Rock Hard Festival 2024 - Gelsenkirchen

22.05.2024 | 01:50

17.05.2024, Amphitheater

Familientreffen auf Metal-Art.

Tag zwei ist angebrochen. Und entgegen aller grausigen Vorhersagen ist der Wettergott anscheinend auch heute wieder Metalfan. Bei bereits sommerlichen Temperaturen um die knapp zwanzig Grad entert um 12.30 Uhr als erste Band des Tages WHEEL aus der unmittelbaren und hier besonders beliebten Nachbarschaft aus Dortmund die Bühne. Alleredelsten Epic Doom Metal haben sich die sympathischen Jungs auf die musikalischen Fahnen geschrieben. Wer bei Bands wie SOLITUDE AETURNUS und frühen CANDLEMASS mit Messiah Marcolin am Gesang also schon gut steil geht, hat hier mit seinem frühzeitigen Erscheinen absolut alles richtig gemacht. Drei ganz vorzügliche Alben haben die Herren mittlerweile bereits am Start, von denen songtechnisch in knapp fünfundvierzig Minuten zumindest die letzten beiden Werke berücksichtigt werden, wenn ich das alles in meinem noch halb verkaterten Schädel (der erste Festivaltag ist bekanntlich oftmals der exzessivste) richtig mitbekommen habe. Soundtechnisch gibt es für mich überhaupt nichts zu mäkeln. Da die Band auch einen Tag des letztjährigen Headbangers Open Air eröffnet hat, hoffe ich doch sehr stark, dass man der Combo zukünftig nun auch endlich mal einen späteren Festivalslot anbieten wird. Wer unter anderem musikalische Songperlen wie 'At Night They Came Upon Us' und 'After All' vom letzten Album-Geniestreich "Preserved In Time" im Liverepertoire sein Eigen nennen darf, hat es nicht nur wegen diesem lässig-entspannten, aber eben auch bockstarken und souveränen Auftritt hier und heute allemal verdient.

[Stephan Lenze]

Nach dem frühen Doom-Beginn darf nun eine amtliche Portion Schwedenstahl das Heft in die Hand nehmen und nach kurzem Intro machen die AIR RAID-Jungs pünktlich um 13:30 Uhr müde Männer munter. Es geht überwiegend flott zur Sache, was definitiv nicht das Verkehrteste ist. Ein guter, wuchtiger Sound gleich zu Beginn, das gewisse Maß an Agilität und Spielfreude und auf einmal weiß auch das Bier wieder zu schmecken. Traditionelles Schwermetall aus Göteborg ist melodisch, flott und hymnisch – und so strahlt nicht nur die Sonne im Amphitheater. Gleich zu Beginn feuern Sänger Fredrik Werner und seine Mannen mit 'Aiming For The Sky' und 'Line Of Danger' aus allen Rohren, eine wirkliche Verschnaufpause gibt es nicht, es ist aber auch genau das Richtige, um sich schön die Ohren durchpusten zu lassen. Da sitzt nicht jeder Ton wie angegossen, doch auf das Feeling kommt es am Samstagmittag einfach an: angenehme Temperaturen, ein wuchtiger Sound, ein knackiges Set sowie gute Laune auf und vor der Bühne. Da hätte auch durchaus mehr vom "Fatal Encounter", dem jüngsten Streich des Quintetts, kommen können. Nach 40 Minuten und dem kleinen 'Midnight Burner'-Hit zum Schluss ist der kurzweilige, aber starke Gig der Göteborger-Stahlschule vorbei, nun dürften auch die Letzten wach geworden sein.

[Marcel Rapp]

Nach zauberhaftem Epic Doom und traditionellem Heavy Metal wird es, da es nun gegen Nachmittag geht, langsam mal Zeit für ein bisschen ehrliches und stattliches Geknüppel, damit auch den letzten vorhandenen Schnarchmützen und Katergeschädigten vor Ort der restliche Schlaf aus den Augen gebolzt wird. Die aus Dänemark stammenden BAEST-Jungs feiern hier und heute ihre Rock Hard-Festivalpremiere und liefern dabei einen amtlichen Abriss par excellence ab. "Hey ROCK HARD, was passiert!?" fragt Shouter Simon Olsen ins weite Rund des Amphitheaters. Doomige, schwere, brutale Riffs, Ballerschlagzeug vom Feinsten, Death-Growls aus den Untiefen der dänischen Hölle. Genau DAS passiert hier! Und das ist auch gut so. "Wir sind hier to drink fuckin' Bier!" Nicht nur aufgrund diesem stramm auf den Punkt gebrachten Tagesmottos haben die fünf bestens gelaunten und munter aufspielenden Burschen die vorhandene Todesbleimeute im Nu auf ihrer Seite. Das gilt sowohl für die bewegungsagilen Neckbreaker im Infield, als auch für so manch gemütlicher veranlagten Death Metal-Maniac im weiteren Rund auf den Treppen. Neben altbekanntem Stoff wird mit 'Imp Of The Perverse' zudem noch eine brandneue Nummer vom Todesstapel gelassen, bevor nach einer guten Dreiviertelstunde mit dem Titelstück des letzten regulären Albums "Necro Sapiens" der Deckel auf einen robusten, finsteren und soliden Bolz-Gig draufgepackt wird. Hierbei lässt es sich der Shouter und Zeremonienmeister dann auch nicht nehmen, nun auf einmal mitten in der Menge stehend, den geforderten Mosh-Circle-Pit höchstselbst zu beaufsichtigen. Großartig!

