Gruppentherapie: ANVIL - "One And Only"

15.07.2024 | 08:29

Dies hat ANVIL mit Al Bundy gemeinsam!

Über der Wert von musikalischer Beständigkeit haben wir ja schon in der Gruppentherapie zu AXEL RUDI PELLs neuem Album "Risen Symbol" gesprochen. Dort wurde auch ANVIL als Paradebeispiel der Unveränderlichkeit genannt. Da stellt sich wie immer die Frage: Ist die einunddrölfzigste Wiederholung des soliden Altbekannten immer noch besser als das, was uns heutzutage zur Ohrenbespaßung vorgesetzt wird, oder muss man hier eher das Gähnen unterdrücken? Unsere Soundchecker sind in dieser Frage zwiegespalten. Manche sind so zufrieden wie unser Marcel (zu seinem Review von "One And Only"), manchen fehlt es aber an Inspiration, und wieder andere glotzen lieber auf eine schleudernde Waschmaschine. So landete die Scheibe deutlich hinter Axel Rudis neuem Werk auf Platz 16 im Juni-Soundcheck. Langweilig? Nein, denn in dieser Therapie gibt es ein paar erstaunliche Erkenntnisse in Verbindung mit ANVILs "One And Only"! 

Wie hieß nochmal das ANVIL-Album von 2016 so passend? "Anvil Is Anvil" und dieser Titel passt auch 2024 wie die Faust aufs Auge oder besser der Hammer auf den Amboss. Auch mit "One And Only" bekommen wir die komplette Wagenladung des simplen, eingängigen Heavy-/Speed-Metal-Hybriden aus Kanada auf den Hof gekippt. Vielleicht ist dieses Mal noch etwas mehr MOTÖRHEAD-Attitüde mit an Bord, aber das ist Erbsenzählerei und passt eh wunderbar zu dieser räudigen, leicht primitiven Art von Dosenbier-Metal. Und das meine ich nicht negativ, denn selbst wenn hier manches abgestanden schmeckt, knallt es noch ordentlich in die Mütze. Und was will man denn mehr?

Ob ich unter Geschmacksverirrung leide? Klar kann man bei solchen Singalongs wie 'Feed Your Fantasy' oder 'Truth Is Dying' aufgrund der lyrischen Umsetzung Haarausfall bekommen, aber man kann auch mal Fünfe gerade sein lassen und das schüttere Haupthaar kreisen. Ich tendiere definitiv zu zweiter Sichtweise und kann mit einem Großteil der Songs meinen Spaß haben. Viel mehr haben sich Lips und Robb auf Album Numero zwanzig, ihrem Studiojubiläum, sicherlich auch gar nicht vorgenommen, und das Ding macht in Summe echt Laune. Jetzt würde ich mir nur noch wünschen, dass mehr Menschen den einzelnen Platten der Jungs echte Aufmerksamkeit schenken und sie nicht nur auf den (ohne Frage grandiosen) Dokumentarfilm von 2009 reduzieren. "One And Only" ist aus meiner Sicht ein weiterer Beweis, dass es sich lohnt.

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Was ANVIL betrifft, kann ich sagen, dass ich der Band noch nie viel abgewinnen konnte. Seinerzeit habe ich das vierte Album "Strength Of Steel" gekauft, da einige Leute aus meinem Umfeld von dieser sagenhaften kanadischen Metalband geschwärmt haben. Ich fand das Album nichts Besonderes und auch alle weiteren Versuche, eine Begeisterung für Lips und Co. zu entfachen, misslangen irgendwie. Das gilt auch für die letzten Alben der Band.

"One And Only" hingegen zappelt vergnügt durch meine Abspielgeräte. Hätte ich nicht erwartet, obwohl die Band stur an ihrem einst eingeschlagenen stilistischen Konzept festhält. Aber meiner Meinung nach klingt der Sound frischer und lebendiger. Daher kommen die gefälligen Kompositionen ziemlich gut zur Geltung. Das betrifft eigentlich alle zwölf Songs und grobe Ausfälle gibt es keine. Fazit: ein gutes Album, das mich vielleicht doch noch zum Amboss lockt.

