POWERMETAL.de - The Essentials: Platz 70 - 61
02.07.2016 | 10:55Am ersten Samstag ist es natürlich so weit: der vierte Teil der POWERMETAL.de-Essentials darf von euch verschlungen werden. Auch dieses Mal darf man staunen, diskutieren, zustimmen oder sich freuen. Gerne auch mit uns in unserem Forum. Auch diese zehn Plätze werden wieder kommentiert von Redaktionslegende Holger Andrae. Und nun hinein ins Vergnügen.
Peter Kubaschk
- Chefredakteur -
Platz 70 ist eine Überraschung und wird für etliche Leser sicherlich eine Neuentdeckung sein. Aber genau dafür sind solche Listen unter anderem auch gedacht: Man wird an länger nicht aufgelegte Klassiker erinnert, bekommt Erinnerungen daran, welche Lücken die eigene Sammlung eventuell aufweist und man entdeckt vielleicht sogar auch mal eine komplett neue Band. Die Australier VAUXDVIHL könnten durchaus so ein Fall sein, denn ihr einziger Longplayer ist eher ein ewiger Geheimtipp, denn ein allgemein bekannter Klassiker. Die Musik auf "To Dimension Logic" ist in Wort und Bildern nur schwer zu schildern, aber "Stopp!" … Kollege Kubaschk vergleicht Songs in seinem Review mit Gemälden von Dali und gibt dem Leser damit einen sehr guten Anhaltspunkt auf das, was ihn beim Anhören des Albums erwartet. Müsste ich musikalische Parallelen für das Album finden, käme ich auf eine Schnittmenge aus "Rage For Order" (Queensryche), "Of The Sun And Moon" (Sacred Blade) und "Into The Everflow" (Psychotic Waltz). Große Namen, die da in einen Topf geworfen werden, aber ich denke, daran könnt ihr schon die Klasse dieser einzigartigen Scheibe ablesen. Das Album ist vor kurzer Zeit bei Century Media neu veröffentlicht worden und beinhaltet noch die beiden nachgeschobenen EPs "Vog" und "Siberian Church Recordings", die allerdings auch schon wieder ganz anders als das Album klingen. Für drei Kollegen ist das Album so faszinierend, dass sie es in die Liste gewählt haben und ich ärgere mich beim Schreiben dieser Zeilen, dass meine 100 Plätze irgendwie schon voll waren. Vielen Dank, Peter, Alex und Simon!
Von völlig unbekannten Insiderbands zu allseits beliebten Totschlägern: Platz 69 geht an eine Truppe, ohne die so eine Auflistung natürlich unvollständig wäre. Dass es gerade dieses Album in unsere Aufstellung geschafft hat, wird eventuell für leichtes Erstaunen sorgen, aber niemand wird ernsthaft die Klasse von "South Of Heaven" anzweifeln, oder? Außerdem ist ja nicht gesagt, dass nicht noch weitere Scheiben von SLAYER in den oberen Rängen auftauchen könnten. Frank, Sebastian, Walter und Simon haben sich auf jeden Fall für das vierte Album aus dem Jahr 1988 entschieden. Ein Album, welches wir damals heißhungrig erwartet haben, denn alle Welt wollte wissen, wie es nach unglaublichen Massaker namens "Reign In Blood" weiter gehen würde. Noch schneller und noch härter war ja kaum denkbar (little did we know …) und genau so sahen das die Herren Musikanten offensichtlich auch. Sie tappten nicht in die selbst gestellte Geschwindigkeitsfalle, sondern schalteten ein paar Gänge runter und konzentrierten sich eher auf noch düstere Atmosphäre. Das gelingt ihnen auch sehr gut. Allein der eröffnende Titelsong, der bis heute ein fester Bestandteil einer Slayer-Show ist, sorgt mit seinem schaurigen Gitarrenintro für einen angenehmen Gruselschauer. Ebenso verhält es sich mit dem fiesen 'Spill The Blood' und 'Behind The Crooked Cross'. Das sind Nummern, die belegen, dass Tempo und Härte allein keinen harten Songs ausmachen. Sie schleichen sich eher hinterrücks an den Hörer an und zermartern ihm dann genüsslich das Hirn. Die Band hat sich mit dem Album noch einmal neu definiert und ihre Wurzeln einfach nochmal weiter gestreut. Trotz dieser leicht veränderten Marschrichtung ist schon damals kaum einer auf die Idee gekommen, den Jungs kommerziellen Ausverkauf vorzuwerfen. Wie denn auch, hat man unter anderem mit 'Ghosts Of War' und 'Mandatory Suicide' auch noch ausreichend viele Knüppel im Sack. Etwas verwirrend empfinde ich bis heute die Coverversion von 'Dissident Aggressor', die zwar gut nachgespielt ist, aber eigenen Charme vermissen lässt. Vielleicht wollte Kerry King auch nur seinen Helden von JUDAS PRIEST einmal ehren. Man weiß es nicht.