[Stephan Lenze]

Irgendwie habe ich mir (unbewusst) zunächst die nordeuropäischen Gruppen herausgepickt. Mit WALTARI steht am Samstagnachmittag eine Band auf der Bühne, auf die ich mich dezent gefreut habe. Zwar war ich nie Fan dieser von ROCK HARD-Chef Holger Stratmann als finnische Metal-Disco angepriesenen Band, doch neugierig war ich schon, was knapp drei Jahrzehnte nach dem ganz großen Hype auf uns zukommen würde. Der Start geht gründlich in die Hose, so zumindest kann ich mir das Durcheinander erklären. Sollte das akustische Chaos tatsächlich gewollt sein, dann allerdings kann ich den Finnen eine ordentliche Prise Humor attestieren. Das Publikum traut sich jedoch nicht wirklich, überhaupt liefert WALTARI nicht den Eindruck ab, die richtige Band zur richtigen Zeit zu sein. Zwar bietet man eine gute Show und immer wieder versucht Sänger und Bassist Kärtsy Hatakka, das Publikum für sich zu gewinnen, dieses gelingt aber erst zum Schluss des Gigs wirklich. Die Mischung aus Metal, Techno, Punk, Rock, Funk und was sonst noch alles läuft zwar gut durch, dennoch wird es nicht der Tag von WALTARI, was auch eher am mittelprächtigen Sound liegt. Ich möchte nicht vom berühmten "gebrauchten Tag" reden, aber ich denke, diese Band könnte meiner Meinung nach bei einem charmanten Clubgig eine weitaus bessere Figur abgeben.

[Frank Wilkens]


Ist das Amphitheater bereit für eine Prise WHITESNAKE? Definitiv! Im Vorfeld fiel der Bandname VANDENBERG recht häufig, wenn es um die mit Spannung erwarteten Bands des Festivals ging. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass trotz der zeitgleich laufenden letzten Minuten des finalen Bundesligaspieltags so viele Menschen ihren Weg ins Rund gefunden haben. Und Gitarrist Adrian Vandenberg und seine Mannen beweisen sofort, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen werden. Bei einem amtlichen Sound, was an diesem Wochenende leider nicht immer der Fall ist, und bei strahlendem Sonnenschein (hat jemand was von Regen gesagt?) wechseln sich in schöner Regelmäßigkeit Songs seiner Soloalben ('Your Love Is In Vain' und 'Wait' vom 82er-Debüt, 'Freight Train' von 2020 und 'Hit The Ground Running' vom aktuellen Werk "SIN" aus 2023) mit WHITESNAKE-Klassikern von "1987" und "Slip Of The Tongue" ab. Was für ein Feuerwerk. In diesem Moment passt einfach alles und macht mein kleines Arschwackel-Herz sehr froh. Die Band und auch das Publikum sind super drauf. Schlagzeuger Joey Marin de Boer, Bassist Sem Christoffel und Keyboarder Len Van De Laak legen den perfekten Teppich und Groove für dieses Hitfeuerwerk mit 'Fool For Your Loving', 'Judgement Day' oder der exzellenten Akustikballade 'Sailing Ships'. Sänger Mats Levén ist einer der besten Rocksänger unserer Zeit. Das hat er unter anderem bereits bei YNGWIE MALMSTEEN, THERION und CANDLEMASS eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und auch heute ist er nicht nur gut bei Stimme, sondern sorgt mit seiner Performance für ein wohliges Gefühl in der Magengegend, verzaubert und verzückt dabei nicht nur die zahlreichen Damen im Auditorium. Die etlichen Mitsingspielchen in den gut fünfundfünfzig Minuten sitzen und funktionieren super, vor allem natürlich bei den Songs der weißen Schlange. Angenehm zurückhaltend steht aber selbstverständlich der holländische Namensgeber und ehemalige WHITESNAKE-Gitarrist Adrian Vandenberg im Rampenlicht. Er sieht nicht nur aus wie der prototypische Rockstar, er spielt auch noch so. Ein Augen- und Ohrenschmaus. Als die Band mit 'Crying In The Rain' und 'Here I Go Again' in die Vollen gehen, steht das Amphi Kopf. Hier wird getanzt, lauthals mitgesungen und mit Wildfremden ausgiebig geschunkelt. Diese musikalischen Farbtupfer sind auf dem Rock Hard Festival von jeher rar gesät, dafür zünden sie Jahr für Jahr umso mehr. Gewinner des Wochenendes.