Note: 8,0/10
[Frank Wilkens]

Man kann ANVIL ja eigentlich nur sympathisch finden, oder!? Ein paar total unverkrampfte und lebenslustige Typen, die auf dreckigen, schnellen Heavy Metal stehen und einfach ein bisschen Spaß haben wollen, sollten schon konsensfähig sein, zumindest unter den Freunden verzerrter Stromgitarrenmusik. Tatsächlich haben die ANVILschen Gute-Laune-Granaten aus den 1980ern, wie "Forged In Fire", "Strength Of Steel" oder "Pound For Pound", einen Ehrenplatz in meiner Vinyl-Sammlung. Deren Entstehung liegt nun also 35 bis 40 Jahre zurück. Auch die Tatsache, dass Lips und Robb einfach nicht kaputt zu kriegen sind und mit hörbar ungeminderter Begeisterung noch immer neue Platten einspielen, ist an sich erstmal positiv zu bewerten.

Natürlich hat das infernalische Duo - seit einigen Jahren verstärkt um Chris Robertson am Bass - anno 2024 nicht grundsätzlich verlernt, wie man einen gescheiten Metal-Song in die Plattform hämmert. Aber mal ganz ehrlich, Fränky: Die "gefälligen Kompositionen kommen ziemlich gut zur Geltung"? Das ist der freundlichste Euphemismus, den ich seit Jahren gelesen habe. Ich übersetze diese Aussage für mich in: Das Klangbild passt und triggert einzelne metallische Freudenimpulse, aber das Songwriting ist in etwa so spannend wie die drölfzigste Al Bundy-Wiederholung oder das Betrachten einer Waschmaschine im Schleudergang.

Das handwerklich ordentliche, aber seltsam verlangsamt wirkende Aneinanderreihen von Standard-Riffs, -Hooks und -Soli entlockt mir allerhöchstens noch ein wohlwollendes Kopfnicken, allerdings auch eher um das Gähnen zu unterdrücken. Wer eine weitere kreativitätsbefreite Nullachtfünfzehn-1980er-Style-Metalscheibe sucht, kann hier sicher nichts falsch machen. Die Freude darüber sei Euch von Herzen gegönnt. Aber ich bin dann mal weg, auf zu neuen Ufern.

Note: 6,0/10
[Martin van der Laan]

 

Martin scheint unter dem Strich schon recht zu haben. Ein bisschen. Jedenfalls mag es mir beim ungeduldigen Blick auf die numerische Coda der Rezension so deuchen. Die Herleitung des Verdikts indes verwirrt mich in mancherlei Hinsicht ein wenig. Dies liegt zum einen darin begründet, dass mir bereits die Rezeption der zitierten fränkyschen Beschreibung als freundlicher Euphemismus nicht so ganz eingehen mag. Wirkt sie mir doch eher als weniger freundlicher Antwortversuch auf die Frage: "Wie sag ich's meinem Kinde, dass das mit viel Liebe gemalte Bild gar nicht mal so fürchterlich schön ist?" Das wiederum beißt sich mit der doch sehr stattlichen Achtpunktewertung des Kollegen Wilkens, und wirft gleichermaßen die Frage auf, warum eine ihm bis hierhin egal gewesene Band ausgerechnet jetzt und mit diesem Album den Achter abräumt.

Puh, da fällt dir nichts mehr ein, oder? Sodann bemüht der Kollege Thunderlaan auch noch die Mutter des anspruchsvollen Humors und weckt Hoffnungen auf eine Offenbarung, welche die in Bezug genommene Musikschallplatte vielleicht gar nicht erfüllen kann. Denn mal ehrlich, was könnte man sich in Zeiten des verdorrten Frohsinns und des dahinsiechenden Komödiantentums mehr wünschen als die drölfzigste Wiederholung von "Married With Children"? Ja, ich sag's euch: Die einunddrölfzigste Wiederholung von "Married With Children", auf dass sie all die unsägliche Comedy aus dem Programm und dem Gehirn verdränge, die uns heutzutage so zugemutet wird. Und - um endlich mal zur Sache zu kommen - natürlich das einunddrölfzigste ANVIL-Album!

Mit selbigem belegen die Kanadier neuerlich bereits ungehört ihre poetische Brillanz durch Verarbeitung eines erklecklichen Maßes alliterativer Fügungen, die beileibe nicht nur den Albumtitel bereichern, sondern auch im weiteren Verlauf der Texte immer wieder lyrischen Eindruck schinden. Ansonsten ist es halt wie immer: Man wirft die Scheibe zum ersten Mal an, denkt sich: "Jo. ANVIL halt.", und kommt zunächst zu dem Schluss, dass das Leitmotiv des bereits erwähnten Dokumentarfilms, dass damals alle Bands den Durchbruch geschafft hätten, außer eben ANVIL, so zutreffend wie auch musikalisch begründbar ist. ANVIL macht damals wie heute seine Sache mit Verve, mit Leidenschaft, und handwerklich sehr fein, aber es fehlte halt immer an den echten Selling Points. Weder war man besonders extrem, noch besonders mainstreamig, weder besonders eigenständig, noch am Puls der Zeit, weder progressiv und anspruchsvoll noch catchy und chartskompatibel. Daran hat sich nicht viel geändert, außer vielleicht eins: Nach fünfundvierzig Jahren und zwanzig Studioalben ist es - unter den Eingeweihten - eben längst ein Trademark für sich geworden, einfach nur ANVIL zu sein.

