Gruppentherapie: FLOTSAM & JETSAM - "I Am The Weapon"

13.10.2024 | 17:50

Ein gut gealterter Barolo an der Soundcheck-Spitze?

Heute geht es in unserer Gruppentherapie-Reihe um den Soundchecksieger. Hier platziert einmal mehr eine alteingesessene Band, die jedem Metaller wohl irgendwann einmal untergekommen sein dürfte, nämlich FLOTSAM & JETSAM. Nicht nur für unseren Frank Wilkens sind die Mannen aus Arizona auch mit "I Am The Weapon" immer noch eine Bank. Die Metal-Checker lassen es mit weiteren Neunern und drei Achteinhalbern notentechnisch ordentlich krachen. Bekommt hier gar PRIESTs "Invincible Shield" (zur dazugehörigen Gruppentherapie) Konkurrenz um die 2024er Pommesgabel?

Abgeliefert! Wieder einmal, muss man im Fall von FLOTSAM & JETSAM mittlerweile ja schon fast sagen, denn einen richtigen Stinker haben die US-Amerikaner aus Phoenix ja zeit ihrer nun bereits fast vier Jahrzehnte andauernden Karriere bisher noch nicht wirklich unters Volk gebracht.

Ich bin sogar fast geneigt zu behaupten, die Herren werden wie ein guter Barolo-Rotwein von Jahr zu Jahr bzw. Album zu Album immer besser. Gerade der bald sechzig Jahre jung werdende Eric A.K. singt und kreischt hier noch immer wie ein junger Metal-Gott und ich frage mich immer wieder, warum man dem Mann, wie heute ja üblich, vonseiten anderer Bands nicht die Bude einrennt, um ihn für etwaige, passende und temporäre Projekte zu gewinnen. Wäre aus mir ein gescheiter Gitarrist geworden, er wäre bei mir immer in der ganz engen Auswahl sehr weit vorne.

Aber auch in instrumentaler Hinsicht ist das hier natürlich wieder einmal ein leckerer und opulenter Ohrenschmaus geworden. Durchweg von Anfang bis Ende thrashig angehauchter Power Metal (ja, in meiner komischen Metalwelt ist die Band schon immer mehr Power als Thrash gewesen) auf TOP-Niveau ohne eine einzige schwache Nummer, wie wir ihn von der Band eben gewohnt sind, wird uns hier um die Ohren gepeitscht. Wie schon Kollege Frank W. sinngemäß in seiner Hauptrezi schrieb: Wo FLOTSAM & JETSAM draufsteht, ist garantiert auch FLOTSAM & JETSAM drin. Aus. Basta. Punkt.

Wo sich das Album letzten Endes in der Diskographie einreihen wird, wird ganz allein die Zeit zeigen. Aber bei Bands mit einer solch irren Dichte an Top-Alben ändert sich das persönliche Ranking ja ohnehin immer mal wieder. Ein Privileg, welches für sich gesehen schon beweist, und auch hier gebe ich Frank sinngemäß wieder recht; eigentlich müsste, wäre die Welt eine gerechte, FLOTSAM & JETSAM Doppelabend-Konzerte in Arenen und Stadien spielen. Aber bekanntlich geht es in der Welt ja alles andere als fair zu.

Note: 9,0/10
[Stephan Lenze]

 

Ihr könnt mich sicherlich als Flotz-Fan bezeichnen, kann ich doch allen Phasen der Band durchaus etwas abgewinnen. Trotzdem versetzt mich die Band nicht in Euphorie und lässt mich eine angekündigte Veröffentlichung im Vorfeld trotzdem noch gut schlafen.

Nach dem ersten Hören kann ich jedoch schon sagen, das ballert mächtig. Die Band aus Arizona hat sich wohl im Vorfeld darauf geeinigt, auf größere Experimente zu verzichten, lieber das Gaspedal konstant durchzutreten und die Songs eher kompakt zu halten. Gesagt, getan. Persönlich hätte ich zwar gerne noch eine kraftvolle Halbballade oder einen mächtig groovenden Mid-Tempo-Stampfer auf dem Album gehabt, doch auch die elf Abrissbirnen schrauben kräftig an der Rübe und legen die qualitative Messlatte enorm hoch. Dazu kommt, dass die Gesangsleistung von Eric A.K. wieder einmal sensationell ist, er wie ein Jungspund singt und den Großteil der Songs mit fantastischen Melodien veredelt.

