URIAH HEEP, SAXON und JUDAS PRIEST - Dortmund
28.03.2024 | 12:3727.03.2024, Westfalenhalle
Wenn geschichtsträchtige Metal-Urgesteine zum ultimativen Live-Schlag ausholen...
JUDAS PRIEST hat nicht nur mit "Invincible Shield" ein so bärenstarkes, zeitloses Stück Schwermetall im Gepäck, sondern mit SAXON und URIAH HEEP auch langjährige Verbündete, mit denen Halford und Co. zum großen Live-Schlag ausholen. Die "Metal Masters 2024" machen in diesem Frühling auch Halt in der Dortmunder Westfalenhalle, ein Ereignis, das große Schatten vorauswirft und das man sich nicht entgehen lassen darf. Das Ruhrgebiet lässt sich nicht zweimal bitten und so stellt sich schon vor dem Einlass eine meterhohe Gänsehaut auf – dieser Abend wird geschichtsträchtig, so viel ist schon im Vorfeld klar.
Mittwochabend, Dortmund – nein, an die Champions-League-Spiele des BVB ist heute nicht zu denken. Hier ist vor der ehrwürdigen Westfalenhalle – zumindest für Musikliebhaber – weitaus Größeres im Gange. Und wer hätte bei der "Rocka Rolla"-Veröffentlichung vor 50 Jahren gedacht, dass JUDAS PRIEST die Welt der härteren Rockmusik derart prägt, dass das Flaggschiff der British-Steel-Bewegung mit dem "Firepower"-Nachfolger noch solch ein heißes Eisen im Feuer hat und dass mir auch meine achte JUDAS PRIEST-Show noch solch eine unbändige Vorfreude bereiten würde.
Doch auch die Gäste der "Invincible Shield Tour" 2024 sind an Bedeutung nicht zu übertreffen: Auch URIAH HEEP kann auf 55 Jahre Hard-Rock-Geschichte zurückblicken, hat mit "Chaos & Colour" ein so kraftvolles, wie wunderbares wie auch vitales Album im Januar des vergangenen Jahres herausgebracht und hat sich vor allem live in all den Jahren stets als absolute Bank erwiesen. Und SAXON? Hach, was wäre die NWoBHM-Geschichte nur ohne Biff und seine Saxen, die sich vor wenigen Wochen bissig, angriffslustig und energisch mit "Hell, Fire And Damnation" zurückmeldeten. Ich erzähle euch nichts Neues, ich weiß, allein die Namen URIAH HEEP, SAXON und JUDAS PRIEST lassen gestandene Männer und Frauen in Ehrfurcht erstarren. Zumal erst 2018 an genau der gleichen Stelle das PRIEST'n'HEEP-Ensemble für Furore sorgte. Also sortieren wir bei aller Vorfreude – aber auch Ärger ob der maßlos übertriebenen Park- und Getränkepreise (Leute, habt ihr den Knall nicht gehört?!) – einmal unsere Gedanken, entern die heiligen Hallen und blicken von der Tribüne in hunderte, erwartungsfrohe Gesichter. Es kann losgehen.
Um genau 18:55 Uhr entert die erste Legende die Bühne. "Chaos & Colour" schlug letztes Jahr ein wie eine Bombe und präsentierte URIAH HEEP in Hochform. Und obwohl seitdem einige Monate ins Land gezogen sind, nehmen Mick Box und Co. den Schwung selbstverständlich mit. Ein toller Sound – prädestiniert für den warmen Klang der Hammond-Orgel – ein glänzend aufgelegter Bernie Shaw und ein Publikum, das wie die Band schon früh auf Betriebstemperatur ist. Wie harmonisch sich die 26. Bandplatte an die großen Hits schmiegt, merkt man am eröffnenden 'Save Me Tonight' und dem knackigen 'Hurricane' im weiteren Verlauf, die die Setliste der Briten aufpeppen und für Schwung sorgen.
