Rage, Nightwish - Ludwigsburg
28.10.2000 | 08:2812.12.1999, Rockfabrik
Es hätte ein schöner Abend werden können: ein laues Lüftchen wehte durch Berlin-Neukölln, dem Stadtteil mit dem "größten Sozialamts Europas", der berüchtigten Rütli-Hauptschule und dem Flughafen Tempelhof, wo einst nach dem Mauerbau die sogenannten "Rosinenbomber" der Allierten die Berliner Bevölkerung mit den Care-Paketen beglückten. Lange ist dies her und heute Abend beglücken uns ACCEPT, die deutsche Metal-Legende schlechthin, mit ihrem letzten Gig in der Heimat, bevor die "Spring Tour 2012" weiter rollt wie ein T-54 durch Europa (Frankreich, Belgien, Niederlande, Deutschland, Tschechei, Polen sowie Russland). Ein schöner Monat April für die Jungs - 17 Shows in 22 Tagen. Da kann man nicht meckern.
Seit ihrem (wievielten?) Comeback (2010) mit dem Kracher "Blood Of The Nations" sind ACCEPT wieder in Spiellaune und haben einen Sänger an Bord, nämlich Mark Tornillo (ex-TT QUICK), der die metaltypischen Shouts ebenso beherrscht wie die kraftvollen Mitten, zudem hat Herr Tornillo einen Blues im Timbre, der exzellent zum amerikanischen 80er/90er Blues-Hardrock gepasst hätte (Bands wie BADLANDS, GREAT WHITE u.ä.). Doch ACCEPT haben sich diesen Kerl geangelt und fahren sichtlich ganz gut damit. German Metal mit US-Touch eben, hatten wir ja schon einmal anno 1990 mit D.Reece.
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, es hätte ein schöner Abend werden können. Kurz nach acht Uhr komme ich in die Halle und staune am Eingang nicht schlecht. Leer und friedlich, auch die Security schnarcht mit offenen Augen. Sollten die Fanscharen ausbleiben bei einem Metal-Gig mitten in der Woche? Hatten die Leute die letzte Kohle für ACCEPTs neuesten Knaller "Stalingrad" zusammengekratzt? Es ist viel banaler. Der Support-Act HELL hatte seinen Set schon gleich nach dem Abendbrot und vor dem Sandmännchen absolviert, ACCEPT steigen weit vor 21:00 Uhr auf die Bühne. Es greift immer häufiger die Unsitte um sich, daß Vorbands früher ihr Programm bestreiten als geplant und angekündigt. Die Headliner kommen dann auch schon einmal 15 Minuten eher aus dem Backstagebereich. Wahrscheinlich sind "Sex, Drugs and Rock´n´Roll' auch nicht mehr so erquickend spannend wie einst. Vielleicht zwingen jedoch gewisse finanzielle Eigenarten die Bands zum strafferen Tourablauf als seinerzeit in den 80er Jahren. Damals haben die Bands durchschnittlich mindestens 30 - 45 Minuten auf sich warten lassen. Die geplante (und gewollte) Verzögerung war oftmals mehr als ärgerlich, aber das Bier musste eben fliessen. Es geht immer bloß ums Geld. Auch heute.
So, die Hölle von HELL hatte nun schon geschlossen, die Jungs saßen wohl schon wieder im Nightliner-Bus und schauten irgendwelche DVDs, als das Hallenlicht erlischt und ACCEPT mit den Granaten 'Hellfire' und 'Stalingrad' der neuen Platte die Bretter stürmen und damit die 2012er Show mit zwei neuen Titeln eröffnen. Sehr mutig, die Herren. Was sogleich auffällt: die Spielfreude der altgedienten Metaller und ein Programm, das versucht, es allen Fans recht zu machen. Was schwierig erscheint, denn viele der älteren Anhänger dürstet es lediglich nach den Gassenhauern der 80er Jahre. Nach 'Stalingrad' kommen dann aber die bekannten Songs wie 'Restless And Wild', 'Living For Tonite', 'Breaker', 'Son Of A Bitch' - die ersten Reihen jedenfalls schunkeln einander und bangen das flotte Haupthaar. Im Ernst, das sind die Lieder die ein ACCEPT-Fan hören möchte. Aber so ergeht es vielen Bands aus den alten Tagen. Die Setlists gleichen eher Best-Of-Programmen, die Bands scheuen den Mut zum Risiko.
