Gruppentherapie: DEATH ANGEL - "The Evil Divide"

19.06.2016 | 14:17

Aus der geplanten Würdigung des Soundcheck-Siegers wird ein Aufstand der Geschmacksrebellen.

DEATH ANGEL wird Soundcheck-Sieger, zusammen mit der anderen alten Thrash-Band namens FLOTSAM & JETSAM (zur Gruppentherapie). Allerdings existiert bei Powermetal.de neben der Soundcheck-Redaktion eine ganze Reihe aufmüpfiger Wilder. Und ginge es nach denen, wäre "The Evil Inside" nicht Sieger geworden. Während Haris und Frank die Stellung der Soundchecker verteidigen, sparen alte und junge Rebellen nicht mit Kritik an der neuen DEATH ANGEL. Was, Kritik an DEATH ANGEL? Am Heiligtum des alten Thrashers? Welche Banausen... Ach, lest selber.



DEATH ANGEL, die Achte. Verändert hat sich eigentlich nichts. Das Team ist sowohl an den Instrumenten als auch im Studio das gleiche, und stilistisch haben die US-Amerikaner ihren Stil mittlerweile eh gefunden. Alles beim Alten also? Nicht ganz, denn auch eine alteingesessene Band wie unsere Todesengel verändert sich um Nuancen. In diesem Fall in eine Richtung, die ich nicht als Fortschritt empfinde, denn Mark verlegt sich immer mehr aufs Schreien und der Sound klingt moderner. Riffs wie in 'Father Of Lies' sind sicher nicht schlecht, aber DEATH ANGEL hat das schon deutlich beeindruckender hinbekommen, auch weil mir noch nach zahlreichen Durchläufen auf dem neuen Album die echten Ohrwürmer fehlen. Natürlich werten Emo-Thrasher wie 'Lost' oder Gitarrenfreuden wie 'Hatred United, United Hate' und 'Let The Pieces Fall' das Ganze auf, trotzdem gefielen mir bis auf "The Dream Calls For Blood" sämtliche Vorgänger besser. Obwohl - das ist eher ein Lob für das Schaffen der Band als eine Kritik, denn "The Evil Divide" ist immer noch nichts weniger als eine essentielle Thrash-Scheibe des Jahres 2016.

Note: 7,5/10
[Frank Jaeger]


Alles beim Alten bei DEATH ANGEL? Dazu kann ich mich nur bedingt äußern. Vom glorreichen Frühwerk kenne und schätze ich zwar "Act III", aber ansonsten kenne ich nur "The Art Of Dying" (2004) recht gut. Seitdem hatte ich immer den Eindruck, dass DEATH ANGEL eine Band ist, die im Underground ebenso geliebt wird wie beim Mainstream-Metaller. Warum das so ist, erschließt sich mir bei der neuen Scheibe "The Evil Divide" nur bedingt. Ein relativ moderner Gitarrensound, teils melodischer Gesang, dazu etliche Screams, die zumindest für mich etwas künstlich klingen; und dazu Songs, die durch die Bank nicht schlecht, aber eben auch nie wirklich mitreißend sind. Mainstream-tauglich, klar, aber Underground? Bei mir bleibt jedenfalls ein zwiespältiger Eindruck: Einerseits erfreue ich mich am fetten und doch lebendigen Sound und kann dem variablen Gesang etwas abgewinnen, andererseits fehlt die Eigenständigkeit, die für eine "große" Band einfach entscheidend ist. Mit 'The Electric Cell' bleibt daher nur ein Song richtig hängen, zu wenig nach etlichen Durchläufen. Mit ähnlich modernem Sound ist da bei der letzten ANTHRAX mehr hängen geblieben. Klar, eine Enttäuschung oder ein richtig "schwaches" Album geht anders, aber eine "essentielle Thrash-Scheibe 2016", wie Frank schrieb, habe ich hier nicht gehört.

Note: 6,5/10
[Jonathan Walzer]



