SUMMER BREEZE 2023: For The Glory! - Dinkelsbühl
22.09.2023 | 02:0217.08.2023, Flughafen Sinbronn
Das Breeze ist wieder da, groß, laut und heftig. Diesmal sogar ohne Matsch. Toll!
Die Nacht war echt kurz. Eigentlich zu kurz, um schon vor High Noon wieder vor der Bühne zu stehen. Aber was macht man nicht alles für die Kunst. Zwei Tassen Kaffee später befinde ich mich vor der T-Stage. Der Körper ist noch müde, der Geist wird jedoch bei den ersten Tönen von BLACKBRIAR schlagartig wach. Die Metal-Gothic-Rockband aus den Niederlanden ist genau das Richtige an diesem Morgen für mich. Natürlich hat es die Band schwer, gegen die Konkurrenz auf der Mainstage in Form von GUTALAX anzutreten. Dennoch hat sich eine beachtliche Menge vor der Bühne eingefunden, um sich Songs wie 'Crimson Faces' und 'Lilith Be Gone' zu Gemüte zu führen. Nicht nur für mich war dies wohl genau die richtige Entscheidung, BLACKBRIAR kann zur Mittagszeit überzeugen.
2019 konnte ich SETYØURSAILS zum ersten Mal bewundern. Die Metalcore-Band aus Köln hatte in dem Jahr den Bandcontest für das RELOAD-Festival im niedersächsischen Sulingen gewonnen und dafür einen recht frühen Slot auf der Mainstage bekommen. Schon damals ist mir Sängerin Jules mit ihrer unermüdlichen Energie aufgefallen. Unsere Wege haben sich immer wieder mal gekreuzt. Hier mal ein Interview mit der Band geführt, da einen Livegig genossen. Vier Jahre nach der ersten Begegnung habe ich nun wieder das Vergnügen, SETYØURSAILS live zu erleben. Der Platz vor der Wera Tool Stage ist bis zum Bersten gefüllt. Während meine alten Knochen immer müder und morscher werden, scheint die Power der Band schier unendlich zu sein. Jules tobt über die Bühne, als gäbe es kein Morgen mehr. Auch der Rest der Band legt eine enorme Spielfreude an den Tag. Die Energie überträgt sich direkt bis vor die Wellenbrecher. Auch SETYØURSAILS ist für die Zukunft ein Kandidat für die größeren Bühnen auf dem Summer Breeze.
Es ist der zweite Tag, das Wetter ist gut, was vor allem nicht zu heiß bedeutet, also rein ins Vergnügen. Leider haben wir GUTALAX verpasst und das dazugehörige Chaos, das diesmal auf der Main Stage stattfinden durfte. Ich war skeptisch, ob das Ganze auch mit der größeren Entfernung zum Publikum funktionieren würde, aber ich erfahre später, dass es der Stimmung keinen Abbruch tat.
Als wir auf dem Weg zum Infield sind, werkelt auf der Hauptbühne gerade TERROR, die ich nur vom Namen her kenne. Der Sound, der vom Wind mehr oder weniger beeinflusst herüberwabert, ist heftiger Hardcore ohne Fisematenten, dafür mit Breakdowns, aber auch nachvollziehbaren Melodien. Die Gitarrenarbeit ist dabei eher, nun ja, basisch, aber Sänger Scott Vogel macht genug Krawall für alle. Kurze, heftige Nackenbrecher wechseln sich ab mit schweren Corewalzen, das ist zwar nicht umwerfend originell, aber sehr effektiv. Sollte jemand bis jetzt noch nicht richtig wach gewesen sein, dürfte TERROR das Problem nachhaltig behoben haben. Dem coreaffinen Publikum gefällt es sichtlich.
Aber ich muss vor Ende des Auftritts rüber zur T-Stage, um mir mal so richtig die Ohren verknoten zu lassen. Da folgt nämlich jetzt ARCHSPIRE, die einen Song haben, der ihre Musik ziemlich gut beschreibt: 'Abandon The Linear'. Ich bin nur teilweise ein Fan der Kanadier. Mit teilweise meine ich die Gitarristen Tobi Morelli und Dean Lamb, die wirklich völlig unbeschreibliche Sachen abziehen. Man kann einfach nur mit heruntergeklappter Kinnlade vor ihnen stehen und sich die Augen reiben. Leider funktioniert diese Art von technischem Death Metal live nicht ganz so gut, weil die Feinheiten der Saitenfraktion nicht so klar rauszuhören sind, wie es angemessen wäre, obwohl der Sound tatsächlich ziemlich gut ist, wie eigentlich das ganze Festival über und auf allen Bühnen. Was aber noch viel mehr stört, ist der Sänger Oliver Rae Aleron. Das hyperaktive Duracell-Häschen am Schlagzeug geht ja noch als progressiv und passend durch, aber warum hat man einen so völlig eindimensionalen Sänger, der wirklich nur mit einem Ton über die Virtuosität der anderen grunzt? ARCHSPIRE wäre mir instrumental viel lieber. Obendrein sind die äußerst obszönen Ansagen des Frontmannes ebenfalls sehr verzichtbar.
