SUMMER BREEZE 2019 - Dinkelsbühl
18.09.2019 | 20:0618.08.2019, Flugplatz
Der Metal-Marathon von Dinkelsbühl, die 23.
Dieses Jahr wird es wohl nicht so eine Hitzeschlacht werden, wie wir sie bereits mehrfach auf dem Flugplatz in Sinbronn erlebt haben, stattdessen kriegen wir es mit etwas Sonne, vielen Wolken und leider auch mit Regen zu tun. Eigentlich gute Voraussetzungen, es droht kein Unwetter, nur die Zeltenden dürften es sich etwas wärmer und trockener wünschen, aber das kann in den folgenden vier Tagen die Stimmung nicht trüben, wenn wieder eine Menge an Bands den Flugplatz bei Dinkelsbühl in ein Metalfest verwandeln wird, das wir ausgiebig begutachten werden. Unser Hauptaugenmerk wird natürlich auf den beiden großen Bühnen liegen, aber wann immer es uns möglich ist, werden auch die Bands auf der "Wera Tool Stage" besucht werden. Was allerdings weitgehend außen vor bleiben muss, ist die "Ficken"-Stage auf dem Campinggelände. Diese liegt dann doch etwas ab vom Schuss und man muss zurück wieder durch die Security mit Taschenkontrolle, die zwar effektiv und freundlich ist, aber eine gewisse Wartezeit nicht komplett vermeiden kann. Deswegen habe ich es nur einmal geschafft, diese "rock mein Zelt"-Veranstaltung anzusehen, obwohl vor der Bühne auch durchaus eine beachtliche Anzahl Musikfreunde Platz fand. So stürzen wir uns ab Mittwoch auch ins Getümmel: Carsten Präg und Frank Jäger aus der Redaktion, unterstützt von Lutz Kempf, Hagen Kempf und Benjamin Kutschus.
Den Anfang macht mal wieder BLASMUSIK ILLENSCHWANG, die Tradition geworden ist, die ich mir in diesem Jahr allerdings schenke, denn die lokale Kapelle spielt Volksmusik und Schlager und nur, weil einige in Vorfreude des viertägigen Spektakels schon mal Crowdsurfing zu Costa Cordalis üben, muss ich mir das nicht antun.
Eigentlich wollte Carsten schon da sein, der mag ENDSEEKER nämlich und dürfte sich ärgern, dass er die Norddeutschen verpasst. Das bedeutet allerdings, dass mein Dienst etwas früher anfängt und ich mit einer anderen Death Metal-Band beginnen muss. Überflüssig zu sagen, dass ich mit dem Material nicht vertraut bin, oder? Aber hey, dann gehe ich ganz unvoreingenommen ran und die ersten Töne sind toll. Das klingt verdächtig nach 'Black Sabbath' von den gleichamigen Großmeistern des Stahls. Und die Gitarrenarbeit ist auch brillant, jetzt muss aber auch noch der Sänger stimmen. Oh, das war nur ein Intro, jetzt gibt es Haue! Der Frontmann ist in der Mauser und macht einen wirklich kraftvollen, charismatischen Eindruck, seine tiefen Growls geben der Musik, die immer noch mit tollen Gitarrenriffs aufwarten kann, einen originellen Klang, auch wenn ich meist nicht viel verstehe. Hier mal ein 'Euphoria', da mal ein 'One by One', das war es dann auch schon. Augenscheinlich haben die Hamburger aber einen beachtlichen Stellenwert in gewissen Kreisen, denn hier eskalieren einige um mich herum gewaltig. Ja, das ist ansteckend und ich bleibe bis fast zum Schluss. Schöner Auftakt.
Der Dienst sollte eigentlich mit der Band NAILED TO OBSCURITY beginnen, die mir eigentlich besser liegen sollte als der Opener. Der Sänger sieht richtig rockig aus, aber die Band segelt dennoch durch Doom-Gefilde mit deutlicher Death Metal-Schlagseite, verbreitet aber auch genug Melodie, um mich nicht gleich abzuschrecken. Gerade der langsam und düster beginnende Eröffnungssong stimmt prächtig ein auf das kommende viertägige Event. Das Fundament der Kompositionen ist durchaus klassisch und das Posing der Musiker ebenfalls. Irgendwie erinnert mich das an ganz frühe GOREFEST, aber da fehlt mir eventuell einfach eine Basis von ausreichender Breite. Aber die Ostfriesen, die bereits seit fast eineinhalb Jahrzehnten die deutsche Musiklandschaft bereichern und mit ihrem aktuellen Album "Black Frost" auf Nuclear Blast gelandet sind, machen Laune. Ohne Speedattacken setzen die Fünf auf Atmosphäre und melodische-dunkle Lieder, von denen mir besonders der vorletzte Song im Ohr bleibt, der, wie ich durch Nachfragen bei den Kollegen, die sich mit dieser Musik besser auskennen, erfahre, 'Tears Of The Eyeless' heißt. Das ist eine sehr unterhaltsame Dreiviertelstunde und ein weiterer Grund, früh anzureisen. Der Mittwoch ist immer ein beachtlicher Tag auf dem SUMMER BREEZE, den man keinesfalls missen sollte.
