Rock Hard Festival - Gelsenkirchen

28.06.2011 | 09:48

10.06.2011, Amphitheater

Wetterkapriolen, gemütliche Stimmung und tolle Bands am Pott-Kanal.

Viele Anhänger heißen die Holländer von VANDERBUYST um punkt 12 Uhr willkommen, die mit der sensationellen, selbstbetitelten Debüt-Scheibe aufwarten. In warmer Mittagssonne schießen die drei Hard-Rocker Songs wie 'To Last Forever', 'Tiger' oder auch 'New Orleans' in die neugierige Masse. Als ab der Mitte des Auftritts zwei nicht gerade schlecht aussehende Blondinen die drei Jungs unterstützen, gibt es auch etwas fürs Auge. Ob dies unbedingt von Nöten war, sei mal dahingestellt, da VANDERBUYST auch alleine das Theater mit frischem und unbekümmertem Hard Rock begeistern können. Ein im Großen und Ganzen gelungener Auftritt, der sich im nächsten Jahr an gleicher Stelle wiederholen könnte. Oder wie war ihre abschließende Frage, ob man die Jungs bald wieder sehen möchte, sonst zu deuten, Herr Kühnemund?

[Marcel Rapp]

Bei ihrer Tour mit AIRBOURNE vergangenes Jahr hatten ENFORCER mächtig Zeit, sich gut was abzuschauen. Das Gelernte wird auch gleich in eine anständige Rock'n'Roll-Attitüde umgesetzt und die vier Jungs posen schon zur Mittagszeit, was das Zeug hält. Trotz der Hitze rennen sie viel auf der Bühne hin und her, stacheln die Rocker vor der Bühne an und lassen eine Rock-Nummer nach der anderen aus den Boxen pfeffern. Zu Songs wie 'Diamonds And Rust' verschaffen sich die Anhänger etwas Kühlung durch Bewegung und am Ende stellt Sänger Olof Wikstrand fest, dass es hier zwar heiß ist, in der Hölle aber noch wärmer. Also dann: 'Take Me To Hell'.

[Pia-Kim Schaper]

Der Kodex hat sich anscheinend reiflich überlegt, ob er - als zutiefst im Untergrund verwurzelte und nicht allzu festivalerprobte Band - denn nun wirklich vor einem solch großen, weitgehend nicht mit der Band vertrauten Publikum auftreten soll. Da die Veranstalter die Oberpfälzer aber unbedingt in den Kohlenpott holen wollten und ein wehrhafter Epiker keine Gefahr scheut, ist es eine Ehrensache, dass wir die Gelegenheit bekommen, ATLANTEAN KODEX an diesem sonnigen Sonntag auf der Bühne des Amphitheaters begrüßen zu dürfen. Die Reaktionen des Publikums auf die schicksalhaften Weisen, die tollen Hooklines und die epische Erhabenheit, fallen dann auch sehr unterschiedlich aus. Wo die treuen Fans die Band nach allen Regeln der Kunst abfeiern und im Rund vor der Bühne ausgiebig alle Zeilen mitgesungen und viele Fäuste in die Luft gereckt werden, da hört man während des Gigs und danach nicht wenige Musiker mäkeln, dass die Band sich doch sehr amateurhaft präsentiert und öfters mal verspielt habe. Nun, das will ich gar nicht bestreiten, und im Übrigen räumen dies die beiden Gitarristen der Band auch unumwunden ein. Schließlich haben wir es mit einer Band zu tun, die mit Erfahrung auf der großen Bühne kaum gesegnet und daher verständlicher Weise sehr nervös ist. Bezieht man all das in die Betrachtung mit ein, dann können wir von einem wirklich gelungenen Auftritt sprechen, der dem überkritischen Musicus vielleicht zu unvollkommen ist, der aber die Fans mit einem unaufgesetzten Auftreten und ehrlicher Hingabe an die Musik zu fesseln versteht. Dafür spricht dann wiederum, dass man von vielen vorher nicht mit der Band vertrauten Zuschauern nachher viel Gutes über sie hört. Und darüber, dass Sänger Markus Becker eine ganz großartige Leistung abgeliefert hat, da sind sich letztlich fast alle einig. Für mich war es einmal mehr großartig, zu Songs wie dem grandiosen 'Pilgrim', der Bandhymne 'Atlantean Kodex' oder dem Doom-Brocken 'Temple Of Katholik Magick' mitsingen zu dürfen, und da fallen dann kleine spieltechnische Wackler oder eine sehr bescheidene und unauffällige Bühnenperformance nicht negativ ins Gewicht.

