Gruppentherapie: EISREGEN - "Abart"

11.09.2024 | 14:14

Bunte Vielfalt und ein lustiges Taschenbuch für EISREGEN!

Selten gab es größeren Bedarf für eine Band, bei POWERMETAL.de therapiert zu werden. Kenner wissen es längst, Neulingen sei trotzdem gesagt: Bei den Lyrics von EISREGEN droht Ungemach. Weil, die Welt ist hart, aber ungerecht. Es gibt zum Beispiel Menschenfleisch, das nur vier Punkte im August-Soundcheck vergibt. Drei mehr gab es von Björn in seiner Hauptrezension zu "Abort", pardon, "Abart". Wir versuchen aber weiterzuhelfen und verabreichen den Mannen aus dem deutschen Osten süßlichen Kitsch, lustige Taschenbücher und einige andere grausame Dinge. Ob das hilft?

Völlig unabhängig davon, wie man zu dieser Band und ihren Veröffentlichungen steht, eines ist fix: Das von Michael Roth vor mittlerweile knapp 30 Jahren ins Leben gerufene Unternehmen hat sich bisher weder um irgendwelche Trends geschert, noch an etwaige Vorgaben gehalten, wie man es als Band schaffen könnte, Fans auf schmeichelhafte Weise auf sich aufmerksam zu machen.

Das Gegenteil ist der Fall, denn kaum eine andere Formation sorgt für dermaßen polarisierende Meinungen wie EISREGEN. Und das seit dem Erstlingswerk. Von daher ist es selbst für Kritiker schlicht unmöglich, diese konsequente Vorgehensweise zu ignorieren. Ebenso die Tatsache, dass sich daran nichts geändert hat. Bis jetzt zumindest - und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft nicht – wie aktuell "Abart" unter Beweis stellt.

Auch darauf setzt die Truppe auf provokative und zu einem Teil auch immer noch äußerst derbe Lyrics, während die Musik selbst erneut ein wenig ins Hintertreffen geraten ist. Zugegeben, es gibt noch viele andere Bands, die in einem ähnlichen Härtegrad vortragen und es mit simplen, aber effizienten, stampfenden Rhythmen und einer Extraportion Groove schaffen, ein Publikum zum Mitmachen zu animieren. Nicht zuletzt durch den immer noch alles andere als verdaulichen Gesang, zähle ich allerdings nach wie vor nicht dazu. Ich weiß, "objektiv" geht sicher anders, der Band wird das aber wohl ebenso wenig ausmachen, wie meiner Wenigkeit die Tatsache, mir auch dieses Album nicht in meine Sammlung zu stellen.

Die Überzeugung, mit der EISREGEN sämtlichen Anfeindungen zum Trotz nach wie vor keinen Millimeter vom eingeschlagenen Weg abweicht, nötigt mir jedoch sehr wohl Respekt ab.

Note: 4,0/10
[Walter Scheurer]

Es braucht keine zehn Minuten und schon hat EISREGEN wieder mal die Weichen in Richtung Zensur gestellt. Die Schweißperlen der BPjM (Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz) glänzen schon in der Sonne. Erst den Suizid idealisiert und im Anschluss einen Amoklauf mit einem Bolzenschussgerät verherrlicht. Das ist schon sick, aber eben auch ein Hit der Güteklasse, wie ihn kaum eine zweite Band mal so eben aus der Hüfte schießt.

EISREGEN bleibt auch 2024 kompromisslos und mit dem nötigen Härtegrad gesegnet, auf dem die Thüringer ihr Konzept 1995 aufgebaut haben. Seitdem entwickelt sich die Band immer sukzessiver vom nihilistischen Black Metal bis hin zum tanzbaren Gothic Rock. Das passiert jedoch zu jeder Zeit immer nachvollziehbar und äußerst stringent. Somit musiziert EISREGEN mittlerweile auf einem ähnlichen Dark-Metal-Niveau wie viele andere Bands des Genres auch. Nicht besser, aber auch nicht schlechter. Zu meinem Vorteil stellen Blutkehle und Co. einen süßlich-verkitschten Romantik-Touch in der Musik den für meine Ohren gräßlichen, perversen Gewaltfantasien des Herrn Roth entgegen. Was stimmt denn eigentlich mit ihm nicht? Ich bin fast geneigt ihm mal eine AMIGOS-CD oder ein "Lustiges Taschenbuch" zuzuschicken, damit er endlich erkennt, dass nicht alles auf dieser Welt nur so destruktiv und brutal ist. Aber nein, Jahr für Jahr keift er diese abartigen Horrorszenarien in den Äther.

Überraschenderweise nutzt sich diese ewig gleiche Leier aber bisher nicht ab, sondern sorgt sogar dafür, dass ich "Abart" tatsächlich für eines der besten Alben der ganzen Historie halte. Dabei hat mein Kollege Walter natürlich zu 100% Recht, wenn er behauptet, es dreht sich (zu) wenig um die Musik und ich glaube, mit der These, dass niemand EISREGEN wegen der Musik hört, dürfte man sich auch nicht allzu weit aufs Eis wagen. Dabei gibt sich die Band mit dem punkigen 'Hinterland', dem schwarzmetallischen Titeltrack-Gewitter, dem RAMMSTEIN-lastigen 'Schmutzliebe' oder dem breitbeinigen Longtrack 'Totkörperkunst' so divers wie vielleicht ebenfalls noch nie. Aber auch in diesen Liedern ragen im Endeffekt die Texte raus. Und die muss man weiterhin "mögen" oder man kann mit dieser Truppe auch heutzutage nichts anfangen. Schon eine sehr spezielle Musik. Aber schlimm? Ich hoffe, wir sind uns alle einig – es können schlimmere Sachen aus Thüringen kommen.

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Anscheinend hatten die "Grenzgänger"- und "Fegefeuer"-Veröffentlichungen, die bei uns bekanntermaßen nicht so wahnsinnig gut davonkamen, ja doch etwas Gutes: Ich konnte mich und mein Gemüt auf eine neue EISREGEN-Veröffentlichung vorbereiten. Und diese Vorbereitung hat dazu geführt, dass ich "Abart" zumindest nachvollziehen und die Kunst dahinter verstehen kann. Nein, EISREGEN gehört nach wie vor nicht zu meinen Lieblingsgruppen und in einen Rausch verfalle ich ob der neuesten Geburt auch nicht, aber ich verstehe, weshalb die Band ihre Fans derart in den Bann zieht.

Und mir erzeugen manche Momente sogar eine gewisse Gänsehaut, eine dichte, unheilvolle und in allem Maße spezielle Atmosphäre macht sich breit und das herrlich Morbide, was der Musik stets zugrunde lag und aktuell mehr denn je liegt, macht sich in diesem Sommermonat doch ganz chic. Es wird grotesk, es riecht nach Tod und Verderben und so düster, zäh und obszön EISREGEN einmal mehr agiert, so gut klingt es auch stellenweise, sodass ich mich sogar dazu hinreißen lasse, Songs wie 'Ich und mein Bolzenschussgerät' oder auch das zugegeben etwas zu lang geratene 'Totkörperkunst' mehrmals hintereinander zu hören.

Es muss nicht an allen Ecken und Enden provoziert und polarisiert werden, funktionieren auch verhältnismäßig humanere Stücke wie 'Am Abgrund' oder 'Im blutroten Raum' tatsächlich recht gut, sodass man den Musikern hier auch einmal ein Lob für den gelungenen Spagat aus Makaberem und Kunstvollem aussprechen muss. Ich bin gespannt, wie es mit EISREGEN und mir weitergeht.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]



Mein Verhältnis zu EISREGEN ist zwiegespalten. Während meiner metallischen Sozialisierung hatte die Band durchaus eine Rolle gespielt. Insbesondere die ersten fünf Alben liefen hier früher oft. Als mein Bedarf an morbiden (und manchmal halt sehr plakativen) Texten zu bodenständigem Dark Metal gedeckt war, war EISREGEN für mich nicht mehr wichtig.

Nun, im Soundcheck gab es dann den ersten Kontakt seit einer ganzen Weile. Und irgendwie gefiel mir die Platte besser als die einzelnen Songs, die ich im letzten Jahrzehnt so mitbekommen hatte. Die Tatsache, dass die leicht verständlichen und deutschen Texte einfach nicht ausgeblendet werden können, trennt EISREGEN vermutlich von vielen anderen Bands, deren Lyrics viel belangloser sein mögen. Hier muss man hinhören, sich mit den durch Peter Roths geröchelten Schauergeschichten auseinandersetzen. Und ja, auch mal reflektieren und verarbeiten. 'Lebendköder' oder das ausladende zehn-Minuten-Werk 'Totkörperkunst' gehen definitiv nicht spurlos an mir vorbei.

Ob die Wiederauferstehung von Band-Hits wie '1000 tote Nutten' oder 'Elektrohexe' unbedingt sein muss, darf gestritten werden. Unter dem Strich ein gelungenes Album im Kontext von Thüringens Agents Provocateurs.

