SAVATAGE - Handful of Rain (2011 Edition)
Mehr über Savatage
- Genre:
- Heavy Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Edel Recor (Edel)
- Release:
- 02.12.2011
- Taunting Cobras
- Handful Of Rain
- Chance
- Stare Into The Sun
- Castles Burning
- Visions (Instrumental)
- Watching You Fall
- Nothing's Going On
- Symmetry
- Alone You Breathe
- Summer's Rain (Acoustic Version)
- Believe (Acoustic Version)
Eine weitere Folge aus der Reihe: SAVATAGE als Neuauflage.
Vor mir liegt die Wiederveröffentlichung des SAVATAGE-Albums "Handful Of Rain". Hierbei handelt es sich um das erste Album ohne Wundergitarrist Chris Oliva, der am 17.10.1993 bei einem Autounfall mit einem alkoholisierten Geisterfahrer tragisch ums Leben kam. Er hatte die Band zusammen mit seinem Bruder Jon die Band bereits Ende der 70er Jahre gegründet und war mit seinem extrem gefühlvollen Spiel maßgeblich am Erfolg der Band beteiligt. Obendrein kann man die frühen Alben der Band nicht allein aufgrund seiner unfassbar wuchtigen und gleichzeitig effektiven Riffs zu den Blaupausen allen US Metals zählen. Umso verstörter waren die SAVATAGE-Fans, als diese Horrornachricht damals durch die Presse ging, hatte Jon die Band doch bereits zum vorherigen Album "Edge Of Thorns" als aktives Mitglied verlassen und sich als Komponist zurückgezogen. Sollte dies das endgültige Ende der Band bedeuten? Diese bange Frage stand im Raum und wenn man den Liner Notes in dieser Veröffentlichung Glauben schenken darf, dann war Jon nicht weit davon entfernt, einen endgültigen Schlussstrich unter dieses Kapitel zu ziehen.
Aber es kam zu Glück anders. Er schreibt zusammen mit Manager Paul O'Neil 'Alone You Breathe' als Widmung an seinen verstorbenen Bruder und die beiden beginnen als Duo weitere Songs zu schreiben und auch aufzunehmen. Die restlichen SAVATAGE-Mitglieder – Steve Wachholz (dr.), Johnny Lee Middleton (bs.) und Zak Stevens (voc.) – versuchten sich mit der neuen Situation emotional zu arrangieren und sahen sich zuerst nicht in der Lage, an einer Fortsetzung ohne Chris mitzuwirken. Nach einer Weile gesellt sich aber Zak zu den beiden und beginnt die bereits geschriebenen Songs einzusingen. Jon, der auf dem Album beinahe alle Instrumente im Alleingang eingespielt hat, sieht sich nicht in der Lage Chris' emotionales Solospiel zu ersetzen und sucht nach einem geeigneten Gitarristen. Schnell erinnert er sich an Alex Skolnick, den man auf den gemeinsamen Tourneen mit dessen damaliger Band TESTAMENT kennen und schätzen gelernt hat. Er steigt bei SAVATAGE ein und spielt die Gitarren für "Handful Of Rain" ein.
So viel zur langen Vorgeschichte des Albums. Nun zur Musik an sich. Sind auch die früheren Alben der Band von einer Schwere geprägt, so ist diese in vorliegendem Fall erstmals melancholisch. Die mitreißende Energie des alten Alben, die pure Lebensfreude, von der man auf "Hall Of The Mountain King" oder "Sirens" einfach mitgerissen wurde, ist einer Nachdenklichkeit gewichen, die sicherlich nicht nur mir beim Anhören immer wieder eine Kloß in den Hals drückt. Textlich, wie auch musikalisch schwebt der Geist des verstorbenen Bruders, Freundes und langjährigen Weggefährten über diesem Album, welches allerdings trotz der widrigen Umstände niemals zerrissen klingt. Man würde nicht auf die Idee kommen, dass weder John, noch Steve auf dem Album zu hören sind. Der gute Jon Oliva ist eben ein Multi-Instrumentalist.
