt empfanden, aber es hatte auch seine Schwächen, die wir in Möglichkeiten zum Wachstum verwandelten. Mit "Dreaming The Strife For Love" haben wir einen großen Schritt nach vorne gemacht und vier Jahre lang an Material gearbeitet, das unserer Vision entspricht. Dieses Mal war der Prozess strukturierter und ausgereifter. Jedes Element wurde sorgfältig bedacht, um der übergreifenden Erzählung zu dienen, wobei jeder Song wie ein Kapitel in einer zusammenhängenden Geschichte wirkt. Es ist ein Werk, das in die Zukunft blickt und gleichzeitig unsere Vergangenheit und die Lektionen, die wir auf unserem Weg gelernt haben, ehrt.

Einige Songs sind so cineastisch wie ein gut produziertes Hörspiel ('A Colossus, An Elephant, A Winged Horse, The Dragon Rendezvous'). Habt ihr diese atmosphärischen Ideen von Anfang an oder fügt ihr diese Elemente hinzu, nachdem der Song geschrieben ist?

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Die atmosphärischen Elemente waren von Anfang an Teil unserer Vision. Tracks wie 'A Colossus, An Elephant, A Winged Horse, The Dragon Rendezvous' wurden um diese Ideen herum gebaut. Wir gingen den Kompositionsprozess sowohl als Regisseure als auch als Musiker an, indem wir Töne und Arrangements auswählten, die die von Francesco Colonnas Werk inspirierten imaginären Szenen zum Leben erweckten. Das Mellotron am Anfang des Stücks - das in Clustern zwei Oktaven unter einem Cello gespielt wird - soll den "Atem des Drachen" darstellen, der in der Schwebe ist und erst auf dem Höhepunkt des Stücks zum Vorschein kommt. Auch das "Thema der Minerva", das im Eröffnungstitel 'Minerva's Obelisque' eingeführt wird, taucht im Laufe des Albums in verschiedenen Formen wieder auf, passt sich dem Kontext an und behält gleichzeitig einen narrativen Faden bei. Diese sorgfältige Herangehensweise ermöglichte es uns, ein eindringliches musikalisches Erlebnis zu schaffen, das eng mit der Geschichte verwoben ist.

Welche Bands oder Künstler beeinflussen den Sound von BEDSORE?

Die Einflüsse von "Dreaming The Strife For Love" sind sehr vielfältig. Auf der progressiven Seite sind wir tief mit dem Erbe der italienischen RPI-Bewegung der 70er Jahre verbunden, mit Bands wie OSANNA, BALLETTO DI BRONZO, PFM und AREA, die uns dazu inspirieren, Musik zu schaffen, die sowohl komplex als auch auf ihre eigene Weise zugänglich ist. Unsere Metal-Wurzeln sind nach wie vor unverzichtbar, denn wir schöpfen Inspiration aus den rituellen Klängen von GRAVE MIASMA, WATAIN und THE DEVIL'S BLOOD, aber auch aus experimentellen Bands wie ORANSSI PAZUZU, RUSSIAN CIRCLES und ANNA VON HAUSSWOLFF. Wir lassen uns auch von Komponisten wie Nino Rota und Ennio Morricone inspirieren, deren Filmmusik uns stark beeinflusst hat. Dieser kulturell gemischte Sound schafft eine unorthodoxe und persönliche Mischung, die sich ganz und gar nach uns anfühlt. Diese Künstler inspirieren uns nicht in Bezug auf direkte musikalische Ideen, sondern in der Art und Weise, wie sie an die Komposition herangehen und neue klangliche Möglichkeiten erkunden.

Steht das Cover-Artwork auch in Zusammenhang mit dem Buch?

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Ursprünglich sollte das Artwork von Timo Ketola gestaltet werden und von den Themen des Albums inspiriert sein, aber die Umstände nahmen eine andere Wendung. Trotzdem kam das Artwork auf eine Art und Weise zu uns, die sich magisch anfühlte, fast wie vorherbestimmt. Bei unseren Recherchen zu "Hypnerotomachia Poliphili" entdeckten wir die beiden Studienbilder von Denis Forkas Kostromitin, die für das Albumcover und die Rückseite des Covers verwendet wurden. Ihre strenge, majestätische Ästhetik hat uns sofort angesprochen. Als wir uns eingehender mit dem Text beschäftigten, stellten wir fest, dass sie unwissentlich Schlüsselszenen darstellten: Eines davon stellte Poliphilos anfängliche Vision eines ätherischen Turms in einer nebulösen Traumlandschaft dar, das andere seine Begegnung mit dem Drachen in einer subtilen, fremdartigen, beunruhigenden Atmosphäre. Diese zufällige Verbindung fühlte sich tiefgreifend an, als ob das Kunstwerk und die Musik untrennbar miteinander verbunden wären - jenseits von Worten.

Was steht als nächstes für BEDSORE an? Gibt es Pläne nach der aktuellen Veröffentlichung?

Wir arbeiten bereits daran, "Dreaming The Strife For Love" auf der Bühne zum Leben zu erwecken und eine Show zu kreieren, die anders ist als alles, was wir bisher gemacht haben. Die Komplexität des Albums ist eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen. Unser Ziel ist es, eine Performance zu kreieren, die die Atmosphäre des Albums einfängt und gleichzeitig die rohe Energie und Unmittelbarkeit eines Live-Rituals beibehält. Für die Zukunft planen wir neue Projekte und Kooperationen, aber es ist noch zu früh, um Details zu verraten. Sicher ist, dass jedes Album ein neues Kapitel in unserer Entwicklung darstellt, und wir sind gespannt, wohin uns die Reise als nächstes führt.


Photo-Credit: Francesco Maria Pepe


Scars Of Light



https://www.youtube.com/watch?v=yJ2ng_vLb9Q

Redakteur:
Nils Macher

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