Gruppentherapie: ENSLAVED - "In Times"

27.03.2015 | 16:20

Und noch einmal ein Wiederholungstäter: Der zweite Soundchecksieg für ENSLAVED bedarf einer eingehenden erneuten Therapie.

Auch ENSLAVED zählt - wie Anfang des Jahres SATAN'S HOST (Soundcheck 01/2015) - zur Riege der Bands, die hier einen Soundcheck-Sieg wiederholen konnten. Dieser erste Win gelang mit "Axioma Ethica Odini", der Nachfolger "Riitir" landete "nur" auf Zwei, doch mit "In Times" ist für den Black-Metal-FC-Bayern wieder alles im Lot. Und so sehr wir uns bemühen, in der Gruppentherapie auch Menschen mit Widerworten zu finden, so schwer ist ein solcher Zeitgenosse zu finden. Wie, ist ENSLAVEDs Dreizehnte (zum Review von Kollege Haris) denn tatsächlich so unspannend? Lest selbst!

Auch wenn Haris das in seinem Review etwas anders darstellt, stelle ich fest: "In Times" steht dem mehr als gelungenen "Riitiir"-Album stilistisch schon sehr nahe. Sicherlich näher als "Riitiir" seinen Vorgängern. Erneut zwar setzt die Black-Metal-Kombo auf die ureigene Mixtur aus Black Metal und Progressive, jedoch geht das neueste Werk der Norweger nicht so schnell ins Ohr wie die letzte LP. "In Times" braucht Zeit und ein paar Durchgänge mehr, um seine volle Wirkung zu entfalten. Besonders die zweite Hälfte will gehört werden, während die A-Seite mit dem melodischen 'Building With Fire' einen ordentlichen Hit vorweisen kann. Gerade durch den prominenten Einsatz von klarem Gesang kristallisiert sich speziell diese Nummer aus dem Album-Kontext heraus. Nachdem die Platte etwas reifen konnte, offenbart sich jedoch das volle Potential der sechs Songs. Der beinahe elf Minuten lange Titelsong zum Beispiel punktet mit einem genialen Refrain, der zwar nicht zum sofortigen Mitsingen einlädt, dafür aber zum Staunen über das absolut kompetente Drumming. Durch solch bärenstarkes Songwriting sollte es für ENSLAVED ein Leichtes sein, die Fans zufrieden zu stellen und gleichzeitig den Ruf als eine der innovativsten Bands des Genres zu verteidigen. Auch OPETH-Fans, die auf den letzten beiden Prog-Rock-Alben nichts finden können, sollten mit "In Times" ihren Spaß haben.

Note: 8,0/10

[Sebastian Berning]

Mir geht es interessanterweise genau umgekehrt. Wo sich "In Times" für Basti langsamer erschließt als der Vorgänger, da empfinde ich das neue Werk der Bergener als deutlich runder und flüssiger als "Riitiir", und ich fühle mich so schnell wohl in dem Album, wie dies seit einschließlich "Mardraum" nicht mehr der Fall war. Die Gründe dafür lassen sich recht schwer beschreiben, denn an sich ist ENSLAVED auch mit "In Times" kein Stück näher an den von mir so sehr geliebten ersten fünf Scheiben als mit jeder anderen Platte nach "Blodhemn". Dennoch kann mich diese neue Scheibe fast aus dem Stand begeistern, und das führe ich darauf zurück, dass es weniger verschachtelt und vertrackt ist, ohne dadurch an Anspruch und Anmut einzubüßen. Mir scheint der kompositorische Schwerpunkt mehr auf der Atmosphäre und dem Fluss der Songs zu liegen als auf extravaganten Songaufbauten, und das kommt mir sehr entgegen. Zudem fällt das warme und weniger schroffe Klangbild positiv auf, obwohl das eigentlich paradox klingt, wenn man bedenkt, dass mein unangefochtenes Lieblingsalbum der Band "Frost" heißt, und das gerade seiner klirrenden Kälte wegen. Aber wie sagt man so schön: Alles zu seiner Zeit - und da ist "In Times" einfach "just in time"!

Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]

So, dann nutze ich das therapeutische Format hier gleich mal, um mich das erste Mal intensiver mit ENSLAVED auseinanderzusetzen. Natürlich schwirrt der Name einem, der sich mit Gitarren-Hartwurstmusik beschäftigt, unweigerlich immer mal wieder über den inneren Schirm. Das einzige, was ich bisher dachte zu wissen ist, dass die Truppe aus dem Norden stammt und irgendwas mit Death Metal zu tun haben soll. Tja, und nun ist ENSLAVED unser aktueller Soundcheck-Sieger, vorbei an all den genretreuen Traditionalisten. Ist norwegischer Extrem-Metal denn schon Klassik? Wenn ich in "In Times" höre - ja! Wer hat denn das Plättchen auf die Eins gehievt? Ah, unser Haris! Ja, ich gebe dem Liebhaber und Produzenten klassisch zu nennender Death-Metal-Geriffwitter Recht: Ein sehr spannendes und hinreißendes Album. Der vierte Durchlauf, zum vierten Mal neue Aspekte, Töne, Stimmungen. Schön lang gedehnte Epik. Als das Album mit einer schwarzmetallenen Vollsalve einstieg, spannte sich mein Rücken, ob das durchzuhalten ist, jedoch hat mich der stimmungsvolle Wechselgesang sehr schnell eingenommen. Bei 'Building With Fire' zeigt mein Korpus zunehmend Anzeichen von Euphorie. Sehr schönes Verwandlungsspiel, was die Herren da betreiben. Mich fasziniert vor allem der flüssige Übergang der Genres ineinander und übereinander: dort ein Chörchen, da eine angepisste Attacke, da ein Keyboard-Schwaden, hier ein Solo wie aus der Ära des Hair Spray Metal. Aber alles immer auf dem packenden Niveau, was einen in der Musik festhält. Nun habe ich mich therapiert - also informiert - und werde in die Geschichte der befreiten Versklavten hineinleuchten.

Note: 8,5/10

[Mathias Freiesleben]

Ich für meinen Teil kenne ENSLAVED zwar schon seit Jahren, war aber immer mehr oberflächlicher Hörer. Zur Behebung dieses Missstandes könnte "In Times" diesmal (wieder) wunderbar beitragen. Mich faszinieren die Bergener ja sowieso. Das Quintett ist schon lange in einen erlauchten Kreis an Bands aufgestiegen, in welchem jede einen vollkommen eigenen Stil hat, den sie auf makellose Weise zu zelebrieren weiß. Dabei verleiht die für mich trotz der strukturellen Vielfalt schnell gegebene Zugänglichkeit dem Album eine eigene Eleganz: Alles fließt nahtlos ineinander und kann intuitiv erfasst werden - danach folgt das Eintauchen in die Tiefe der Details des ENSLAVEDschen Klangkosmos. Hier muss auch der entrückte Klargesang von Herbrand Larsen erwähnt werden, der zum Black-Metal-Geifern mit träumerischen Melodien einen wunderschönen Kontrapunkt setzt. So kann nach einigen weiteren Durchläufen durchaus auch ein halber Zähler mehr dazukommen.

Note: 8,5/ 10
[Christian Schwarzer]

Ist das wirklich die Band, die mittlerweile schon in hocherlauchten Progger-Kreisen wohlwollend diskutiert wird? Dort, wo man sich freut, dass OPETH mittlerweile den letzten Grund zur Einnahme von Wick-Blau-Bonbons aus dem Studio verbannt hat, müsste man eigentlich schockiert erstarren, wenn ENSLAVED beim Opener 'Thurisaz Dreaming' nach Herzenslust lostrümmert und blastschreiend der Teufelsrune huldigt. Nein, die Norweger haben ihre Vergangenheit nicht vergessen und das ist sicher mit ein Grund, weshalb unser schwarzer Stahlträger Stehle immer noch Traumnoten auf ENSLAVED-Alben gibt. Und damit hat er recht. Es ist nämlich tatsächlich so, dass ENSLAVED auch das verwöhnte Feinohr entzücken kann. 'Buiding With Fire' hat zum Beispiel wunderbare Melodien am Start und dass die Band auch für Knobel- und Würfelexperten Material parat hat, wissen wir nun allerspätestens seit Haris' gescheiterten (?) Mitzähl-Versuchen. Wie alle meine Kollegen schon gesagt haben, hat ENSLAVED wirklich für jeden etwas zu bieten und - vielleicht noch viel wichtiger - kaum Elemente, die den Hörer abschrecken könnten. Nicht einmal die Growls von Grutle. Die sind nämlich exzellent und genau so beeindruckend und intensiv wie die von Mikael Åkerfeldt. Mindestens.

Note: 9,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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