KORN: Diskografie-Check Teil 1 | Platz 14 - 8
24.07.2024 | 16:10Kaum zu glauben, aber der in vielen Szenekreisen gerne verlachte und auch verhasste Nu Metal ist heuer gar nicht mehr so neu, hat das Genre doch auch schon satte 30 Jahre auf dem Buckel. Die allgemein anerkannten Begründer des Genres KORN feiern natürlich entsprechend auch den runden Geburtstag ihres selbstbetitelten Erstwerks, das den Boom um diese neue und tiefergestimmte Spielart des Metals 1994 ja erst so richtig ins Rollen brachte. Obendrein bereiten sich Jonathan Davis und seine Kollegen dieser Tage auch auf eine ausgedehnte Europa-Tour vor, die sie passend zum Jubliäum auch zweimal in deutsche Lande führen wird. Ein Grund, uns die starke Diskografie der Amerikaner einmal genauer zu Gemüte zu führen und sie für euch in einem Ranking aufzubereiten. Die Ergebnisse sind durchaus gut durchmischt, was alleine für die Qualität sprechen sollte, die hier seit Jahren von der Truppe aus Bakersfield abgeliefert wird. Wie gewohnt zäumen wir das Pferd aber natürlich erst einmal von hinten auf...
14. Untitled
Dort begegnet uns als erstes das Album "Untitled" aus dem Jahr 2007, das für KORN einen klaren Tiefpunkt markierte. Wie klar? Nun, mit Jonathan sieht gerade einmal ein Kollege das Album auf dem drittletzten Platz der Diskografie, doch ansonsten wird die Scheibe durchweg mit der roten Laterne oder zumindest dem vorletzten Platz abgestraft. Gänzlich überraschend kommt diese Wertung nicht, denn auch persönlich befindet sich KORN 2007 an einem Scheideweg, den mit Jonathan Davis, James "Munky" Schaffer und Reginald "Fieldy" Arvizu nur noch drei Gründungsmitglieder gehen. Das personelle Ausbluten begann dabei schon im Jahr 2005, als Gitarrist Brian "Head" Welch der Band aus persönlichen Gründen den Rücken kehrte, doch nun muss die Truppe aus Bakersfield auch ohne Schlagzeuger David Silveria und seine unheimlich tanzbaren und packenden Grooves auskommen, denn der Musiker fühlt sich nach Jahren des Tourens ausgebrannt und nimmt sich im Dezember 2006 eine unbestimmte Auszeit. Für die Aufnahmen des achten Studioalbums verpflichtete man daher Drum-Legende Terry Bozzio, wobei die Zusammenarbeit aber nach gut der Hälfte der Sessions beendet wurde, da Bozzio laut Aussage der Band mit seinen Forderungen (feste Mitgliedschaft, Beteiligung am Verdienst) zu aufdringlich wurde. So war es schlussendlich an BAD RELIGION-Schlagwerker Brooks Wackerman, gemeinsam mit Davis, Schaffer, Arvizu und dem ebenfalls fürs Studio verpflichteten Keyboarder Zac Baird das Album zu beenden. Wirklich gelohnt haben sich die Mühen allerdings nicht, denn ich bin ehrlich, abseits der gutklassigen Single 'Evolution' fällt mir auf Anhieb kein weiterer Track der dreizehn Nummern umfassenden Scheibe ein. 'Evolution' würde dabei auch auf anderen KORN-Langdrehern wohl nur zum guten Mittelmaß gehören, hat aber immerhin eine tolle Hookline und ein zwar ungewohntes, aber dadurch spannendes Arrangement im Gepäck. Ebenfalls hat das bissige 'Bitch We Got A Problem' seine Momente, abseits davon klingt "Untitled" aber fürchterlich blutleer und ideenlos. Seinen guten Anteil daran hat auch Produzent Atticus Ross, der zwar gemeinsam mit Trent Reznor (NINE INCH NAILS) zahlreiche Industrial-Kracher auf Platte gebannt hat, mit seinem modernen und klinischen Mix aber dem KORN-Sound sämtliche Ecken und Kanten raubt. Ganz besonders Fieldys charakteristisches Bass-Grummeln ist definitiv unterrepräsentiert, doch auch die Gitarren müssen zu oft den neu hinzugefügten Keyboards weichen, was den Kompositionen zusätzlich die gewohnte Wucht nimmt. Damit geht einher, dass ich mich zwischenzeitlich immer wieder fragen muss, ob ich hier überhaupt einem KORN-Langspieler lausche, einfach weil 'Do What They Say' oder auch 'Love And Luxury' so weit vom gewohnten Klang der Nu-Metaller entfernt sind. Ein Umstand, den auch die Band inzwischen zu sehen scheint, denn nur selten tauchen Tracks des achten Studioalbums in den Setlisten der heutigen Touren auf und selbst Virgin Records legt keinen großen Wert darauf, die Scheibe neu aufzulegen, weshalb das Album tatsächlich nur schwer zu einem halbwegs erschwinglichen Preis zu bekommen ist. Für Komplettisten wie mich ein kleines Ärgernis, das angesichts der mangelnden musikalischen Qualität allerdings nicht so schwer wiegt. Insgesamt damit ein verdienter letzter Platz für den klar schwächsten Release der gesamten Bandhistorie.
13. The Path Of Totality
Gleiches kann ich von "The Path Of Totality" nicht behaupten, auch wenn ich angesichts der musikalischen Ausrichtung nicht überrascht bin, dass die Kollegen das zehnte Album ähnlich kritisch sehen wie "Untitled". War das unbetitelte Album ein eher halbherziger Versuch den KORN-Sound mit NINE INCH NAILS zu verheiraten, geht die Band 2011 gleich zehn Schritte weiter und vermengt ihren wuchtigen Nu Metal mit den extremen Electro-Sounds des Dubsteps. Dazu verpflichteten Davis und Co. diverse Produzenten wie Skrillex, Datsik, Feed Me, Excision, 12th Planet, Downlink oder Kill the Noise, die allesamt unabhängig voneinander an ihren jeweiligen Tracks mit der Band in Jonathan Davis' Heimstudio in Bakersfield arbeiteten. Trotz dieser ungewohnten Arbeitsweise klingt das Resultat überraschend schlüssig und kongruent, auch wenn der Sprung vom typischen Bandsound zu diesem Electro-Metal-Dampfhammer doch reichlich groß ist. Im Gegensatz zu "Untitled" wird dabei aber die Wucht der Instrumente nicht restlos beschnitten, sondern eigentlich von den elektronischen Elementen nur noch verstärkt. Dazu wird das Songwriting perfekt auf den Punkt gebracht, denn die Hooklines auf "The Path Of Totality" sind mehr als ansteckend. Wer die ganz großen Hits hören möchte, der greife direkt zu 'Chaos Lives In Everything', 'Narcissistic Cannibal' oder 'Kill Mercy Within', markieren diese drei Nummern doch ganz klar die massentauglichen, eingängigen und prägnenten Höhepunkte des Silberlings. Aber auch das wilde 'Get Up!' mitsamt massiv bissiger "Lyrik" oder das eher vertrackte und sperrige 'Illuminati' überzeugen auf ganzer Linie, auch weil Jonathan Davis eine absolut inspirierte und variable Gesangsleistung abliefert. Und ja, selbst das entrückte 'Sanctuary' hat seine tollen Momente und sorgt in der richtigen Grundstimmung für Begeisterung. Nun werdet ihr euch angesichts dieser begeisterten Worte sicher fragen, warum denn der zehnte KORN-Langdreher nun dennoch so weit hinten gelandet ist. Nun, primär liegt das an den Kollegen Jonathan, Chris und Marius, die mit dem gewagten Stilmix allesamt nichts anfangen können und daher den letzten Rang vergeben. Und auch bei mir landet das Album nur auf Platz 11, wobei das in der unheimlich starken Diskografie der Amerikaner keinesfalls etwas Schlechtes heißen muss. Die eher typischen KORN-Alben haben bei mir einfach die Nase vorne, was Timon übrigens ganz anders sieht und sogar den fünften Rang für "The Path Of Totality" vergibt. Am Ende ist die Scheibe damit alles andere als ein typisches Metalalbum, gerade deswegen aber auch höchst interessant und kann - zumindest wenn es ohne Scheuklappen genossen wird - durchaus zünden. Bei mir persönlich gehört der Weg der Totalität zu meinen liebsten Workout-Alben, die regelmäßig beim Sport laufen und mich ordentlich zu Höchstleistungen peitschen. Antesten kann sich also lohnen!
12. See You On The Other Side
Nun aber zurück zu wenigstens etwas gewohnteren Pfaden, auch wenn "See You On The Other Side" aus dem Jahr 2005 ebenfalls kein Beispiel für ein typisches KORN-Album ist. Wie bereits im Rahmen von "Untitled" erwähnt, verließ Brian "Head" Welch in der Frühphase der Arbeiten an diesem Langspieler die Band. Primär spielten dabei seine Drogenabhängigkeit und auch seine Tochter, um die sich der damals frisch zum Christentum konvertierte Musiker vermehrt kümmern wollte, die größte Rolle, doch auch Gerüchte um eine gewisse Unzufriedenheit mit dem musikalischen Kurswechsel halten sich hartnäckig. Doch warum Kurswechsel? Nun, erstmalig verpflichtete KORN im Jahr 2005 das Produzenten-Kollektiv The Matrix als Songwriting-Partner, das ansonsten primär mit Popstars wie Avril Lavigne, Britney Spears oder Shakira zusammenarbeitete. Gepaart mit dem Fehlen von Heads Riff-Ideen sorgt diese neue Kooperation dafür, dass ein großer Teil der KORN-DNA auf "See You On The Other Side" auf der Strecke bleibt. 'Open Up' oder auch 'Souvenir' etwa sind perfekte Beispiele dafür, wie der Popsound teilweise die Überhand gewinnt und die abgedrehten Gitarrenriffs mehr und mehr in den Hintergrund drängt. Darüber hinaus ist das Album mit vierzehn Tracks maßlos zu lang geraten und hätte definitiv von einer Kürzung profitiert. Dennoch lassen sich zwischen den vielen Durchhängern auch Glanzmomente finden. 'Throw Me Away' etwa ist eine dieser finster-treibenden KORN-Nummern, die man etwa schon auf "Issues" lieben gelernt hat, und hier funktionieren auch die poppigen Spielereien im Gesamtkontext überraschend gut. 'Coming Undone' und 'Twisted Transistor' sind dagegen gewohnt stampfende Single-Hits, die prompt zum Mitsingen einladen und auch heute noch des öfteren Verwendung im Liveset der Truppe aus Bakersfield finden. 'Politics' dürfte dieser Liste ebenfalls gerne hinzugefügt werden, denn auch hier funktioniert der Pop-Metal-Grenzgang überraschend gut, auch wenn man gerade hier an allen Ecken und Enden heraushört, dass Head mit seinem wunderbaren Gespür für abgedrehte und kreative Gitarrenleads fehlt. Mit seinen Farbtupfern hätte er so einige Tracks noch deutlich nach vorne bringen können. Eine echte Sternstunde ist also auch "See You On The Other Side" noch nicht, doch gerade im Vergleich zum Nachfolger "Untitled" hat die Scheibe immerhin genügend Highlights am Start, um sich ihren Platz in der Sammlung zu verdienen. Und auch im Ergebnis unserer Redaktion spiegelt sich dieser Umstand wider, denn von Chris und Jonathan gibt es zwei elfte Plätze, während Marius mit einem fünften Rang sogar ein echter Fan der Scheibe ist. Timon und ich spielen dagegen die Miesepeter und verhindern mit unseren Platzierungen schlussendlich ein besseres Ergebnis für die Platte, die für die Mannen aus Bakersfield 2005 eine Phase der Irrungen, Wirrungen und Experimente einläutete, die erst 2014 mit einer Rückkehr von Head in den Schoß der Nu-Metaller ein Ende finden sollte.
11. The Nothing
Der letzte Satz ist ein gutes Stichwort, denn mit "The Nothing" steht auf dem 11. Rang nun ein Album, auf dem Brian "Head" Welch wieder als festes Mitglied der Band zu hören ist. Die genauen Umstände beleuchten wir im Rahmen von "The Paradigm Shift". Vorerst reicht es erst einmal zu wissen, dass das perfekt miteinander harmonierende Gitarren-Duo bestehend aus Munky und Head wieder beisammen ist und damit auch der kreative Output von KORN wieder einen massiven Sprung nach vorne gemacht hat. Das zeigt sich auch in der Bewertung unserer Redaktion deutlich, denn zu "See You On The Other Side" vollziehen wir einen massiven Sprung in der Endabrechnung, bei der im Mittelfeld die einzelnen Plätze teils nur von einem einzigen Punkt getrennt werden. "The Nothing" hat sich dabei vor allem einen Platz in meinem Herzen erspielt (Rang 3), doch auch Chris lässt mit einem siebten Platz erahnen, dass er das dreizehnte Album der Bandgeschichte durchaus gerne mag. Eine höhere Platzierung verhindert damit am Ende nur Timon, der einen zwölften Rang vergibt. Verstehen kann ich den Kollegen nicht ganz, denn in eigentlich allen Punkten markiert "The Nothing" für mich einen kreativen Höhepunkt im Schaffen der Amerikaner. Das beginnt schon mit dem herrlich surrealen Artwork, das eine schemenhafte Person gefangen in zahlreichen Kabeln zeigt. Auch der Albumtitel ist spannend, wurde er doch vom Antagonisten (das "Nichts") aus "Die unendliche Geschichte" von Michael Ende abgeleitet, das im Roman die Welt von Phantasien zu zerstören droht. Ähnlich muss sich auch Davis während den Aufnahmen gefühlt haben, starb doch im Jahr zuvor nicht nur seine Mutter, sondern ebenfalls seine Ex-Frau und die Mutter seiner Kinder. Wie gewohnt kanalisiert der Frontmann seine inneren Dämonen aber in eine unheimlich inspirierte Gesangsleitung und kraftvolle Lyrics, an denen Jonathan dieses Mal satte vier Monate im heimischen Studio feilte, bevor er sie an den Rest der Band übergab. Herausgekommen ist dabei dann auch kein Album, das unbedingt eingängig und leicht zugänglich ist. Stattdessen steht "The Nothing" in der Tradition von sperrigeren Werken wie "Issues" oder "Life Is Peachy" und braucht ein paar Runden, bevor sich die Höhepunkte herausschälen. 'Idiosyncrasy' hat dabei noch am meisten Hit-Potential und hätte sich durchaus auch auf dem Vorgänger "The Paradigm Shift" gut gemacht, während 'The Darkness Is Revealing' oder 'You'll Never Find Me' eher introvertiert-sperrige Kompositionen sind, bei denen die Mannen aus Bakersfield aber eindrucksvoll unter Beweis stellen, dass kaum jemand es so gut versteht, innere Qualen in wüste und dennoch eingängige Musik zu verpacken. 'Cold' ist dagegen ein wuchtig stampfender Groove-Kracher, der gerade in den Strophen wieder einmal tanzbare Drums mit dissonanten Gitarren vermischt, bevor Jonathan Davis in der Bridge wieder einmal seine dämonische Seite zeigt. Und auch die Experimente von "The Path Of Totality" haben ihre Spuren auf "The Nothing" hinterlassen, hat 'Can You Hear Me' doch einen sehr deutlichen Industrial-Elektro-Einschlag, der sich heuer aber deutlich besser in den Bandsound einfügt als noch auf "Untitled". Alles in allem macht das "The Nothing" zu einem großartigen Spätwerk, das eindrucksvoll beweist, dass die KORN-Diskografie von vorne bis hinten mit Highlights gespickt ist.
