BROTHERS OF METAL und GRAILKNIGHTS - Leipzig
13.11.2024 | 09:2308.11.2024, Hellraiser
Midgard-Eskapismus im Tor zur Hölle von Leipzig.
Ich muss gestehen, dass ich noch nie auf einem BROTHERS OF METAL-Konzert war. Das ist auch gar nicht schlimm, da es vielen Lesern genauso gehen wird wie mir. Bei mir ist es nur deswegen ungewöhnlich, weil "Emblas Saga" mein Album des Jahres 2020 war und diese Art der Musik eigentlich aus voller Inbrunst nach einer Live-Performance schreit. Aber so ist das im Leben, manchmal passt es einfach nicht. Somit konnte ich die Schweden bisher nur auf ihren Rockharz-Auftritten besuchen und wurde dort aber auch nicht so sehr überzeugt, dass sich eine weitere Anreise zu einem Gig als alternativlos herauskristallisierte. Diese Nachmittags-Auftritte waren immer zu kurz und der Sound wirklich gewöhnungsbedürftig, so dass ich aber die kleine Hoffnung hatte, dass diese Kinderkrankheiten bei einer eigenen Headlinertour der Vergangenheit angehören. Dementsprechend aufgeregt war ich tatsächlich auch als die Ankündigung kam, dass fast zeitgleich zum Release des neuen Albums "Fimbulvinter" die dazugehörige "Fimbulwintour" angekündigt wurde. Während ihr meine Einschätzung zum neuen Langdreher im Soundcheck erfahren könnt, berichte ich hier von meinen Impressionen vom Auftritt in Leipzig.
Dass die Band aktuell komplett durch die Decke geht, merkt man schon daran, dass man nach zwei Alben und einem unbekannten dritten in der Hinterhand den großen Saal im Hellraiser mal ganz locker ausverkauft, obwohl mit GRAILKNIGHTS nur eine weitere Band als Support gebucht ist. Ich bin echt gespannt, ob dieser Hype die nächsten Jahre abflachen wird oder ob wir hier tatsächlich von einem Festival-Headliner von morgen sprechen müssen. Ich bin der festen Ansicht, dass hier noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Wenn man sieht, wie viele Personen aus dem Publikum nach dem Konzert noch zum Merchandise-Stand pilgern und sich dort Shirts (für heidnische 45 EUR) und weitere Gimmicks besorgen, dann sind die Weichen auf noch größeren Erfolg gestellt und die Band macht aktuell wohl vieles richtig.
Das beginnt bereits mit der Wahl der Vorband, welche nicht nur musikalisch perfekt in diesen Rahmen passt, sondern ebenfalls leicht selbstironisch in ihrem Metier unterwegs ist. Wobei - streichen wir das leicht. Der fast 60-minütige Auftritt der Band aus Hannover erinnert in großen Zügen eher an eine Mischung aus Musical mit extra kitschiger Theatralik und einem außer Kontrolle geratenen Kindergeburtstag, als an ein Power Metal-Konzert von der Stange. Diese Over-The-Top-Parodie muss man mögen. Das fängt bei den Superhelden-Kostümen und Lichtschwertern an und zieht sich über die Liedtexte sowie Ansprachen von Sänger Sir Optimus Prime (Logo, oder was?) durch, bis hin zum Endkampf mit Maskottchen Dr. Skull. Ähnlichkeiten mit dem Master Of The Universe-Franchise und weiteren Versatzstücken unserer TV-Sozialisierung sind natürlich rein zufällig.
Apropos Lichtschwerter. Hier wird dann auch einfach in bester Mattel-Historie das Konzert für einen kurzen Werbespot unterbrochen und das eigene Produkt aus dem Merchandise beworben. Ich muss gestehen, dass ein solcher Moment zwischen purer Genialität und groben Unfug pendelt. Beim späteren gemeinsamen 'Grailrobic' mit typischen 1980er Beats und finsterstem Bodybuilding-Gepose bin ich dann aber raus. Leute, ich bin heute der Fahrer und hier bin ich mir nicht sicher, ob das selbst in einer Bierlaune funktioniert hätte. Hier und jetzt überwiegt allerdings Fremdscham. Ehrlicherweise trifft das aber auf 75% des Publikums heute Abend nicht zu. Das Hellraiser nimmt den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse bereitwillig an und zelebriert seine Rolle als "Battlechoir" sehr euphorisch. Ich beschäftige mich indes damit den jeweiligen Songs ihre mögliche TV-Soundtrack-Grundlage ('Turbo-Boost' zu Knight Rider usw.) zuzuordnen. Dieses Ratespiel macht insbesondere beim 'Superhero Medley' Spaß, da der Song selbst überhaupt keinen vernünftigen Flow entwickelt. Da gibt es in Youtube-Zeiten dutzende Versionen, welche mehr Laune machen und technisch besser umgesetzt sind. Aber in dem heutigen Kontext reicht halt die kleine Nostalgie-Spritze vollkommen aus. Den Rest regelt der "Grailknights Battlechoir" dann ganz allein. Ich bin jedenfalls froh, dass nach einem unnötigen QUEEN-Cover und dem nach jeder Faser SABATON-atmenden 'Pumping Iron Power' diese Vorführung ihr Ende erreicht.
Setliste: Intro; Muscle Bound For Glory; Cthulu; Turbo Boost; Laser Raptor 3D; Commercial Break: Lichtschwert-Werbung; Cybone One; Pinball Death Machine; Superhero-Medley; Grailrobic; Grail Gym; Knightfall; We Are The Champions; Pumping Iron Power
Aber wir wissen ja alle, dass, um nach Valhalla zu kommen, zuvor eine schmerzhafte Schlacht liegen muss. In einer fairen Welt dürfte ein GRAILKNIGHTS-Konzert doch auch zählen, oder? Somit sind meine Muskeln bis zum Zerbersten gestählt und ich erwarte die Ankunft der Drachenboote. Dabei sind BROTHERS OF METAL im Kern ja auch eine Spaß-Metal-Kapelle – nur übertreiben es die Schweden nicht beim Rahmenprogram, ziehen ihren thematischen Stiefel aber trotzdem stringent durch und haben das stärkste Songmaterial am Start, was man sich für eine solche Schlacht nur vorstellen kann. Also mehr Augenzwinkern statt übertriebende Grimassen schneiden. Stattdessen gibt es eine Wagenladung Disney-Spirit, welche mich vom ersten Ton an sofort in ein Comic-Relief verwandet. Sofort bin ich wieder in einer Welt von Peter Madsen oder Viking-Version von Terry Pratchett gefangen und bereit für kitschige Abenteuer.
Wobei sofort und vom ersten Ton an, auch heute nicht stimmt. Aus meiner Sicht tut sich die Band keinen Gefallen mit dem noch relativ unbekannten und komplexen Titeltrack des neuen Albums einzusteigen. Somit ist das Publikum zu Beginn eher noch etwas verhalten und auch die Gesänge der drei Hauptprotagonisten ergeben noch keine perfekte Synergie. Das ist natürlich die schärfste Waffe, die BROTHERS OF METAL schmieden kann. Die wenigsten werden diese Band wegen der Riffs oder Gitarrenharmonieren hören, oder? Hier werden epische Popsongs und Powerballaden mit Metalkomponenten ausgekleidet und mit etwas Folk gewürzt. Da für mich immer der Song im Fokus steht und ich finde, dass jedes großartige Lied in jedem Genre funktionieren muss und nicht abhängig sein darf von der jeweiligen Stilistik, ist diese grundsätzliche Herangehensweise an den eigenen Klang die bestmögliche Lösung. Bereits mit dem folgenden 'Prophecy Of Ragnarök' hat sich die Band vollständig gefunden und 'Njord' macht dann keine Gefangenen mehr. Fakt ist aber auch, dass sich die beiden Männer am Mikro noch so weit strecken können, wie es nur geht, sobald Ylva die Führung übernimmt, wird aus zu viel Pathos plötzlich eine Himmelsleiter und der einzige Weg Richtung Asgard geht über ihre Gesangsharmonien. Besonders das großartige 'Nanna’s Fate' zeigt deutlich in was für einer eigenen Liga die Sängerin der ebenfalls fantastischen GOOD HARVEST eigentlich spielt.
Insgesamt schaffen es fünf neue Songs in die Setliste, welche bis auf den Opener durchweg gut funktionieren, wobei insbesondere die Ballade und 'Sowilo' echte Hits sind. Ich selbst hätte zwar gerne noch ein paar Songs mehr gehört, da ich persönlich auf dem neuen Album noch stärkeres Material sehe, aber wenn man dafür Lieder von "Emblas Saga" hätte streichen müssen, dann ist das eh keine Lösung und es helfen zukünftig wohl nur noch zwei Stunden Auftritte. Aber grade 'The Other Son Of Odin' hätte im Kontext zur Vorgruppe und mit seinen starken TV-Show-Theme-Vibes zumindest perfekt gepasst. Dafür bekomme ich hintereinander 'Chainbreaker' und 'To The Skies And Beyond' (bester Song 2020) geliefert und bin komplett glücklich mit der puren Existenz des Momentes. Für andere sind das vielleicht nur gute Power Metal-Songs, aber für mich sind es durch persönliche Emotionen aufgeladene Göttergaben. Somit ist dieses Duo auch mein persönliches Konzerthighlight.
Die stärksten allgemeinen Resonanzen erzielt, wie zu erwarten war, aber das Ende des regulären Sets mit 'Yggdrasil'. Der Song über die Weltenesche entwickelt sich langsam zum bandeigenen 'Bard Song' und wird vom gesamten Hellraiser voller Ekstase mitgesungen. Eine der Kernkompetenzen von großen Bands ist es, nach so einem Peak aber noch nachlegen zu können und in so einer illustren Gesellschaft bewegt sich BROTHERS OF METAL mittlerweile. Die Entscheidung fällt daraufhin, nochmal jedes Album mit einem Song im Zugaben-Block zu würdigen, wobei das massive 'Berserkir' den Anfang macht. Jetzt darf die Band, und vor allem die Gitarristen, noch einmal etwas Scheinwerferlicht beanspruchen. Im Anschluss geht es zurück zum Debüt und das treibend folkige 'Defenders Of Valhalla' zeigt nochmal, wie prägnant das Melodieverständnis der gesamten Truppe ist und wie fein die Gesangslinien aufeinander abgestimmt sind. Beeindruckend. Zum Abschluss darf dann mein Lieblingsalbum nochmal beweisen, warum es selbst in dieser starken Diskografie die unangefochtene Number 'One' ist.
Wir leben aktuell in wirklich chaotischen Zeiten und vor allem die Perspektiven sind sehr ungewiss und mancherorts auch trüb. Gerade jetzt tut so eine Ladung Eskapismus, wie bei einem kindlich-naiven Sound von BROTHERS OF METAL einfach nur unfassbar gut. Endlich wieder unbeschwert tanzen, hüpfen, klatschen und mitsingen voller Freude. So soll und muss es doch sein und genau dieses Sorglos-Paket habe ich heute Abend bekommen. Das Ergebnis ist somit, dass ich auch zukünftig diese Band weiterverfolgen und Konzerte besuchen werde. Jetzt weiß ich auch, dass sich selbst eine Reise bis nach Asgard für diese Erfahrungen lohnen wird. Also spielt meinetwegen irgendwo 'To The Skies And Beyond' – ich komme schon hinterher. Versprochen.
Setliste: Fimbulvinter; Prophecy Of Ragnarök; Njord; Ride Of The Valkyries; Fire, Blood And Steel; Nanna's Fate; Brood Of The Trickster; Powersnake; Hel; Chainbreaker; To The Skies And Beyond; Sowilo; Rattatosk; Concerning Norns; Yggdrasil; Zugaben: Berserkir; Defenders Of Valhalla; One
Fotocredits: Norman Wernicke
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal