Gruppentherapie: CRADLE OF FILTH - "The Screaming Of The Valkyries"
12.04.2025 | 19:59Ein Vampir zwischen Micky Maus und ED SHEERAN.
Manchmal ist die Welt komisch. Wir haben JETHRO TULL im Soundcheck, aber nicht CRADLE OF FILTH. Doch das neuen Album "The Screaming Of The Valkyries" hat unsrem Timo sehr gut gefallen und so fragen wir nun mal in unserer Redaktion herum, ob man mit Timos Meinung mitgeht oder ob man CRADLE OF FILTH musikalisch eher zwischen Micky Maus und ED SHEERAN einsortiert. Ach, ein Soundchecker kannte Ed Sheeran nicht, fragt sich nur, ob er auch nach Micky Maus googeln musste...
Was haben ZZ TOP, AC/DC, MOTÖRHEAD und CRADLE OF FILTH gemeinsam? Sie dürfen immer die gleichen Alben veröffentlichen und das macht rein gar nichts. Im Falle CRADLE OF FILTH ist es mit "The Screaming Of The Valkyries" dieses Mal eine Art Best-Of geworden, denn atmosphärische Passagen, Raserei, Gothic, Black Metal und traditioneller Metal halten sich konsequent die Waage.
Das Album lässt sich munter durchhören, ein labyrinthischer Genuss halbirren Herumrennens, denn immer ist klar: Auch wenn wir Türen hinter uns schließen, Portale verriegeln, Dachböden entlang hetzen oder über Balustraden klettern, Dracula und seinen Schergen werden wir niemals entkommen.
Mir sagen ja auch die innehaltenden, eher einschmeichelnden Tonlagen zum Beispiel in 'Non Omnes Moriar' zu, wenn Fledermäuse, Eulen und Perückenträger sich kurz sammeln, um der Frau in Weiß Referenz zu erweisen. Keine Sorge, danach geht es gleich weiter mit der Flucht die Wendeltreppen hinab, an der riesigen Wanduhr vorbei, am schwarz gerahmten Spiegel - ist der so blind, dass wir uns darin nicht erblicken können und die Kellertür, war die vorhin auch schon geöffnet?
Süße Frauenzimmer in wallenden Gewändern trällern verführerisch, wir glauben zu träumen und instinktiv fragen wir uns, sind wir noch wach? Und was ist das Klebrig-Süßliche, das da lauwarm an unserem pochenden Schwanenhals hinabläuft? Von wegen Traum - wir sind für immer Untote und das macht ekstatische Freude, mehr als wir uns hätten träumen lassen. Das opulent-barocke Gehämmer mit den zackigen Soli und Danis giftige Stimmlage treiben uns vorwärts, immer weiter ins Innere Transsylvaniens.
Mit 'Demagoguery', 'You Are My Nautilus' und 'Ex Sanguine Draculae' hat man wieder richtig hingelangt. Der Rest ist auch ziemlich fein, Steak blutig halt, logisch.
Note: 9,0/10
[Matthias Ehlert]
Dani, wir müssen reden. Eigentlich wollte ich mich lauthals beschweren, denn jetzt habe ich fast eine komplette Stunde dein neues Album gehört und sitze frustriert in meinem Sessel. Wo ist der versprochene ED SHEERAN-Song? Ich höre den britischen Singer-Songwriter nämlich ab und zu ganz gerne – etwas, was ich über CRADLE OF FILTH nur bedingt sagen kann. Klar, "Midian" von 2000 war richtig klasse und läuft immer noch zuweilen. Das liegt aber eher am thematischen Überbau und meiner Liebe für Clive Barker.
Wo ist nun also dieser Collaboration-Mindfuck, den ihr ständig befeuert habt? Ich bin geneigt dir meine Zeit für diese Stunde in Rechnung zu stellen. Aber ich muss gestehen, ich bin weniger verbittert als erwartet. Auch ohne den Pop-Titan oder andere großartige Experimente hat "The Screaming Of The Valkyries" mir doch deutlich mehr Spaß gemacht als ich gedacht hätte. Sicherlich ist das überall noch dieser Patchwork-Teppich aus schwülstigen, barocken Gothic-Fantasien, Black Metal aus der Retortenkiste und symphonischen Versatzstücken von der THERION-Resterampe, aber verdammte Axt im Kopf der Jungfrau, dass sind ja richtig kleine Hits, die du da aufgenommen hast. Hat dir Ed nebenbei Songwriting-Tipps gegeben?