Verändert hat sich eigentlich nichts, sagt Frank. Das klingt beim achten Album einer Band schon mal nicht sonderlich spannend. Wobei ich bei dieser Scheibe ein größeres Problem mit der Gleichförmigkeit und - so nehme ich das wahr - klanggewordenen Routine habe (handwerklich top, aber völlig ohne Esprit gespielt), die dafür sorgt, dass "The Evil Divide" nur zu sehr wenigen, ungelenken Freudenhopsern verführt. Denn eigentlich hat man da spätestens nach drei Songs keine Lust mehr drauf. Vergleiche ich das Ganze mit dem guten Vor-Vorgänger "Relentless Retribution" ("The Dream Calls For Blood" habe ich ausgelassen), so hatte dieser zwar auch die eine oder andere Länge, aber eben auch deutlich mehr Abwechslung und begeisternde Songs wie 'Claws In So Deep' oder 'Truce' zu bieten. Jetzt ist es vielmehr eine weitgehend monotone Suppe aus Geboller und Geschrei geworden, aus der allenfalls noch 'The Moth' und 'Lost' etwas hervorstechen. Und da die Tendenz bei dieser Band offensichtlich nach unten geht, wie der oben genannte Vergleich zeigt (sieht Frank ja trotz 7,5 Punkten genauso), muss man leider feststellen, dass DEATH ANGEL inzwischen vielleicht moderner, aber vor allem deutlich austauschbarer klingt - da beißt die Maus und auch der Todesengel keinen Faden ab. Von den ausgezeichneten Frühwerken der Band will ich da also besser gar nicht erst anfangen...

Note: 6,0/10
[Stephan Voigtländer]


Nein, als Thrash-Kopp würde ich mich definitiv nicht bezeichnen. Umso überraschender für mich selbst, dass sich mit FLOTSAM & JETSAM und dem hier diskutierten Familienclan DEATH ANGEL gleich zwei klassische Genre-Vertreter die Pole Position im Mai-Soundcheck geteilt haben. Dass die Flotsis für mich persönlich leicht besser abgeschnitten haben, sei hier nur am Rande erwähnt. Ja, "The Evil Divide" klingt unter dem Strich in der Tat moderner produziert, ist aber nach wie vor meilenweit entfernt davon, nach Reißbrett zu tönen wie viele der Bay-Area-Kopisten der letzten Jahre. Bereits im Opener 'The Moth' sägen sich die Gitarren durch die Gehörgänge, klingen aber allein durch das äußerst abwechslungsreiche Spiel der Klampfer Rob und Ted lebendig. Also allein schon wegen diesen Gitarren muss ich dir widersprechen, werter Stephan. Das Spiel der Klampfer ist doch Abwechslung pur!
Der Eindruck, dass echte Ohrwürmer fehlten, mag vielleicht daher rühren, lieber Frank und Jonathan, dass das Gesamtniveau der zehn Songs hoch ist. So empfinde ich es zumindest. Egal, ob das abwechslungsreiche 'The Moth', die Midtempo-Stampfer 'Lost' mit ganz großen Gesangsmelodien und 'It Can't Be This' - naja, die Tracklist aufzählen muss ich hier jetzt auch nicht. Heraus sticht dabei neben den Klampfen vor allem die vielschichtige Gesangsleistung. Dass die teils aggressivere Ausrichtung nicht jedem gefällt, liegt auf der Hand. Ich find's klasse, weil Sänger Mark stets richtig dosiert. Er schreit, wenn es passt und nimmt sich zurück, wenn die Instrumentalisten vom Gaspedal gehen und Melodischeres anstimmen. Alles in allem ein großartiges Album zwischen Tradition und Moderne. Einmal fünf Euro ins Phrasenschwein meinerseits: Wer rastet, der rostet. Und von Rost ist bei DEATH ANGEL noch lange nichts zu erkennen.

Note: 8,0/10
[Haris Durakovic]



Hmm, eine "essentielle Thrash-Scheibe", lieber Frank, ist doch eine, die mich bedingungslos jubeln lässt!? Also sowas wie die neue VEKTOR zum Beispiel. Oder ist man als Thrash-Fan so anspruchslos, dass man eine "nicht schlechte" Scheibe "ohne echte Ohrwürmer" schon als essentiell bezeichnen darf? Nun, aus einem Genre, von dem sich viele Bands gefühlt lieber die millionste Kopie der Kopie von MEGAEXOSLAYTHRAX liefern, ist so ein Song wie 'The Moth' doch ganz cool. Hier spürt man die ursprüngliche Energie, die diese Musik mal hatte, bei einem Sound, den man auch heute hören kann. Und die Schrei-Eskapaden von Herrn Mark Osegueda finde ich auch gar nicht so schlimm wie bei vielen seiner Genre-Kollegen. Ein Dauerrotierer wird aber "The Evil Divide" bei mir sicher auch nicht. Die einzige essentielle Scheibe im Hause DEATH ANGEL ist für mich eh nur "Act III". Das war eine Bombe der Innovation. Heute verwaltet die Band eher ihr Erbe. Mir geht's wie Stephan, der Knalleffekt des Openers vergeht schnell, aufhorchen lässt die Band allenfalls sporadisch. Von daher gebe ich dem Herrn Walzer durchaus auch recht: "durch die Bank nicht schlecht, aber eben auch nie wirklich mitreißend". Was diese Feststellung jedoch mit der Tauglichkeit für Mainstream- und Underground-Publikum zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht. Genug für's dumme Mainstream-Volk, aber für den geschmacks-gesegneten Underground zu wenig? Nee, diese herablassende Einstellung aus Teilen des Underground gegenüber dem Mainstream-Musikfan stört mich bisweilen gewaltig. Ich meine, DEATH ANGEL sei so populär, weil die Band live eine Macht ist, und wenn sie pro Album einen bis zwei Kracher für ihren Set hinzufügen kann, ist die Pflicht getan. Und auf diese Konzerte gehen beide Bevölkerungsgruppen, die Durchschnitts-Mainstream-Rübennasen und die IQ200-Underground-Alles-Besserwisser gerne, um sich ganz niederinstinktiv die Rübe abzuschrauben. Ach so, Note? Ich überlege. Ich lausche nochmal ganz doll. Sieben.

Note: 7,0/10
[Thomas Becker]


Nein, eine "essentielle" Thrash-Scheibe höre ich hier nicht, aber hier keine Ohrwürmer zu hören, ist natürlich ebenso schwer nachvollziehbar. Gleich das rasante 'The Moth' eröffnet das Album genauso, wie ich es mir vom einem Album der Todesengel erhoffe: pfeilschnelles Riffing, wütend-grollendes Drumming, äußerst effektiv eingesetzte Gang-Shouts und zweistimmige Gesangspassagen. Ein kurzer Longtrack, der meinen Puls schlagartig auf Trab bringt. Das wird live sicherlich ein weiterer Brecher vor dem Herrn werden. Bereits beim anschließenden 'Cause For Alarm' irritiert mich aber der extrem zeitgemäß tackernde Gitarrensound. Klar, das Tempo der Nummer ist atemberaubend und die fein eingebauten Soli sind extrem schmackhaft, aber der letzte Funken will hier nicht überspringen. Um zur Ohrwurmthematik zurück zu kehren: Wenn das stark an Bushthrax 'Only' erinnernde 'Lost' kein ebensolcher ist, dann weiß ich es auch nicht. Die Nummer habe ich bereits während des ersten Durchlaufes mitgesummt und habe die Melodie andauernd im Ohr. Aber ab Song Numero Vier hat es sich ausgewurmt. Die Band ballert sich im gnadenlos hohen Tempo durch die Nummern, als ob sie irgendwem beweisen müsste, dass sie schnell spielen kann. Das wissen wir alle, denn auf allen Alben gibt es ausreichend Beweismaterial nachzuhören. Mir fehlen hier die wirklichen Überraschungen, die Momente, die einem die Ohren sperrangelweit aufreißen, die einen in ekstatischer Verzückung ausflippen lassen. Momente, die ich zuletzt in 'Thrown To The Wolves' auf dem ersten Album nach der Reunion gehört habe. Das war und ist eine Nummer, bei der ich auch heute noch komplett ausraste und die ich in einem Atemzug mit solchen Wunderraketen wie 'Discontinued' ("Act III"), 'Road Mutants' ("Hundekuchen im Park") oder 'Thrashers' ("The Ultra-Violence") nennen kann.
Ich halte DEATH ANGEL noch immer für eine Band, die den Spagat von damals zu heute wunderbar hinbekommt, ohne sich komplett zu verbiegen. Wer die Truppe in den letzten Jahren einmal live gesehen hat, der weiß, dass ihre Setlist immer einen exzellenten Querschnitt durch alle Alben bietet und dass es immer wie aus einem Guss klingt. Irgendwie ist das für mich in den letzten Jahren immer Rockmusik gewesen, die einfach nur aggressiver gespielt wurde. Die Band war immer schon offen für Thrash-fremde Elemente und das hat sie auch so einzigartig gemacht. Das Augenmerk auf Widerhaken in den Songs war immer sehr hoch, ganz gleich wie hart oder schnell die Songs waren. Auf dem aktuellen Album vermisse ich etwas Facettenreichtum und bin vom sehr zeitgemäßen Klangbild etwas abgeschreckt. Das war früher luftiger produziert. Aber das ist nörgeln auf ziemlich hohem Niveau.

Note: 7,5/10
[Holger Andrae]

Foto-Credits: Stephanie Cabral und KG-Photography

Links: Review von Marcel Rapp und Soundcheck 05/2016

Redakteur:
Thomas Becker

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