Gruppentherapie: CRYPT SERMON - "The Stygian Rose"

10.07.2024 | 00:12

Tasty Riffs ohne Ende!

Stephan Lenze wundert sich in seinem Hauptreview zu "The Stygian Rose", dass CRYPT SERMON nicht einmal der doomigen Zielgruppe ein Begriff ist. Nun, dann lasst uns doch das Beste tun, um dies zu ändern! Ein Interview mit Sänger Brooks Wilson gibt es ja schon. Auch in der folgenden Gruppentherapie gibt es ausschließlich lobende Worte, denn nicht einmal die "Miesepeter" vergeben weniger als acht Punkte. Dass das Album das Stockerl des Juni-Soundchecks knapp verpasst, muss also ein Versehen sein, oder?



Wieso ist diese Band noch nicht viel größer? Auch ich stelle mir diese Frage seit langem, denn nach PROCESSION (kommt da eigentlich nochmal was?) gibt es für meine Begriffe keine Nachwuchs-Doom-Band, die so starkes Material auf die Welt losgelassen hat wie eben CRYPT SERMON. Selbst Besetzungswechsel und Covid konnten die Band nicht stoppen, uns ein Meisterwerk wie "The Stygian Rose" auf die Ohren zu geben. Ganz ähnlich zu PORTRAIT steht CRYPT SERMON bei mir so hoch im Kurs, weil die Amis sich nicht zu eng in ihr Doom-Korsett einschnüren, sondern beinahe die gesamte Klaviatur der Spielart für sich nutzen. Mich würde es auch nicht wundern, in Zukunft Death- oder Funeral-Doom-Anleihen im Sound wiederzufinden.

Doch zurück zur Rose. Mir gefällt die Dramatik des Albums wahnsinnig gut. Man höre sich einmal 'Thunder (Perfect Mind)' an, wo Songaufbau, Gesangsmelodie und Texte ganz wunderbar miteinander zeigen, dass das große Ganze eben doch mehr ist als nur die Summe seiner Teile. Dass das kreative Konzept mitsamt authentischem Artwork, das Sänger Brooks Wilson selbst gemalt hat, ein wenig nach dem Diamantenkönig duftet, ist natürlich ein netter Bonus. Noch dazu hat sich eben jener Brooks Wilson auch als Sänger noch einmal gesteigert, nicht nur das starke 'Scying Orb' zeigt seine Schokoladenseite. Jetzt bleibt nur noch die Bitte, mit dem nächsten Album schneller um die Ecke zu kommen und ganz bald auf europäischen Bühnen zu zeigen, wo der Doom-Frosch die Locken hat.

Note: 9,0/10
[Nils Macher]

 

Ich höre CRYPT SERMON mit ähnlicher Begeisterung wie Nils. Als ich 2019 über das Vorgängeralbum "The Ruins Of Fading Light" gestolpert bin und das Album mal eben auf Rang 14 meiner Perlen-Liste eben diesen Jahres landen konnte, war es schnell um mich geschehen. Die herzerfrischend-mitreißende Art, mit der das Quintett aus Philadelphia seine tonnenschweren Riffs über den Hörer ergießt, ist so erhaben, dass ich diesem neuen Album lange entgegen gefiebert habe. Da war der erste Durchgang dann wohl von so einer hohen Erwartungshaltung begleitet, dass ich erstmal etwas irritiert war, da das aktuelle Material etwas kauziger um die Ecke rollt als die Songs der Vergangenheit. Die durchs Artwork geschaffene Parallele zu Bands wie MANILLA ROAD schien auch musikalisch Einzug gehalten zu haben, da die sechs langen Songs allesamt etwas verschachtelter sind als man es bisher gewohnt war.

