Gruppentherapie HELSTAR - "Vampiro"
21.09.2016 | 23:40HELSTAR ist wieder ein heller Stern am Metal-Himmel. Für diese These sprechen Platz zwei im September-Soundcheck und euphorische Worte von Tobias (zum Review). Grund genug für vier weitere Kollegen, ihre höchst individuelle Sicht auf HELSTARs Schaffen darzulegen.
Jupps, so eine Musik wie auf "Vampiro" hätte mich Anfang der 90er schon noch vom Hocker gerissen. Damals habe ich explizit nach so Dingen wie MYSTIK, FORTÉ, NEW EDEN oder LETHAL gestöbert. Auch HELSTAR habe ich in dieser Zeit kontaktiert, in Form einer "1 kg Vinyl für 10 D-Mark"-Aktion. "A Distant Thunder" hieß das Ding, das konnte mich allerdings so gar nicht begeistern. Seitdem war’s das mit HELSTAR.
Tobis Review gibt mir nun einen Hinweis, dass ich vielleicht einfach nur die falsche Platte erwischt habe. Denn er vergleicht "Vampiro" mit "Nosferatu" und dieses "Vampiro" find ich sogar heute noch gut. Die Gitarren machen schwer Alarm, das Songwriting ist nicht allzu generisch, nur der Gesang agiert auf eine Art und Weise, die mir für Langzeit-Begeisterung zu altbekannt und nach Schablone vorkommt. Hauptsache in höchsten Höhen knödeln. Yiiiiiih!
Während also hooklinetechnisch so ziemlich nichts im Ohr hängen bleibt, weil immer wieder in etwa dasselbe gesungen wird, machen die Gitarren - Riffs wie Soli - und das coole Zusammenspiel in der Rhythmussektion ziemlichen Spaß. Zumal man sich hier auch für einen angenehm modernen Sound ohne Rumpel-"Attitüde" entschieden hat. So ist "Vampiro" insgesamt ein gutes Album, das es aber doch nicht ganz schafft, bei mir die alte Begeisterung für diesen US-Power-Metal-Stil dauerhaft wieder zu beleben.
Note: 7,0/10
[Thomas Becker]
James Rivera ist zurück, und mit "Vampiro" gibt es endlich mal wieder eine wirklich überzeugende Platte seiner Stammband HELSTAR. Ich persönlich mochte DESTINY'S END zwar immer etwas lieber, für manche sicher ein Sakrileg, aber die wesentlich melodischeren Gitarrenleads konnten mich dort einfach mehr mitreißen. Doch was ist nun gut an "Vampiro"?
Nun, zuerst mal natürlich Rivera, der weiterhin zu den besten Metal-Sängern gehört. Wenn Thomas das nicht erkennt, ist das sein Problem (Anm. T.B.: Es ging mir um die Art und Weise, wie die Stimme eingesetzt wird, nicht um die klar erkennbare Technik). Die Gesangslinien kommen aus meiner Sicht zwar nicht an die Glanzleistungen früherer Jahre heran, aber das ist immer noch top. Dazu gibt es ganz feine Gitarrenleads, und hier schlägt "Vampiro" für mich sogar die Klassiker aus den 80er Jahren. Dafür ist mir das Songwriting manchmal etwas zu austauschbar. Die ganz großen Ohrwürmer fehlen, weshalb der Sprung in die Champions League knapp misslingt. Ein gutes Album, ohne Frage, aber ich habe bei jedem Hördurchgang den Eindruck: Mit etwas zwingenderen Songs wäre noch mehr drin gewesen.
