Gruppentherapie: ENDSEEKER - "Global Worming"

02.11.2023 | 11:45

"Schmissig ohne Ende" oder "kompositorische Seifenblase"?

Jetzt kommen wir also zu den Scheiben, die sich im Oktober-Soundcheck vor "Dark Parade" von CIRITH UNGOL platzieren konnten. Dass eine davon von den Death-Metal-Puristen ENDSEEKER kommt (zum Interview mit Ben und Jury), ist nicht nur für den Autor dieser Zeilen erstaunlich. Es ist ja nicht einmal wie etwa SULPHUR AEON "Death Metal für Menschen die Death Metal nicht mögen" (Zitat aus Jakob Schnapps Beitrag zur SULPHUR AEON-Gruppentherapie). Dann muss "Global Worming" (zu Mario Dahls Rezension) schon richtig guter Stoff sein! Oder?




Und wieder ist ENDSEEKER eine Sprosse der Leiter weiter nach oben gesprungen. War "Mount Carcass" schon toll, kann "Global Worming" den Vorgänger nochmals übertreffen, weil es doch etwas düsterer und punkiger ausgefallen ist und daher mit noch mehr Spitzigkeit und Rotz daherkommt. 40 Minuten lang ballert die Platte auf Teufel komm raus, bockt ungemein und zollt der alten Schule des Death Metals sehr geschmackvoll Tribut.

Heutzutage tut solch eine Zuverlässigkeit - vier Alben in zehn Jahren, gleiches Line-up - einfach gut und dazu passen das geniale Titel-Wortspiel mit diesem schwarzweißen Old-School-Artwork, ein von Eike Freese für ENDSEEKER perfekt inszenierter Sound und Songs, die schlichtweg unter die Haut gehen. 'Violence Is Gold' ist brutal as hell und eine Death-Metal-Hymne vor dem Herrn, 'C.B.V. (Cunt Blood Vampire)' – die Geschichte eines recht einzigartigen Vampirs – ist schmissig ohne Ende und 'Hell Is Here' schlägt sehr ernste Töne an - um nur drei Highlights aus diesem geschmackvollen Spagat zwischen Finger in der Wunde und leichtem Augenzwinkern zu verraten. Man merkt aber in jeder einzelnen Sekunde, wie viel Spaß ENDSEEKER bei den Aufnahmen zu "Global Worming" hatte und das überträgt sich natürlich auch auf das Hörvergnügen. Weiter so!

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

Ich lese also zum wiederholen Male die positive Würdigung von Marcel hier und das ausführliche Review von Mario und genieße den wieder einmal großartigen Pommesgabel-Podcast zum Oktober-Soundcheck. Inspiriert davon und durchaus bereit mich nachträglich bekehren zu lassen, höre ich also noch einmal rein in "Global Worming" von ENDSEEKER.

Ich mag gerade schwedischen Death Metal ja sehr und habe auch schnell freundlichen Erstkontakt zu diesem Album aufgenommen. Sehr schöne, schrammelige ENTOMBED-Gitarren höre ich da, eine wohl dosierte Portion Death'n'Roll-Rotzigkeit, guter Start, mal sehen, was noch kommt. Zweiter, dritter, vierter Song, irgendwie immer wieder dasselbe, gefällig ist das allemal, aber was soll mich da bitteschön besonders packen oder herausfordern oder sonst irgendwas Euphorisches erzeugen? ENDSEEKER macht handwerklich und sogar atmosphärisch ziemlich viel richtig, aber - sorry, Jungs - diese Truppe kann einfach keine mitreißenden Songs schreiben! Wo mir bereits genannte ENTOMBED oder UNLEASHED früher einfach mal elegant die Eier abgerissen haben, höre ich hier nur kompositorische Seifenblasen. Sogar ein hilfloser Ausflug Richtung ASPHYX, wie in 'Wheel Of Torture', kann eben jenes Rad nicht herum reißen.

Wie ich es an ganz anderer Stelle, nämlich bei PRONG, in diesem Monat schon einmal angemerkt habe (nachzulesen in der Gruppentherapie von PRONGs "State Of Emergency"): Hier stimmt handwerklich alles, aber die Kreativität und das Songwriting lassen doch einiges zu wünschen übrig. Wem das reicht, dem will ich die Feier nicht verderben. Aber die derzeitige Death-Metal-Landschaft blüht so üppig, dass dieses Mauerblümchen zumindest bei mir keine Chance hat.

Note: 6,5/10
[Martin van der Laan]

Das Powermetal.de-Soundcheckteam ist echt "härter" geworden. Wieder stehen Alben aus den eher extremen Stilen vorne, diesmal mit einer Death-Metal-Schlagseite. Das führt dazu, dass Softies wie ich auch mal wieder ein Ohr riskieren. Das Erlebnis mit SULPHUR AEON war schon ganz okay, auch wenn ich das wohl nach unseren Gruppentherapien nicht wieder auflegen werde. Und ENDSEEKER?