Dortmund hängt Bernie gebannt an den Lippen, der charmant und kraftvoll die Klassiker der Marke 'Grazed By Heaven' und 'Rainbow Demon' zu inszenieren weiß. Die Band ist sichtlich froh, wieder in Deutschland zu sein, doch bevor sich URIAH HEEP in einen rockenden Rausch spielen kann, läuten 'Free'n'Easy' und 'Gypsy' schon den Schlussspurt eines leider viel zu kurzen Auftritts ein, der mit den bombensicheren Klassikern 'Easy Livin' und 'Lady in Black' seine Höhepunkte findet, bei dem Dortmund den Chor nochmals lautstark mitsingt. Gänsehaut pur. Trotzdem: Kein 'July Morning', 'Stealin'' oder 'The Wizard', was wirklich schade ist, doch Box und Konsorten haben ihre kurze Spielzeit sehr gut genutzt und der stetig wachsenden Zuschauermenge einen sehr warmherzigen Empfang beschert. So kann es weitergehen.
Zwei überteuerte Getränke, eine Bratwurst und eine verhältnismäßig humane Umbaupause von einer halben Stunde später ist es nun Zeit für "Hell, Fire & Damnation"! Es ist schon einige Jahre her, als ich SAXON das letzte Mal live sah und ich bin vor allem auf Brian Tatler gespannt, der zumindest live in die großen Fußstapfen des ewigen Paul Quinns treten soll. Schafft er es? Weiß sich die neueste SAXON-Platte zu behaupten? Ist Biff noch immer der musikalische Fels in der Brandung und weiß auch das von URIAH HEEP verwöhnte Publikum in den Bann zu ziehen? Na, und ob! SAXON legt unter tosendem Applaus und lauten Sprechchören ab der ersten 'The Prophecy/Hell, Fire And Damnation' Sekunde einen Erste-Sahne-Auftritt hin. Auch hier spielt der klare, kraftvolle Sound dem NWoBHM-Flaggschiff vollends in die Karten und spätestens mit 'Motorcycle Man' und dem so starken 'Sacrifice' kommt Bewegung ins Publikum.
Brian zockt sich souverän durch das SAXON-Set, Biff hat noch immer dieses Markante in seiner Stimme und auch wenn die Herren von der Insel in die Jahre gekommen sind, wissen sie ob ihres energischen Sounds und auch dieses wohligen Home-Coming-Gefühls vollends zu punkten. Klassiker wie 'Heavy Metal Thunder' spielen sich mit den neuesten Appetithappen 'There's Something In Roswell' und 'Madame Guillotine' die Bälle zu, zumal ich wegen der Spielfreude und Publikumsreaktion sehr hoffe, dass erstgenannter, neuester Gassenhauer auch künftig im Live-Set der Briten verankert bleibt. Bei jedem Ton springt der Funken über, die Mannschaftsleistung ist heute das Salz in der Suppe und es ist eine Freude, SAXON wieder live zu genießen.
Danach darf das Publikum über den nächsten Song abstimmen und entscheidet sich lautstark für das mystische 'Crusader', obwohl als vorletzter Track auch die weitere Auswahlmöglichkeit 'Strong Arm Of The Law' zelebriert wird. Klar, man hat die finalen Klassiker schon so häufig gehört, kann sie rauf und runterbeten und trotzdem sorgen '747 (Strangers In The Night)', 'Demin And Leather', 'Wheels Of Steel' und vor allem das abrundende 'Princess Of The Night' für Ekstase im Zuschauerraum, für heisere Kehlen am Morgen danach und selbst nach so vielen Jahren für das eine oder andere Lächeln bei Biff. Selbst der Garderobenwechsel und der Griff zu den Kutten während 'Wheels Of Steel' war ein geschmackvolles Gimmick. Ein schöner, kurzweiliger Auftritt, der nahezu keine Wünsche offenlässt.
