Saint Vitus - Stuttgart

12.05.2009 | 11:32

29.04.2009, Die Röhre

Die neben BLACK SABBATH größte Legende des Doom Metals kehrt nach sechs Jahren nach Deutschland zurück. Ein Triumphzug in Slow Motion!

Manchmal werden Träume wahr, die man sich gar nicht mehr zu träumen getraut hat. Zur "Die Healing"-Tour 1995 habe ich Dave Chandler & Co. verpasst, und danach war jäh Schluss mit der Band. Jahrelang musste ich mich deswegen ärgern. Dann kam 2003 die Reunion mit je einem Gig in Chicago und beim With Full Force, zu denen ich leider auch nicht gehen konnte. Dann schon wieder Schluss. Das Unterfangen, mir ein Konzert der Doom-Götter SAINT VITUS anzuschauen, schien bisher verflucht zu sein, und auch 2009 hatte es zunächst den Anschein, als solle es nicht wahr werden: ein einziger exklusiver Festival-Gig beim Roadburn in Holland, das einerseits zeitgleich mit dem für mich bereits gebuchten "Keep It True XII" stattfand und zudem binnen 45 Minuten ausverkauft war. Verdammt!

Als dann jedoch am 9. Februar 2009 verkündet wurde, dass es nach dem Roadburn noch drei Dates in Deutschland geben würde und dass darunter auch die gute alte Röhre in Stuttgart sei, da gab es kein Halten mehr. Sofort das Ticket geordert, und am 16. Februar 2009 war es da. Dann hieß es nur noch zweieinhalb Monate warten bis zum 29. April 2009, den wir heute schreiben. Die Fahrt nach Stuttgart verläuft zum Glück problemlos und ohne Stau, so dass wir pünktlich zur Vorgruppe in der Halle sind.

Vorgruppe? Braucht man so was bei einem Gig einer lebenden Legende eigentlich? Nun, im Prinzip nicht, aber in diesem Falle hat es schon seinen Sinn, dass die fünf Böblinger von UNBOUND für den heiligen Veit eröffnen dürfen. Die Doomcoreler um Frontmann und Brüllwürfel Marcel "Marshl" Stefanec sind nämlich nach eigenem Bekunden riesige VITUS-Fans, und das nimmt man ihnen auch prompt ab. Wenn nicht schon des Sounds wegen, dann spätestens als der Frontmann sich seines Shirts entledigt und ein riesiges, die ganze Brust bedeckendes SAINT VITUS-Tattoo sichtbar wird. Musikalisch sind die Parallelen zu SAINT VITUS dabei gar nicht mal so offensichtlich. Klar, das Ganze ist meist zäh und raubeinig, aber ansonsten überwiegen schon die Einflüsse aus dem Sludge und Core, welche die Band in Richtung CROWBAR, DOWN und PANTERA drücken. Das ist überhaupt nicht verkehrt, und ein Opener der genau klingt, wie der Headliner wäre ja auch langweilig. Der knochentrockene, nihilistische und aggressive Sound UNBOUNDs ist nämlich durchaus beeindruckend und stimmt die Meute jedenfalls ganz gut auf den Abend ein. Doch als die Schwaben zum Ende kommen, ist auch keiner böse, denn wie es Marshl sehr treffend auf den Punkt gebracht hat: "Ihr wartet auf SAINT VITUS, gell? Geht mir auch so."

Nach einer kurzen Umbaupause ist es dann so weit. Das Licht geht aus, und das Gedränge vor der Bühne wird dichter. Die nicht ganz so groß Gewachsenen (wie ich einer bin) müssen hin und wieder die Zehenspitzen bemühen, um alles mitzukriegen, doch das macht ja auch den Reiz eines intensiven, heimeligen Clubgigs aus. Die Röhre ist mittlerweile ausverkauft oder maximal ein paar Leute davon entfernt, und genau das ist ja an sich auch das Mindeste, wenn eine Band sich und uns die Ehre gibt, die so einflussreich ist wie kaum eine andere in der Doom-Szene. Und vor allem auch eine Band, die so lange nicht mehr in Stuttgart zu Gast war wie SAINT VITUS. Schon als Dave Chandler, Scott "Wino" Weinrich, Mark Adams und Armando Acosta im Dunkeln die Bühne betreten, brandet Jubel auf und heben sich zahllose Arme, und als es dann nach einer gewohnt kurzen und knarzigen Ansage von D.C. mit dem ersten monumentalen Riff von 'The War Starter' losgeht, gibt es kein Halten mehr. Die Meute tanzt den Doomdance, schwingt die Matten und feuert die Band nach Kräften an, so dass die Pausen zwischen den Songs manchmal fast lauter sind als die Songs selbst.