Was mich aber sofort wieder in den Bann gezogen hat, ist der kehlig-kraftvolle Gesang von Brooks Wilson, der sofort mitten ins Herz greift. Außerdem hören wir erneut diese wunderbar gurgelnden Gitarren-Riffs, die wie tiefrote Lava aus den Boxen schwappen. Mit diesen Ankern im Ohr habe ich schnell weitere Durchläufe unterm Kopfhörer absolviert. 'Thunder (Perfect Mind)' ist dann sofort zum ultimativen Hit geworden, während der elf Minuten lange, abschließende Titelsong gewiss mit den Jahren zum Genre-Klassiker werden wird. Eingeleitet von sanften Piano-Klängen mutiert diese Mammut-Nummer schnell zu einer sich immer höher auftürmenden Notenwand, die schlussendlich das komplette Bewusstsein des Hörers einlullt. Ganz großes Ohren-Kino!

Ob ich Death- und Funeral-Doom-Elemente hören möchte, vermag ich heute noch nicht klar beantworten, denn in seltenen Momenten kann ich oller Hochglanz-Doomster auch mit solchen Stil-Varianten etwas anfangen. Dass die Jungs noch mehr Vielfalt auf hoffentlich bald erscheinenden Alben zeigen werden, glaube ich allerdings ebenfalls. Insgesamt ein Monats- und Genre-Highlight, bei dem ich mich frage, was einige Kollegen mit deutlich niedrigeren Noten da gehört haben. Das teils genannte Argument, man würde keinen Doom mögen, lasse ich hier nur bedingt gelten, da die Jungs keinen typischen Trauerweiden-Metal spielen und erneut vor allem die Melodien komplett faszinieren. Aber gut: andere Ohren, andere Meinungen.

Note: 9,0/10
[Holger Andrae]

 

Aller guten Dinge sind offenbar drei. Die sechs Herrschaften aus Philadelphia haben vor knapp fünf Jährchen mit "The Ruins Of Fading Light" ein Album kredenzt, das mir vor allem im Nachgang unheimlich viel Freude bereitet hat. Entsprechend hoch war die Messlatte, die CRYPT SERMON und "The Stygian Rose" aber locker erreichen. Und ihr kennt das, manchmal merkt man, dass in den Songs noch weitaus mehr schlummert, als man bei den ersten Durchgängen vermutet.

Richtig, unter der Oberfläche ihres dritten Streichs brodelt es gewaltig, haben die Musiker ihren epischen, so hingebungsvollen Doom Metal doch noch weiter verfeinert und liefern ein Album ab, das sich von vorne bis hinten vor Highlights kaum retten kann: Die Melodiebögen werden bis aufs Äußerste ausgereizt, die Epik lässt anmutig keinerlei Wünsche offen und mit dem Titelstück sowie 'Glimmers In The Underworld' haben es auf Anhieb gleich zwei Songs in mein Herz geschafft. Meine Güte, wie herrlich sich Brooks' Gesang mit dieser vielschichtigen Dramaturgie und einer elfengleichen Eleganz zu Höchstleistungen pusht.

"The Stygian Rose" macht beinah schon süchtig und ist ein Freudenfest für Freunde ehrlichen, epischen, schweren Doom Metals mit vereinzelten Sonnenstrahlen zwischen dichten Wolkendecken.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Doom Metal ist schon so ein bisschen wie Whisky. Das Getränk hat auch eine eigene, spezielle Note und trainierte Geschmacksknospen, Erfahrungen mit der Materie und ein feines Näschen helfen enorm die Qualität richtig einordnen zu können. Dreimal neun Punkte für "The Stygian Rose" ist schon mal eine Ansage und zeugt von einem offensichtlich ganz edlen Produkt.

Leider ist Whisky so gar nicht mein Geschmack und ähnlich verhält es sich auch mit Doom Metal im Generellen. Aber nun denn – ich teste für mein Leben gerne und lasse mich auch davon überzeugen mich mal wieder auf was Neues einzulassen. Und ja, was CRYPT SERMON hier zusammenzaubert, ist schon klasse. Durchweg alle Tracks verlieren sich nicht in ihrer Langsamkeit, sondern variieren das Tempo ziemlich angenehm und bleiben somit deutlich länger interessant als der Genre-Durchschnitt. Die präsenten Melodien sind feine, fast milde Begleiter in jedem Song und finden hier auch den für mich optimalen Weg zwischen Subtilität und In-Your-Face-Attitüde.