Kracht einem der ruppige Opener 'Taunting Cobras' noch unerwartet brachial und auch kantig um die Ohren, ist schon der nachfolgende Titelsong ein Song, den ein bluesiges Feeling umschweift und der sofort unter die Haut geht. Zak singt unglaublich gefühlvoll und die kraftvollen Riffs sprechen die typische SAVATAGE-Sprache. Wuchtige instrumentale Untermalung, aus der immer wieder eine Sologitarre kurz ausbricht und darüber Gesangsmelodien, die einfach unfassbar toll sind. Und auch wenn Zak Stevens vor allem in seinen Tiefen nicht ganz mit Jons Organ mithalten kann, ist er ein exzellenter Sänger. Das hat – nicht zuletzt aufgrund der Pianos im Hintergrund – immer einen leicht klassischen Anstrich und pegelt immer ausgezeichnet zwischen Bombast und ruhigen Momenten hin und her. Ein Spannungsmoment, den diese Band aus dem Effeff beherrscht. Wunderbar. Und ähnliche Wundertaten können wir in 'Castles Burning' und 'Watching You Fall' genießen. Schnell ist der unglücklich gewählte Opener in Vergessenheit geraten, schnell sucht man nach wahlweise Taschentüchern oder der richtig gestimmten Luftgitarre. Wer es grundsätzlich lieber etwas rockiger mag, darf zu 'Nothing's Going On' sein Haupthaar kreisen lassen oder beim verschachtelten Progger 'Symmetry' seine Finger verknoten. Es ist völlig egal, welche dieser Nummern man anhört, man ist gefesselt und freut sich über den Entschluss der Band, nicht aufzugeben.
Die beiden absoluten Sahnehauben habe ich mir aber natürlich bis zum Schluss aufgespart. Da wäre auf der einen Seite das oben bereits erwähnte Stück, welches man als Startschuss für dieses Album ansehen darf. 'Alone You Breathe' von Jon als Widmung an seinen Bruder geschrieben schließt den regulären Teil des Albums ab.
"Which of us is now in exile
Which in need of amnesty
Are you now but an illusion?
In my mind alone you breathe
You believed in things that I will never know
You were out there drowning but it never showed
'Til inside a rainswept night you just let go"
Wer bekommt da keine feuchten Augen? Dazu diese herrliche Musik und fertig ist die perfekte Widmung. Als besonderen Bonus hat Jon ein paar Zitate aus dem alten Song 'Believe' in diese Nummer eingeflochten. Seufz …
Das andere Megahighlight des Albums hört auf den Namen 'Chance' und entpuppt sich als Verbeugung vor QUEEN, einer Band, die Jon und Paul als riesengroßes Vorbild nennen. Und wenn man sich diese bombastischen Arrangements, diese grandiosen Satzgesänge, diesen Kanon und die ganzen kleinen Feinheiten anhört, dann weiß man ganz einfach, dass man hier einen der besten Rocksongs der 90er Jahre vor sich hat. Ich bin nach jedem Anhören erneut völlig gebügelt, so sehr (er)fasst mich dieser knapp acht Minuten lange Titel. SAVATAGE selbst haben auf den nachfolgenden Alben versucht, weitere Nummern dieser Machart zu komponieren. Diese sind auch allesamt sehr gut gelungen, reichen 'Chance' aber nicht das Wasser. Ein Song, bei dem ich immer mit ausholender Gestik aus voller Kehle (falsch) mitsingen muss. Es ist ein inneres Bedürfnis. Das muss raus. Hach. Herrlich.
Eigentlich könnte ich jetzt enden, aber ich darf nicht vergessen, euch zu berichten, dass es auch auf dieser Wiederveröffentlichung zwei Bonustitel gibt. Zu hören bekommt der Fan zwei Akustikversionen. Und zwar 'Summer's Rain' und das bereits erwähnte 'Believe'. Klingen beide natürlich toll, aber wirklich neues beziehungsweise unveröffentlichte Songs wären natürlich schöner gewesen.
Über den Sinn und Unsinn von Wiederveröffentlichungen kann man jetzt sicherlich ein paar Seiten verfassen. Ich denke, jeder klar denkende Musikliebhaber wird entscheiden können, wann er zuschlagen muss und wann nicht. Spätgeborenen sind diese leckeren Teile ja eventuell auch durch die Lappen gegangen. Einziger Nörgelfaktor von meiner Seite: Stellt man alle Wiederveröffentlichungen von SAVATAGE im Regal nebeneinander so entsteht das Logo der Band. Ein optischer Anreiz, der allerdings ad acta gelegt wird, weil die Chronologie nicht eingehalten wurde. Tststs.
Anspieltipps: Chance, Alone You Breathe
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Holger Andrae