Gut, das war natürlich ein wenig übertrieben, denn SAINT VITUS ist ja wahrlich keine Band, die in Zimmerlautstärke agiert. An diesem Abend ist es auch völlig egal, was die Kalifornier aus der Schatzkiste ziehen, alles wird gleichermaßen abgefeiert, ganz egal, ob es sich um die Highlights aus der Wino-Ära wie 'I Bleed Black', 'Dying Inside', 'Living Backwards' oder 'Clear Windowpane' handelt oder um die ursprünglich von Scott Reagers intonierten Uralt-Klassiker wie das großartige 'Mystic Lady'. Alles wird mit offenen Armen aufgenommen und regelrecht aufgesogen. Sogar ein Crowdsurfer wird gesichtet. Einziger Wermutstropfen eines tollen Konzertabends ist es, dass die Band schon nach einer guten Stunde die Bühne zum ersten Mal verlässt. Dass damit aber noch nicht Schluss sein kann und darf, ist klar, und so lässt das Doom-Quartett die euphorisiert nach Zugabe bettelnden Zuschauer auch nicht allzu lange rufen.

Mit der großartigen und von den meisten mitgesungenen Bandhymne 'Saint Vitus' beweist Wino einmal mehr, was er eigentlich nicht mehr beweisen muss: nämlich dass er die Scott-Reagers-Songs perfekt draufhat. Die Band verlässt erneut die Bühne, doch da der Mottosong der Reunion-Tour und gleichzeitig der größte Hit der Bandgeschichte noch nicht gespielt worden ist, hat kaum jemand Angst, dass die Herren nicht mehr kommen könnten. Trotzdem sind die Anfeuerungen beeindruckend. Als dann schließlich 'Born Too Late' ertönt und aus allen Kehlen mitgebrüllt wird, ist aber leider auch klar, dass nun nach knapp achtzig Minuten definitiv Schluss ist. Doch egal, wie lange SAINT VITUS heute auch gespielt hätten: Es wäre immer zu kurz gewesen, und jeder hätte weitere Klassiker vermisst.

Dass die Musiker aber keineswegs keinen Bock mehr gehabt hätten, zeigt sich direkt im Anschluss an den Gig, als sämtliche Bandmitglieder sich mit strahlenden Gesichtern dem Publikum stellen und sich ausgiebig Zeit für jeden Fan nehmen, ein wenig Konversation pflegen und alles signieren, was der treue Anhänger so mitgeschleppt hat. Besonders Schlagzeuger Armando fällt sehr positiv auf, als er auf Bitte eines Fans sogar zum Drumkit spaziert und dem Glücklichen einen seiner Drumsticks verehrt. Man spürt die langjährige Verbundenheit zwischen Fans und Band, und es ist offensichtlich, dass die Band mit einem derart erfolgreichen Abend und einer ebenso warmen Aufnahme nicht unbedingt gerechnet hat.

Da sich die Fans vor und nach dem Gig auch ausgiebig mit Merchandise eindecken, bin ich mir ziemlich sicher, dass die heute endende Kurztour sich auch finanziell für die Band gelohnt haben dürfte. Vom Feeling her sowieso. Das nährt natürlich die Hoffnung beträchtlich, dass dieses Mal mehr aus der SAINT VITUS-Reunion wird als beim letzten Mal. Zu wünschen wäre es nicht nur der Band und ihren Fans, sondern der Doom- und Metal-Szene insgesamt, denn solche Originale braucht die Community ganz dringend. Ich freue mich auf jeden Fall noch immer tierisch, dass es dieses Mal endlich geklappt hat, und wann immer es wieder passieren sollte, dass SAINT VITUS eine deutsche Bühne betreten: Ich werde alles dran setzen, wieder dabei sein zu können.

Setlist (Reihenfolge ohne Gewähr): The War Starter, I Bleed Black, Look Behind You, Living Backwards, Clear Windowpane, Mystic Lady, The Lost Feeling, Dying Inside, Saint Vitus, Born Too Late

Unser Dank für die Fotos geht an Marius Bacher!

Weiter Bilder und ein paar Eindrücke vom München-Gig findet ihr beim Kollegen Klaus Frietsch vom Rock The Cam!

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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