Die Mannen um Wolf Hoffmann jedenfalls beweisen Mut und füllen ein Drittel der heutigen Show mit Songs aus den letzten beiden Alben, also vier Stücke von "Blood Of The Nations" und drei von "Stalingrad". Dafür gebührt ihnen Respekt, sie könnten es sich auch leichter machen. Obwohl Mark Tornillo der Frontmann ist, das Zepter respektive die Gitarre schwingt Wolf Hoffmann. Allein schon ob seiner Statur sowie glänzendem Schädel füllt er den Bühnenraum aus, wandert alle Ecken ab, beansprucht viel Luft und Raum für sich, stellt Kontakt her zum Publikum, schaut in die Gesichter und lächelt zufrieden. Sänger Mark bremsen anscheinend noch die Sprachbarrieren, es soll noch Kurse in der örtlichen Volkshochschule geben. Außer den üblichen Ankündigungen vor den jeweiligen Titeln sowie "danke schön" und ähnliches kommt da nicht viel. Ist auch nicht weiter tragisch, wir wollen ja keine ellenlangen Vorträge hören. Wir wollen Metal!
ACCEPT geben uns Metal!
'Monsterman', 'Bucket Full Of Hate', 'Shadow Soldiers' sprengen sich durch die Halle und dann stimmt Wolf Hoffmann sein Solo an, bevor die Fans wieder die Chöre singen dürfen zu 'Neon Nights', 'Bulletproof', 'Losers And Winners' sowie 'Aiming High'. Was dezent negativ auffällt: der laut-schreiende, mitten- bis höhenlastige Sound in der Halle. Die Ohren stehen kurz vor dem Kollaps. Die Halle bebt ein erstes, richtiges Mal, als 'Princess Of The Dawn' intoniert wird. Jetzt sind sie wach und hellauf begeistert. 'Princess Of The Dawn', meine Güte, das war schon 1982 ein simpler, aber knackiger Groover und ist es 30 Jahre später immer noch. Ein zeitloser Stampfer, ein Trademark wie SAXONs 'Dallas 1 PM', IRON MAIDENs 'Number Of The Beast' oder JUDAS PRIESTs 'You´ve Got Another Thing Comin´'. Immer wieder faszinierend wie die Fans eine Hand zur Faust geballt in die Höhe strecken, in der anderen Hand den Bierbecher halten und die Brühe schwappt heraus im Rhythmus der Musik, da fließt er von dannen, der gute Gertsensaft. Es ist wirklich das letzte Drittel der Show, daß die Leute wieder auf die Beine bringt, denn einige Fans (bevorzugt die Älteren) schauen schon nervös auf die Armbanduhren oder Handys, denn am nächsten Morgen ruft die Arbeit.
Doch Songs wie 'Up To The Limit', 'No Shelter', 'Pandemic' halten die Masse am Kochen, doch der Sturm bricht sich erst Bahnen als das berühmte Verslein "Heidiheidoheida" vom Mischpult eingespielt wird. 'Fast As A Shark', was sonst, pumpt das Blut zum Herzen und wieder retour. Klasse Speed Metal, kann man immer noch nicht genug von bekommen und Drummer Stefan Schwarzmann vermöbelt seine Felle auf brachiale Weise. Überhaupt, das tighte Zusammenspiel der Band macht Spaß, wie es immer Spaß bereitet, Helden aus den 80er noch mal live erleben zu können, egal, in welcher Bandversion auch immer.
"Die müssen doch noch 'Metal Heart' spielen", schreit ein Nachbar seinen Kumpel an. "Ja, das muss noch kommen, unbedingt", erwidert der fachmännisch. Als ob die Herren Baltes, Hoffmann, Frank, Tornillo sowie Schwarzmann Gedanken lesen können, als erste Zugabe pocht 'Metal Heart' recht bombastisch aus dem P.A.-System. 'Teutonic Terror' folgt zugleich, bevor, natürlich, Song Nummer 21, 'Balls To The Walls', die Anhängerschar noch ein letztes Mal befeuert. Der Magen hebt sich vor Freude und Sodbrennen lodert in der Speiseröhre wie Höllenfeuer.
Der Set war vor 23:00 Uhr beendet, gediegen gehen alle nach Hause, es gibt kein Gerangel und Gepöbel. Auch Speed Metal-Freaks werden älter, vernünftiger, gesitteter. Einige Stimmen kritisieren beim Rausgehen noch, daß zuviele neue Songs gespielt wurden, doch, was soll´s, auch damit muss man leben können.
Es war ein gutes Metal-Konzert. ACCEPT sind immer noch eine Bank, der neue Sänger hat sich gut eingelebt und auch das berühmte Ballett wird dezent öfters angedeutet. Die Tarnanzüge sind indes in der Kleidersammlung, ebenso die Stirnschweißbänder und Spandexhosen aus den Achtzigern, man muss nicht alles aufheben. Die ACCEPT-CD-Sammlung sollte man aber mehr als pflegen.
Es hätte ein schöner Abend werden können. War es auch!
- Redakteur:
- Dirk Ballerstädt