Geht es noch geschichtsträchtiger, noch legendärer als bei URIAH HEEP und SAXON? Ohja, denn: Bühne frei für JUDAS PRIEST! Mit welcher Urkraft sich Rob Halford und Konsorten in Form von "Invincible Shield" zurückmeldeten, ist hinlänglich bekannt. Nun steht die große Frage im Raum, wie stark sich dieser laute Schlag auf den Tisch auch auf den Bühnen bemerkbar macht. Zuletzt sah ich JUDAS PRIEST vor anderthalb Jahren mit THE DEAD DAISIES im Vorprogramm ein paar Kilometer weiter in Oberhausen. Und dieses einstige Knistern in der Luft, diese unbändige Vorfreude, diese Spannung bei nahezu jedem Anwesenden war damals genauso wie heute deutlich spürbar. Die Umbauminuten verstreichen und je deutlicher wir uns dem Auftritt nähern, desto angespannter wird die Stimmung in der Westfalenhalle. Doch bevor die Vorfreude ins Unermessliche steigt, gehen die Lichter aus und BLACK SABBATHs 'War Pigs' wird obligatorisch angeworfen.
Die Euphorie kennt im Innenfeld wie auch auf den Rängen um 21:30 Uhr kein Halten mehr. Das ist bei jedem JUDAS PRIEST-Auftritt gleich, wird sich auch nie ändern und genau das lieben wir an der Ankunft des Metal God. Plötzlich geht es los, das Intro sorgt für Gänsepelle, der Vorhang fällt! Der Jubel bricht lautstark aus, Faulkner, Hill, Travis und Sneap entern die Bühne und legen mit 'Panic Attack' los wie die Feuerwehr. In bester 'Painkiller'-Manier zeigt sich die Instrumentalfraktion scharf, wie die Rasierklinge des "British Steel"-Artworks und laut wird es nochmal als ein bestens aufgelegter und ab der ersten Sekunde auf Betriebstemperatur agierender Rob Halford die ersten Töne von sich gibt. Brauchte seine Stimme in den vergangenen Jahren stets einige Songs, um warm zu werden, legt heute auch Halford ab seines ersten Tons los wie die Feuerwehr und zeigt sich bei diesem stimmlich doch herausfordernden Song in bester Lage. Von Alterserscheinungen in Dortmund keine Spur.
Die Matten fliegen, die Lichter flackern, der Sound drückt klar und kraftvoll wie Bolle und die Euphorie in der Westfalenhalle kennt kein Halten mehr. Nach diesem Einstand nach Maß schmettern die Briten mit 'You've Got Another Thing Comin'' sowie 'Breaking The Law' gleich die Mitgrölnummern in die Menge, die sich der Bedeutungsschwere der kommenden zwei Stündchen deutlich bewusst ist. Wo wir eben "British Steel" angesprochen haben, sorgt dazwischen 'Rapid Fire' für die erste kleinere Überraschung – es sollte nicht die letzte sein, denn der zurecht hochgelobte "Firepower"-Vorgänger erfährt dank 'Lightning Strike' seine kraftvolle Würdigung. Auch diesen Bolzenschneider nimmt das Publikum mit Kusshand entgegen.
Und die Band? Nun, während Hill und Travis seit 34 Jahren schon für diese unnachahmliche Rhythmik sorgen und sich wie ein Schweizer Uhrwerk-Gespann präsentieren, fliegen bei Sneap und Faulkner an den Klampfen die Funken. Ich schätze Ritchies Gitarrenspiel so sehr, merkt man doch in jedem einzelnen Ton, dass er selbst der größte Fan dieser Band ist, mit denen er seit nunmehr 13 Jahren auf der Bühne steht. Eine unheimlich sympathische Mischung aus Tribut, Charisma und Können. Und wie man PRIEST kennt, geizen die Herren auch heute nicht an Licht- und Lasereffekten, während mir Robs Stimme noch immer eine meterdicke Gänsehaut bereitet. Diese dürfen nun vor allem die älteren Fans bekommen, denn mit 'Love Bites' und dem superben 'Saints In Hell' gibt es die gewohnt geglückte Zeitreise, ehe uns das energische 'Crown Of Horns' vom aktuellen Bollwerk ins Hier und Jetzt zurückkatapultiert. Ohne viel Gequatsche jagt ein Brecher den nächsten, hier wird Heavy Metal in majestätischer Reinkultur zelebriert. Einfach Wahnsinn!