Setliste: Hit The Ground Running; Fool For Your Loving; Your Love Is In Vain; Give Me All Your Love; Freight Train; Sailing Ships; Judgement Day; Wait; Crying In The Rain; Here I Go Again

[Chris Staubach]

Dass PRIMORDIAL keine Musik für Sonnenanbeter ist, dürfte hinlänglich bekannt sein. Und so ist es etwas befremdlich, die Combo im Tageslicht bewundern zu dürfen. Die Leute scheint das wenig zu stören, der Platz vor der Bühne füllt sich in Windeseile, als PRIMORDIAL mit 'As Rome Burns' fulminant loslegt. Sänger Alan Averill hat ein besonders fieses Painting sowie schaurige gelbe Kontaktlinsen ausgewählt und vermag das Festivalpublikum ziemlich schnell auf seine Seite zu ziehen. Zwar ist die zähe Düsternis nicht jedermanns Sache, auch und gerade auf einem Festival nicht. Aber ein Blick durch den weiten Rund des Amphitheaters bestätigt, dass sich viele Besucher des Festivals nicht wirklich den Reiz der irischen Band entziehen wollen oder können. Höhepunkt ist gewiss 'To Hell Or The Hangman', dessen textlichen Inhalt Alan mittels eines mitgebrachten Stricks durchaus plausibel zu vermitteln weiß. Eine Mischung aus Drama und Metalkonzert nimmt somit seinen Lauf und viele der Anwesenden scheinen verblüfft, wie gut PRIMORDIAL eigentlich rüberkommt. Zu dem insgesamt positiven Gesamteindruck trägt auch der kraftvolle Sound bei, der solchen Tracks wie 'Empire Falls' den entsprechenden Nachdruck verleiht. Kurzum, PRIMORDIAL ist mit Sicherheit eine der positiven Überraschungen des dreitägigen Festivals.

[Frank Wilkens]


FORBIDDEN ist zurück! Und wie! Genau jene Band, die mit "Forbidden Evil" und "Twisted Into Form" zwei unsterbliche Klassiker des Bay-Area Thrash Metals veröffentlicht hat, will es mit einem neuem Frontmann wissen. Und wie gut sich HELLSCREAM-Frontröhre Norman Skinner bei Matt, Graig und Co. eingefunden hat, zeigt dieses Set, das sämtliche Zunge schnalzen lässt. Meine Herren, mit welchem Tempo die Kalifornier ihr Set runterbeten ist schon beachtlich. Wie spielfreudig und vor allem wuchtig von Beginn an 'Follow Me' und der Titeltrack der zweiten Scheibe dargeboten werden, noch viel beachtlicher. Das Amphitheater ist aus dem Häuschen, platzt aus allen Nähten, mosht vor der Bühne, als gäbe es kein Morgen mehr – ab der ersten Sekunde frisst es FORBIDDEN und diesem charismatischen, neuen Frontmann aus den Händen. Der kommt aus dem Strahlen, aber auch aus dem Brüllen nicht mehr heraus und selbst die hohen Screams, einst die Paradedisziplin von Russ Anderson, meistert er souverän. Mehr noch: Er verleiht 'March Into Fire', 'Forbidden Evil', diesem superben 'Step By Step'-Brecher sowie 'As Good As Dead' das gewisse Extra. Bei seinem ersten Deutschlandbesuch zeigt er durch sympathische Ansagen auch seine Qualitäten als Sprachrohr, ehe er mit 'Infinite' und 'Through Eyes Of Glass' wieder in seiner Paradedisziplin angekommen ist. FORBIDDEN ist heute eine so gut geölte Maschine, eine Thrash-Metal-Dampfwalze, die abschließend mit dem Sahnehäubchen 'Chalice Of Blood' alles in Schutt und Asche legt. Der Sound war an manchen Stellen zwar nicht in Gänze sauber, doch halten wir fest: Geile Stimmung, geile Performance, geile Setliste – geiler Auftritt, Jungs! Ein Co-Headliner par excellence!