10. The Paradigm Shift
Wo wir von Höhepunkten sprechen, darf natürlich auch "The Paradigm Shift" nicht unerwähnt bleiben, entfachte eben dieses Album doch auch meine persönliche Liebe zu KORN erneut, nachdem ich die Bakersfielder ob der als eher schwach empfundenen Alben aus den Augen verloren hatten. Für den Aufwärtstrend sorgte dabei natürlich primär die Rückkehr von Brian "Head" Welch, den die verbliebenen Bandmitglieder 2012 eher zufällig beim "Carolina Rebellion"-Festival trafen und kurzerhand für 'Blind' auf die Bühne holten. Für alle Beteiligten war das ein so bewegender Moment, dass in der Folge sämtliche internen Spannungen und Unstimmigkeiten, die sich durch den plötzlichen Abschied entwickelt hatten, geklärt werden konnten. Kurz darauf wurde bekannt, dass Welch sogar weitere Konzerte mit KORN im folgenden Jahr spielen würde, wobei allerdings vorerst von einem temporären Arrangement gesprochen wurde. Schlussendlich wurde Head im Mai 2013 allerdings wieder offiziell ins Line-up von KORN aufgenommen, nachdem er zuvor bereits gemeinsam mit der Band am Reunion-Album "The Paradigm Shift" gearbeitetet hatte, das schlussendlich am 7. Oktober 2013 das Licht der Welt erblickte. Musikalisch ist der Silberling dabei eine deutliche Kurskorrektur im Vergleich zum experimentellen Vorgänger "The Path Of Totality" und bewegt sich deutlich tiefer im traditionellen KORN-Sound, wobei gerade mir vor allem immer "Untouchables" als Referenz in den Sinn kommt. Gleichzeitig fand der Fünfer während der Aufnahmen aber einen hervorragenden Kompromiss, der die Synthesizer und Elektro-Sounds so in den Bandsound integrierte, dass sie eben für die nötigen Farbtupfer sorgen, ohne dabei die integrale DNA der Nu-Metal-Urväter auszuhöhlen. 'Never Never' und auch 'Spike In My Vains' zeigen dabei wohl am besten, was für eingängige, spannende und tatsächlich wegweisende Tracks dabei herauskommen können, wenn der Dubstep eben gleichberechtigt mit dem metallischen Kern verwoben wird. Gleichzeitig gibt es aber auch gewohnte Kracher wie 'Prey For Me', Mass Hysteria' oder 'What We Do', die eben auch locker mit den Klassikern der frühen Zweitausender mithalten können und eher einen Blick in die Vergangenheit werfen, ohne die Entwicklungen der letzten zehn Jahre komplett über Bord zu werfen. 'Love & Meth' darf schlussendlich als waschechter Hit ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, auch weil Jonathan selten so fein geklungen hat, wie auf dieser wunderbaren Nummer. Dass "The Paradigm Shift" schlussendlich so weit unten in unserem Ranking landet, ist schlicht und ergreifend der Tatsache geschuldet, dass wir uns jetzt in einem Abschnitt der Diskografie bewegen, in dem die Qualität aller Alben so hoch ist, dass kleinste Unterschiede letztlich mehrere Plätze ausmachen und der persönliche Geschmack der einzelnen Redakteure das Zünglein an der Waage zwischen gleichbleibend tollen Alben spielt. So sieht Chris den Paradigmenwechsel mit einem zwölften Platz am Ende am kritischsten, während Marius (Platz 6) und ich (Platz 5) den Silberling deutlich weiter oben einsortieren. Ein tolles Album, das jeder KORN-Fan besitzen sollte, ist "The Paradigm Shift" also trotz des zehnten Ranges, insbesondere auch wegen der historischen Bedeutung, läutete die Scheibe doch gleichzeitig auch den zweiten Frühling der Nu-Metal-Urväter nach einigen eher problematischen und experimentellen Jahren ein.