Stefan hat es bereits gesagt: Seit 2016 ist diese Erkenntnis auch ausdrücklich von der Band selbst so abgesegnet. Wenn man das für sich so durchdekliniert hat und mit diesem Mindset "One And Only" noch ein paar weitere Durchläufe gönnt, dann weiß man die im gehobenen Midtempo groovenden, rifflastigen, hartrockenden und schwerrollenden Songs mit ihren reduzierten Refrains, dem röhrenden Gesang, dem wuchtigen Punch der Drums und den fetzigen 1960s-Style-Soli auch wieder zu schätzen. Mir war jede neue ANVIL-Scheibe einen Kauf wert, und das ist bei "One And Only" nicht anders, doch um ein "es ist halt, was es ist" komme ich auch nicht herum. Dessen ungeachtet sind Songs wie das Titelstück, das coole 'Heartbroken' oder das verdammt slayerig eingeleitete 'Condemned Liberty' halt schon feines Futter für die Alteisenfreunde unter uns.

Note: 7,0/10
[Rüdiger Stehle]



Liebe Leserinnen und Leser, glaubt mir, es fällt mir als ANVIL-Fan der ersten Stunde nicht leicht, diese Zeilen zu schreiben, aber die drei Ahornblätter sind mittlerweile berechenbarer als die Negativmeldungen in der Tagesschau. Ich beginne mal mein ANVIL-Review mit folgendem Satz unseres Chefs Marcel aus seinem Hauptreview: "Typischer könnte "One And Only" nicht klingen, typischer könnte ANVIL nicht agieren, typischer könnte diese bedingungslose Freundschaft unserer beiden Protagonisten nicht klingen."

So weit, so gut, könnte man meinen, doch weit gefehlt. Typischer könnte in diesem Fall leider auch durch beliebiger ersetzt werden. Ich war und bin ein großer Bewunderer und Fan von Lips und Robo, liebe die Doku "The Story Of Anvil" über alles, ziehe meinen imaginären Hut vor dem Durchhaltevermögen der beiden, habe alle Alben in meiner Sammlung und auch "One And Only" wird früher oder später den Weg in meine Sammlung finden, allerdings nicht aus musikalischer Überzeugung, sondern eher der Vollständigkeit halber, gell Rüdiger? Mit dem ermüdenden Opener und Titeltrack, gefolgt von der Videoauskopplung 'Feed Your Fantasy' mit seinem sich ständig wiederholenden Refrain, legt die Truppe gleich eine klassische musikalische Bruchlandung par excellence hin. Überhaupt hängen einem die sich dauernd wiederholenden Refrains in fast jedem Track ziemlich schnell zum Hals heraus. Beispiele gefällig? 'Truth Is Dying', Heartbroken', 'Gold And Diamonds' und 'Condemned Liberty'.

Da können auch die zwei flotten und gelungenen Titel 'Fight For Your Rights' und 'Blind Rage' nichts ändern. Trotz des kompositorischen Bemühens um Abwechslung im ANVIL-Universum hält der Dreher leider keinerlei Überraschungen für seine Hörer bereit. Das Dargebotene wird immer langweiliger, je länger das Album dauert. Weshalb am Ende meines Reviews trotzdem eine 6,5 Punkte-Bewertung steht, ist dem Können der drei Protagonisten an ihren Instrumenten, einer super fetten Produktion und dem Tragen meiner Fanboy-Brille geschuldet. Wer großen Wert auf Beständigkeit legt und die Alben seit "Anvil Is Anvil" gefeiert hat, wird wohl auch an diesem Album seine helle Freude haben. Wer damit aber schon so seine Probleme hatte und ANVIL mit der eigenen, musikalisch grandiosen Frühphase vergleicht, kann auf dieses Album sicher verzichten.

Note: 6,5/10
[Mahoni Ledl]

Fotocredits: Cliff Knese

Redakteur:
Thomas Becker

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