Von hartem Thrash geht es auf Platz 68 zu wunderbar mitreißendem, melodischen US Metal. Die Rede ist vom Debütalbum der Band FIFTH ANGEL aus dem Jahr 1986. Die Band um Wunderdrummer Ken Mary (ACCEPT, CHASTAIN, ALICE COOPER etc.) bietet auf ihrem Erstling kraftvollen US Metal, der aufgrund seiner unfassbaren Hooklines und Melodien heute zu den Sternstunden eben jener Stilistik zu zählen ist. Sänger Ted Pilot überflügelt mit seiner Stimme einen Großteil seiner Kollegen und veredelt somit solche Wundertüten wie das rasante 'In The Fallout' oder das hymnische 'Wings Of Destiny'. Wo ich schon das Attribut "hymnisch" am Wickel habe, sei gesagt, dass diese Bezeichnung auf alle neun Nummern des Albums wunderbar zutrifft. Ganz egal, ob man schnelle Kracher der Marke 'The Night' oder eher getragenes Material im Stil von 'Fifth Angel' auflegt, man ist sofort gefesselt von den magischen Notenfolgen, die einem dort serviert werden. Gitarrist James Byrd, der seit Jahren auf solistischen Pfaden unterwegs ist, hat einfach ein Gespür für die richtige Mischung aus Melodie und Härte. Weitere sind natürlich die abschließende Halbballade 'Fade To Flames', sowie das flitzeflinke 'Call Out The Warning', welches ich zu den 25 besten Songs der Dekade zähle. Wer auf kraftvollen, immer mitreißenden US Metal mit einem exzellenten Sänger steht, muss lediglich diesen einen Song testen und dann das Album kaufen. Chris, Frank, Peter und Marius sehen das genauso und ebnen durch ihre Nennungen dem Album den Weg in unsere Liste. Toll gemacht, Jungs!
Wir verweilen in den US of A, reisen mit der Zeitmaschine ins Jahr des Kauzes 1983 und auf Platz 67. Es entsteht das dritte Album einer Band, auf die wie auf kaum eine andere Truppe sowohl die Bezeichnung kauzig, wie auch kultig zutrifft: MANILLA ROAD. Das besagte Album hört auf den Namen "Crystal Logic" und ist heute eine der beliebtesten Scheiben der Band um Sänger/Gitarrist Mark Shelton. Kein Wunder, hat das damals als Trio agierende Gefüge hier doch eine erstklassige Scheibe abgeliefert, die den Spagat zwischen ihren Seventies-Wurzeln und dem 80er-Jahre Epic Metal besonders gelungen widerspiegelt. So gibt es mit 'Feeling Free Again' und 'The Ram' noch deutliche Anleihen aus früheren Dekaden während die Band beim restliche Material dem epischen US Metal huldigt. Dabei entstehen solche Killer, wie das wieselflinke 'Necropolis', dessen Chorus heutzutage jeder Heavy-Metal-Gourmet im Schlaf singen kann. Aber die Band definiert sich niemals über Geschwindigkeit oder über Härte. Vielmehr sind es die Melodien und die Verschmelzung von 70er Rock (und Roll) und Heavy-Metal-Riffing. Weitere besondere Markenzeichen von MANILLA ROAD sind der zerbrechlich wirkende, recht hohe Fistelgesang von Bandkopf Mark Shelton, wie auch der unverkennbare Gitarrensound, den bis heute nur eine Truppe so konsequent erzeugt. Besonders hervorheben muss ich noch das schleppende 'The Veils Of Negative Existance' mit seinem erstklassigen Aufbau, sowie natürlich das abschließende Epikwunderwerk 'Dreams Of Eschaton'. Dieser Song ist wohl die Definition des Epik-Genres. Muss man einmal gehört haben. Ihr merkt es also: Dieses Album gehört quasi zur Allgemeinbildung eines jeden Metallers. Wenn ich mir anschaue, wer aus unserer Redaktion diese Scheibe genannt hat, dann könnte auch hier das Spektrum kaum breiter sein: Yvonne, Frank, Rüdiger und Marius. Eine Dame, zwei Alte-Schule-Kollegen, von denen einer obendrein mit einem Faible für Schwarzmalerisches ausgestattet ist und einer unserer jungen Hüpfer. MANILLA ROAD, eine Band für jeden Geschmack.