Nun, die Band hat hier schon eine gute Serie an Höchstnoten eingeheimst, aber ich denke zunächst, dass ich diese Band nicht kenne. Doch hoppla, im Soundcheck 04/21 habe ich das sogar schon mal gehört. Oops. 5,5 Punkte für "Mount Carcass", das erklärt wohl die Erinnerungslücke. "Global Worming" kommt heuer schon besser weg. Zumindest bei den ersten drei Songs bin ich mit dabei, denn ENDSEEKER schafft es, dem sonst sehr klassischen Death Metal so etwas wie Hooks zu verleihen. Stimmt, Marcel, das ist schon fetzig. Der Gesang ist auch klar verständlich, die Songs erinnern somit etwa an AMON AMARTH oder UNLEASHED. Passt. Passt?

Wie so oft in diesem Stil bleibt die Musik über die gesamte Spielzeit eher gleichförmig, laut, heavy, von den üblichen Tempoverschleppungen mal abgesehen. Ich denke, OBITUARY schimmert dann durch. Man muss aber schon Death-Metal-Jünger sein, um hier konstant am Ball zu bleiben, hier bin ich also bei Martin. Der Kraftschlag, den ich zuerst gespürt habe, wird immer schwächer, die Dynamik fehlt.

Deshalb werde ich wohl am Ende weder SULPHUR AEON (war mir insgesamt zu verdaddelt) noch ENDSEEKER für die Kategorie "Death Metal, den ich gerne hören will" whitelisten.

Note: 6,5/10
[Thomas Becker]

Wenn meine Heimatstadt München als nördlichste Stadt Italiens gilt, dann ist Hamburg die südlichste Stadt Schwedens. Zumindest in Sachen Death Metal und vor allem wegen ENDSEEKER. So schön schwedisch tönten Deutsche selten aus den Boxen. In letzter Zeit habe ich mich mal wieder intensiv mit den Urvätern dieser Band beschäftigt: ENTOMBED, UNLEASHED(!), DISMEMBER...

Was diese Bands groß gemacht hat, war neben den Abrisskommandos per se die Atmosphäre ihrer Musik. Und ich weiß nicht, wie es ENDSEEKER gelingt, aber auch die Hamburger erzeugen diesen besonderen, zwingenden Sog. Sie fügen aber auch eigene Akzente hinzu, poltern und grooven ab und zu wie BOLT THROWER und nutzen ihre späte Geburt sowie das daraus resultierende umfangreiche musikalische Wissen, wie Death Metal gespielt werden kann, zu ihrem Vorteil - ähnlich, wie es beispielsweise bei den mir teils zu modern agierenden HEAVEN SHALL BURN der Fall ist.

Wo die Herren Becker und van der Laan Gleichförmigkeit erkennen, muss ich sagen: Ja, na und? Ich erwarte hier kein Prog-Feuerwerk an genialen Twists und Songwriting-Tricks. Das haben auch die genannten Vorbilder selten im Repertoire. Ich erwarte extrem runtergestimmten, wahnsinnigen Rock’n’Roll in seiner straighten Ausprägung. Und genau das liefert das Gespann. Haken dran!

Note: 8,0/10
[Julian Rohrer]

Wenn Thomas schreibt, dass unser Soundcheckteam härter geworden ist, dann muss ich kurz grinsen, da ich bei mir selbst erkenne, dass der Soundcheck meinen Vorlieben auch einen deutlichen Brutalitätsboost gegeben hat. Ohne diesen Soundcheck hätte ich nämlich meine beiden Jahreshighlights VOMITORY "All Heads Are Gonna Roll" und nun ENDSEEKER mit "Global Worming" sträflich ignoriert.

Diese beiden Platten knüppeln nicht nur bestialisch alles nieder, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, sondern sind auch brutal eingängig komponiert. Und hier haben die Hamburger sogar noch leicht die Nasenspitze vorn. Wie unverschämt mitgrölkompatibel sind denn bitteschön 'Hell Is Here' und 'Violence Is Gold'. Dazu hat Lenny Osterhus das perfekte Organ, um solche potentiellen Hits auch artgerecht zu verwandeln. Jedes Wort ist verständlich, hat aber so viel Gift und Galle mit an Bord, dass man sich zu jeder Sekunde bewusst ist, hier klassischen Death Metal serviert zu bekommen. Manchmal kann es eben so schön leicht sein.

Wie Julian so passend schreibt, diese Schlachteplatte braucht keine Prog-Gewürze, die den ganzen Flow nur stören würden, sondern einfach feine Melodien und gute Hooks. Und davon hat "Global (Ohr-)Worming" definitiv genug.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

Redakteur:
Thomas Becker

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