[Rüdiger Stehle]

Puh, wie die Geschmäcker auseinander gehen können. Wo mein geschätzter Kollege eine unaufdringliche Bühnenshow sieht, erlebe ich den fleischgewordenen Dilettantismus und muss mich fragen, wie man eine Band in dieser Verfassung auf die Bühne eines großen Festivals schicken kann. Und so versinkt die Epik in einem Bad aus Spielfehlern und anmaßenden Songkonstruktionen, die das Erbe der alten MANOWAR (übrigens eine Band, die Technik, geile Songs und eine große Bühnenshow verbinden konnte!) und der Götter des Nordens, BATHORY, auf's schändlichste verraten. Allein gesanglich macht dieser Auftritt wirklich Spaß, denn Markus Becker ist das wahre Talent auf der Bühne. Das kommt mit Power, das kommt mit Gefühl - genau so, wie ich mir Epic Metal vorstelle. Und da macht es dann sogar immer weniger aus, dass die Gitarren mit allen Mitteln versuchen, dieses Erlebnis zu zerstören, hach, wie schön ist doch die Fähigkeit des menschlichen Ohres, sich auf ausgewählte Elemente in der Musik zu konzentrieren. Doch wenn ich an diese Leadgitarre denke - vor allem im Spiegel der später auftretenden ANACRUSIS - frage ich mich, was an diesem Auftritt zum Niederknien gereicht.

[Julian Rohrer]

Von Herrn Kühnemund um kurz nach 15 Uhr als eine der besten deutschen Bands angekündigt, entern die Koblenzer von METAL INQUISITOR die Bühne des kreisrunden Amphitheaters. Bereits zum wiederholten Male kann Sänger und Spaßbacke El Rojo mit seinen Mannen die Gelsenkirchener Meute mit bestem, englisch angehauchtem, traditionellem Heavy Metal begeistern. Trotz etwas spärlich besetztem Theaters, feiern diejenigen, die in den Genuss der charismatischen Combo kommen, Songs wie 'Persuader', 'Restricted Agony' oder das abschließende 'Days Of Avalon' frenetisch ab. Auch wenn El Rojo seine rote Matte schon vor längerer Zeit "Lebe Wohl" gesagt hat, animiert er alle zum begeisterten Headbangen. New Wave Of Koblenzer Heavy Metal wird in seiner schönsten Form zelebriert, auch wenn ein paar schnellere Stücke und Rausschmeißer wie 'M4A1' und 'Starchaser' außen vorgelassen wurden. Sei's drum; die Jungs hatten ihre Freude und spiegelten jene in die Massen, die METAL INQUISITOR eine enorme Gänsehaut bereiteten.

[Marcel Rapp]

Zeit für anspruchsvollen Metal! Nachdem METAL INQUISITOR wohl einen coolen Gig hingelegt haben, darf eine echte Undergroundlegende ran: ANACRUSIS. Wobei das mit der Undergroundlegende ja auch durchaus hinterfragt werden darf: Zumindest seit dem KEEP IT TRUE 2010 ist der Name wieder etwas mehr im Munde verschiedenster Szenefans und so verwundert es kaum, dass das Feld vor der Bühne recht gut besucht ist. Zwar ist das Auditorium immer noch weit von einem quantitativen Rekord entfernt, aber das Interesse befeuert ein mögliches Comeback der Band und überträgt sich sichtlich auf die Musiker, die leidenschaftlich ihre ungewöhnliche Mischung aus Thrash Metal und emotionalen Momenten in das Halbrund feuern. Sänger und Gitarrist Kenn Nardi ist dabei der Hingucker und das Faszinovum schlechthin: Seine Screams kommen genauso verrückt rüber, wie sein klarer Gesang zum Träumen und Nachdenken einlädt. Obwohl die Band eine 15-jährige Pause hinter sich hatte, als sie 2009 noch einmal Blut geleckt hat, scheint das dem Spirit keinen Abbruch getan zu haben. Mit einem perfekten Sound ausgestattet erleben die Rock-Harder einen ausgereiften und anspruchsvollen Auftritt. Mit den genial vorgetragenen Songs 'Release', 'My Soul's Affliction', 'Sound The Alarm' und 'Grateful' liegt der Schwerpunkt des Gigs klar auf dem letzten regulären Album der Band von 1993, "Screams And Whispers“. Das als zweiter Song vorgetragene NEW MODEL ARMY-Cover 'I Love The World' überrascht dann aber dennoch, ist aber nur ein weiterer Beweis für die Vielseitigkeit der Band aus den Staaten. Ein toller Auftritt, der Lust auf mehr macht. Einen neuen Song der Band konnte man bislang schon hören, auch entschied man sich für weitere Auftritte, aber ob da noch ein neues Album kommt, bleibt der individuellen Hoffnung überlassen.