Nahezu jeder Song hat bei aller Aggressivität ein Gespür für Eingängigkeit und prägnante Melodien, Riffs und Hooks. Dazu eine Produktion, welche die Black-Metal-Puristen eurer ersten drei Alben zwar wieder direkt in die Gruft kickt, dafür aber für den Rest der Gesellschaft erste Sahne sein sollte. Und dann dein Gesang, Freundchen. War der jemals so variabel und gut? Du lässt die Mickey Maus relativ wenig von der Leine und schaffst es mich sogar über eine so lange Spielzeit gut zu unterhalten.
Somit gibt es von mir sehr starke 7,5 Punkte. Hättest du mir jetzt noch das versprochene Duett geliefert, hätte hier sicherlich eine Acht gestanden. Oder ist der Song so schlecht geworden? Dann schick ihn mir einfach heimlich per Mail oder ruf mich kurz an, wenn er dir peinlich ist. Dann besprechen wir den Rest im Pub oder auf dem Friedhof, was dir lieber ist, Dani.
Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]
Zwei Kollegen, zwei Meinungen und beide liegen irgendwie doch falsch. Matthias' Einleitung und die darin enthaltene Aussage, die CRADLE OF FILTH als unveränderbaren Stahl-Monolithen der Marke AC/DC zeichnet, kann ich so nämlich nicht unterschreiben, denn bereits seit "Hammer Of The Witches" findet ein durchaus wahrnehmbarer Wandel bei Dani und seinen Mistreitern hin zu mehr Einprägsamkeit und Eingängigkeit statt. Was mich dann auch direkt zu Stefan bringt, denn hier klingt es plötzlich so, als kämen die plötzlich fester angeschraubten Ohrwurm-Schraubzangen von der - auch von mir übrigens schmerzlich vermissten - Zusammenarbeit mit ED SHEERAN, von der sie aber wohl kaum motiviert wurden.
Im Gegenteil, "The Screaming Of The Valkyries" ist für mich der logische nächste Schritt in einer kontinuierlichen Entwicklung, bei der die typischen Gothic-, Black- und Symphonic-Metal-Elemente mit einer gehörigen Portion Heavy Metal zu einem herrlichen Cocktail gemischt werden, der seltener in die Exzentrik abdriftet, sondern sich stattdessen primär auf Einprägsamkeit, tolle Melodien und wirklich abwechslungsreiches Songwriting besinnt. Die Folge daraus ist, dass man Ausfälle in der neun Songs umfassenden Trackliste vergeblich sucht und ich eher meine liebe Mühe und Not habe, euch ein paar Anspieltips mit auf den Weg zu geben. Das coole 'Malignant Perfection' mit seinen tollen Leads und das flotte und mit Thrash-Anleihen gewürzte 'The Trinity Of Shadows' möchte ich allerdings trotz gleichbleibend hoher Qualität herausstellen, weil sie doch bisher die meisten Wiederholungen in meinem Player gesehen haben. Am Ende gehe ich dann auch noch einen halben Zähler über Matthias' Wertung und gebe 9,5 Punkte für ein wirklich unterhaltsames und toll komponiertes Album, das mit Sicherheit meine Jahrescharts knacken wird.
Note: 9,5/10
[Tobias Dahs]
Ich kenne viele Alben von CRADLE OF FILTH nicht, weshalb ich nicht, wie Kollege Tobias, von einem "logischen Schritt einer kontinuierlichen Entwicklung" sprechen kann. Wo ich ihm jedoch zustimmen muss, ist, dass ich CRADLE OF FILTH selten so heavy gehört habe, wie auf "The Screaming Of The Valkyries". Allerdings bin ich mir auch nach mehreren Hördurchgängen noch immer nicht schlüssig, wie gut ich es denn tatsächlich finde. Mir persönlich wäre ein höherer Anteil an Black Metal, wie zu "Midian"-Zeiten deutlich lieber. Aber dass diese Zeiten mehr oder weniger vorbei sind, hat sich auch bis zu mir herumgesprochen.
Ja, ich weiß, die letzte Scheibe "Existence Is Futile" war Teil unseres Soundchecks im Oktober 2021 und auch ich habe die Scheibe sehr gut bewertet und müsste es daher selber wissen, aber auch wenn ich die Scheibe damals abgefeiert habe, ist sie mir nicht sonderlich im Gehör geblieben.