Jetzt geht das Laufen los. Zuerst einmal auf die Hauptbühne, da folgt nun eine Metal-Institution: GRAVE DIGGER. 43 Jahre und kein bisschen leise. Was für die meisten aus unserer Redaktion ein Grund zum Jubeln ist, trifft bei mir nicht auf ungeteilte Begeisterung, denn viele Leser wissen, dass ich die Band nicht mag. Wobei das nicht ganz richtig ist, ich mag nur Chris Boltendahls Gesang nicht, der sich mir immer die Fußnägel hochrollen lässt. Davon abgesehen muss ich natürlich objektiv sagen, dass Chris ziemlich viel richtig gemacht hat in seiner Metaller-Laufbahn. Und musikalisch sind die neueren Alben auch alle wirklich nicht von schlechten Eltern. Das fetzige 'Lawbreaker' lädt zum Bangen ein, das folgende 'Hell Is My Purgatory' schlägt in die gleiche Kerbe und Herr Boltendahl hat eine wahrhaft metallische Kutte an, voller Patches der Legenden unserer geliebten Musik. Ich habe den Eindruck, als wären tatsächlich die Gesangslinien besser als früher, oder aber die Totengräber haben mich langsam weichgekocht. Dann kommt 'Dia de los Muertos' und ich muss los!
Denn STORM SEEKER spielt auf der Wera. Ich möchte ein paar Fotos schießen, weiß aber gar nicht recht, was die Burschen genau für Musik machen. Kaum geht die Show los, ziehen sich die ersten Sorgenfalten über meine Stirn. Sauf-Piraten-Metal? Echt? Musikalisch sind wir im Folk unterwegs, der Keyboarder hat ein kleines Bierfass neben sich stehen, aus dem er sich immer mal wieder nachzapft, und der Sänger klingt, als ob wir ihn abends um 23 Uhr nach Stunden an der Theke auf die Bühne gezerrt hätten. 'Row Row Row' und danach 'Miles Away' bieten dem Genre nichts Neues, aber zumindest die Musiker haben viel Spaß und man lacht mit dem Publikum, das die seichte Abwechslung zu genießen scheint. Als das dritte Lied sich nicht erheblich vom vorherigen Tun unterscheidet, ist es für mich an der Zeit, zu Chris Boltendahls Truppe zurückzukehren.
Von weitem höre ich GRAVE DIGGER noch 'Excalibur' spielen, nur echt mit deutsch--falscher Aussprache des Titels natürlich. Darauf folgt dann gleich noch 'Rebellion (The Clans Are Marching)', ohne das die Band natürlich kein Konzert verlassen darf. Alle singen mit, meine Fußnägel rollen so schnell auf und ab wie andere headbangen, aber hey, bei GRAVE DIGGER weiß man, was man bekommt. Und dann folgt zum guten Schluss noch der Uralt-Gassenhauer 'Heavy Metal Breakdown'. Das war schon damals für mich ein Rückschlag, fand ich doch die beiden Songs auf dem "Rock From Hell"-Sampler besser, aber live komme ich nicht umhin, auch ein bisschen mitzusingen auf dem Weg zum nächsten Act, selbst wenn die Version doch etwas arg lang geraten ist. GRAVE DIGGER live? Ja, geht schon, selbst für einen ausgesprochenen Nicht-Fan, der anerkennen muss, dass die Band sich ihren Status durch kontinuierliche Arbeit erspielt und meinen Respekt dafür verdient hat.
THE NEW ROSES sind dagegen aber wirklich genau meine Kragenweite. Kerniger Hardrock mit griffigen Melodien ist das Spiel, bei dem ich mitwippen muss. Die Band stammt aus Hessen und spielt einen klassischen Hardrock, der so simpel wie effektiv rockt und vom rauen, melodischen Gesangsorgan des Frontmannes Timmy Rough lebt. Doofes Pseudonym, übrigens, die anderen sind aber auch nicht besser. Aber egal, die Musik zählt. Dazu Jeans, ein einfaches, aber tolles Backdrop, ärmellose Shirts und Posing, da geht dem Rocker die Sonne auf, auch wenn es bedeckt ist. Mit solchen Topsongs wie 'Down By The River', bei dem man einfach nicht anders kann, als mitzusingen, ist alles andere auch einfach mal egal. Die Wiesbadener reiten einmal durch ihre fünf Alben umfassende Diskographie und beweisen, dass sie schon ganz schön lange ganz schön gut sind. Nach dem Auftritt bin ich auch 'Thirsty' und brauche mal eine Pause im VIP-Bereich.