[Julian Rohrer]

Vor gut zwei Monaten stand die US-Metal-Legende VICIOUS RUMORS in Königshofen auf der KIT-Bühne und hatte sich dafür - ähnlich wie im vorletzten Jahr fürs Headbangers - mit Gary St.Pierre etwas ganz spezielles ausgedacht. Es waren nämlich Kevin Albert, der Sohn des verstorbenen Ex-Sängers Carl Albert, sowie einige weitere ehemalige Mitglieder mit auf der Bühne. Bei so viel Nostalgie ist der Fan zwar begeistert, muss sich aber unweigerlich auch fragen, ob sich denn die derzeitige Stammbelegschaft mit all den Gastauftritten noch heimisch fühlt oder ob die Bandleader Geoff Thorpe und Lary Howe nicht zu viele Wechselspielchen betreiben. Gerade jetzt, wo die Band mit "Razorback Killers" eine unglaublich gute neue Scheibe am Start hat, ist diese Frage berechtigt und die beste Antwort liefert eben der heutige Auftritt beim Rock Hard. Trotz seines gewöhnungsbedürftigen Outfits und einer Frisur, die Crusty, den Clown, neidisch machen würde, präsentiert sich Frontmann Brian Allen in bestechender Form. Er bringt die gefühlvollen Töne ebenso glaubwürdig herüber wie er die glockenhellen Screams messerscharf auf den Punkt zuschneidet. Dazu gibt er sich agil, gut gelaunt und legt eine Bühnenshow hin, von der sich der eine oder andere sonstige Frontmann des Festivals noch einiges abschauen könnte. Hier werden die Saitenmannen vorbildlich einbezogen und obwohl in bestechender Tightness alte Hits und neue Volltreffer unter das Volk geballert werden, wirkt die Band nicht steif oder überkonzentriert, sondern lebendig und spaßig. So springt Brian öfter wie ein Gummiball über die Bühne und kriegt sich gar nicht mehr ein, bis ihn Geoff dann eben Mal an den Haaren wieder hochziehen "muss", als er sich gerade auf den Brettern windet. Larry ist der gewohnte Schalk am Drumkit und auch Gitarrist Kiyoshi Morgan, sowie Basser Stephen Goodwin spielen ihren Part heute königlich - als würden sie schon immer zur Truppe gehören. Da bei all diesen grandiosen Livefähigkeiten auch die Setlist ein Volltreffer ist, gibt es letztlich nicht den geringsten Anlass für Kritik. Nach dem grandiosen Diktatoren-Doppel zum Einstieg gibt es zwei der absoluten Highlights vom bärenstarken neuen Album, bevor es zurück zur Carl-Albert-Phase geht, die mit je zwei bis vier weiteren Highlights von "Welcome To The Ball" und "Digital Dictator" gefeiert und nur vom weiteren nagelneuen Hammer 'Let The Garden Burn' unterbrochen wird. Zu guter Letzt sind dann noch einige Alben an der Reihe, die bisher noch nicht vertreten waren. Denn zunächst eröffnet 'Hellraiser' vom dritten Album das große Finale, bevor mit 'Warball' auch der Vorgänger des aktuellen Albums gestreift wird. Doch damit nicht genug, denn es gibt auch noch eine grandiose Version des Debüt-Titelstücks 'Soldiers Of The Night', bevor als Zugabe noch der ausgiebig mitgesungene und abgefeierte "III"-Klassiker 'Don't Wait For Me' ins Rund kracht. So bleibt nur die Feststellung, dass VICIOUS RUMORS hier ein Fabelgig gelungen ist, der eines Headliners würdig gewesen wäre. Dass dann am Ende der gute Geoff noch seine Gitarre an einen Fan in der ersten Reihe verschenkt, setzt dem Event die Krone auf.