Die erste Band des Festivals, von der ich noch nie etwas gehört habe, was nicht die letzte sein wird, bei dieser Menge an Kapellen gerät man schnell an seine Grenzen, nennt sich LOATHE. Klingt wie Death Metal, was mich an diesem heftigen Auftakttag nicht überraschen würde, also wappne ich mich für Geschwindigkeit und Growls. Okay, mit den Growls habe ich Recht, aber stilistisch ist das alles Mögliche und zwar gleichzeitig. Die Burschen machen keine Gefangenen und erinnern mich mehrfach an THE FALL OF TROY, während sie im wilden Galopp durch die Musikgeschichte und ihre Lieder hetzen. Diese Musik muss man leben und die Band bringt rüber, dass sie sich bei den Kompositionen etwas gedacht hat, auch wenn es gelegentlich nicht ganz leicht ist, ihnen auf den verschlungenen musikalische Pfaden durch das Unterholz des schwermetallischen Rocks zu folgen. Worum es geht? Keine Ahnung, von den Texten verstehe ich absolut gar nichts, aber solche Musik geht üblicherweise mit interessanten Texten einher, bei denen könnte es sich daher lohnen, mal genauer reinzulauschen. Optisch ist das Ganze auch eher ein Sammelsurium an, nun ja, Stilen, besonders der Gitarrist auf der rechten Bühnenseite, ich nehme an, dass es Connor Sweeney ist, ist modisch eher abseits der üblichen SUMMER BREEZE-Wellenlänge unterwegs. Die Liverpooler lassen sich einfach nicht einordnen, das ist wie der Tag nach einer großen Familienfeier, wenn die Übriggebliebenen sich über die Reste des Büffets hermachen. Alles tolle Sachen, aber die Zusammenstellung ist nicht gerade handelsüblich. Eine Live-Erfahrung kann da nur der erste Schritt sein in die Welt von LOATHE, sodass als Fazit bleibt, dass ich hier wohl mal tiefer eintauchen sollte. Definitiv eine Band für den berühmten Zettel, auch wenn das Chaos auf der Bühne in großen Wogen tobt und über mir zusammenbricht.
Mein heutiges Highlight sind die Thrasher DEATH ANGEL, die im Anschluss an LOATHE auf der T-Stage spielen. Aber 45 Minuten für diese Bay Area-Legende ist natürlich im Vorfeld bereits nicht nur unglücklich, sondern einfach eine Frechheit. Für mich gehören die Jungs um etwa 20 Uhr auf die Main Stage eines der drei regulären Festivaltage! Doch immerhin beinhalten auch die aktuellen Alben genug Großtaten, so dass ich verschmerzen kann, dass tatsächlich keine Zeit bleibt, um einen Song des Meisterwerks "Act III" zu spielen. Wobei ja der Opener 'Thrown to the Wolves' ja auch schon fast ein Klassiker ist, auch wenn das Publikum noch etwas Anlaufzeit benötigt. Acht Lieder schaffen die Jungs und nur das neue Album, "Humanicide", wird doppelt bedacht, seltsamerweise als Rausschmeißer des Auftritts. Das ist auch mal etwas Neues, erst die bekannten Songs und dann die aktuellen Brecher, aber da alle Stücke ein gleichbleibend hohes Qualitätsniveau haben, ist das eigentlich auch egal. Dass DEATH ANGEL mit einem Teil des Instrumentals 'The Ultra-Violence' dann ganz in die Frühphase zurückgeht, finde ich auch schon wieder übertrieben. Man kann es mir nur schwer rechtmachen, aber ein Instrumental bei einer solchen Spielzeit? Wäre da nicht 'Thrashers' oder 'Kill As One' besser gewesen? Dafür feier ich aber Granaten wie 'The Moth' und 'The Dream Calls For Blood' ab. Hier schließt sich der Kreis zum Anfang meines Berichtes: es fehlen weitere 45 Minuten Spielzeit, denn DEATH ANGEL wird zum Ende des Gigs ausgiebig gefeiert!