Durst – das kann man auch bekommen, wenn man das Bühnendesign der Band sieht, die nun auf der Main Stage spielen soll. VERSENGOLD hat sich diese nämlich kurzerhand zu einem gemütlichen Irish Pub umgestaltet, in dem sie es sich mit ihren Instrumenten gemütlich gemacht hat. Von Anfang an geht es direkt schwungvoll mit 'Niemals sang- und klanglos' los, wie es sich für eine Folkrock-Band gehört. Natürlich gibt es für das Publikum auch gleich einige große Luftballons zum Rumwerfen und ab und zu sieht man, wie sich eine große Polonaise durch die Menschenmenge bewegt.
Die Band bringt uns eine große Auswahl ihrer Klassiker der letzten Jahre mit und so scheint für jeden etwas dabei zu sein. Sogar für diejenigen, die gerne mal etwas Politisches hören, denn mit 'Braune Pfeifen' setzen die Musiker heute wieder ein ganz klares Statement im VERSENGOLD-Stil. Neben all dem hören wir aber auch überraschend etwas völlig Neues: 'Flaschengeist', aus dem im Verlauf des Konzerts fast genauso viel beworbenen neuen Abum "Lautes Denken", wie dem am 4. November anstehenden Jubiläumskonzert zum 20-jährigen Bestehen in der Hamburger Barclays Arena. Viel zu früh wird schon der letzte Song angekündigt. Irgendetwas kann da doch nicht stimmen, denke ich. Aber natürlich ist alles geplant und so nutzen zuerst der Sänger Malte Hoyer und dann auch sein Bassist Eike Otten die kurze Pause nach einem Lied, um sich ins Publikum zu schleichen und auf ein kleines Podest in deren Mitte für eine kleine sentimentale Einlage mit 'Die letzte Runde' zu begeben. Aber das war noch nicht alles und so bildet sich zum Finalsong 'Butter bei die Fische' nochmal ein gigantischer Circlepit um die beiden. Beendet wird das Konzert mit einem stimmungsvollen Funkenvorhang auf der Bühne und einer kleinen Ansprache der Band.
[Lennart Günter]
Es regnet leicht und in der Ferne sind erste Blitze zu sehen. Ich habe etwas Angst um meine Kamera, aber auf der Wera Stage wartet OF VIRTUE darauf, von mir geknipst zu werden. Also mache ich mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg. Zum Glück ist die Stage überdacht, das denken sich wohl auch einige Zuschauer, die sich bald unter den beiden Schirmen der Wera Stage einfinden. Leider ist jedoch genau der Fotograben teilweise ungeschützt und so werden meine Kamera und ich trotzdem ein wenig nass. Immerhin habe ich meinen guten Bundeswehr-Poncho. Kamera nach dem Knipsen drunter und dann ist alles gut. Doch was hat OF VIRTUE zu bieten? Ich kannte die Jungs aus Michigan vorher nicht und konnte vor dem Summer Breeze nur ein paar Lieder testhören, um einen Eindruck zu bekommen: melodischer Metalcore.
Dafür bin ich immer zu haben, also los geht’s. Tyler Ennis, der Sänger von OF VIRTUE, stürmt auf die Bühne. Ich bin erstmal mit Knipsen der sehr aktiven Band beschäftigt, deshalb bekomme ich von der Musik noch nicht so viel mit, muss bei dieser Energie jedoch auch ein bisschen mitwippen, es geht gar nicht anders. Tyler ist schnell von einem zum anderen Bühnenende gewandert, wirft sich dabei in Posen und schlägt um sich. Ich sage danke, denn davon habe ich direkt ein paar schöne Bilder gemacht. Michael Valandez am Bass und Damon Austen Tate an der Gitarre schütteln den Kopf. Die ersten drei Songs vergehen wie im Flug, also raus aus dem Fotograben und zum Rest des Publikums unter den Schirm der Wera Stage.
Jetzt kann ich mich auch der Musik genauer widmen, denn OF VIRTUE fabriziert live großartigen Core. Der Klargesang kommt von Damon, das macht er gut. Doch Tyler steckt alle seine Energie in den Auftritt und die Screams und das macht OF VIRTUE live wirklich sehenswert. Vielleicht sind die Vocals nicht so poliert wie auf Platte, aber das ist egal, denn die Musik und die Energie sind ehrlich und nehmen das Publikum wirklich mit. Tyler baut Kontakt zum Publikum auf, geht bis an die Balustrade vor und surft einmal über die Menge. Das Resultat ist klar: Das Publikum schwenkt fleißig die Arme, startet einen Cirle Pit und hüpft. Zwischen zwei Songs bedankt sich Tyler bei der Technik, die den Auftritt der Band trotz von American Airlines verlorenem Gepäck möglich machte. Der Rausschmeißer ist der Song 'Cannibals', perfekt zum Mitgrölen, leider kenne ich den Text nicht. Trotzdem bleibt mir der Song für eine ganze Weile als Ohrwurm erhalten. Und dann endet der halbstündige Auftritt abrupt. Ich schaue verwirrt meine Nebenstehenden an und wir kommen alle einstimmig zum Ergebnis, dass dieser Auftritt viel zu kurz war. Schade. Davon hätte ich gerne mehr gesehen. Gut, dass die Jungs gerade mit BEING AS AN OCEAN auf Tour sind. Da werde ich wohl vorbeischauen müssen und bis dahin kann ich dann auch den Text von 'Cannibals'.
Es geht zu Ende mit Grün. Nein, nicht politisch, auf der T-Stage spielt END OF GREEN. Die meinen Grün wie in "Wanderer, lass alle Hoffnung fahren". Stimmt aber nicht, ich finde die Jungs nämlich ziemlich klasse und gar nicht so finster, außerdem setzen sie einen erfreulich anderen Akzent auf dem Summer Breeze. Der düstere Hardrock mit dem kraftvollen Gesang von Michelle Darkness, dessen Pseudonym übrigens auch nicht preisverdächtig ist, groovt prächtig. Überall wird mitgenickt und der niedrigere Energielevel verglichen mit den Horden von Death-Metal- und Core-Kapellen genossen. Die Stuttgarter haben leider nur eine Dreiviertelstunde Spielzeit, aber die vergeht wie im Flug. Ich bin etwas verwundert, dass man in Bezug auf die Setliste doch recht tief in der Vergangenheit weilt, ich meine, keinen einzigen Song von den neuesten beiden Alben gehört zu haben. Ich bin allerdings kein echter Kenner, vielleicht irre ich mich auch. Allerdings bin ich dagegen sicher, dass ausgesprochen viel Material von "The Sick's Sense" gespielt worden ist und das Album hat bereits fünfzehn Jahre auf dem Buckel. Daran gibt es aber nichts auszusetzen, nur könnte ich mir vorstellen, dass die echten Fans und Kenner der Band eventuell gerne auch etwas Neueres gehört hätten. 45 Minuten sehr angenehmen, unprätentiösen Rocks später gibt es aber keine Beschwerden, sondern einfach zufriedene Gesichter. Das war schön.
Auf der Main Stage geht es weiter mit STICK TO YOUR GUNS, einer weiteren hyperaktiven Hardcore-Kapelle. Hier werden keine Faxen gemacht. Auf der Bühne ist ordentlich was los, der Sänger, Bassist und Gitarrist hüpfen umher und schütteln die Köpfe. Dasselbe wird dann natürlich auch vom Publikum erwartet. Vor dem zweiten Song fordert der Sänger einen Circle Pit, was auch prompt umgesetzt wird – trotz Regen. Aber nicht nur im Pit ist das Publikum aktiv, auch beim Rest wird fleißig der Kopf geschüttelt, die Pommesgabel geschwenkt und der nächste Crowdsurfer nach vorne befördert. Wenn möglich wird auch mitgegrölt und hierbei ist das Publikum sehr textsicher. Die Musik ist so, wie man das vom Hardcore kennt: schnell und hart. Und dann brüllt noch irgendwer irgendwas. Hauptsache wir sind sauer! Vor allem der Sänger, denn hier fallen schon einige obszöne Ausdrücke in den kurzen Ansprachen an das Publikum, wenn diese mal ein Satz und nicht nur ein "MOOOVE!" oder "Go!" sind. Beim Danksagen ans Publikum spart er sich die Ausdrücke sogar. Ja, hier bekommt man klassischen Hardcore, genau wie sich das gehört.