Note: 7,0/10
[Nils Macher]

Ich glaube, fast jeder hatte mindestens einmal eine Phase, in der er EISREGEN nicht schlecht fand. Mit ging es jedenfalls auch so, so dass ich auch heute das ein oder andere indizierte Album gut finde. Dabei stand EISREGEN noch nie für ausgeklügeltes Songwriting und musikalische, instrumentale Finesse, denn die Musik diente eigentlich immer nur als Klangbild für die Texte des Herrn Roth. Und so legte sich das Interesse an EISREGEN seit dem "Blutbahnen"-Album bzw. der "Elektrohexe"-EP immer mehr und hörte dann sogar auf zu existieren.

Mit "Abart" beschäftige ich mich tatsächlich auch nur aufgrund dieser Gruppentherapie, und ich stelle fest, dass EISREGEN gar nichts an dem eigenen Konzept geändert hat. Das ist natürlich vollkommen in Ordnung und viele Bands bleiben ihren Konzepten treu, aber gleichzeitig höre ich dadurch nichts, was mich dazu animieren könnte, neben den besagten Alben über eine Kolonie oder dem aus Wunden fließenden Wasser auch diese Scheibe mal in den Player zu werfen, wenn ich Lust auf EISREGEN habe. Diese Momente, EISREGEN hören zu wollen, kommen zwischendurch immer mal wieder, dann aber in erster Linie als Erinnerung an die Zeit, und dann ist dieses Verlangen auch schnell wieder vorbei. Und so ist nun auch meine Aufmerksamkeit für "Abart" vorbei und ich widme mich wieder interessanter Musik.

Note: 5,0/10
[Mario Dahl]


Nun, Mario, ich habe EISREGEN die ganzen Jahre erfolgreich ignoriert, obwohl ich nur eine vage Vorstellung hatte, was für Musik das ist. Ergo habe ich bislang auch noch keine Phase des Gutfindens erlebt. Kann die denn noch kommen?

Nun, die Band liefert ja erstmal einige Gründe, sie nicht zu mögen. Klar, die Texte werden schwache Gemüter dazu animieren, den moralischen Zeigefinger zu heben, aber diesen Aspekt hat Stefan schon beleuchtet. Ebenso habe ich gelernt, dass das Provozieren wohl zum Programm von EISREGEN gehört. Finde ich legitim, Metal ist heutzutage mehr als je zuvor Showbiz und Imagepflege.

Rein musikalisch könnte man der Band vorwerfen, nichts allzu Besonderes zu produzieren und nur ein Vehikel für die Stimme (und die Lyrics) zu generieren. Aber auch das finde ich nicht kritisch, das macht unser diesmonatiger Soundchecksieger im Grunde auch, klingt nur anders. Was man auch widerlich finden könnte, ist der Kontrast zwischen den harten Worten der harschen Vocals und den manchmal fast lieblich-romantisch klingenden Synthies. Gothic-Kitsch? Doch auch hier bin ich eher bei Stefan.

Ich muss zugeben, dass es nicht einfach ist, diese Band notenmäßig in den "Ist das Kunst oder kann das weg"-Mülleimer zu werfen. Dafür ist es einfach zu gut umgesetzt, auch klanglich. Das, was die Stimme zu bieten hat, wurde optimal herausgeschält, die Musik ist alles andere als langweilig (damit sind Noten unter sechs Punkten hinfällig), ziemlich melodisch und stilistisch variabel. Ich schreibe jetzt "bunte Vielfalt" in der Hoffnung, den Herrn Roth damit zu ärgern, aber er sagt es ja selbst: Menschen sind schlecht und böse und verdienen nichts als den Tod. Trotzdem finde ich es ganz cool, dass die von Nils eher kritisch gehörten Remakes alter Bandhits auf dem Album vertreten sind. Höre ich bei der 'Elektro Baba Yaga' nicht sogar ein gehöriges Maß an Selbstironie heraus?

Ich denke, ich komme also nicht umhin, das Album formal "gut" zu finden und vielleicht höre ich es mir nach der Gruppentherapie sogar nochmal an. Zu mehr wird es aber eher nicht reichen, denn ehrlicherweise bin ich kein so großer Fan von Bolzenschussgeräten oder gar Totkörperkunst und ich glaube, das ist eh alles nur Quatsch (Ätschebätsch, Herr Roth).

Note: 7,0
[Thomas Becker]

Fotocredits: Jakob Wurschi (Edit: Svartir Andar Graphix)

Redakteur:
Thomas Becker
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