Setliste: Thrown to the Wolves; Claws in So Deep; Voracious Souls; The Moth; The Dream Calls for Blood; The Ultra-Violence; The Pack; Humanicide
Okay, jetzt aber Death Metal. INGESTED darf im Anschluss an den Thrash auf der Wera Tool Stage den Knüppel rausholen. Ich weiß gar nicht, wie man das nennt, aber die Extremetaller aus Manchester lassen eine brutale Soundwalze los, die offensichtlich den Nerv einiger hundert Schwermetaller trifft. Dass ich mich hier musikalisch nicht zu Hause fühle, ist klar, aber die Crowdsurfer, die von hinten anbranden, geben dem Drang der Meute nach Schwermetall Ausdruck. Es ist Mittwoch und eine gewisse Erwartungshaltung gegenüber den nächsten drei Tagen liegt in der Luft. INGESTED ist der Nutznießer davon und erntet euphorische Reaktionen, ich mutmaße etwas mehr, als es an einem anderen Tage der Fall wäre, wenn das Festival den ersten metallischen Durst der Fans gestillt haben wird. Nach ein paar Blastattacken beschließe ich, eine Pause in der VIP-Area einzulegen und mal zu sehen, welche Pressekollegen dieses Jahr mit am Start sind. Das gehört auch immer dazu, die VIP-Area ist unser Äquivalent zu "wir treffen uns auf dem Zeltplatz" mit Fachsimpeleien und viel Spaß. Ich freue mich darauf, einige wiederzusehen, die ich jedes Jahr nur auf ein, zwei Festivals treffe.
Zweites Highlight des Tages für meine Person ist SOILWORK. Es ist schon ungewohnt mittlerweile, Björn Strid ohne Sonnenbrille und violettem Anzug zu sehen, denn zuletzt war er vor allem mit dem NIGHT FLIGHT ORCHESTRA musikalisch auf völlig anderen Pfaden unterwegs gewesen, unter anderem auch hier beim SUMMER BREEZE, aber heute kehrt er mit seiner Hauptband zurück und schickt sich an, uns melodischen Death Metal der Göteborger Schule um die Ohren zu hauen. Die Band hat auch ein neues Album am Start namens "Verkligheten", doch auch wenn ein paar Songs sich in die Setliste geschlichen haben, ist dies kein Werbeauftritt für die neue Scheibe, sondern ein Ritt durch die letzten fünfzehn Jahr Bandgeschichte. Ja, fünfzehn Jahre, die ersten fünf Alben werden nur mit einem Lied bedacht, aber bei der Menge an Material und einer Stunde Spielzeit muss eine Auswahl getroffen werden, die zwangsläufig nicht jedem gerecht werden kann. Wobei sich stilistisch auch tatsächlich nicht viel getan hat, nur sind die Melodien feiner, die Musiker reifer und die Kompositionen ausgefeilter geworden, so dass sich der Auftritt wie aus einem Guss präsentiert. Dabei haben die Musiker sichtlich Spaß und grinsen und posen, was das Zeug hält, was vom Publikum mit Begeisterung, vielstimmingen Chören und massenhaft Crowdsurfern goutiert wird. So, wie sich die Band heute präsentiert und den Reaktionen des Publikums nach zu urteilen, wäre SOILWORK auf dem SUMMER BREEZE auch für Höheres qualifiziert, als den Anheizer am Vortag zu machen.
Nun mache ich noch rasch einen Abstecher auf die Wera Tool Stage, denn da spielt jetzt mit WINDHAND die einzige Doom-Band des Tages, ein Stil, der in diesem Jahr geradezu stiefmütterlich behandelt wird auf dem SUMMER BREEZE 2019. Das hatten wir auch schon anders erlebt, die Fraktion der Langsamen darf in den vier Tagen von Dinkelsbühl 2019 nur wenige schwarze Stunden der Gemächlichkeit feiern. Immerhin ist es nach 21:00 Uhr, so dass es auch bereits dunkel wird und kein Sonnenstrahl die Düsternis durchschneidet, die die vier US-Amerikaner zur Entschleunigung darbieten. Die auffälligste Person in der Band ist die Dame am Mikrophon. Sängerin Dorthia Cottrell wirkt verhältnismäßig hektisch für Doom, aber ihre Stimme kontrastiert fein mit den basslastigen Soundeskapaden, die manchmal ein geradezu brummendes Fundament für die Lieder bilden. Ihre Stimme ist natürlich, nicht das, was man ein Gesangswunder nennen würde, aber passend klar und auch mal zerbrechlich, und gibt den Liedern eine völlig andere Dimension, als die Instrumente produzieren. An den Soli könnte man sicher noch etwas feilen, das verzerrte Gejaule ist dann doch auf Dauer etwas eintönig, aber Cottrells Stimme macht alles wieder wett. Schöne Abschlusssounds für den ersten Abend, denn so langsam mache ich mich aus dem Staub, die späteren Bands übernimmt Carsten. Ich bin sicher, mit den folgenden Schweden wird er viel Freude haben. Auch ich werde die ersten Lieder noch ansehen, bevor ich Kraft für die folgenden Tage sammeln gehen werde.