Würde ich nach dem Album gefragt werden, bei welchem die Qualität des Artworks am weitesten entfernt von der Qualität der Musik liegt, käme ich wohl spontan auf unseren Platz 66. Was sich die Herrschaften von METAL CHURCH bei der Auswahl zum Cover der "Hanging In The Balance" gedacht haben, werden wir wohl nie verstehen. Selten hat der Spruch "never judge a book by its cover" besser gepasst. Denn: Dieses Album ist locker zu den Top-3-Scheiben in der nicht ganz schlechten Diskographie der Band anzusiedeln. Das letzte Album mit Wundersänger Mike Howe vor der langen Pause hat ausschließlich absolute Killersongs im Repertoire. Auf dieser Scheibe hören wir zum letzten Mal das alte Gespann samt Gitarrist Craig Wells und Drummer Kirk Arrington, der allerdings später noch einmal auf "Weight Of The World" spielen sollte. Produziert von SAVATAGE-Stammknöpfchendreher Paul O'Neil serviert uns der Fünfer auf dem Album Songs für die Ewigkeit. Schon der von einem mächtig pulsierenden Duke-Erickson-Basslauf voran getriebene Opener 'Gods Of Second Chance' reichte damals aus, um bei mir einen Kaufimpuls auszulösen. Mit 'Losers In The Game', 'No Friend Of Mine' und 'Down To The River' findet man auf der Scheibe aber weitere, gleichklassige Songs. Das absolute Highlight hört aber auf den Namen 'Waiting For A Savior", eine wunderbare Halbballade, die sofort verzaubert und mitreißt. Mike Howe singt wie ein junger Gott und der Spannungsbogen der Nummer ist so straff gespannt, dass man schon beim ersten Anhören komplett gebannt ist. Wer bei METAL CHURCH immer nur an das unglaubliche Debütalbum denkt, darf sich von diesem Album, welches von unserem Chef Peter Kubaschk im geschmacksicheren Zusammenspiel mit Thomas Becker und Marius Lühring in diese Liste gewählt wurde, eines Besseren belehren lassen.
Platz 65 ist hingegen keine Überraschung. Das vierte Album aus der Solinger Stahlschmiede gilt gemeinhin als Klassiker und hat auch den Schreiber dieser Zeilen maßgeblich in seinem Musikgeschmack beeinflusst. Wie ihr sicherlich alle längst erraten habt, geht es um "Restless & Wild" von ACCEPT. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an den Moment, an dem ich das erste Mal 'Fast As A Shark' aufgelegt habe. Das war im Herbst 1982 und von Speed Metal war noch nicht wirklich etwas zu hören. Ich war zwar durch MERCYFUL FATE und ANVIL bereits angefixt, aber dass ausgerechnet eine deutsche Band den damaligen Geschwindigkeitsrekord brechen würde, war schon unerwartet und fühlte sich irgendwie auch toll an. Heute wird sich der eine oder andere sicherlich fragen, was denn an der Nummer so besonders sein soll, aber im Erscheinungsjahr war das einfach mal das Maß aller Dinge. Dazu dieses ikonische Artwork mit den beiden brennenden V-Gitarren. Besser geht es nicht. Dabei hätte man es ahnen können, denn schon der Vorgänger "Breaker" hatte unter anderem mit 'Starlight' einen extrem rasanten Song an Bord. Aber schon damals hat man den nächsten Propheten eher in der Ferne gesucht, denn im eigenen Land. Aber zurück zu "Restless & Wild". Es ist natürlich grundlegend falsch das Album auf diesen einen Song zu reduzieren, denn auch die anderen neun Nummern haben bis heute nichts von ihrer Ausstrahlung verloren. Der extrem hartkantige Gitarrensound und die Reibeisenstimme von Udo Dirckschneider waren und sind Standards im Heavy Metal, an denen man sich messen muss. Man höre nur einmal den ultraschweren Titelsong mit seinem hymnenhaften Chorus oder das böse 'Demon's Night' und man weiß, wie sich die Stilistik definiert. So ist dieses Album auch die erste Scheibe in unserer Aufzählung, welches von fünf Kollegen aufgelistet wurde: Rüdiger, Frank, Michael, Walter und Holger haben den Rundling in ihren Listen. Dass die Gitarren so hart klingen, ist umso erstaunlicher, wenn man weiß, dass entgegen der Bandphotos auf diesem Album nur Wolf Hoffmann zu hören ist. Sein bisheriger Sidekick Jörg Fischer ist kurz vor den Aufnahmen ausgestiegen – um später wieder zurückzukehren – und der auf den Photos abgebildete Hermann Frank stößt erst nach den Aufnahmen zur Band. Triviales Wissen für jeden beamteten Metal-Nerd, hier nur zur Auffrischung noch mal erwähnt. Genau wie die Lösung des damaligen Rätsels, bei wem es sich um den mysteriösen Deaffy handeln würde, der bei etlichen Songs als Texter genannt wird. Heute weiß natürlich jeder kleine Metaller, dass es sich hierbei um Gaby Hauke, die Managerin der Band und Ehefrau von Wolf handelt. Was muss man zu dem Album noch schreiben? Vielleicht, dass die beiden Seitenabschließer 'Neon Nights' und vor allem 'Princess Of The Dawn' zwei erstklassige, leicht düstere Balladen sind, die jeden Körper mit Entenparka überziehen können. So, genug Eulen nach Athen transportiert.
Für Platz 64 verweilen wir noch eine Runde in Deutschland allerdings transportiert uns die Zeitmaschine ins Jahr 1995. In Hamburg kämpft ein anderer Held des deutschen Heavy Metal mit bandinternen Schwierigkeiten und löst sie auf seinem Album "Land Of The Free" etwas überraschend. Die Rede ist natürlich von GAMMA RAY, der Band um den ehemaligen Helloween-Frontmann Kai Hansen. Ralf Scheepers, der auf den vorherigen GAMMA RAY Alben noch das Mikrophon angeschrien hat, verlässt die Band unter anderem, weil er beinahe der neue Sänger für JUDAS PRIEST geworden wäre. So übernimmt Kai Hansen selbst wieder die Doppelbelastung Gitarre und Gesang, was allein aus dem Grund seltsam anmutet, da er Jahre zuvor seinen Gesangposten bei Helloween an Michael Kiske freiwillig abgetreten hatte, da er sich selbst nicht als guten Sänger sah und weil er diese Doppelbelastung eben nicht mehr wollte. Hört man sich "Land Of The Free" an, dann hat man schnell den Eindruck, es hier mit einem Befreiungsschlag der Band zu tun haben. Man hört zu jeder Sekunde, mit welchem Eifer und mit wie viel Herzblut diese Songs entstanden und eingespielt wurden. Der Gesang von Kai hat sich deutlich verbessert, singt er hier doch kraftvoll und mitreißend. Aber auch die Musik selbst ist unglaublich frisch und energisch. Ich selbst bin kein großer Freund des melodisch-europäischen Speedmetals, da mir diese Musik in der Regel zu fröhlich klingt. Das ist oftmals zu nahe am Kinderlied oder am Schlager angesiedelt, so dass ich nicht selten den direkten Bezug zum Heavy Metal suche, ganz einfach, weil es in meinen altmodischen Ohren nicht heavy wirkt. Wie immer, gibt es aber Ausnahmen und in diesem Fall heißt die Ausnahme für mich einfach immer "Kai Hansen". Warum? Nun, er hat diesen Stil quasi mit HELLOWEEN erfunden und seine Kompositionen sind bei aller verschunkelten Jodeligkeit eben auch heavy. Einer meiner Faves der Kürbisköpfe ist 'Guardians'. Noch Fragen? Gut. Zurück ins Hier und Jetzt: Auf "Land Of The Free" bekommen wir eine wunderbar ausgewogene Mischung aus von Doublebassbeben unterlegten Melodiefeuerwerken und kraftvollen Midtemponummern. So ist das rasante 'Man On A Mission' eine Melodienlasagne Deluxe, deren Ausstrahlung man sich nicht entziehen kann. Kein Wunder, dass diese Nummer zu einem Bandklassiker geworden ist. Wie auch das epische 'Rebellion In Dreamland', welches man selbstbewusst an den Beginn des Albums gestellt hat. Ein knapp neun Minuten langer Song, der quasi alle Zutaten von GAMMA RAY zusammenfasst. Akustisch eingeleitet, im späteren Verlauf bombastisch mit Chören ausgestattet, pumpt dieser sich unaufhörlich steigernde Titel bei jedem Anhören kübelweise Adrenalinschübe aus den Lautsprechern. Ganz großes Tennis. Aber es geht manchmal auch düster und schwer: 'Abyss Of The Void' ist hierfür das perfekte Beispiel. Eine süchtig machende Notenfolge, die heute gern mal etwas im Schatten der anderen Nummern zu stehen scheint. Völlig unberechtigt, wie ich finde. Auch dieses Album wird fünf Mal in den Einzellisten genannt und zwar von Rüdiger, Marcel, Tobias, Marius und Stefan Lang. Dies ist übrigens die einzige Scheibe dieses Zehnerblockes, die auch in unserer ersten Liste war. Auch das ist ein guter Indikator für ihren Stellenwert innerhalb der Szene.
