Gruppentherapie: ATHEIST - "Jupiter"

24.11.2010 | 14:21

Mit ihrem vierten Werk "Jupiter" knüpft die Florida-Legende ATHEIST schlappe 17 Jahre (!) nach dem letzten Studioalbum nahtlos an alte Glanztaten an. Diese Wahrnehmung wird auch durch die Meinungen unserer Redakteure widergespiegelt.


Gleich vorweg das Geständnis: Mit ATHEISTs früheren Alben habe ich mich nie im Detail befasst. Mal kurz hinein gehört und gut gefunden, dann wieder vergessen, verdrängt, verbummelt? Egal, denn es folgt die Erkenntnis: Es war ein Fehler! Denn mit ihrem vierten Studioalbum "Jupiter" beweisen die Death/Thrash-Techniker aus Florida, dass meine Einschätzung, dass mir die Band bestimmt zu anstrengend und unmelodisch sein würde, grundfalsch war. Klar, "Jupiter" ist alles andere als leichte Kost. Die Riffs sind messerscharf, fies, vertrackt und bisweilen erdrückend, die Rhythmen sind vertrackt und hinterhältig, das Spiel ist technisch wie dies selten der Fall ist, und doch kann diese Band bei mir auf ganzer Linie punkten. Das Geriffe der Herren Shaefer und Thompson ist einfach nicht von dieser Welt, und auch die giftig knurrende, aber stets nachvollziehbare und eigenwillige Stimme des Ersteren überzeugt mich auf ganzer Linie. Klar, die Songs kann ich noch immer nicht mitsingen, aber das hat bei WATCHTOWER oder DEATH auch stets seine Zeit gebraucht. Fazit: Ganz großes Kino für Freunde anspruchsvoller, technischer und doch nachvollziehbarer Extrem-Metal-Klänge; und noch mehr für diejenigen unter euch, die einfach ihre diebische Freude daran haben, wenn die Gitarren so richtig schroten und gewittern. Dann will ich mal auf die Suche nach den Alben eins bis drei gehen, und ihr holt euch am besten zum Einstieg gleich den "Jupiter" ins Haus.

Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]


Der Glasbruch-Death-Metal der neunziger Jahre. ATHEISTs Wieder-da-Album ist anzuhören, dass seine Musik kein Resultat einer Entwicklung der letzten eineinhalb Dekaden darstellt. Damals wurden in einem kleinen lauschigen Eckchen Tonfolgen durchgerechnet und gespielt. Dort, wo man befreit unter Gleichgesinnten angeben konnte, dort, wo Punkrock eine Beleidigung war. Aber die Zeit ist nicht gnädig und hat letztlich dafür gesorgt, dass "Jupiter" ohne visionären Charakter auskommen muss. Den zahlreichen Extrem-Musikanten, die momentan alles zubreaken, tritt Kelly Shaefers Band stilistisch eigenständig, aber altmodisch und deshalb so laut wie möglich entgegen. CONVERGE-Wahnsinnsgehacke nimmt sich im Vergleich als Dolce Vita für die Ohren aus, weil es mit besserem Klang in die Hirnströme springt. Ein Phongewaltstreich von Anfang bis Ende, der den JOB FOR A COWBOYs des Planeten ihre Instrumente um den Hals wickelt. Auch das Schlagzeug. 32 Minuten davon stellen lückenlos zufrieden. Bei dem Versuch, sich 'Fraudulent Cloth' oder 'Tortoise The Titan' über MP3-Player-Kopfhörer zu nähern, wird man die Murmel bald in die Fritteuse halten wollen, um Linderung zu erfahren; unter normalen Voraussetzungen huschen 'Live, And Live Again' und 'Second To Sun' in der Wahrnehmung ein Stück vor den Rest. Der Ensembleplatte fehlen weitere kompositorische Attraktionen dieser Art, um an CYNIC, THE FACELESS oder OBSCURA heranzureichen.

Note: 7,5/10
[Oliver Schneider]

Bereits die Ankündigung, dass die göttlichen ATHEIST Ende 2010 eine neue Scheibe veröffentlichen werden, führte bei mir zu einem steigenden Blutdruck und grenzenloser Freude. Gewiss: Durch die beiden hochtechnischen, auch heute noch sehr beeindruckenden Werken "Piece Of Time" (1989) und "Unquestionable Presence" (1991) sowie dem nur geringfügig schwächeren "Elements" (1993) liegt die selbst vorgelegte Messlatte für das künstlerische Schaffen der Band wahnsinnig hoch. Doch das kühne Unterfangen, alte Glanztaten in der selben Güte fortsetzen, ist der aus Florida stammenden Death/Thrash/Progressive-Band in beeindruckender Art und Weise gelungen. Mehr noch: "Jupiter" ist eine Genre-Klassiker geworden. Die fünf Ausnahmemusiker verschmelzen auf dieser Götterscheibe schichtenweise musikalischen Wahnsinn, der Jünger des technischen Death/Thrash kopfschüttelnd und mit gierigem Blick sabbernd überwältigen wird. Die knallharte Gitarrenfront rifft sich einen Wolf, bietet in ausgeklügelten Songs extrem gute Gitarrensoli auf und begeistert. Jonathan Thompson (Gitarrist auch bei GNOSTIC) hat im übrigen auch die sehr geilen Bass-Spuren aufgenommen. Alter Verwalter...dieser Mann hat es drauf! Auch die Schlagzeugarbeit von Chris Flynn ist in ihrer Vertracktheit und ihrem Anspruch unerreicht. ATHEIST spielen heute wie damals in einer völlig eigenen Champions-League und bieten derart viele Details in ihrem höchst anspruchsvollen Sound, so dass es auch nach 20 Hördurchläufen von "Jupiter" Neues in den ausgefeilten Liedstrukturen zu entdecken gibt. Und welche Band kann das schon von sich behaupten? Frickelige, Jazz-artige Momente sind häufiger zu vernehmen und wer bei Killersongs wie 'Second To Sun', 'Faux King Christ', 'Live And Live Again' sowie der sehr geilen Groove/Uptempo-Nummer 'Tortoise The Titan' als Genre-Fan nicht abgeht wie Schmidts Katze, dem ist eh nicht mehr zu helfen. Lange Rede, kurzer Sinn: "Jupiter" ist eine Genreklassiker geworden und für mich schon jetzt DAS Album des Jahres 2010 auf der Pole Position! Die geilste Hirnverknotung des Jahres!!!