Dass die US-Amerikaner das Ganze, um mal beim Whisky-Vergleich zu bleiben, mit tasty Riffs ohne Ende versehen und auch den Sound ungemein torfig klingen lassen, rundet schlussendlich ein überraschend positives Werk für mich ab. Da die Band es geschafft hat, sogar eine Titelstory in der aktuellen Ausgabe des amerikanischen DECIBEL-Magazins (Print) zu bekommen, zeugt davon, dass die Truppe größer werden wird und auch für Randhörer dieser Sparte interessant sein sollte. Mir fallen zwar in jedem Track auch noch ein paar kleinere Ergänzungen oder Nuancen ein, die man verbessern oder durch artfremde Einflüsse aufwerten könnte, aber man kippt ja auch keine Coke in den Whisky, nicht wahr? Slàinte Mhath!

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Bei gleicher Note gewinnt CRYPT SERMON für mich persönlich das Foto-Finish des Juni-Soundchecks vor den ebenfalls überragenden Kollegen von EVERGREY, weil mir "The Stygian Rose" noch mehr musikalische Intensität und kompositorische Spannungsbögen zu bieten hat als "Theories Of Emptiness". Was sich auf dem mitreißenden 2019er-Album "The Ruins Of Fading Light" bereits andeutete, hat CRYPT SERMON nun zu edler Reife und Klasse gebracht. Tatsächlich wächst die Band mit "The Stygian Rose" weit aus der Epic-Doom-Schublade heraus und reichert die neuen Songs sehr geschickt mit druckvollen Power- und filigranen Progressive-Metal-Parts an. Dieses Wagnis gelingt deshalb so brillant, weil das Klangbild sehr fein austariert ist, straffe und punktgenaue Arrangements die Songs zusammenhalten und die Kompositionen selbst exakt auf den Punkt treffen. CRYPT SERMON weiß ganz genau, wann und wo ein Break zu stehen hat, wie man kurze und knackige Breitwandelemente unterwebt ohne die Songs zu überfrachten und wie man von dort wieder in einen dieser genretypisch leidenden CANDLEMASS-Momente zurückfindet.

"The Stygian Rose" ist ein kompaktes und schlüssiges Stück tolle Musik geworden, das in besonders starken Momenten an die legendären (MORGANA) LEFAY erinnert - hört Euch nur mal die Bridge und den Chorus von 'Heavy Is The Crown Of Bone' an. Hier gibt es gar nichts zu meckern und eine Top-Note ist natürlich Pflicht. Dabei vermute ich, dass "The Stygian Rose" noch weiter wachsen und in einigen Wochen oder Monaten vielleicht sogar an der Klassiker-10 kratzen wird.

Note: 9,0/10
[Martin van der Laan]

 

Also, noch eine Neun braucht man hier ja nicht. Ich kenne CRYPT SERMON auch seit Jahren. Ein Bekannter hat mir mal das Debüt geschenkt, weil ich ihn auf ein Festival gefahren habe. "The Stygian Rose" hat natürlich viele Stärken, die hier schon erwähnt worden sind. So ganz in die Jubelarien kann ich mich aber (noch) nicht einfügen. Denn mir bleibt bei den bisherigen Spins noch etwas zu wenig hängen. Das ist natürlich schon stark gemacht und profitiert gerade vom intensiven Gesang. Auch die Gitarrenarbeit sagt mir zu. Manchmal ist es mir aber einen Tick zu viel Gaspedal-Getrete, da dürfte für mich noch mehr Langsamkeit regieren. Und die Hitdichte - das können manche andere doch noch etwas besser.

Also: Guter Doom ist das 2024 ohne Zweifel, aber für die alleroberste Genre-Spitze fehlt noch ein bisschen. Außerdem wäre es ja langweilig, wenn alle in dieser Gruppentherapie die Scheibe völlig großartig fänden. Ich spiele also mit Stefan den "Miesepeter" - aber doch auch auf hohem Niveau.

Note: 8,0/10
[Jonathan Walzer]

Fotocredits: Scott Kinkade

Redakteur:
Thomas Becker

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