Ob diese Refrains reichen, um einzelne Stücke für die Ewigkeit zu brandmarken, bleibt zwar abzuwarten, für einen mehr als positiven Gesamteindruck reicht das aber allemal. 'A New Kind Hero', 'Burned Bridges', 'Broken Wings' oder das Titelstück haben auf jeden Fall das Potential zum Evergreen. Und das Tolle an dieser Scheibe: Sie wächst von Durchlauf zu Durchlauf noch weiter. Mit der Produktion dagegen stehe ich ein wenig auf Kriegsfuß, auch wenn ich gestehen muss, dass das Jammern auf sehr hohem Niveau ist. Mir dürfte es halt vor allem im Schlagzeugbereich gerne ein klein wenig natürlicher klingen. Trotzdem: ein großartiges Album mit Avancen auf die vorderen Plätze in den weltweiten Jahrescharts.

Note: 8,5/10
[Chris Staubach]



Eine neue FLOTSAM & JETSAM wird von mir unfairerweise immer am phantastischen Debüt "Doomsday For The Deceiver" mit good old Jason Newsted gemessen, das mit 'Hammerhead' einen der besten Metaltracks ever beinhaltete. Der Opener von "I Am The Weapon" 'A New Kind Of Hero' kommt in Sachen Speed ziemlich gut an die so geschätzte Vorlage heran. Ein geiler Einstieg, das muss man sagen. Die unverwechselbaren Vocals (die mir immer noch außerordentlich gut gefallen) ziehen sich beinahe elegant durch den Song, dessen Strophenphase extrem gut geraten ist.

Wesentlich rockiger und einfacher geht es in der Folge zur Sache. 'Primal' setzt auf einen Mitsingchorus, der live sicher gut animieren kann. "I Am The Weapon" ballert wieder, erinnert an das zweite Album. Euphorisch schmettert sich die Band durch ihr Repertoire, das erstaunlich wenig angestaubt tönt. Das nette, beinahe US-radiotaugliche 'Burned My Bridges' ist mir etwas zu melodisch; ich bin halt Black Metal, da ist mir das zu harmlos.

In der Mitte des Albums ähneln sich die Ideen stark. Alles thrasht gut, ich weiß aber nicht mehr, bei welchem Song ich mich gerade befinde, vielleicht, weil mir die Refrains zu mainstreamig sind. 'Gates Of Hell' lässt dann wieder aufhorchen, die sägende Gitarre nach dem Chorus ist das, was ich von der Band erwarte: Speed, melodisches Chaos, Atmosphäre, Overdrive. Die Serpentinen werden mit dem Camaro genommen, nicht mit der Harley. Danach flacht die Kurve kompositorisch wieder etwas ab, obwohl die Gitarrenarbeit über jeden Zweifel erhaben ist.

Und dann, ganz am Ende, knallt uns die Combo mit 'Black Wings' plötzlich noch einen 10-Punkte-Song um die Ohren. So möchte ich das Album, nur so, der Songaufbau, die Spannung, der diesmal ultrageile Refrain, hier stimmt einfach alles. Das Ding hätte auf dem Debüt seinen Ehrenplatz gehabt. Moment, das gab es doch mit 'Forbidden Territories' schon einmal (auf dem nur "Flotsam And Jetsam" betitelten Album DER Überflieger). Endgeil. Ganz großartiges Finale eines ansonsten "nur" guten Albums.

Note: 8,0/10
[Matthias Ehlert]

 

Dann machen wir mal die absteigende Zahlenreihe vollständig. Dabei kann ich alle meine Vorredner schon bestätigen, dass wir von einem guten Album sprechen. Aber eben nicht von einem sehr guten.

Ähnlich wie an Matthias' Ohren oder Geschmacksknospen thrast sich die Band immer mal wieder auch an den meinen vorbei und ich kann nicht mehr klar feststellen, wo ich mich grade bei "I Am The Weapon" befinde. Wer auch bei der fünften Runde noch auf den Chorus warten muss, um Orientierung zu bekommen, muss sich den Vorwurf der Austauschbarkeit einzelner Fragmente gefallen lassen. Dabei ist das noch nicht mal das Hauptproblem, sondern, dass die Refrains zwar teilweise unerwartet repetitiv sind, aber eben nicht unbedingt mainstreamig. Da wäre etwas mehr Zug zum Tor oder der Glaube, dass ein Singalong nicht zwingend eine Missachtung der Genre-Polizei bedeutet, ein Lösungsvorschlag.