Aber zurück zur aktuellen Platte: Objektiv betrachtet bietet "The Screaming Of The Valkyries" viele Argumente, die Tobis Begeisterung erklären. Aber Musik kann man höchst selten rein objektiv beurteilen und ich bemerke zwar ein gewisses Gefallen des Gehörten, aber so richtige Begeisterung und Euphorie verspüre ich leider nicht. Wo ich dem Tobi aber erneut zustimme, ist bei der Aussage, dass 'Malignant Perfection' cool ist. Der Track ist mir bislang am besten in Erinnerung geblieben und wird sicherlich noch des Öfteren bei mir laufen. Ob es die Platte in meine Jahrescharts schaffen wird, bezweifle ich aktuell dann doch stark. Ich bin mir ja noch nichtmal schlüssig, ob ich "The Screaming Of The Valkyries" in meine häusliche Sammlung aufnehmen werde.
Note: 7,0/10
[Mario Dahl]
Es waren seinerzeit die Engländer, die mir mit ihren ersten beiden Alben und besonders der "Vempire"-EP den unheiligen Weg in die blasphemische Welt des Black Metal geebnet und mir gezeigt haben, dass es da draußen weit mehr zu entdecken gibt als Heavy-, Thrash-, US- und Doom-Zeug, dem ich damals überwiegend verfallen gewesen bin. Die besagten ersten Werke rotieren hier noch immer relativ häufig, während der sich bereits auf der "Cruelty And The Beast" abzeichnende Weg mich immer weiter von der Band entfernen ließ.
Die "Midian" war dann glaub ich auch die letzte Scheibe, in die ich nochmals hineingelauscht habe. Den dann folgenden Symphonic-Gothic-Kitsch-Klimbim habe ich lediglich noch so mit einem Viertel der Ohren zur Kenntnis genommen, weshalb ich davon ausging, hier in der Gruppentherapie den Quoten-Miesepeter geben zu dürfen.
Leider wird daraus aber leider nichts, denn die aktuelle Platte gefällt mir weit besser als erwartet, wer hätte das gedacht?! Die Riffs braten richtig schön fett und die Gitarrensoli zersägen Stahl und Beton, fast wie in alten Zeiten. Dazu des Meister Filth' Stimmorgan, welches durch seine durch Mark und Bein gehenden "Micky Maus"-Urschreie noch immer in der Lage ist, ganze Häuserblöcke in sich zusammenstürzen zu lassen. Irgendwo und irgendwann tiriliert wie gehabt eine Vampireuse (bzw. die neue Sängerin Zoe Marie Federoff), ohne dass mich dies allerdings zu sehr nervt und an Black-Metal-Operetten für Arme denken lässt.
Überhaupt steckt die Platte voller Ideenreichtum, Detailtiefe, toller Melodien und so mancher schon fast progressiv anmutenden Takt-Pirouette. Überbordender Pathos, cheesy Songpassagen, Keyboardkleister: bis auf ganz wenige Ausnahmen zum Glück nicht vorhanden.
So, all together: Für mich bisher eines der Überraschungsalben des Jahres. Ich hätte nicht gedacht, dass Filth und seine Blutsauger-Bande noch einmal so gekonnt die Kurve kriegen würden. Nicht ganz so euphorisiert wie die Kollegen Matthias und Tobias, sondern eher nüchtern freudig überrascht lässt mich das Album zurück, womit ich mich im Großen und Ganzen tendenziell eher im Team Stefan/Mario sehe.
Note: 8,0/10
[Stephan Lenze]
Leute, das ist schon seltsam mit euch. Matthias spricht davon, dass in der schmutzigen Wiege immer dasselbe Balg geschaukelt werde und erzählt uns von Vampiren, wo der Albumtitel doch von Walküren redet. Stefan indes berichtet uns von transmetallischen Wesenheiten, nach denen ich erst einmal diverse Lexika befragen muss. Eine gescheiterte Kooperation mit einem Statisten aus "Game Of Thrones" wird hier also beklagt? Aha. Demnächst kommst du mir noch mit Samson, dem sadduzäischen Ochsen und Spencer Tracy. Tobi und Lenze indes, ich spüre, wo ihr herkommt, auch wenn ich ganz woanders herkomme. Bei mir hat nämlich CRADLE OF FILTH sicher nicht die Tore zum Black Metal eröffnet, sondern eher wieder zugeschlagen. Wer seine schwarzmetallische Feuertaufe mit "Norge 1992" erlebt hat, der hatte - schon der eigenen gefühlten Wahrhaftigkeit wegen - bei Vampirtheater, Gothic-Anflügen, Fledermaus-Gefiepe und überbordendem Bombast nämlich recht schnell professionell zu viel, und so war für mich CRADLE OF FILTH ab initio ein eher skeptisch beäugtes Faszinosum.