Setlist: Digital Dictator, Minute To Kill, Murderball, Razorback Blade, Dust To Dust, Out Of The Shadows, Abandoned, Let The Garden Burn, Worlds And Machines, Lady Took A Chance, Hellraiser, Warball/ Soldiers Of The Night, Don't Wait For Me

[Rüdiger Stehle]

Mit 'The Green And Black' stampft der heimliche Sonntags-Headliner pünktlich um 19:10 Uhr auf die Bühne. Und wenn mit OVERKILL eine der besten Livebands dieses Planeten zum Tanz bittet, überlegt die Meute nicht lange und lässt sich diesen besonderen Auftritt von Bobby "Blitz" Ellsworth und seinen Mannen nicht entgehen. Ziehen die New Yorker mit einem drückenden Sound und einer tobenden Fanschar zunächst alle Register und knüppeln mit bandeigenen Klassikern der Marke 'Rotten To The Core', 'Ironbound' und 'Hello From The Gutter' einen Kracher nach dem anderen aus dem Hut, fällt dem guten und stets vitalen Bobby doch ein, dass sie ein Special-Set für Gelsenkirchen geplant haben. Zur Überraschung aller Beteiligten, zelebriert der Fünfer nach dieser Aussage gleich zwei Songs vom legendären Demo "Power In Black" aus dem Jahre 1983. Das Amphitheater gerät völlig aus dem Häuschen und feiert das blitzschnelle 'Deathrider', sowie das gewaltige 'The Beast Within' frenetisch ab. Mit dem bekannteren 'In Union We Stand' und dem schleppend bedrohlichen 'Skullcrusher' bedanken sich OVERKILL beim deutschen, gleichnamigen Fanclub, ehe die Truppe ihr bärenstarkes Set mit den obligatorischen 'Old School' und 'Elimination', sowie dem Statement 'Fuck You' beenden. Wie OVERKILL ihre Fans positiv mit einigen Schmankerl überraschten, so tut es ihnen der oben genannte Fanclub gleich und übergibt dem sichtlich erfreuten Fünfer nach dem Auftritt eine riesige Bandplakette. Wo man hinschaut, finden sich nur zufriedene Gesicher: Amphitheater, was willst du mehr?

[Marcel Rapp]

 

Wie in den vergangenen Jahren auch, nutzt man die Umbaupause zum Headliner mit der Präsentation der Karaokegewinner, die am Samstag und Sonntag jeweils auf dem Vorplatz ermittelt wurden. Somit dürfen sich heuer zunächst zwei Damen auf der Hauptbühne präsentieren, die mit 'Watching Over You' von ICED EARTH den Festivalsong 2011 im Repertoire haben. Sehr nett, zumal der Song die Gänsehaut zurückbringt, die er am Vorabend schon flächendeckend verteilt hatte. Im Anschluss darf ein elfjähriger Junge seine Version von 'Fear Of The Dark' darbieten – inklusive Schwenken der Nationalflagge Großbritanniens. Das macht der Jungspund sehr ordentlich und rührt tatsächlich alle Anwesenden ("oh, wie süß"). Tolle Leistung. In diesem Jahr haben sich die Veranstalter aber noch eine Neuerung einfallen lassen: Sie lassen das Publikum über das coolste T-Shirt des Festivals abstimmen. Wie es sich für ein Metalfestival gehört, sind das vor allem abgetragene Shirts aus der guten alten Zeit (früher war alles besser). Kein Wunder also, dass ein SLAYER-Shirt von 1985 den "Old-School-T-Shirt-Contest" gewinnt (obwohl mit DARK ANGEL ein genauso alter und viel coolerer Lappen zur Auswahl stand). Damit will man natürlich erreichen, dass sich das Publikum im nächsten Jahr modetechnisch noch mehr zum Affen macht. Das ist nur überhaupt nicht spannend und kann kaum jemanden im Amphitheater begeistern. Dann zumindest eine willkommene Unterbrechung? Leider nein, denn die Karaokegeschichte ist der schlechteste Zeitpunkt, um sich ein Bier organisieren zu wollen, da die Stände total überlaufen sind. Zeigt vielleicht auch den Stellenwert, den dieses "lustige" Spielchen (inklusive der Karaoke) hat. Eine weitere Band würde mir da definitiv besser gefallen.

[Chris Staubach]

Ja, da hat er Recht, der Chris. Zwar waren die Darbietungen als solche heuer netter als in den Jahren zuvor, doch ist das Spielchen reichlich überflüssig und das Vorspielchen gar relativ lästig. Wenn über das ganze Wochenende unterschiedlich talentierte Stimmchen die immer gleichen Lieder trällern und das auch noch direkt vor dem Ausgang des Festivalgeländes, dann wird's halt irgendwie öde. Klar, die Gewinner können singen. Klar, es ist nett und witzig, wenn ein elfjähriger Nachwuchs-Bruce von der Furcht vor dem Dunkel singt. Aber braucht man das? Und wenn wir diese Frage wirklich mit "Ja!" beantworten wollen, dann sollte man dem jungen Burschen wenigstens vorher stecken, dass man eine Nationalfahne nach dem Schwenken grundsätzlich gar niemals nicht auf den Boden fallen lässt. Ein Glück, dass die anwesenden Briten im Publikum entweder am Bierstand oder schon zu betrunken waren, um sich über einen derartigen diplomatischen Fauxpas zu echauffieren. Und was den T-Shirt-Wettbewerb angeht, hat sich die POWERMETAL.de-Redaktion nach Kräften bemüht, unseren Ritter des Forums mit seinem verblichenen 89er-MANOWAR-Shirt an die Spitze zu brüllen, doch gegen das seit Jahrzehnten im "SLAYER!!!"-Rufen geübte Publikum eines Metalfestivals hat man mit knapp zehn Stimmen halt keine echte Chance. Wenn man bei einem solchen Contest das Publikum entscheiden lässt, dann gewinnt immer SLAYER, oder nicht?

[Rüdiger Stehle]

Außerdem fragen sich viele begeisterte Karaoke-Sympathisanten, ob die Verantwortlichen wirklich nach Leistung oder doch mehr nach der Optik schielend entschieden haben. Soll heißen, dass eine 'Watching Over Me'-Kandidatin bereits das Cover einer vergangenen Rock-Hard-Ausgabe verzierte, somit keine Unbekannte mehr war, und der elfjährige Bub' wohl überall das Prädikat "süß", "zuckersüß" und "zum Knuddeln süß" erntete. Insbesondere sorgte ein Herr (war das nicht Oliver Strasser von CUSTARD?) mit seiner 'Hail And Kill'-Coverversion für viele begeisterte Gesichter, die ihn vor DOWN wohl gerne auf der hiesigen Theaterbühne gesehen hätten. Auch wenn sich im Endeffekt viele für das Karaoke zu Recht begeistern konnten und es eine gelungene Abwechslung, sowie Unterhaltung darstellte, so bin ich im nächsten Jahr doch arg gespannt, wer mit welchem Song das Rennen macht. Karaoke sei Dank hatte ich 72 Stunden lang einen mächtigen Ohrwurm von MÖTLEY CRÜEs 'Girls Girls Girls'. Hilfe!

[Marcel Rapp]

Nach dem in diesem Jahr wirklich herausragenden Karaoke-Spaß mit dem kleinen Bruce, sollte nun also die Southern Metal Legende DOWN kommen. Mit einem der charismatischeren Sänger des Genres, der Legende Phil Anselmo am Mikrophon. Ein bisschen PANTERA-Gefühl kommt tatsächlich auf, als der junge Mann die Bühne betritt. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle? Ja, durchaus, aber anders als erwartet. Zunächst überrascht allerdings der verplante Haufen, der da auf der Bühne steht. Wer soll anfangen, wie lautet der erste Song, weitere Fragen werden da diskutiert, bis es endlich los geht. Ob diese Abstimmungsschwierigkeiten inszeniert sind oder nicht, das darf jeder für sich selbst eruieren, verwirrend ist es für einen Headliner allemal. Los geht es mit der Begräbnis-Prozession, dann kommt ein knalliges 'Hail The Leaf'. Phil sieht dabei aus wie der Hohepriester dieses abgefuckten Haufens - nein, er ist es. In der ersten Hälfte des Abends möchte man ihm zur Seite stehen, ihm einen Zivi abkommandieren – den Verlust des Wehrersatzdienstes verfluchen, wobei das ein anderes Thema ist – ihn an der Hand nehmen, ihm helfen. Auch stimmlich ist der Mann nicht ganz auf der Höhe. Von seinem gefühlvollen, vollen Gesang, kommen heute zumeist nur Screams an, alles ist von einer dicken Schicht Heiserkeit überdeckt.