Es wird Zeit für etwas Sexappeal, hat 'Turbo Lover' doch über all die Jahre nichts an Charisma verloren, sorgt auch heute für Atmosphäre pur und aufgedrehte Massen im Innenfeld. Derweil geizt Rob auch nicht mit Motivationsansprachen und sehr sympathischen Worten an das Dortmunder Publikum, ehe der aktuelle Titeltrack sowie das so bockstarke 'Victim Of Changes' wieder etwas mehr Feuer ins Unterfangen bringt. Nein, JUDAS PRIEST kleckert nicht, sondern klotzt mit Hits, Hits und nochmals Hits. Natürlich darf sich zwischenzeitlich auch jeder Zuschauer von seiner lautstarken Seite zeigen, ehe das so simple wie geniale 'The Green Manalishi (With The Two Prong Crown)'-Cover die Headbanger hervorlockt und das auf den Punkt gebrachte 'Painkiller' die erste Pause einläutet. Meine Herren, ist das druckvoll, was die Altmeister von der Insel hier vom Stapel lassen.
Zugegeben, URIAH HEEP und SAXON haben die Messlatte schon sehr hoch angesetzt, doch Halford und Co. würde man nicht unter dem so bedeutsamen Namen JUDAS PRIEST kennen, wenn die Herren dies nicht noch übertreffen würden. Das machen sie – mit jeder einzelnen so genialen Sekunde. Im Zugabenteil kommt der wohl beste PRIEST-Doppeldecker zum Zug, der bei keiner Show fehlen darf. So sorgen 'The Hellion/Electric Eye' auch heute für pure Euphorie, auch wenn sich unser Robert nicht wie in den 1980er Jahren von einem Roboter in die Lüfte hieven lässt, sorgt zumindest seine stimmliche Präsenz heute für massives Staunen in der Halle.
Auch der "Killing Machine"-Mammut 'Hell Bent For Leather' darf selbstverständlich nicht fehlen, ehe ich einsehen muss, dass auch einer der besten JUDAS PRIEST-Auftritte, den ich jemals gesehen habe, zum Ende kommt und die Band in so wunderbarer Eintracht mit 'Living After Midnight' zum Schlusspunkt ansetzt. So lautstarke Sprechchöre, so tosender Applaus, so rundum glückliche Gesichter auf und vor der Bühne – JUDAS PRIEST hat die Metal-Familie einmal mehr zusammengetrommelt und ihr gezeigt, dass sie nicht nur dank "Invincible Shield" sondern auch des heutigen, so vitalen und energischen, so abwechslungsreichen und teils überraschenden, so souveränen und spielfreudigen Auftritts trotz intensiver, 55-jähriger Bandgeschichte noch längst nicht zum alten Eisen gehört.
Meine Gedanken schweifen beim Outro ab und lassen damalige JUDAS PRIEST-Auftritte nochmals Revue passieren. Auch wenn bisher alle Gigs, die ich sah, so besonders, so gut waren, hat mich dieser am heutigen Mittwochabend in Dortmund doch tief beeindruckt. Voller Nostalgie denke ich auch während der Autofahrt an die vergangenen, so wunderbaren Stunden zurück, während das Dreigestirn "Chaos & Colour", "Hell, Fire And Damnation" und natürlich "Invincible Shield" fleißig weiterhin die Runden dreht.
Müde, aber glücklich schließe ich die Haustür auf, füttere die Katzen und summe in Gedanken die 'Turbo Lover'-Melodie. Mit diesem Song damals im Auto meines Vaters hat alles angefangen, die ersten Töne, die ich persönlich jemals von JUDAS PRIEST gehört habe. Kaum zu glauben, dass seitdem so viele Jahre, Geschehnisse, Erlebnisse und Emotionen ins Land gezogen sind. Doch so bedeutsam die Momente auch waren, die Musik half mir immer, mich auch meinen größten Hürden zu stellen. Und sie wird mich auch weiterhin im Handeln und Denken unterstützen. Long Live British Steel!
Fotos von Andre Schnittker vom Auftritt in München
- Redakteur:
- Marcel Rapp