Eine kurze Pause, hinsetzen, Füße hoch. Es ist der zweite Tag, ich merke bereits meine Füße. Aber egal, WOLFHEART auf der T-Stage will auch verarztet werden. Das Bühnenbild hat augenscheinlich als Thema "ich glaub, ich steh im Wald", dazwischen musste wohl ein größeres Tier für die Mikroständer-Deko sein Leben lassen. Das Resultat sieht aus wie ein Bärenschädel mit Geweih (oder auch Wolf, was wahrscheinlicher ist, das Ding ist aber echt groß), das jedoch wird Nebensache, als die Finnen lossägen. Das lange 'Skyforger' eröffnet ihr Set mit coolen Gitarrenmelodien und dem Grunzgesang von Frontmann Tuomas Saukkonen, dann gibt es Blastbeats auf die Ohren. Die Band bangt, was das Zeug hält, und auch wenn ich die folgenden Stücke alle nicht kenne, da ich nur das aktuelle Album "King Of The North" zur Vorbereitung gehört habe, klingen auch die älteren Stücke gut und abwechslungsreich. Ruhigere, melodische Parts lockern die harten Stücke auf, leider aber streikt irgendwann das Band, von dem die Tastenparts stammen. Ich finde ja, die Bands sollten weniger auf Samples und Einspieler setzen, entweder nimmt man sich einen Keyboarder mit oder lässt die Parts oder Songs eben weg. Eine Pause von zwei Minuten beim Intro zu 'Aeon Of Cold' ist zwar keine Katastrophe, aber Metal ist doch eigentlich handgemachte, für die Bühne komponierte Musik, oder? Aber das Publikum kommt schon bald wieder auf Betriebstemperatur und der Rest des Gigs klappt wie am Schnürchen, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich Richtung Main Stage bewege, begleitet von schönen Melodien der Finnen und heftigen Ausbrüchen, die langsam leiser werden.
Nachdem ich BEARTOOTH auf dem "Graspop"-Festival in Belgien letztes Jahr von einiger Entfernung gehört habe, geht es für mich dieses Mal weit vor die Bühne. Der Sänger Caleb Shomo läuft dieses Mal bereits oberkörperfrei ein und stellt seine Arm- und Brust-Tattoos gut zur Schau (Ich bin aber nicht nur deswegen ganz vorne. Ehrlich!). Sein rosafarbenes Stirnband verleiht seinem Auftreten ein ganz eigenes Flair und so kann man ihn, wenn man kurz den Kopf abgewendet hat, auch sehr schnell auf der Bühne wiederfinden, was bei seiner vielen Bewegung sonst nicht so einfach wäre. Mit Liedern wie 'Sunshine' und 'Disease' bekommt er das ganze Publikum zum Mitsingen und noch mehr zum Toben. So ein energetisches Publikum ist mir das ganze Festival bisher nicht untergekommen. Die Band hat die Zuschauer komplett im Griff und bekommt bei jeder Aufforderung auch tatkräftiges Feedback. So dirigiert Caleb sein Publikum zum Schreien und Tanzen und schafft mit einer einzigen Handbewegung völlige Stille. Die Energie der Menge ist den ganzen 80-minütigen Auftritt lang greifbar, ganz besonders, als der Frontmann zwischendurch ins Publikum taucht.
Zwischendurch spielt BEARTOOTH die Single 'Might Love Myself' von dem Album "The Surface", das am 13. Oktober herauskommen wird, und bei dem ein ausgestopfter Dachs regelmäßig über den Feiernden crowdsurft. Außerdem wird die tierische Show durch Menschen im Hai-, Flughörnchen- und Bären-Kostüm ergänzt. Man könnte meinen, die Band zieht einen Zoo zur Bühne heran, was immerhin gut zu Calebs Löwen-Tattoo und dem Panther-Oberteil des Leadgitarristen Zach Huston passt. Coole Show!
Ich habe mir auch ein paar Lieder von BEARTOOTH angehört, die sind ja aktuell ziemlich angesagt. Haben auch ganz ordentlich abgeräumt. Aber auch wenn alle da abrocken, muss jemand trotzdem die Wera Stage bearbeiten. Da spielt nämlich PADDY AND THE RATS, die Keltenpunker aus Ungarn. Ja, eine seltsame Kombination, aber hey, wenn es doch funktioniert? Der fröhliche, zumeist zügig gespielte Folk geht direkt und ohne Umwege in die Beine, die Geige jammert, die akustische Gitarre hoppelt, die Mitsingchöre schallen über die feierbereite Meute, der das Bier nach dem überzeugenden und kurzweiligen Auftritt sicher doppelt so gut mundet. Dass es wieder mal um Piraten geht und um Saufen, kann ich in diesem Fall übersehen, weil mir die Musik deutlich besser gefällt als bei STORM SEEKER früher am heutigen Tage. Inkonsequent? Vielleicht. Aber Geschmäcker sind nun einmal so, PADDY AND THE RATS holt mich ab, nimmt mich mit und macht mir Bierdurst. Eins geht, ist ja noch früh, auch wenn ich später noch fahren muss. Egészségedre!
Dann muss ich aber gleich weiter zu Obi. Sorry, zu OBITUARY. Florida-Death von einer der großen, alten Bands dieses Stils ist angesagt, mit 'Redneck Stomp' als Intro rollt gleich die erste schwere Walze über das Publikum, dann geht die wilde Fahrt los. Die Band aus Tampa setzt immer mal wieder einen schnellen Akzent in die gewaltigen, schwerfälligen Midtempo-Stücke, die ich nicht erkenne, allerdings ist mir auch nur das Frühwerk der Jungs geläufig, folglich dürfte es sich wahrscheinlich um neuere Lieder handeln. Oder alte, die ich vergessen habe. Die Double Bass geht mir durch alles, niemand macht OBITUARY vor, wie man Death Metal live umsetzt, brachial, fordernd, aber auch nachvollziehbar, nicht heavy zum Selbstzweck. Trotzdem bin ich weiterhin bei Death Metal eher Zaungast und verlasse den Auftritt nach etwa der Hälfte, um zur Hauptbühne zu pilgern.
Der eigentliche Headliner des Tages beginnt nämlich parallel: TRIVIUM. Ich mag die Band im Prinzip, allerdings hält sich meine Begeisterung für das aktuelle Album in Grenzen. Dass der Auftritt daher mit dem Titelsong beginnt, ist nachvollziehbar, aber eben nicht gut, denn das wilde Rumgebrülle von 'In The Court Of The Dragon' gefällt mir schon auf Konserve nicht. Sänger Heavy setzt auf Mimikry und trägt eine Jacke mit dem gleichen Motiv, das auch als Backdrop eingesetzt wird und vor allem bunt ist. Sehr bunt. Aber mit Drachen. Okay, der Energielevel ist gesetzt und der folgende alte Song 'Down From The Sky' versöhnt mich. Als ich die Band das letzte Mal gesehen habe, stand das Album "In Waves" im Mittelpunkt, doch davon ist zumindest zu Beginn erstmal gar nichts zu hören. Die Setliste ist wirklich ganz anders, springt immer wieder vom aktuellen Album in die beachtlich lange Vergangenheit bis zurück zu "The Crusade" mit 'Becoming The Dragon', das ich noch teilweise höre, während ich bereits vor der Wera Stage stehe.
Ich unterbreche nämlich meine TRIVIUM-Erfahrung, um eine Band zu fotografieren, die ich überhaupt nicht kenne: KANONENFIEBER. Mir wurde aber gesagt, dass das Bamberger Ein-Mann-Projekt sehr originell wäre. Ja, das scheint korrekt zu sein, ist doch die ganze Bühne hergerichtet wie ein Ausschnitt aus den Feldern des Ersten Weltkriegs mit Sandsäcken und Stacheldraht und über allem thront ein Luftschiff auf dem Backdrop mit dem Namen des Projektes. Als es dann losgeht, stehen durch Masken gesichtslos gemachte Musiker auf einer rot beleuchteten Bühne und spielen eine Mischung aus Black Metal und Doom, mit Sänger Noise, dem Bandkopf, in einer deutschen Militäruniform. Eine sehr intensive Darbietung, manchmal kann man Fetzen der deutschsprachigen Texte verstehen, die Gitarren spielen nachvollziehbare Melodien, die dann wieder in Blastbeats untergehen, während theatralische Gesten die Lyrik unterstreichen. Ruhigere Passagen sorgen dafür, dass die heftigen Ausbrüche Wirkung entfalten. Ein ganz schöner Brocken, aber auch unterhaltsam und gleichzeitig beklemmend. Extreme-Metal-Kunst.
Doch zurück zu TRIVIUM, ich denke, ich dürfte so etwa vier Lieder verpasst haben. Nach KANONENFIEBER wirkt das natürlich etwas trivial, ich benötige ein paar Minuten, um den Kontrast zu verarbeiten, aber mittlerweile ist die Band dazu übergegangen, echt zu rocken und haut uns 'The Heart From Your Hate' und danach das uralte 'A Gunshot To The Head Of Trepidation' um die Ohren. Super, und dann geht die Band mit einem "ich liebe dich, meine Freunde" von der Bühne. Mit Outro. Nein, TRIVIUM kommt nochmal wieder und jetzt gibt es 'In Waves'. Mit einem so melodiegeprägten Song kann man einen Auftritt beenden, das Publikum ist voll dabei und könnte wohl noch, aber nach neunzig Minuten ist die Zeit um. Auch wenn ich den Mittelteil des Auftritts verpasst habe, kann ich sagen, dass die US-Amerikaner geliefert und sich den Headliner-Platz verdient haben.
