Gruppentherapie: BLUES PILLS - "Birthday"

26.08.2024 | 21:58

Was hat BLUES PILLS mit ADELE gemein?

Keine Spur von Sommerloch, auch bei unseren Gruppentherapien! Erinnert sich jemand an den Sommer 2014? Eine der großen Rockhymnen war 'Devil Man' von den BLUES PILLS. Auf dem Peak der Retrorock-Welle thronte Elin Larssons soulige Stimme. Und jetzt, 10 Jahre später? Wie der Teaser bereits andeutet, ist BLUES PILLS poppiger geworden, ein ehemals hoch gehandelter Wunderklampfer ist auch nicht mehr an Bord. Interessieren die Pillen also noch irgendwen hier?

Nun, "Birthday" ist frisch gebackener Soundcheck-Sieger bei POWERMETAL.de, was wohl einige verwundern wird. Und unser Timo ist völlig hin und weg, vergibt er doch die volle Punktzahl in seinem Hauptreview. In dieser Therapie finden wir sogar noch mehr Musikhelfer, die aus verschiedensten Gründen über "Birthday" jubeln. Aber natürlich gibt es Kritiker und Enttäuschte.

Dank des Lobgesangs der harten Szene aufgrund der ersten beiden Alben habe ich es damals auch mit den BLUES PILLS probiert, bin aber akustisch kläglich gescheitert. Trotzdem habe ich versucht, sie mir live auf dem "Rock Hard Festival" 2017 anzuhören. Das größte Kompliment, was ich aber machen konnte, war: Elin Larsson kann geil singen! Das war's dann aber auch. Insgesamt war mir die Musik zu angestrengt, zu bemüht und verkopft. Seitdem habe ich es nicht mehr mit der Band versucht. Klar, auch ich habe mitbekommen, dass die Band sich von Wundergitarrist Dorian Sorriaux getrennt hat, aber irgendwo in Gelsenkirchen ist gleichzeitig auch ein Sack Kartoffeln in den Rhein-Herne-Kanal gefallen.

Nun will ich mich in Erwartung des Vergießens von Häme und Spott an diese Gruppentherapie setzen, klicke mich durch die Songs des neuen Albums und finde das gar nicht schlecht, was da an meine Ohren dringt. Mein Fuß wippt, das Ganze hat viel mehr Drive, Soul und Groove als früher und ein deutliches Mehr an Pop! Alles wirkt lockerer und leichter, heute mehr gekonnt als gewollt, im Gegensatz zu früheren Veröffentlichungen, wo vieles im meinen Ohren recht gezwungen wirkte.

Vielleicht liegt es auch daran, dass man 2024 niemandem mehr beweisen muss, wie gut ein junger, hochgelobter Gitarrist spielen kann, oder ständig zeigen will, wie akrobatisch Stimmbänder strapaziert werden können? Man muss heute keinen Vorschusslorbeeren mehr gerecht werden und musiziert frei von der Leber weg. Auch Zack Anderson, der ja 2019 vom Bass an die sechs Saiten gewechselt ist, hat seine Rolle gefunden und ist aus dem Schatten des hochgelobten Vorgängers getreten. Ja, doch, es macht Spaß, der Band für ein paar Songs zuzuhören. Am Stück schaffe ich das Album aber nicht, dazu ist dieser 60er/70er Kram einfach zu wenig meine Baustelle. Ich kann ja zum Beispiel auch nichts mit GRETA VAN FLEET oder ähnlichem Retro-Kram anfangen – mit den Originalen der damaligen Zeit wie LED ZEPPELIN oder alten DEEP PURPLE aber auch nicht.

Aber wie bewertet man Musik, deren objektive Qualität man erkennt, die einem ganz subjektiv betrachtet aber nach drei, vier Songs auf den Zwirn geht? Für einen Verriss ist die Musik zu gut gemacht. Dennoch frage ich mich, ob ich mir in der Zukunft nochmal einen Song der BLUES PILLS bewusst anhöre? Eher nicht, aber es tut halt auch nicht mehr weh, wenn die Musik irgendwo im Hintergrund läuft. Wie wir aus der Soundcheck-Historie wissen: Sechs Punkte sind keine schlechte Note – von daher passt das schon, denke ich.