9. Requiem
Dass die Rede von einem zweiten Frühling dabei nicht übertrieben ist, beweist auch das noch immer aktuelle Album "Requiem", das im Februar 2022 am Ende der Corona-Pandemie das Licht der Welt erblickte. Selbige spielte auch beim kreativen Prozess eine Rolle, konnte die Band sich laut eigener Aussage zuvor noch nie so viel Zeit bei den Arbeiten an frischem Material einräumen wie in diesem Fall. Ohne anstehende Touren wurde dabei viel gemeinsam experimentiert und an den Songs gearbeitet, was sich auch im Ergebnis hörbar bemerkbar macht. Selbiges hat übrigens auch Basser Fieldy noch hörbar mitgestaltet, nahm sich nach Ankündigung der Platte aber eine unbestimmte Auszeit von KORN, um sich vermehrt privaten Problemen zu widmen. Entsprechend fehlt der Bassist mit dem legendären und sofort wiedererkennbaren Stil auch auf den Bandfotos und in sämtlichen Musikvideos. Dem Erfolg und der Durchschlagskraft der Scheibe schadet dies allerdings nicht, was vor allem an der unheimlich hohen Hit-Dichte liegt, die sich der Fünfer für das vierzehnte Studioalbum aus dem Ärmel gezaubert hat. Dabei bewegen wir uns aber keinesfalls in sehr kommerziell geprägten Sphären, wie sie einst mit "Follow The Leader" erkundet wurden, sondern sind musikalisch wie auch lyrisch in eher dunklem Terrain unterwegs. So erinnert der wuchtige Opener 'Forgotten' dann auch eher an einen Grenzgang zwischen "Untouchables" und "Take A Look In The Mirror", wobei vor allem das spröde Gitarrenriff den Track ordentlich nach vorne peitscht. Getoppt wird die Eröffnungsnummer aber prompt von 'Let The Dark Do The Rest', das in düster-sperrigen Strophen ordentlich Spannung aufbaut, die sich schlussendlich in einen geradezu epischen Refrain ergießt. Generell hat Jonathan Davis auf dem Silberling ein umheimlich gutes Händchen für die ganz großen Gesangslinien, denn auch 'Worst Is On It's Way' und 'Start The Healing' werden von gar außerirdischen Refrains veredelt, die sich bereits nach einem Durchlauf im Gedächtnis festbeißen. Und auch der Mittelteil der Scheibe, in dem sich nicht direkt die offensichtlichen Hits verstecken, ist unheimlich stark. 'Disconnect' ist etwa ein wunderbarer Grenzgang zwischen einer Prise Gothic und der Wucht der KORN-Anfangstage, während 'Hopeless And Beaten' fast schon Reminiszenzen an "Life Is Peachy" heraufbeschwört. Mein persönlicher Liebling bleibt allerdings das ungewohnt arrangierte 'Lost In The Grandeur', das erneut perfekt die moderneren Experimente der "The Paradigm Shift"-Ära mit der klassischen KORN-DNA verbindet und einen wirklich frischen Farbtupfer im Bandsound darstellt. Jonathan vergibt so am Ende sogar eine Silbermedaille für "Requiem", während Marius mit einem zwölften Platz das schlechteste Ergebnis für das neue Album beisteuert. Der Rest der Redaktion sortiert sich zwischen den beiden Polen ein, was erneut für die dichte Qualität der Diskografie spricht, denn eine minimal bessere Platzierung von Chris, Timon oder mir hätte das aktuelle KORN-Album direkt bis auf Platz 7 spülen können. So bleibt "Requiem" aber nur das zweitbeste Album der Reunion-Ära, deren Höhepunkt wir erst im zweiten Teil unseres Diskografie-Checks beleuchten werden.
8. Korn III - Remember Who You Are
Auf Rang 8 geht es nämlich erst einmal mit einer kleinen Überraschung weiter, denn "Korn III - Remember Who You Are" hätte ich persönlich deutlich weiter hinten gesehen. Kein Wunder also, dass mein vierzehnter Platz das schlechteste Ergebnis für den Langspieler ist, den offensichtlich Chris und Jonathan (jeweils die Bronzemedaille) deutlich mehr ins Herz geschlossen haben. Nur Marius teilt meine sehr kritische Sichtweise mit einem zwölften Rang, was mich zumindest dazu bewogen hat, dem neunten Album der Bandhistorie noch einmal eine Chance zu geben. Bei Veröffentlichung empfand ich den ersten Langspieler nach der Verpflichtung von Ray Luzier als festem Bandmitglied und Ersatz für David Silveria nämlich als Sargnagel, der mein Interesse an den Helden meiner Jugend vorerst komplett beerdigte. Geschuldet ist dieses recht harte Urteil der Tatsache, dass die Truppe aus Bakersfield nach den Irrungen und Wirrungen von "Unititled" erstmalig bewusst zehn Schritte zurück in Kauf nimmt, anstatt den Bandsound weiterzuentwickeln. Diese Ausrichtung spiegelt sich dabei nicht nur in den Kompositionen und dem Albumtitel wider, sondern beeinflusste auch die Wahl des Produzenten, wo erstmalig seit "Life Is Peachy" wieder auf Ross Robinson zurückgegriffen wurde, der ja ein wenig als Architekt der frühen Nu-Metal-Bewegung gilt. Wie gewohnt brachte Mr. