CRIPPLED BLACK PHOENIX, MØL und IMPURE WILHELMINA - München
11.09.2022 | 15:4530.08.2022, Backstage Halle
Licht kaputt, Stimme verloren und dennoch ein cooles Konzert
Ganze acht Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal auf einem CRIPPLED BLACK PHOENIX-Konzert gewesen bin. "White Light Generator" war damals das aktuelle Album und Daniel Änghede wurde als neuer Sänger präsentiert (zum Konzertbericht). Doch dieser ist schon längst wieder Teil der Band-Geschichte, während der die Besetzung bislang immer sehr variabel war. Und "White Light Generator" scheint den Test der Zeit wohl nicht bestanden zu haben, denn kein Song des Albums wurde heute live gewürdigt. Doch bevor wir uns um den Phönix und dessen neues Album "Banefyre" kümmern, noch ein paar Worte zu den zwei guten Vorbands.
Die erste ist IMPURE WILHELMINA aus Genf, die leider schon recht früh begonnen hat und wir (Fotodame Nives und ich) deshalb nur die letzten Minuten mitbekommen haben. Wir sehen vier sehr ernst dreinblickende Männer mittleren Alters, die einen trauernd-doomigen Sound zelebrieren, der mich an frühe KATATONIA erinnert. Die Töne quälen sich langsam aber fett wir Lava aus den Boxen, manche Töne der Sorrow-Leads sind aber auch hart an der Grenze des Dissonanten. Obwohl ich mir live nicht sicher bin, ob mit das gefällt, merkt man der Band ihre Passion für die Musik an. IMPURE WILHELMINA gibt es tatsächlich schon seit über 25 Jahren und wer sich für so lange Zeit im Underground bewegt, muss wohl auch mit dem Herzen dabei sein. Insbesondere Fans von KATATONIA sollten mal ein Ohr für das aktuelle Material (letztes Album "Antidote" von 2021) riskieren. Schade, dass wir hierfür wohl zu spät waren.
Auch die zweite Band ist für mich ein völlig unbeschriebenes Blatt: MØL (zu deutsch: Motte) aus Dänemark. Laut Infos aus dem Netz sollte uns eine Mischung aus Black Metal and Shoegaze erwarten. Beides finde ich als Stilbeschreibung aber nicht ganz treffend. Die Musik ist auf jeden Fall von der heftigeren Sorte, enthält mitunter auch rasend schnelle Blastbeats und auch kreischenden Gesang. Und dennoch ist das vom Black Metal, zumindest dem norwegisch-traditioneller Prägung, weit entfernt. Immer wieder werden poppigere und cleane Passagen eingestreut, aber nie so, dass sie - wie bei ähnlichen Stilvertretern - den Fluss und den Groove der Musik zerstören. Ich muss sagen, obwohl ich bei Konzerten oftmals Probleme mit extremeren Spielarten habe, gefällt mir MØL gleich ziemlich gut und danach von Song zu Song immer besser. Besonders hervorstechend ist hier Sänger Kim Song Sternkopf, der wirklich alles rausholt, was an Energie in ihm steckt. Dabei gelingt ihm sogar das Kunststück, so etwas wie Melodien in seine kreisch-growlenden Laute zu packen. Als Sänger ist er also schon sehr stark, doch auch von der Statur her wäre der Mann sicher ein Hingucker. "Wäre" muss ich hier leider schreiben, weil die Band fast komplett im Dunkeln spielt und man selbst auf den Fotos so gut wie nichts sieht. Fangen wir jetzt schon an, Energie zu sparen? Es ist beinahe gespenstisch, eine solche eigentlich bewegungsfreudige und hochagile Band vor vier mickrigen Scheinwerfern nahezu in Dunkelheit zappeln zu lassen. Den Spaß lässt man sich dennoch nicht nehmen, Sänger Kim steigt sogar von der Bühne hinab und performt unter den bangenden Fans, von denen es angesichts der musikalischen Ausrichtung des Headliners doch erstaulich viele zu geben scheint.
Und nun zu CRIPPLED BLACK PHOENIX. Das letzte Album "Ellengaest" habe ich anno 2020 ja sehr stark gefeiert, und das geschah zu einem Zeitpunkt, als ich die Entwicklungen rund um Justin Greaves' Bandkollektiv ein wenig aus den Augen verlor. Einen starken Akzent setzte Sängerin Belinda Kordic auf "Ellengaest", und Belinda steht zu meiner Freude seit Jahren stabil im Line-up and damit auch heute auf den Brettern. Ganze acht Musiker versammeln sich auf der kleinen, nun auch wieder ein Tick besser beleuchteten Bühne, und alle acht sind für sich schon charismatische Erscheinungen. Der große Mann mit Gitarre und Hut ist der neue Gesangspartner von Kordic, Joel Segerstedt.
Mit auf der linken Bühnenhälfte befinden sich zwei Musiker, einmal Helen Stanley und dann ein mir unbekannter Jüngling, der ein wenig wie George Michael aussieht. Beide verköstigen sich an diverse Tasten- und Blasinstrumenten. Auch ist ein neuer Klampfer mit im Line-up, Andy Taylor. Rechts dann zwei schwermetallisch ausschauende Bombenleger mit langen Haaren und Bärten, der erste ein weiterer Unbekannter am Bass und natürlich der Cheffe persönlich, Justin Greaves.
Ich bin von den ersten Tönen an begeistert, obwohl ich keinen der ersten Songs kenne. Geht auch gar nicht, denn sie stammen vom in Kürze erscheinenden neuen Album "Banefyre". Das Material kommt ungewohnt rockig und geradlinig aus den Boxen, unverwechselbar ist dabei der besondere Schlagzeug-Groove, der schon auf "Ellengeast" in die Songs geprägt hat. Und es scheint, als werden Lieder mit den Namen 'Bonefire', 'Wyches & Basterdz' oder 'The Reckoning' bald viele Extrarunden in meinem Player drehen, handelt es sich doch um exzellente, emotionale und eingängige Dark-Rock-Hymnen, die gar ein wenig an ANATHEMA zur besten Zeit erinnern. Und natürlich feiern auch ein paar "Ellengaest"-Songs ihre Live-Premiere in München (das Album erschien ja mitten in der Pandemie), nämlich 'Cry Of Love' und mein Song des Jahres 2020 'Lost' mit der markigen Zeile "We are lost as humaaaaaaans...".
Es gibt allerdings einen Wermutstropfen zu verdauen. Gleich zu Anfang bittet Justin die Fans nämlich um Verzeihung, und erläutert in starkem britischen Akzent, dass Belinda ihre Stimme verloren habe, setzt dem aber entgegen, dass der schwarze Vogel niemals Shows absagen würde. Ich muss sagen, Belinda schlägt sich wacker, aber man merkt der tapferen Dame schon an, dass sie in den Seilen hängt und mit ihren Solopassagen zu kämpfen hat. Oft singt sie aber im Duett mit dem neuen Mann, und gerade bei den aktuellen Songs hilft fast die ganze Band stimmtechnisch kräftig mit. Sehr toll. Wie muss das erst mit einer Belinda in Hochform sein?
In der zweiten Hälfte des Sets würdigt die Band dann auch ihre alten Tage, die deutlich mehr nach PINK FLOYD klangen als das aktuellere Material der Season Of Mist-Phase (SOM ist das aktuelle Label der Band). Besonders "The Resurrectionists" und "A Love Of Shared Disasters" werden hier gewürdigt. Für mich persönlich sind hier allerdings auch ein paar Längen im Spiel, der Anfangs-Drive geht ein wenig verloren und die Musik wird mir in der aktuellen Stimmung einen Tick zu melancholisch. Schöne Soli von Saxophon, Trompete und Lead-Gitarre machen aber auch diese Passagen hörenswert und gegen Ende wirds dann auch wieder heavier und hymnischer. Fast schon ein Klassiker ist der Abschlusstrack 'Burnt Reynolds', bei dem die ganze Halle mitsingt. Oh-Oh-Oh-Refrains funktionieren eben immer, und nach dem Einsacken der neuen CD gehen wir befriedigt nach Hause. Der Konzertherbst kann kommen!
Setliste CRIPPLED BLACK PHOENIX: 444; Wyches & Basterdz; Bonefire; The Reckoning; Dead Is Dead; Lost; Cry Of Love; Everything Is Beautiful But Us; Blackout 77; Great Escape; Song For The Loved (End Part); Rise Up And Fight; You Take The Devil Out Of Me; We Forgotten Who We Are
Encore: Burnt Reynolds
- Redakteur:
- Thomas Becker