Gruppentherapie: KISSIN' DYNAMITE - "Back With A Bang"
05.08.2024 | 10:21Was ist falsch an Radiorock?
Wer von euch hört hier gerne Radio? Und freut ihr euch, wenn denn mal ein Hard-Rock-Song gespielt wird? So etwas wie BON JOVI oder BRYAN ADAMS? Kollege Mario hört auf "Back With A Bang" von KISSIN' DYNAMITE jede Menge Songs, die er gerne in großen Stadien oder auf Rock- und Metalparties hören möchte (zu seinem Hauptreview). Die Soundchecker sind sich hier aber eher uneins, obwohl sowohl Marcel in seinem Track-by-Track-Artikel also auch Hannes Braun himself im Podcast erklärt haben, worum es bei dem Album geht. Manchen ist es aber dennoch zu vorhersehbar und zu routiniert, um langanhaltenden Spaß an der Sache zu haben. Ein solider Platz 10 ist es am Ende dann aber doch geworden (zum Juli-Soundcheck 2024), was lange nicht heißt, dass hier kein Therapiebedarf besteht. Manche reagieren nämlich sehr allergisch auf Radiorock.
Jeder kennt wohl aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis Leute, die auf die simple und generelle Frage nach dem allgemeinen Musikgeschmack mit sowas in der Art wie "ich höre eigentlich alles und querbeet" antworten würden. Diese würden vermutlich auch jeden einzelnen Song auf "Back With A Bang" über den allergrünsten Klee loben, weil ja jede Nummer hier "ordentlich bockt und Arsch tritt". Kann man so sehen, muss man aber nicht, und ich tue das schon mal gar nicht.
Salopp gesagt ist das hier in meinen Ohren alles ziemlich pomadiger Radiorock, der so ohne Weiteres auch in meinem lokalen Rockradiosender laufen könnte, der immer dann seinen Dienst tut, wenn ich mich im Auto mal wieder nicht entscheiden kann, was ich denn hören möchte. Das ist beileibe gar nicht beleidigend gemeint, denn mitunter läuft da von BRYAN ADAMS über BON JOVI bis sogar hin zu IRON MAIDEN und RUSH manchmal ganz vernünftige Musik. Überwiegend schallt da aber eben nur Berieselungsmusik aus den Boxen und keine Musik, die jetzt große Aufmerksamkeit oder Konzentration erfordern oder gar zum Kauf eines physischen Tonträgers berechtigen würde. Wenn ich mir aber etwas ins Regal stelle, müssen gewisse Mindestvoraussetzungen definitiv erfüllt sein, von denen man hier doch in jeglicher Hinsicht ziemlich weit entfernt ist.
Die Gitarren klingen für mich einfach nicht so, wie hardrockende Bratklampfen klingen müssen. Ein großer Freund von Stimmverzerrungen bin ich, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen, ebenfalls noch nie gewesen. Klar, instrumentaltechnisch und stimmlich kann man den Jungs hier mal gar nichts vorwerfen. Das ist durchaus auf professionellem Niveau angesiedelt. Was nützt aber handwerkliches Können, wenn man dieses nicht in songwriterische Qualität ummünzen kann und am Ende des Tages Stücke wie aus dem Songbaukasten zu Buche stehen, in denen ganz klar ersichtlich bzw. erhörlich ist: Hauptsache, der Refrain ist möglich griffig und eingängig und beißt sich schnell im Ohr fest. Bei einem mainstream-affinen Hörerpublikum mag diese Strategie ganz sicher auch greifen, in meinem Fall stoßen solche auf Kommerz getrimmte, theatralische und pseudohymnenhafte Notenfolgen aber leider überhaupt nicht auf Gegenliebe. Ich kenne zwar außer diesem Album (zum Glück) bisher kein anderes Werk der Band, kann aber die gezogenen Parallelen zu Bands wie BON JOVI und MÖTLEY CRÜE irgendwie nicht so wirklich nachvollziehen. Für mich klingt das alles doch eher wie beliebiger Chartdudelrock der Marke NICKELBACK. Und auch wenn die Nummern allesamt durchaus abwechslungsreich angelegt sind, bleibt sterbenslangweilige Musik am Ende des Tages immer noch sterbenslangweilige Musik. Sorry, absolutely not my cup of tea.
Note: 5,0/10
[Stephan Lenze]
Ich mag es ja, wenn ein Albumtitel zu einer Band wie die Faust aufs Auge passt. Und in diesem Fall ist es doch wirklich eine Punktlandung. Dabei lassen wir es erstmal außen vor, dass man doch, um "back" zu sein, erstmal weg gewesen sein müsste. Viel eher ist es doch entscheidend, wie mächtig dieser "Bang" denn nun eigentlich ist. Das ist dann unter der Lupe doch weder eine Explosion einer Atombombe, welche das Genre erzittern lässt, noch ein Tischfeuerwerk, was allen Beteiligten extrem peinlich sein sollte.
"Back With A Bang" ist ein grundsolides Rockalbum mit schönen Hooks, einem ordentlichen Drive und einer richtig fetten Produktion. Den von Mario in seiner Hauptrezi beschriebenen "Angriff der Ohrwürmer" höre ich aber so in dieser Form auch nicht. Auch sein Loblied auf 'Raise Your Glass' kann ich gar nicht nachvollziehen. Das ist weder der beste Song des Albums noch ein zukünftiger Rock-Klassiker, sondern eine ganz nette Nummer für nebenbei, welche auch sämtliche Songwriting-Kniffe aus dem Rock-Handbuch herunter rattert und somit nicht so memorabel bleibt, wie DIE TOTEN HOSEN mit 'An Tagen wie diesen', vom Mitgröl-Faktor mal ganz abgesehen. Dass es natürlich trotzdem der bessere Song ist, brauche ich nicht extra erwähnen, oder? Genauso wenig, dass "Back With A Bang" selbstverständlich immer noch um Längen besser ist als "Forever" von der häufig zitierten Referenz BON JOVI. Das ist ein Album, was man sich (vielleicht) leisten kann, wenn man schon "oben" ist. Wenn man erst noch ins Stadion möchte, dann sollte man sich eher an "Slippery When Wet" oder "Keep The Faith" orientieren. Aber das ist "Back With A Bang" definitiv auch noch nicht.
Note: 7,0/10
[Stefan Rosenthal]
Viele Punkte haben meine Kollegen schon richtig angerissen, wenn sie "Back With A Bang" von KISSIN' DYNAMITE beschreiben und vor allem Herr Lenze trifft am besten meine Gedankengänge zur Entwicklung der Schwaben. Dazu sei gesagt, dass ich die Musik des Fünfers gerade in den Anfangstagen noch sehr mochte und sie auch mehrfach live mit Begeisterung abgefeiert habe. Spätestens seit "Megalomania" war da aber auch immer dieses leichte Gefühl im Hinterkopf, dass der Mainstream in den Köpfen der Gebrüder Braun und ihrer Mitstreiter eine immer größere Rolle zu spielen schien und mehr und mehr nach den bekannten Radio-Schemen komponiert wurde, anstatt rotzige und wirklich spannende Rockmusik zu machen. Spätestens seitdem Hannes Braun als Songwriter für andere Künstler große Erfolge feiert, hat mir diese Professionalität aber zu sehr Überhand genommen und aus der einstigen coolen Rockband ist ein austauschbarer Act geworden, der nur noch auf den kurzfristigen Erfolg mit bekannten Rezepten schielt.
Meine Note aus dem Soundcheck ist mir daher in der Retrospektive fast etwas unangenehm, denn auch wenn ich von Anfang an wusste, dass "Back With A Bang" keine Klassiker mit Langzeitwirkung enthält und den musikalischen Sättigungseffekt eines Kaugummis hat, verleitete mich das leicht verdauliche Material, das bei sommerlichem Sonnenschein gerade im Gegensatz zu einigen vertrackteren Soundcheck-Mitstreitern gut reinlief, zu 7,5 Punkten. Heuer würde ich wahrscheinlich einen ganzen Punkt abziehen, denn gute zwei Wochen nach der Notenabgabe ist kein einzelner Track langfristig hängen geblieben, weshalb ich hier auch auf Nennungen verzichten möchte. Den Vergleich zu BON JOVI, den auch die beiden Stef(ph)ans gezogen haben, könnte ich durchaus bekräftigen, wobei wir hier eher über die "What About Now"-Ära reden, in der die Superstars ins gleiche Schema-F-Komponieren verfielen, das nun auch KISSIN' DYNAMITE befallen hat. Nur muss man den Schwaben lassen, dass sie immerhin die Gitarren noch prominenter in Szene setzen als das amerikanische Vorbild, welches die sechssaitigen Instrumente heuer komplett weichspült, auch wenn die Riffs der einstigen "Steel Of Swabia"-Jungs inzwischen leider so handzahm sind, dass sie selbst beim Kaffee bei Oma nicht für erschrockene Gesichter sorgen würden.
Note: 7,5/10 bzw. 6,5/10
[Tobias Dahs]
KISSIN' DYNAMITE – eine Band, die bisher einen steil nach oben gehenden Weg zurückgelegt hat. Und womit? Mit Recht! Ich erinnere mich noch gut an meine erste Begegnung mit der mir bis dahin unbekannten Band, die für EDGUY eröffnen durfte. Das war 2011 eine Show, eine Spielfreude und Musik, die so unglaublich gute Laune verbreitete. Beim nächsten Mal waren die Schwaben dann Headliner. Diesmal mit einer Show, einer Spielfreude und Musik, die noch viel unglaublicher gute Laune verbreitete als zuvor.
Für mich ist KISSIN' DYNAMITE eine Band, deren Mitglieder musikalisch astrein abliefern und die es verstehen, mit ihrer Musik ein Feuerwerk der Hochstimmung zu entfachen. Die Band hat einen Weg gefunden, sich in viele Herzen zu spielen, ein Lächeln in Gesichter zu zaubern, aber auch mal zum Nachdenken anzuregen. Deshalb kann ich auch die Gedankengänge der Kollegen nicht so richtig nachvollziehen, wenn es um die kommerzielle Ausrichtung und Vermarktung der Musik geht. Was ist falsch an Radiorock? Ich weiß jetzt nicht, welches Motto sich die Band in ihren Anfängen auf ihre Schwabenfahne geschrieben hat, als sie 2008 mit "Steel Of Swabia" debütierte. Fakt ist, dass sie wohl den richtigen Riecher hatte, ihr Publikum zu begeistern – und das bis heute.
Froh bin ich, dass Kollege Mario das ähnlich sieht, wenn er schreibt: "Wirklich jedes Lied sorgt für gute Laune und den Wunsch, so richtig auszurasten und abzurocken." Deshalb feiere ich die Jungs und ihren "Back-Bang" – auch wenn mir ebenso wie Stefan nicht aufgefallen ist, dass KISSIN' DYNAMITE irgendwie weg gewesen wäre – erhebe mein Glas und bin gespannt, was uns als Nächstes erwartet. Denn das Beste soll ja nach eigener Aussage noch kommen!
Note: 9,0/10
[Hanne Hämmer]
Fotocredit: Holger Fichtner
- Redakteur:
- Thomas Becker