[Marcel Rapp]

Preisfrage: Wo bin ich, wenn neben hunderten anderen Metalfans vor mir ein Herr im Rollstuhl sitzt, daneben ein Kind steht (der Vater stand schräg hinter mir), ein, zwei Leute neben mir noch jemand, der blind ist und hinter mir ein netter Mann von etwa 70 Jahren? Genau, in den ersten Reihen beim Samstags-Headliner des Rock Hard Festivals. Als ebenjenen hat das Rock Hard Festival mit KK`S PRIEST eine absolut hochkarätige Band am Start. Aber werden K.K. Downing, mittlerweile über 70 Jahre alt, und Tim "Ripper" Owens nach nur zwei Alben unter dem Banner KK'S PRIEST diesem Status bereits gerecht? Wie viel eigenes Material wird die Band spielen, wie viele Songs von JUDAS PRIEST? Und welche? Viel wurde im Vorfeld diskutiert, aber alles Gerede verstummt, als auf der Leinwand vor dem Kanal ein kurzes Intro-Filmchen auf den Auftritt von Downing und Co. einstimmt.

Die fünfköpfige Band um die beiden oben genannten Hauptprotagonisten lässt mit 'Hellfire Thunderbolt', dem Opener ihres Debütalbums, nichts anbrennen und feuert weitere Hochkaräter wie das aggressive 'Strike Of The Viper' aus dem im September des letzten Jahres erschienenen zweiten Werk hinterher, bevor es mit 'The Ripper' in das Jahr 1976 zurückgeht. Das Lied, das Tim Owens seine Spitznamen eingebracht hat, wird in ein aktuelles Soundgewand gekleidet und sorgt für großen Jubel. Mit 'Burn in Hell' gibt es sogar ein Stück vom "Jugulator"-Album aus der gemeinsamen Zeit von K.K. und Tim bei JUDAS PRIEST. Dieses Stück liefert den Startschuss für eine Reihe älterer Songs, inklusive einer knackigen Version des wohl jedermann bekannten 'Breaking The Law'. Ansonsten hat K.K. sich nicht dazu verleiten lassen, eine Setliste auf "Nummer Sicher" zusammenzustellen, es gibt keinen 'Painkiller', kein 'Hell Bent For Leather' und auch keinen 'Turbo Lover', stattdessen zentimeterdicke Gänsehaut bei 'Beyond The Realms Of Death' und ein fast ehrfürchtiges Erstarren ob der Epik von 'Victim Of Changes'. Als Zugabe & Rausschmeißer verlässt KK'S PRIEST sich danach auf das Eigengewächs 'Raise Your Fists' – und dieser Aufforderung gehen alle nur zu gern nochmal nach. Herrlich. Sein Alter merkt man K.K. nicht an, bewegt er sich doch nicht weniger agil als seine jüngeren Bandkollegen A.J. Mills (Gitarre) und Tony Newton (Bass). Auch dem Ripper, der die Fünfzig schon deutlich überschritten hat, hört man sein Alter kaum an, er scheint eher in der Forms eines Lebens zu sein. War er in jüngeren Jahren live schon mal etwas überambitioniert in seinem Können, so hat er aktuell stimmlich alles unter Kontrolle, egal ob höchste Screams, kraftvolle Shouts, aggressive Parts oder die gefühlvollen, leisen Zeilen. Das ist schon dicht dran an der Perfektion, was Tim abliefert.

Der Sound ist druckvoll, laut, aber nie zu laut, egal ob vor der Bühne oder oben auf den Stufen, wie mir berichtet wurde. So muss das sein! Ja, KK'S PRIEST ist ein würdiger Headliner! Schön, dass der Mix aus eigenem Material und JUDAS PRIEST-Tracks ausgewogen ist – ganz ohne dieses Erbe wird die Band wohl nie auskommen, aber verdammt, K.K. Downing hat diese Songs geschrieben, jahrzehntelang gespielt, sie sind Teil seiner DNA und somit auch der von KK’S PRIEST.

Um nochmal kurz auf den Anfang zurückzukommen: besagtes Kind – gegen Ende des Auftritts dann auf Papas Schultern - hat von Sean Elg am Ende des komplett mitgerockten Konzerts einen Drumstick zugeworfen bekommen und diesen Schatz danach voller Stolz mit glänzenden Augen in den Gelsenkirchener Nachthimmel gereckt. Möge der Stick dich immer an dieses großartige Konzert erinnern!

Setliste: Hellfire Thunderbolt; Strike Of The Viper; One More Shot At Glory; The Ripper, Reap The Whirlwind; Night Crawler; Sermons Of The Sinner; Burn In Hell, Beyond The Realms Of Death, Hell Patrol, The Green Manalishi (With The Two Pronged Crown); Breaking The Law; Victim Of Changes; Raise Your Fists

[Maik Englich]

Hier geht es zum Sonntag!

Redakteur:
Marcel Rapp

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