Über eben jenen müssen wir beim folgenden Album auf Platz 63 sicherlich nicht diskutieren. "Killers", das zweite Album von IRON MAIDEN, ist unbestritten ein Klassiker und weist auch 35 Jahre nach seinem Erscheinen keinerlei Abnutzungserscheinungen auf. Für mich ist es immer eine Tagesentscheidung, ob ich das Debüt oder eben diesen Nachfolger besser finde, aber da dies meine eiserne Entjungferung war, wähle ich zumeist diesen Knaller. Vorher kannte ich nur AC/DC und als das Magnetband "Killers" das erste Mal seine Runden in meinem Kassettenrekorder drehte, bin ich quasi ausgeflippt. So etwas Hartes hatte ich noch nicht gehört. Das war Liebe aufs erste Ohr und der Beginn einer Leidenschaft, die bis heute anhält. Nicht zwingend für diese Band, aber für diese Musik an sich. "Killers" war ein Ohrenöffner für mich und daher fällt es mir nicht schwer hier ein bisschen euphorisch zu schwärmen. Die Band war damals noch ungezügelt, aggressiv und gleichzeitig spieltechnisch auf hohem Niveau unterwegs. Die dreckig punkigen Vocals von Paul Di'Anno, die nur auf den ersten beiden Alben der Band zu bewundern sind, standen im wunderbaren Kontrast zur verspielten Herangehensweise an die Musik. Jeder, der diese Zeilen liest, wird beim Erklingen des Bassintros des Titelsongs unwillkürlich seine Faust ballen und auch 'Wrathchild' und 'Murders In The Rue Morgue' gehören heute zum Allgemeinwissen eines Stromgitarrenfreundes. Aber das Album hat noch weitere Perlen im Repertoire. So zählt das völlig entspannte und für die Band komplett untypische 'Prodigal Son' zu den heimlichen Hits der Scheibe, eben weil es so außergewöhnlich behutsam um die Ecke schleicht. Hier blitzt sowohl die spielerische, wie auch die kompositorische Qualität von Bandkopf Harris besonders hell auf und Paul beweist, dass er auch die ruhigen Töne ausgezeichnet beherrscht. Weitere Knüller des Rundlings hören auf so klangvolle Namen wie 'Innocent Exile', 'Drifter' oder 'Purgatory'. Wie schon auf ihrem Debütalbum beweist die Band eine große Bandbreite und schafft es eben genau hierdurch ihre Identität zu definieren. Da stört weder die Tatsache, dass man mit Adrian Smith einen neuen Gitarristen integrieren muss, noch, dass man mit dem Titelsong und 'Murders In The Rue Morgue' zwei Titel erst im Studio schreibt. Die Band funktioniert bereits in ihren Anfangsjahren wie eine gut geölte Maschine, ohne eindimensional zu klingen. Der Erfolg gibt ihr Recht, denn "Killers" verkauft sich vier Mal so oft wie der Vorgänger und erlangt in den USA, England und in Deutschland Gold Status. Dass sie mit nur drei Einzelnennungen – von Walter, Tobias und Holger – so weit nach oben geschafft hat, liegt an den sehr hohen Einzelplatzierungen, die ebenfalls eine deutliche Sprache sprechen.