Note: 10,0/10
[Martin Loga]



ATHEIST sind zurück. Ende der 80er/Anfang der 90er verzückten die Amis mit drei verjazzten, vertrackten, verdrehten, aber dennoch nachvollziehbaren Death-Metal-Alben die Szene und sorgten sogar dafür, dass ausgewiesene Death-Metal-Gegner wie der junge Herr K. daran gefallen fanden. Und auch heute sausen wieder alle Maulklappen gen Teppich, wenn "Jupiter" seine Runden dreht. Wie kaum eine zweite Band verstehen es die Herren ihren Frickel-Death in Songs zu packen, die einen nach drei, vier Versuchen nicht mehr loslassen und die man stellenweise gar mitsingen(!) kann. Glaubt ihr nicht? Dann hört einfach viermal hintereinander den Knaller 'Live, And Live Again' und ihr werdet zumindest den Chorus mitgröhlen. Versprochen. Natürlich wird "Jupiter" bei vielen Hörern so viele Knoten im Trommelfell hinterlassen, dass die am Ende nur noch hadernd die Schultern zucken. Aber wer grundsätzlich mit sehr technischem Death Metal, der auch mal jazzige Ausflüge unternimmt, glücklich wird, der schlägt hier eindeutig zu.

Note: 8,0/10
[Peter Kubaschk]


Es dauerte exakt fünfundvierzig Sekunden, bis ich mein breitestes Grinsen aufgesetzt hatte. Der Grund war, dass ich meine schlimmsten Befürchtungen quasi sofort ad acta legen konnte: Der Sound von "Jupiter" ist gut, und die Herren aus Florida haben nichts von ihrer Frickeligkeit verloren, die ihre drei bisherigen Alben, deren jüngstes immerhin schon über eineinhalb Jahrzehnte her ist, zu Aushängeschildern ihres Genres und der technischen Extravaganz machten. Ich will ganz ehrlich sein: nach etwa einem Dutzend Durchläufen tue ich mich immer noch schwer, Anspieltipps zu geben. Egal welcher Song läuft, er scheint immer ein Highlight zu sein, aber immer sage ich mir "muss ich noch öfter hören". In der Kürze der Zeit, die bleibt um das Album zu beurteilen und zu benoten, ist es leider nicht möglich, die Scheibe so oft zu hören wie ich möchte. Daher ist meine Note auch eher konservativ, soll heißen: Die Tendenz geht eher nach oben, aber das wird die Zeit zeigen. Und dass obwohl ich den Eindruck habe, dass "Jupiter" verhältnismäßig eingängig ist. Man muss es mindestens ein, zweimal weniger hören, um es gut zu kennen, als beispielsweise "Unquestionable Presence". Also nur gefühlte 371 Mal. Ich muss also noch 359 Durchgänge machen, bevor ich mitsingen kann. Na gut... jetzt noch 358... and counting...

Note: 8,5/10
[Frank Jaeger]


Nach dem, was das amerikanische Todesblei-Flaggschiff hier anno 2010 auf die ahnungslose Menschheit abfeuert, können sich ATHEIST-Anhänger die Finger lecken, da "Jupiter" einem schweren Gewitter gleicht, welches Zerstörung, Brutalität und blankes Chaos mit sich bringt und nur Kelly Shaefer und Co. auf diese Art und Weise hätten veröffentlichen können. Trotz längerer Schaffenspause (das letzte Epos "Elements" hat nun auch knappe 17 Jahre auf dem Buckel) haben es die Amis nicht verlernt, stark progressive und komplexe Spielweisen mit knüppelhartem Death Metal zu paaren. Im Gegenteil. "Jupiter" ist ein Monument, gespickt mit einem geilem Cover, einer lupenreinen Produktion und einer abgedrehten Spielfreude. Sicherlich ist Progressive-Death-Metal nicht für Jedermann etwas, doch diejenigen, die sich unverschlossen in die Welt ATHEISTs begeben, werden an den acht Kapiteln der Scheibe ihre Freude haben. Ob nun mit 'Ficticious Glide', dem stark variierenden 'Second To Sun', dem thrashigen 'Live And Live Again' oder dem von Durchlauf zu Durchlauf stetig wachsenden 'Faux King Christ'. Eines ist jedoch sicher: Für die einen ist es Anarchie und Konfusion pur, für die anderen jedoch ein durchdachtes, detailverliebtes Dunkel-Konzept, welches sich nahtlos in die Reihe seiner Vorgänger einreiht und nah an deren Klassikerstatus kratzt.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]


Eine ausführliche Einzelrezension zu "Jupiter", die unser Redaktionskollege Holger Andrae verfasst hat, findet ihr hier.

Redakteur:
Martin Loga

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