Da ich aber auf der anderen Seite eine durchaus große Schwäche für eigenwillige und charismatische Künstler habe, die ihr Ding unbeirrt davon durchziehen, ob sie die Szene für Helden oder Poseure hält, hat mich eben dieses Faszinosum auch nie so ganz ungerührt zurückgelassen. Seit einigen Jahren indes, speziell seit der Venus und dem Hexenhammer, ist aus dieser distanzierten Anerkennung doch ein wenig mehr geworden; viel mehr sogar. Seit Dani Filth und seine Truppe ihr ureigenes Oeuvre mit zunehmend klassisch-metallischen Leadgitarren bereichern, so auch mächtig an Heaviness und Prägnanz gewinnen, und auch auf der kompositorischen und produktionstechnischen Ebene bestechend arbeiten, hat es endgültig Klick gemacht, und ich habe nach und nach meine Kollektion vervollständigt, die nach der klassischen Alben-Quadriga Lücken bekommen hatte.
So war nun tatsächlich "The Screaming Of The Valkyries" die erste Scheibe von CRADLE OF FILTH, der ich ernsthaft entgegen gefiebert habe, und die am Veröffentlichungstag in die Sammlung gewandert ist. Was soll ich sagen? Sie erfüllt die Erwartungen auf ganzer Linie, vor allem auf der Ebene der wunderbaren Leadgitarren und der vollendeten Meisterschaft in der kompositorischen Disziplin. Black Metal hin, Gothic Metal her: Es erfordert anno 2025 in beiden Genre irre viel Talent und Vision, eben nicht nur generisch gut zu arbeiten und die Zielgruppengänger angemessen zu bedienen, sondern darüber hinaus auch seinen unverkennbaren Bandcharakter zu pflegen, ohne langweilig zu werden. Wenn dabei dann gleichzeitig jeder einzelne Song mit bleibenden Hooks versehen ist, dann gelangen wir in Bereiche, wo die Luft für die Mitanbieter dünn wird, und genau das gelingt CRADLE OF FILTH mit dieser Scheibe auf ganzer Linie. Eben deshalb gehört sie für mich zu den fraglosen Highlights des ersten Quartals, das sich bis hierhin allein hinter der neuen SACRIFICE einreihen muss und hinter sonst niemandem.
Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]
Einigermaßen überrascht hat mich "The Screaming Of The Valkyries" nach den ersten Durchläufen zurückgelassen. Ich habe gegen CRADLE OF FILTH noch nie die allergrößte Abneigung verspürt, finde aber nur das Frühwerk und ganz besonders die "Dusk And Her Embrace" hervorragend. "Existence Is Futile" lief vor ein paar Jahren aus Neugierde ein oder zweimal, wovon absolut gar nichts hängen geblieben ist.
Beim aktuellen Album hingegen beschleicht mich das Gefühl, dass das etwas anders aussehen kann, da den Engländern hier einige ausgeklügelte Ohrwürmer gelungen sind. Viele der Songs kommen nicht nur mit einem stark geschriebenen Refrain oder einer Hook daher, sondern bieten gerade was die Gitarren angeht feine Riffs, Leads und Soli, die die einzelnen Tracks veredeln. Die Thrash-Metal-Anleihen halten sich dabei mit den melodischen Anflügen die Waage und auch die weiteren Elemente im Sound fügen sich brillant ein.
Ich bin indes froh, dass die Kooperation mit ED SHEERAN nicht auf dem Album gelandet ist, weil die neun Songs so in sich eine Einheit bilden und es keine allzu großen stilistischen Ausreißer gibt, auch wenn die verschiedenen Kompositionen abwechslungsreich genug gestaltet sind, um sie sofort auseinanderhalten zu können. Als Kritikpunkt, der aber auch schnell wieder entkräftet werden kann, fällt mir die moderne und saubere Produktion auf. Black Metal darf auch gerne weniger klar klingen, auch heutzutage. Aber damit kommt man wohl mit einem größeren Label im Rücken und dem Selbstanspruch auch heute neue Fanscharen anzuziehen, eher nicht durch.
Note: 8,0/10
[Kenneth Thiessen]
Fotocredits: Jakub Alexandrowicz / Napalm Records
- Redakteur:
- Thomas Becker