[Frank Jaeger]
Bereits eine Woche zuvor beim Party.San hat HYPOCRISY einen absolut überzeugenden Headliner-Gig hingelegt. Beeindruckende Lichtshow, klarer Sound und eine tolle Songauswahl. Nachdem die vier Schweden seitdem jeden Abend weitere Gigs in vier Ländern durchgezogen haben, stellt sich bloß die Frage: Können sie dieses hohe Niveau halten? Um die Antwort vorwegzunehmen – ja, sie können! Schon bei den ersten Klängen von 'Fractured Millenium' dürfte jedem Anwesenden ein freudiger Schauer über den Rücken laufen. Während Mastermind Peter Tägtgren die Meute vor der T-Stage anfeuert, gibt Altmeister "Horgh" auf seinem überdimensionalen und verzierten Schlagzeug-Thron den Takt vor. Dabei fällt auf, dass die Truppe inzwischen ein dermaßen großes Repertoire an Melo-Death-Hits besitzt, dass alte Knüppel-Gassenhauer wie 'Pleasure Of Molestation' oder 'Osculum Obscenum' nur noch als Medley ins Programm passen. Leider muss heute die Midtempo-Nummer 'Apocalypse' weichen, was aber nichts macht, wenn man auf 'Fire In The Sky' und die ewige Zugabe 'Roswell 47' zurückgreifen kann. Mir persönlich hat der PSOA-Auftritt zwar etwas mehr zugesagt, aber nur um Nuancen. Ein kleiner Kritikpunkt ist der diesmal recht dröhnende Sound, allerdings wird im Lauf des Wochenendes ohnehin auffallen, dass sämtliche Bühnen meist bis zum Anschlag aufgedreht sind. Dennoch ziehen alle Mitstreiter dank HYPOCRISY mit einem beglückten Grinsen weiter.
Schon am Mittwochabend steht für mich eines meiner absoluten Highlights auf der Bühne: ENSLAVED. Ich habe die Norweger schon eine ganze Weile nicht mehr live gesehen und freue mich daher umso mehr, dass sie einen Abstecher aufs diesjährige SBOA machen. Der Sound bei ENSLAVED ist gut bis sehr gut und macht die vielen Details in der komplexen Musik um Gitarrist Ivar Bjørnson gut hörbar. Auch das Wechselspiel in den Growls und Screams von Fronter und Basser Grutle Kjellson und Keyboarder Håkon Vinje harmoniert dank der Abmischung gut miteinander. Ich habe ENSLAVED inzwischen schon einige Male auf Festivals gesehen und bin jedes Mal wieder davon begeistert, wie gut die Jungs ihren Sound im Griff haben. Da dies besonders auf Open Air Veranstaltungen kein Selbstverständnis ist, soll dies und der Techniker oder die Technikerin an dieser Stelle mal lobend erwähnt werden. Auffällig allerdings auch, dass wir nur fünf Songs zu hören bekommen, wieder mal hat man das Gefühl, die Zeit für Bands mit Songs, die um die zehn Minuten dauern, ist auf Festivals einfach viel zu kurz. Das ändert aber nichts an der Professionalität und hohen Qualität, in der ENSLAVED liefert. Als Opener hat ENSLAVED 'Ethica Odini' gewählt, der von den Fans dankend mit Moshpits und Mitsingen belohnt wird. Wir hören weiter 'Roots Of The Mountain' und anschließend vom aktuellen Langspieler 'Sacred Horse'. Hier wird mir auch erstmalig die tolle Lichtshow bewusst, die dieses Jahr auf dem SUMMER BREEZE besonders auf der T-Stage zu sehen ist. Die Bäume hinter der Bühne werden ähnlich eines Ambilight-Fernsehers in das Licht der Bühne getaucht und mit in die Show integriert - sehr geil. 'Sacred Horse' funktioniert ziemlich gut, richtig vom Hocker haut mich dann allerdings der doch schon betagte Song 'Havenless', den ich trotz seines Alters tatsächlich noch nie live bewundern durfte. Ganz, ganz großes Tennis, das von ENSLAVED da abgeliefert wird. Für mich ist 'Havenless' die absolute Überraschung des Gigs: Dass dieser Song auf der Bühne so unglaublich zu überzeugen weiß, hätte ich nie gedacht. Anschließend hören wir das von Konzerten doch schon bekanntere 'Allfáðr Oðinn' und ich realisiere, dass ich in den letzten 15 Jahren zum hoffnungslosen ENSLAVED-Fanboy geworden bin.
[Hagen Kempf]
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- Frank Jaeger