Note: 6,0/10
[Maik Englich]

Nein, der größte BLUES PILLS-Fan war ich auch nie. Oft fehlte mir bei Elin und Co. das gewisse Extra, obwohl die dezent okkulte Richtung von früher ganz nett anzuhören war. Aber das war es eben immer. Ganz nett. Und nun steht mit "Birthday" die vierte Studioscheibe an und komischerweise geht nun der Retro-Rock-Schwung mit leicht Souligem und stark Bluesigem wesentlich dynamischer durch Mark und Bein als zuvor. Ob es am dazu passenden Wetter, an meinen wesentlich empfänglicheren Ohren und an Besonderheiten wie 'Back On That Horse Again' mit coolem Gospel-Zauber, dem flotten Titeltrack-Beginn oder der leichten Theatralik von 'Holding Me Back' liegt, aber die BLUES PILLS-Musiker zeigen gekonnt ihre musikalische Vielfalt ohne zu knarzig, dröge oder schlichtweg öde zu wirken.

Nein, auch wenn mich – anders als bei den Vorgängern – das Artwork alles andere als umhaut, ist es doch die Musik, die überzeugt. "Birthday" schlägt eine gekonnte Brücke zwischen Retro-Charme und modernem Klang, hat ein großes Arsenal verschiedenster Emotionen am Start, und auch wenn mich Platte Nummer vier nicht durch die Bank weg so überzeugt wie die genannten Tracks, so ist sie doch genau das Richtige für einen lauen Sommerabend mit kühlen Getränken, heißem Grill und guten Freunden.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]

 

Man kann ja fast schon von einer Zeitenwende sprechen, wenn man sich das Ergebnis unseres August-Soundchecks so anguckt. Erstklassiger Black Metal und überragend krudes Epic-Folk-Metal-Gedöns, welches außer im "Deaf Forever" so auch nur bei uns gefeiert werden kann, geschlagen von einem Album, was – unabhängig von der gebotenen Qualität – am ehesten als perfektes Pop-Rock-Album beschrieben werden könnte. Ausverkauf im Hause Rapp?

Ich denke nicht. Maik und Marcel haben es ja auch schon schön aufgezeigt, warum man "Birthday" nicht per se abfeiern muss. Ich mache es aber trotzdem. Seit der "Bliss"-EP (2012) verfolge ich die Band, und das selbstbetitelte Debüt ist nichts anderes als eine 10-Punkte-Offenbarung. Dass man für eine solche Einschätzung aber ein Faible für "60er/70er Kram" haben sollte, versteht sich von selbst. Nach dem Abgang von Wunderkind Dorian Sorriaux ging mir aber der magische Gitarrenspirit etwas flöten und der Band zeitgleich mit "Holy Moly!" der Fokus. Es allen Parteien recht machen zu wollen sorgte für zu viel Ballast, eine Alibi-Härte und eine Sängerin, die nicht final von der Kette gelassen wurde.

Nun geht man 2024 All-in. Mit Hilfe von Grammy-Produzent Freddy Alexander wurden die Songs entschlackt, leicht modernisiert und zu 200% auf Elin zugeschnitten. Nach staubigem Blues-Rock klingt hier nur noch das Fundament, eher sind viele Alternative-Bezüge zu hören, und die Band darf Frau Larsson bei ihrer überragenden Performance unterstützen. Und ich nehme ihr die Heldenreise von Janis Joplin über Amy Winehouse zu Adele zu jeder Sekunde ab. Insbesondere für Fans der sechzehnfachen Grammy-Gewinnerin ist dieses Album die perfekte Ergänzung, bis Album Nummer fünf im Laden steht. Ob leicht rockig oder perfekt balladesk – es gibt Hits ohne Verfallsdatum. Sorry BLUES PILLS, das ist kein Geburtstag, sondern eher eine Wiedergeburt. Aber eine verdammt starke.

Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]

Also, für mich steht außer Frage: "Birthday" ist ein saucooles, grooviges, tanzbares, swingendes Album geworden, das überhaupt nicht mehr in die Retro-Rock-Schublade passt. Nun war BLUES PILLS immer eine starke Band, nicht nur, aber auch aufgrund des großartigen Gesangs von Elin. Aber die Eigenständigkeit hat noch einmal deutlich zugenommen. Es klingt wie ein Best-of der Pop- und Rock-Musik von 1970 bis 2010, und das ist wirklich nicht abwertend gemeint. Treffen sich Stevie Wonder, Beyoncé, Amy Winehouse, Eric Clapton, die Jungs von DIRE STRAITS und FLEETWOOD MAC zum Kaffee und schreiben "Birthday".

Ja, so in etwa könnte es passiert sein. Die vom Kollegen Rosenthal erwähnte ADELE ist natürlich eine wunderbare Sängerin, aber was die Energie angeht, ist diese Scheibe zum Glück deutlich überlegen. Hat sie dann noch was in einem Metal-Magazin zu suchen? Darüber lässt sich sicher streiten, aber Rock-Musik ist es unbestritten immer noch. Dass diese zum Tanzen animiert und damit neun Punkte wert ist – darüber lässt sich für mich nicht streiten. Richtig stark – das bisher beste Album der Truppe!

Note: 9,0/10
[Jonathan Walzer]

 

Der Platz an der Sonne in diesem Soundcheck für die Band verwundert zumindest meine Wenigkeit nur wenig. Das ist zwar logischerweise eine äußerst subjektive Ansicht, ändert aber dennoch nichts an der Tatsache, dass die elf Songs durch die Bank gelungen ausgefallen sind und das Ensemble im Prinzip einmal mehr für kurzweiliges Vergnügen sorgt.

Schon klar, das alleine stellt keine Besonderheit dar. Sehr wohl aber der Umstand, dass sich die Bandmitglieder – allen voran natürlich Frontlady Elin Larsson, die auf dem Cover mit schickem Babybauch abgebildet ist – vermehrt um private und persönliche Angelegenheiten kümmern wollten, und dennoch lediglich vier Jahre seit dem Vorgänger "Holy Moly!" ins Land gezogen sind. Daraus lässt sich schließen, dass Motivation und Konzentration gegeben waren, und der Band das Arbeiten an den Songs anscheinend leicht gefallen ist. Durchaus denkbar auch, dass man es geschafft hat, auf Grund diverser privater Verpflichtungen die deutlich weniger gewordene "Freizeit" fokussierter anzulegen.

Aber wie auch immer. Es ist diese neue Leichtigkeit, die Tracks wie das offenkundig autobiographisch angelegte 'Don’t You Love It' oder das mit einem ironischen Text versehene 'Piggyback Ride' zu unterhaltsamen Kompositionen macht. Von etwaigen Erwartungen des (mittlerweile neuen) Labels oder gar selbstauferlegtem Druck, um mit "Birthday" an Verkaufszahlen von früher anzuschließen, ist dagegen nichts zu bemerken. Im Gegenteil, das Material von "Birthday" wirkt im direkten Vergleich mit dem Vorgänger befreiter und zudem auch klangtechnisch entschlackter. Dass man sich deshalb nun einen Schritt weit in Richtung konventioneller Rocksounds bewegt hat, kann das Hörvergnügen zum Glück nur geringfügig mindern. Schade ist allerdings, dass die Anzahl an zwingenden Hooks nicht noch höher ausgefallen ist. Dann nämlich wäre "Birthday" ein echter Abräumer geworden.

