SOEN, MOLYBARON und TERRA - Leipzig

16.10.2023 | 17:50

23.09.2023, Täubchenthal

Zwischen Metal-Schnulzen und Prog-Großtaten.

Endlich mal wieder SOEN live. Die Gruppe um Frontman Joel Ekelöf hatte mich spätestens mit ihrem 2019er Werk "Lotus" vollständig überzeugt und begeisterte mich auch mit ihrer Performance auf dem PROGNOSIS-Festival im gleichen Jahr nachhaltig. Umso glücklicher durfte ich mich schätzen, dass es jetzt endlich zur "Memorial"-Tour wieder mit uns klappt und ich das ebenfalls mit meiner Live-Premiere von MOLYBARON verbinden darf, deren 2021er Album "The Mutiny" schon so abgenutzt ist, dass ich die CD bald austauschen muss. Also ab nach Leipzig ins Täubchenthal. Dort angekommen, gibt es direkt die erste Überraschung, denn der Club ist schon deutlich größer als die Locations, welche ich sonst so mit der Band in Einklang gebracht hätte. Auch wenn sich später mein Verdacht bestätigt, dass die hinteren Plätze relativ leer sind, muss man SOEN schon eine deutliche Erweiterung der Fanschar attestieren. Das freut einen heutzutage natürlich doppelt. Kritikerliebling war SOEN ja eh schon immer und auch "Memorial" sahnt flächendeckend starke Reviews und Soundchecksiege ab. Nur POWERMETAL.de muss mal wieder aus der Reihe tanzen – aber das ist ein anderes Thema. Aber dass sich jetzt auch die breitere Masse zu dieser emotionalsten Form von proggiger Unterhaltung hingezogen fühlt, zeigt einfach, dass die Band bei aller Komplexität eben total eingängige Musik komponiert und Joel ebenso herausragend singt, wie kaum ein zweiter in der Szene.

Doch bevor der Main-Act die Bühne stürmt, darf sich Vorgruppe Nummer eins austoben. Wobei austoben im Fall von TERRA eher das falsche Wort ist. Das ist schon etwas hüftsteif, aber gar nicht im negativen Sinn gemeint. Du kannst halt wenig eskalieren, wenn der Sänger auch der Schlagzeuger ist und seine drei Bandkollegen ebenfalls durch Percussions räumlich stark eingebunden sind. Apropos Percussions – die ganze Performance ist so stark perkussiv angelegt und somit langsam und repetitiv vor sich hingroovend, dass der Zugang ohne Kenntnis des Songmaterials etwas schwer wird. Zumal man Sänger Daniele Berretta sehr schwer versteht. Das verhältnismäßig kurze Set von 30 Minuten beschränkt sich auf Songs vom gleichnamigen Debütalbum und lässt nur einmal aufhorchen, als mit 'Teardrop' ein MASSIVE ATTACK-Cover gespielt wird. Die Version macht allerdings Spaß und erzeugt auch die stärksten Publikumsreaktionen. Für den Einstieg nicht schlecht, aber ich hoffe doch inständig, dass da noch mehr kommt. Eine Sache muss ich allerdings noch anmerken. Warum nennt man seine Band denn bitte TERRA (Gründungsjahr 2014)? Da googelt man sich doch einen Wolf. Wenn man TERRA dann noch um den Zusatz Band ergänzt, wird es erst richtig weird. WES ANDERSON lässt grüßen. Unabhängig davon habe ich 18 Bands mit dem gleichen Namen gefunden. Vielleicht sollte man da noch etwas nachschärfen. Ansonsten gebe ich euch als Fanservice die Abkürzung und verweise auf die durchaus stylische Homepage der Gruppe: https://welcometoterra.com. Besucht die Jungs doch ruhig mal.

Setliste: Tribal Intro; Create Mutate Erase; Father; This Scent; Rise; Teardrop; Close Enough; Tribal Outro

Nach einer sehr kurzen Umbaupause geht es dann direkt weiter mit MOLYBARON. Der Einstieg gelingt gleich fulminant mit dem Titeltrack des neuen Albums "Something Ominous". Die Band ist tight und direkt schon auf einem hohen Energielevel und der Gesang von Gary Kelly ist auch mit seinen kleinen, wichtigen Facetten zu hören. MOLYBARON ist sich der Stärke des neuen Albums bewusst und integriert nur eine Woche nach dem Release direkt vier Songs in die Setlist. Und das bei einem viel, viel, und zwar wirklich viel zu kurzen Auftritt von 40 Minuten. Warum spielt so eine Band nicht 60 Minuten? Das hätte die Bandhistorie von drei starken Alben deutlich besser widergespiegelt. Die Live-Premiere der neuen Tracks funktioniert indes allerdings herausragend. Ob nun der zukünftige Live-Hammer 'Set Alight' oder das teuflisch intensive 'Vampires' - das ist richtig starker Content und fühlt sich neben Krachern, wie 'Lucifer' und 'Something For The Pain' pudelwohl. Das ist in Summe eine wirklich starke und intensive Performance von MOLYBARON. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber der einzige negative Aspekt ist die Tatsache, dass durch das Mini-Set Essenzielles wie 'Slave To The Algorithm' oder 'Dance' auf der Stecke bleibt. Die Fans jedenfalls genießen das kurze Vergnügen und sind somit auch genauso wehmütig wie der Schreiberling, als mit 'Incognito' der letzte Track angekündigt wird. Immerhin schafft es ein Song vom unterschätzten Debütalbum somit ins Programm. Jetzt bin ich noch heißer auf eine eigene Tour und auch unser Fotograf bestätigt mir später, dass er die Vorband noch stärker fand als SOEN. Das sagt doch alles. Übrigens: Warum gibt es bei uns eigentlich erst jetzt ein Review dieser Truppe? Frage für einen Freund.