Richtig emotional wird das an Dimebag Darrel gewidmete 'Lifer', in dessen Ansage Phil andeutet, dass der heutige Auftritt beinahe gecancelt worden wäre. Und sieht man sich die Verfassung dieses Mannes an, der offensichtlich deutlich zu oft den Drogen zugesprochen hat, kann man diese Gedanken nachvollziehen. Doch hebt sich dieser Post-Drogen-Missbrauch-Schleier, sieht man, was Anselmo eigentlich sein könnte: Ein unheimlich charismatischer, witziger und verdammt fähiger Frontmann. Doch all das tritt zurück, um einen Mann zurückzulassen, der ein Schatten seiner selbst ist. Aber nur um das einzuordnen: DOWN rocken die Bude trotz allem! In dieser ambivalenten Situation, die übrigens auch zu völlig verschiedenen Konzerterfahrungen führt – so sind nach dem Auftritt Meinungen von "total beknackt" bis "genial" zu hören - nimmt das Mississippi-Dampfschiff immer mehr an Fahrt auf und durchpflügt den schillernden Fluss voller Kraft. Das Rund vor der Bühne ist ein wogendes Meer von bangenden Köpfen, es wird gesungen, was das Zeug hält, für viele scheint ein Traum wahr zu werden. Natürlich darf auch eine Ode an die Heimat nicht fehlen, 'Sweet Home Louisiana' wird mit dieser kratzigen, abgefuckten Stimme zu einer Irrfahrt durch die eigene Hörgewohnheit.

Nebel zieht zu 'New Orleans Is A Dying Whore' auf, denn auf dem gesamten Gelände glimmen die Joints fast im Takt der rhythmischen, abgehackten Bewegungen des tätowierten, verrückten Dirigenten auf der Bühne mit dem malerischen Namen Ganja Phil Marley. Dieser hat zwischen den Songs eine Menge zu erzählen und wird nicht müde, die Ränge zum Abgehen aufzufordern, was nach einem derart mit Höhepunkten angefüllten Wochenende allerdings nur auf eingeschränkten Widerhall stößt. Das ärgert Phil natürlich umso mehr, bringt ihn fast in Rage. Gut für uns; so wird 'Ghosts Along The Mississippi' zu einer echten Powernummer, auch wenn hier die klaren Gesangspassagen schmerzlich fehlen. Richtig skurril wird es mit 'Temptations Wings', denn Phil ist unzufrieden mit der Leistung seiner Band. Also wird der Song abgebrochen, die Jungs abgewatscht und zu mehr Aktion aufgefordert, das Spiel von vorne aufgenommen und Phil als neuer Joey DeManowar des Südens etabliert. So nimmt der Abend also seinen Lauf und als es zur Zugabe kommen soll, bleibt Phil mit dem Hinweis darauf, dass es nur auf der Bühne richtig toll ist und der Backstagebereich langweilig sei, auf den Brettern. Das obligatorische 'Bury Me In Smoke' beendet den Konzertabend und das Festival kontrovers, denn Phil, nun völlig in seinem Live-Rausch aufgegangen, verlässt die Bühne zunächst nicht, rülpst ins Mikro, spielt Drums und bedankt sich immer und immer wieder beim Publikum. Dadurch gerät auch der geniale Instrumentenwechsel, der während des letzten Songs angestrengt wird, leider ins Hintertreffen. Wie klasse ist es denn bitte, dass die Roadcrew die Instrumente übernimmt, ohne den Song zu unterbrechen, und virtuos zu Ende bringt, was andere angefangen haben?

Nun ist dieser Bericht verdammt lang geworden, unterstützt aber nur den ambivalenten Eindruck und die Zerrüttung, die mich nach diesem Auftritt dominieren. Phil ist ein Schatten seiner selbst und dabei immer noch eine Ikone. Er ist ein Witz, jemand, über den man lächeln kann, und in seiner morbiden Manie dennoch eine spannende Persönlichkeit. Die Band - eigentlich eine sogenannte Supergroup - tritt hinter dieser Mauer aus Charisma automatisch in den Hintergrund, was an sich völlig verrückt ist, da hier echte Legenden auf der Bühne stehen (C.O.C., CROWBAR). Aber genau für solche Erlebnisse fahren wir auf Festivals, leben wir den Metal. Und wenn das das Fazit ist, dass man nach solch einem tollen Wochenende ziehen kann, dann könnte man es auch deutlich schlechter treffen. Das Rock Hard 2011 ist vorbei, doch die tollen wie die kontroversen Erfahrungen werden noch lange Stoff zum Erinnern bieten. Perfekt.


Setlist: Lybergic Funeral Procession, Hail The Leaf, Lifer, Losing All, New Orleans Is A Dying Whore, Pillars Of Eternity, Ghosts Along The Mississippi, Temptations Wings, Eyes Of The South, Stone The Crow, Bury Me In Smoke

[Julian Rohrer]

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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