Note: 7,5/10
[Walter Scheurer]

So unterschiedlich wir manchmal Musik wahrnehmen, so einig bin ich mit Herrn Rosenthal, was die BLUES PILLS angeht. Ja, das Debüt war ein lupenreiner Zehner! Und ja, danach wurde die Band ein wenig blasser. Und nochmal ja, "Birthday" ist auch für mich eine Wiedergeburt. Die Nicht-Stefans hier sagen es dann auch alle auf ihre Art: "Birthday" ist schon deutlich anders, zeitloser, poppiger, etwas gefeilter. Erwachsener? Das mag der Grund sein, warum es auch keiner von ihnen langweilig oder gar schlecht findet (Stichwort: Retro-Kram). Für mich ist das ebenso wie für Stefan und Jhonny aber auch der Grund, warum ich jetzt wieder voll dabei bin. Mensch, da sind endlich mal wieder ganz wunderbare Songs entstanden, ob knackige Rocker oder soulige Ballade, mir geht hier nach ein paar Durchläufen einiges hier unter die Haut. Ob sich bei mir eine solche Euphorie einstellt wie beim Debüt anno 2014, wird erst die Zukunft zeigen, hier und heute bin ich schonmal sehr zufrieden! Und damn, bis zu den Livekonzerten in Deutschland ist es noch ne Weile hin.

Note: 9,0/10
[Thomas Becker]

 

Was dieses Album betrifft, musste ich erstmal meine eigene (vermaledeite) Erwartungshaltung justieren. Ich hörte vorab die Songs 'Birthday' und 'Don't You Love It' und hielt sie ehrlich gesagt eher für Stangenware, gemessen an dem, was die Band bisher so verzapft hat. Nun gehören diese Nummern aber eher zu den Aushängeschildern der neuen Platte, wie sich später herausstellte, und ich mag sie inzwischen recht gern. Der Ersteindruck ist nun zahlreiche Durchläufe her und "Birthday" hat mit im besten Sinne sauber durchkomponierten und höchst eingängigen Songs durchaus Charme und Memorabilität offenbart, hat aber für mich die entscheidende Schwäche, dass so ziemlich alles auf den Gesang ausgerichtet und diesem untergeordnet wird. Natürlich hat Elin Larsson eine tolle, soulige Stimme, aber inzwischen scheint es so, dass instrumental leider nur noch wenig Spannendes passiert, und über allem einfach die charismatische Stimme Elins thront. Das funktioniert für mich auf Albumlänge nur bedingt, obwohl ich jedoch auch nie den Drang verspüre zu skippen oder gar abzuschalten.

Eine knappe Handvoll Highlights finde ich auf dem vierten Longplayer des Quartetts dennoch: 'Don't You Love It' und 'Holding Me Back' sind echt griffig und zünden mit der ein klein wenig wilderen Grundausrichtung; sogar die durchaus nicht unkitschige Ballade 'Top Of The Sky' hat sich nach mehrmaligem Hören ziemlich tief in mein Gedächtnis gefräst, dennoch habe ich bei den BLUES PILLS halt ganz andere Kaliber im Ohr. Es ist heutzutage eben gradliniger, recht glatt produzierter Rock mit zahlreichen Anleihen aus der Pop-Musik und vollem Fokus auf dem äußerst prägnanten und eingängigen Gesang. Besser als "Holy Moly!" läuft mir "Birthday" zwar allemal rein, aber ein bisschen vermisse ich doch den lässigen und gleichzeitig ungezügelten Psychedelic Rock, der dem direkten Vorgänger bereits abhanden gekommen war und hier nun auch nicht wieder zurückkehrt. Ein im besten Sinne ordentliches bis gutklassiges Album, jedoch war die Musik bis zum 2016er Zweitwerk "Lady In Gold" einfach deutlich spannender. Mehr als 6,5 Punkte kann ich daher aufgrund meiner persönlichen Vorprägung nicht zücken.

Note: 6,5/10
[Stephan Voigtländer]

Redakteur:
Thomas Becker

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