Setliste: Something Ominous; Set Alight; Twenty Four Hours; Animals; Breakdown; Something For The Pain; Lucifer; Vampires; Incognito

Eins muss man den Tour-Organisatoren oder Veranstaltern im Täubchenthal lassen. Das ist heute schon nahe an der Perfektion durchgetaktet. Grade mal 15 Minuten nach der Vorband geht es schon direkt mit SOEN weiter und 'Sincere' knallt in die Halle. Während das sexy Groove-Monster sich auch Live in perfekter Montur präsentiert, muss ich den Look von Joel Ekelöf erstmal auf mich wirken lassen. Mit Sonnenbrille und Lederjacke wirkt er eher wie ein Halford-Double bei einer JUDAS PRIEST-Tribute-Show. Passt für mich null zu dieser Art von Musik. Wenn man sich aber die Lyrics vor Augen führt, ergibt das Ganze sogar einen bittersüßlichen humorigen Ansatz. Ob das jeder so versteht? Ist im Endeffekt aber auch egal, die Menge ist direkt schon am Start und singt spätestens bei 'Martyrs' durchgängig mit. Das ist aber auch eine Göttergabe von Song und immer noch der zweitstärkste Moment, den SOEN jemals auf Platte gepresst hat. Joels Gesang ist von nun an nicht mehr Teil der Szenerie und thront wie ein omnipotentes Wesen über allem.

Im Anschluss geht es mit 'Savia' direkt in die Frühphase und die TOOL- und A PERFECT CIRCLE-Referenzen der Truppe treten deutlich in den Vordergrund. Kleine klangliche Anpassungen lassen diese Perle aber auch heute nicht wie einen Fremdkörper wirken, obwohl sich SOEN mittlerweile schon augenfällig von diesem Sound emanzipiert hat. Mit 'Memorial' folgt der Titeltrack des aktuellen Albums und es gibt das erste Mal so etwas wie Showelemente, beziehungsweise schwingt Joel eine Flagge. Ansonsten steht an diesem Abend eindeutig die Musik im Vordergrund – soll heißen eine kongeniale Mixtur aus modernem, verstecktem Progappeal und einer poppigen Eingängigkeit, immer an der Grenze von ESC-Epik und Schnulzigkeit der Generation Boyband. Die folgenden 'Modesty' und 'Unbreakable' sind gute Belege für diesen schmalen Grat. Gerade die neue Single sorgt für einen Publikumschor, der schon für Gänsepelle sorgen kann und zeigt dabei einen Martin Lopez, der so arschtight sein Drumkit bearbeitet, dass man froh ist, niemals mit einem Instrument angefangen zu haben. Wie soll man das nur toppen? Vielleicht mit dem Jahrhundertsong 'Deceiver'? Besser geht Musik in Gänze nicht mehr. Keine Ahnung wie die Band und das Publikum in den nächsten 4 Minuten agieren. Ich klinke mich mal kurz aus und bin im Tunnel.

So, war was? Mit 'Ideate' in einer sehr intimen Version geht es "Down To Earth". Während bei vielen Konzerten im Hauptteil eine leichte Stimmungsdelle erkennbar ist, hält SOEN das Niveau mit 'Monach', 'Fortress' und 'Illusion' spielend. Spätestens die Ballade dürfte dann für meinen Kumpel Norman zu viel der Rührseligkeit sein. Zumindest meint er später, dass ihm einzelne Songs gefallen haben, aber viele auch einfach zu schnulzig waren. Das hat auch irgendwie was, als würde RONAN KEATING vom 'Abenteuerland' singen. Ich find es großartig, wenn eine Band sich traut, so weit rauszuschwimmen. Zumal man direkt mit 'Lascivious' und 'Lotus' zwei Progschnitten serviert bekommt, welche nicht viele Bands noch aus den Hut zaubern können. Mittlerweile hat Joel übrigens wieder ein Sakko über seinem Hemd und wirkt genauso, wie ich mir den Sänger dieser Truppe gewünscht habe. Lars und Cody entlocken ihren Gitarren die feinfühligsten Solos zwischen all der perfekten Rhythmusarbeit und Herr Kobel macht irgendwelche Sachen am Bass, die sich meiner Nachvollziehbarkeit entziehen. Natürlich darf so eine Band nicht ohne weitere Songs nach Hause und da der Kunde König ist und die Band aufgrund der tollen Publikumsreaktionen über das ganze Set echt Bock auf einen tollen Abend hat, gibt's noch die obligatorische Zugabe.

Dieser Block beginnt dann mit dem unausweichlichen Fanliebling 'The Antagonist'. Und das Täubchenthal gibt nochmal alles. Was eine Stimmung! Ich glaube ich wache morgen mit "Fire up your guns" auf. Das im Anschluss folgende Mash-Up von 'Jinn' und 'Lunacy' ist weniger erwartbar und zeigt nochmal, was für eine technisch herausragende Combo SOEN ist. Aber natürlich sollte es zum Abschluss immer noch ein Knaller sein. Und SOEN ist selbstbewusst genug, diese Ehre dem nagelneuen 'Violence' zukommen zu lassen. Ein Hit ist ein Hit ist ein Hit. Das Lied mobilisiert nochmal alle Kräfte auf jeder Seite und sorgt für glückliche Gesichter, wohin man blickt.

Was soll ich sagen, dieses Konzert war sicherlich eines der besten des Jahres für mich. Mehr Fazit braucht es heute nicht.

Setliste: Sincere; Martyrs; Savia; Memorial; Modesty; Unbreakable; Deceiver; Ideate; Monarch; Fortress; Illusion; Lascivious; Lotus; Zugaben: Antagonist; Lunacy; Violence


Redakteur:
Stefan Rosenthal

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