Denn im Kern habe ich schon Bock auf FLOTSAM AND JETSAM und suche auch noch verzweifelt die Band, welche meine persönliche Lücke nach ICED EARTH schließen kann. Dabei sind Songs wie das arschcoole 'The Head Of The Snake' oder das angeschwärzte 'Black Wings' erstklassige Bewerbungsschreiben. Nur der Rest will einfach keine Begeisterung entzünden. Aber ehrlicherweise hätte ich bei der Ankündigung "US-Speed-Thrash-Metal" viel Schlimmeres erwartet. Aber Monatshighlight? Ehrlich?

Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]

Also bitte meine Kollegen, was soll das denn hier? Diese absteigende Wertung bei der Punktevergabe muss dringend korrigiert werden und so springe ich hier einmal für FLOTSAM & JETSAM in die Bresche. Warum die Amerikaner nämlich auch heute noch im Vorprogramm von größeren US-Kollegen versauern oder die kleineren Clubs der Welt bespielen, werde ich angesichts der musikalischen Klasse, die hier seit dem quasi-Comeback mit "The Cold" abgeliefert wird, nie verstehen. Zuletzt lahmende Thrash-Kollegen wie etwa METALLICA (ja, ich finde "72 Seasons" noch immer nicht besonders) hängen die flotten und jetten Sams nämlich locker ab.

Dabei bewundere ich immer wieder, mit welcher Klasse hier zwischen Thrash-Attacken, unverschämt eingängigem Heavy Metal und einer ordentlichen Portion Power Metal abgewechselt wird. Heraus kommen wieder einmal unheimlich eingängige Kompositionen, bei denen ich es fast als Frevel ansehen würde, hier einzelne Anspieltipps herauszugreifen. Im Gegenteil, echte Ausfälle sucht man vergebens, während man zu tollen Riffs die Matte schüttelt oder angesichts der teils wirklich famosen Soli die Kinnlade mal gen Boden sinken lässt.

Die perfekte Metal-Suppe macht mir so am Ende nur das Schlagzeug madig, das ich irgendwie in der Produktion etwas flach und nichtssagend finde. Bei der Wucht der sonstigen Instrumente hätte sich hier in meinen Ohren ein organischer Drumsound deutlich besser geschlagen. So gibt's am Ende einen Punkt Abzug für ein Album, das trotz dieses minimalen Mankos aber mit Sicherheit in meinen Jahrescharts ein gewichtiges Wörtchen mitreden wird.

Note: 9,0/10
[Tobias Dahs]

 

Es ist einfach ein affengeiles Album. Nein, FLOTSAM & JETSAM ist eine affengeile Band. Warum? Weil die Jungs zwei so legendäre wie bahnbrechende Alben in den 1980er Jahren aufgenommen haben, sich den Widrigkeiten der 1990er Jahren gestellt haben, auch keinen Hehl daraus machen, dass zwischenzeitlich auch mal schlechtere Alben aufgenommen wurden, und seit dem selbstbetitelten 2016er Dampfhammer ein Highlight dem nächsten folgt.

"I Am The Weapon" bildet da keine Ausnahme, singt Eric doch einmal mehr wie ein junger Gott, rifft und soliert sich die Klampfenfraktion in filigranster Manier durch das Set und machen die neuen Songs einfach unheimlich viel Bock. Bock auf Power'n'Thrash Metal, für den FLOTSAM & JETSAM schon so lange bekannt ist.

Hier und da gibt es ein paar gekonnte Blicke über den Tellerrand hinaus, kleine Experimente, die das neueste Unterfangen merklich auflockern und mir in diesen Wochen so viel Hörvergnügen bereiten. Ich kann mich meinen Vorrednern [zumindest einigen :-) - Anm. d. Red.] also nur anschließen. Die Pole-Position geht nach Phoenix, Arizona, und das vollkommen zu Recht!

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Fotocredits: Shane Eckart

Redakteur:
Thomas Becker

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