Note: 7,5/10
[Jonathan Walzer]
Im Gegensatz zum Kollegen Becker gehörte HELSTAR für mich von Anfang an zur Speerspitze des 1980er US-Metals, ja sogar zum Triumvirat dieser Bewegung gemeinsam mit METAL CHURCH und OMEN. Es stimmt, dass HELSTAR schon immer etwas "sperriger" und unorthodoxer zu Werke gegangen ist als zum Beispiel die anderen beiden Genannten. Aber gerade dafür habe ich die Band ja immer so abgöttisch geliebt! Frei nach Loriot könnte man sagen: Ein Leben ohne "Remnants of War", "A Distant Thunder" und "Nosferatu" ist möglich, aber sinnlos. Natürlich freue ich mich deshalb wie Bolle über das beste HELSTAR-Album seit 27 Jahren, Ladies und Gentlemen - "Vampiro". Larry Barragans unverkennbar eigenwillige Gitarren-Handschrift verzückt mich wieder wie damals. Und James Rivera, den besten lebenden Metal-Sänger, habe ich ja sowieso schon längst höchstpersönlich in den Gott-Status erhoben. Das Wichtigste aber: Anders als auf den letzten beiden Alben sind auf "Vampiro" alle Songs Volltreffer. Schon der Einstieg mit dem wunderbaren 'Awaken Into Darkness' jagt mir die Putenpelle über den Rücken, und das geht so weiter bis zum sanften Rausschmeißer 'Dreamless Sleep'. Das anbetungswürdige 'From the Pulpit to the Pit' wird vermutlich mein Song des Jahres. Und mit 'Malediction' gibt es endlich auch mal wieder ein "richtiges" klassisches Metal-Instrumental in der Tradition von 'Merciless Onslaught' & Co zu feiern. Der Genialitäts-Index sinkt nur ein einziges Mal kurz, nämlich bei 'Blood Lust'. Wer hier langweiliges und/oder gleichförmiges Songwriting wahrnimmt, sollte sich schnellstens die Petersilie aus den Ohren entfernen lassen! Ich höre hier nur ein Hammer-Album einer der großartigsten Bands aller Zeiten. Zum Abschluss noch ein Verbraucherhinweis: Meine Note könnte Spuren von rosarotem Fanbrillen-Trägertum enthalten. Vielleicht. Aber höchstens einen halben Punkt.
Note: 9,5/10
[Martin van der Laan]
Wenn der gute Thomas der neuen HELSTAR nur 7 Zähler gönnt, dann mag das wenig verwundern, denn wer schon "A Distant Thunder" nicht begeisternd findet, der ist bei der Band wohl nicht ganz richtig. Da muss man dann schon fast sagen: immerhin! Doch, was ist da los, was wird da g'spielt? Auch US-Metal-Aficionado Jhonny geizt mit seiner Gunst? Für mich doch reichlich irritierend, doch zum Glück haben wir den Martin, der sagt, was Sache ist! HELSTAR ist seit jeher eine der eigenständigsten US-Metal-Truppen, und nachdem manchem langjährigen Fan die letzten drei Scheiben zu sehr auf die Zwölf und zu sehr in die Thrash-Metal-Ecke gingen, haben die Texaner ihrer Diskographie nun mit "Vampiro" einen späten Klassiker hinzugefügt, der nicht nur thematisch an die 1989er-Scheibe "Nosferatu" anknüpft, sondern auch stilistisch und qualitativ. James Rivera singt in den Höhen wieder öfters klarer, die Hooklines sind zwingender als zuletzt, und die Gitarrenhooks und die Leads Larry Barragans gehen wieder direkt unter die Haut; außerdem klingt die Scheibe rundum differenziert und natürlich; das Schlagzeug ballert nichts zu, sondern die Songs können atmen. Ja, kurzum "Vampiro" ist in jeder Hinsicht kurz vor perfekt und für mich ohne jeden Zweifel die beste HELSTAR seit 1989. Außerdem ist sie eines der packendsten Alben, das uns altgediente US-Metal-Veteranen in der letzten Zeit aufgetischt haben. Wie kann man denn zu "Off With His Head" oder "From The Pulpit To The Pit" nicht niederknien wollen, die eine für HELSTAR so typische perfekte Balance zwischen technischem Anspruch, gediegener Vertracktheit und königlicher Melodieführung wahren? Eben. Als HELSTAR-Fan könnt ihr demnach mit "Vampiro" echt nichts falsch machen, und auch sonst sollte jeder geneigte US-Metaller mal ein offenes Ohr riskieren. Sollte das entsprechende Organ nicht ansprechen, so rate ich unisono mit Martin zur Gemüseresektion, denn eine dringende Indikation ist gegeben.
Note: 9,5/10
[Rüdiger Stehle]
- Redakteur:
- Thomas Becker