AMENRA bringt Post-Doom aufs SBOA. Das heißt sehr langsamen und atmosphärischen Doom, der von fast schon hardcore-artigen Breakdowns als Höhepunkt aufgelockert wird. Dazu säuselt der Sänger Colin H. van Eeckhout in den ruhigen Phasen in schönem, aber auch sehr leisem Klargesang und schreit sich dann im Breakdown die Seele aus dem Leib. Das passt perfekt zum Stil der Band und wird auch technisch wunderbar umgesetzt. Im Gesamtpaket ist das ein – für eine Doom-Band – eindrucksvoller und stilsicherer Auftritt in Schwarzweiß. Hier gibt es sehr viele dunkle Phasen, die von plötzlichen Blitzlichtgewittern unterbrochen werden. Im Hintergrund laufen Videoaufnahmen auf der Leinwand, die stark ins Abstrakte gehen: Wellen, Fassaden mit Fenster und Türen, Säulen...
Die Band ist für den doomartigen Stil sehr aktiv auf der Bühne. Alle Bandmitglieder bangen fleißig den Kopf und manchmal wird sogar etwas auf der Bühne umhergelaufen. Vom Publikum will man jedoch scheinbar wenig wissen, der Sänger kehrt diesem für den Großteil des Auftritts den Rücken zu, geht in die Knie und macht sich richtig klein auf der Bühne. Im Höhepunkt kommt dann aber oft der Bruch: Dann dreht er sich um, macht sich groß und gestikuliert nach oben. Thema der Band sind Schmerzen. Resignation scheint jedoch nur ein Teil des Ganzen zu sein, denn teilweise schlägt die Stimmung ins zornig Anklagende um. Apropos Stimmung, die Band kommt wirklich gut beim Publikum an. Hier werden fleißig die Köpfe geschüttelt und die Pommesgabeln in den Himmel gestreckt.
Mir gefällt der Auftritt sehr gut. Er bildet eine willkommene Abwechslung zum Rest des Festivals, hier kann man wieder ein wenig runterkommen – zumindest bis zum nächsten überraschenden, harten Breakdown. Die Kombination der sehr guten Musik und dem stilsicheren und interessanten Auftritt macht AMENRA wirklich sehenswert, davon können sich andere Vertreter des Doom-Genres einiges abschneiden. Vielleicht machen die Visuals für einen Kunst-Doktoranden ja sogar Sinn, hier halte ich mich mit einer weiterführenden Interpretation jedoch lieber zurück. Der Auftritt endet mit einer dunklen und leeren Bühne und dem weißen AMENRA-Schriftzug auf der Leinwand.
"FROG LEAP musst du sehen!" - "Echt? Was machen die für Musik?" - "Metalcovers von Nicht-Metal-Songs!" Ich, entsetzt: "'Ne Coverkapelle?" Das war die Konversation im VIP-Bereich mit den Fotografenkollegen, die mich dazu verleitete, tatsächlich zur Hauptbühne zu marschieren, wo das erste, was ich sehe, ein Typ in einem Hasenkostüm ist, der ein unsichtbares Orchester dirigiert. Ein Hase? Warum kein Frosch? Die Fragen werden nicht weniger, als der Opener 'House Of The Rising Sun' in einer wirklich schwermetallischen Version über uns hereinbricht. Technisch gut, das Lied ist auch wirklich ganz anders, als man es kennt, aber auch eher eine "Nummer-sicher-Wahl". Die Band macht durchaus Show, wobei mir der Hase immer noch überflüssig erscheint. Aber immerhin ist er im nächsten Song anfangs nicht dabei, der BILLIE EILISH-Coverversion 'Therefore I Am'. Ja, metallisch verklärt, aber ein gutes Lied wird daraus deshalb noch lange nicht. Und der lustige Glückshase turnt auch schon wieder rum.
Unterbrechung: Ein Abstecher auf die Wera Tool Stage ist notwendig, denn da spielt COBRA THE IMPALER, eine der wenigen angeproggten Bands des Festivals. Auch wenn die Belgier, die sich auf Sommer-Festival-Tour befinden, ganz sicher keinen simplen Wohlfühl-Prog produzieren, sondern fest im Metal stehen und sogar Metalcore und Extreme-Metal-Einflüsse verarbeiten. Ja, Blastbeats, gutturaler Gesang, alles inklusive, aber trotzdem starke Lieder und große, schwermetallische Abwechslung. Ich bin zwar mit dem Material der Jungs nicht allzu vertraut, aber das ist schon ziemlich großes Kino. Eigentlich wollte ich nur kurz rüberkommen, damit auch die kleinen Bands nicht vergessen werden, die parallel zu den Hauptacts auf der Main Stage und T-Stage auftreten, aber COBRA THE IMPALER klingt echt fett, sodass ich etwas länger bleibe und beschließe, das Album nach dem Festival mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber eigentlich sollte ich ja jetzt über das Geschehen auf der Hauptbühne berichten, also nichts wie wieder zurück ins Infield.
Ich steige bei 'Pokemon Theme' wieder bei FROG LEAP ein, wobei ich etwa drei, vier Lieder verpasst haben mag. Das ist eine witzige Idee und es ist erstaunlich, wie die Meute mitgeht. Beim folgenden 'Party Rock Anthem' lässt sich Sänger Leo Moracchioli vom Publikum herumtragen, aber ich habe jetzt wirklich genug. Ich beschließe, den Tag zu beenden und mir den Rest auf dem Weg zum Auto anzuhören. Jetzt geht die Band wieder auf Nummer sicher, denn SURVIVOR, TOTO, ROXETTE und die CRANBERRIES sind nicht wirklich Pop, außerdem haben sie sicher im allgemeinen Futterspektrum der Anwesenden einen Platz und benötigen keine metallische Bearbeitung.
Was bleibt? Eine gute, aber auch nicht sehr gute Coverkapelle, die aus einem mir nicht ersichtlichen Grund einen Headlinerslot einnimmt. Dabei waren die meisten Stücke einfach überflüssig, weil es sowieso bereits Rocksongs oder sogar echte Rockstandards waren. Die Burschen gehören ins Bierzelt, aber nicht auf die Festivalbühne. Ich habe mich anschließend informiert, wer oder was FROG LEAP ist und stelle fest: Brauch ich nicht. Und den dusseligen Hasen auch nicht. Dafür sollten lieber echte Künstler mit eigenen Songs die Bühnenzeit bekommen.
SLEEP TOKEN hat wohl verschlafen. Die Band kommt fünfzehn Minuten zu spät zu ihrem Auftritt auf der Main Stage. Die Bühne ist eher schlicht gehalten und wird nur von einem Backdrop im "Take Me Back To Eden"-Design geschmückt. Dafür sind die Musiker alle verkleidet und maskiert. Vessel, der Sänger der Band, hat eine teilweise angebissene blutige Maske auf und ist am restlichen Körper schwarz angemalt. Darüber trägt er ein Cape mit großen Schulterklappen. Gitarrist und Bassist haben schwarze Sturmhauben mit dem aufgedruckten Symbol der Band auf. Auch sie sind schwarz angemalt, tragen jedoch ähnlich schwer zu beschreibende Klamotten, wie es das Genre der Band ist. Neben der Band sind im hinteren Teil der Bühne noch drei in Roben gekleidete Backing-Vocals-Sänger. Der Auftritt startet mit 'Chokehold', einem Hit vom neuesten Album.
Vessel ist sehr aktiv, aber auch der Gitarrist und Bassist laufen auf der Bühne umher und motivieren das Publikum mit ein paar Gesten, mitzumachen. Die Band wirkt routiniert, die Gestik scheint teils einstudiert, vielleicht sogar choreografiert zu sein. Musikalisch ist das hier ganz große Klasse. Gitarre, Bass und Schlagzeug stehen live dem Album in nichts nach und Vessel hat eine krasse Stimme, die scheinbar alles kann vom Klargesang bis zu Screams und anderen Krächz-Geräuschen. All das kann er live fast so gut wie auf Platte auch. Der Sound ist auch gut, einziges Manko ist, dass Vessel manchmal etwas zu leise ist – oder die Backing-Vocals zu laut sind. Live klingen die Songs gerade durch die Backing-Vocals anders als auf Platte, was nicht unbedingt schlecht ist, man aber mögen muss.
Durch die Vermummung und das Fehlen von Publikumsansprachen fällt es mir schwer eine Verbindung zur Band aufzubauen. Dem Rest des Publikums scheint es ähnlich zu gehen, die meisten stehen da und wippen ein wenig mit, aber richtig Stimmung kommt nicht auf. In der Setliste finden auch zu viele ruhige Songs Platz, die jede gerade aufgebaute Stimmung dann doch wieder zerstören. 'Take Me Back To Eden', der Titeltrack des gleichnamigen neuen Albums, fehlt ganz. Diesen oder einen anderen Song vom neuen Album hätte ich viel lieber gehört als ein langweiliges 'The Love You Want'. Insgesamt hätte ich von diesem Auftritt mehr erwartet, aber das ist vielleicht auch dem Über-Hype geschuldet, den die Band dieses Jahr erlebt. Nun geht es endlich zurück nach Hause und wir widmen uns ausgiebig dem ersten Teil der gerade gehörten Band: Sleep.
Setliste: Chokehold; The Offering; Like That; Granite, Vore; The Love You Want; Hypnosis; Alkaline; The Summoning; Higher
- Redakteur:
- Frank Jaeger