Wenden wir nun unser Augenmerk über den großen Teich in die neue Welt. Genauer gesagt nach Pasadena im Staat Kalifornien. Auf Platz 61 üben ein paar gepanzerte Heilige, wie man sich in unbequemen Ritterrüstungen gut bei einer Liveshow bewegen kann. Dass ihnen dies recht gut gelingt, beweist die nicht selten gehörte Aussage, es handele sich bei ARMORED SAINT um die beste Liveband der Welt. Ehre, wem Ehre gebührt. In unsere Aufzählung hat es das zweite Album namens "Delirious Nomad" aus dem Jahr 1985 geschafft. Ein Album, welches – im Gegensatz zu den anderen Energiebatzen der Band – erst mit der Zeit so richtig zündet, da es ein bisschen glatt produziert wirkt. Hat man sich an dieses Klangbild von Max Norman erst einmal gewöhnt findet man hierauf zehn erstklassige Nummern, die allesamt Langzeitgranaten sind. Alles wirkt sehr homogen und nichts deutet daraufhin, dass Gitarrist Phil Sandoval während der Aufnahmen die Band verlässt. Angefangen bei Hochgeschwindigkeits-Adrenalinspritzern der Marke 'Conqueror', 'Nervous Man' und 'Long Before I Die' über spannungsgeladene Kracher wie 'Over The Edge' und 'You're Never Alone' bis zu dem Song, der sie alle überschattet: Der Übersong! Die Rede ist natürlich von 'Aftermath', einer düster-melancholischen Halbballade, die sich wunderbar langsam, aber stetig steigert und die zum Ende hin quasi explodiert. Diese Nummer allein rechtfertigt, nein, zwingt jeden Leser dieser Zeilen, "Delirious Nomad" seiner Sammlung einzuverleiben. Hier zeigt Sänger John Bush sein ganz großes Können noch deutlicher als in den anderen Titeln. Das ist riesengroßes Ohrengefühlskino. Sollte also irgendwer, diesen Song nicht kennen, dann gilt es dies JETZT (!) zu ändern. Danke. Den Einzug in diese Liste hat das Album Peter, Simon, Walter und Holger zu verdanken.
Platz 61 ist aus dem Jahr 1975. Es handelt sich hierbei um eines der wegweisenden Live-Alben der (Hard)Rock-Geschichte, nämlich um die erste Livescheibe von KISS mit dem einfallsreichen Titel "ALive!", welchen sie von ihren britischen Vorbildern SLADE und deren Livedokument "Slade Alive!" entliehen haben. Auf dem Doppelalbum finden wir ein Best-Of-Set der ersten drei KISS-Studioalben und den internationalen Durchbruch für die Band (und ihr Label Casablanca Records). Das Album landet in den amerikanischen Top Ten und hält sich sagenhafte 110 Wochen in den Billboard-Charts. Wir hören darauf furiose Versionen solcher Hits wie 'Black Diamond', ' Deuce', 'Strutter' und 'Cold Gin', die allesamt knackiger klingen als ihre Studiogeschwister. Mit der Singleauskopllung 'Rock And Roll All Nite' landet man sogar in den Top 20, was für eine Livesingle ein ziemlicher Erfolg ist. Fakt ist: Es wird kaum jemanden geben, der in dieser Zeit mit Rockmusik in Berührung gekommen ist, der nicht von dem überdimensionalen Rock'n'Roll-Zirkus des Quartettes angesprochen worden ist. Neben AC/DC (und später IRON MAIDEN), ist KISS vielleicht die einflussreichste Hardrockband überhaupt. Keiner hat die Grenzen so laut und so schrill übertreten, wie die Herren Simmons, Stanley, Criss und Frehley. Mehr Rock'n'Roll-Attitüde ging eigentlich nicht und schon das farbenprächtige Artwork des Doppelalbums spiegelt all' das wider. Auch wenn die Band aus heutiger Sicht vielleicht nicht hart genug klingt, ist dieses Album ein wichtiges Zeitdokument und somit haben Juliane, Tobias und Chris dieses Spektakel völlig zu Recht hier hinein gewählt.
Damit sind wir am Ende dieses Blockes. Nächsten Monat geht es wie gewohnt am ersten Samstag weiter und ihr erfahrt, wer knapp den Einzug in die Top 50 verpasst hat.
- Redakteur:
- Holger Andrae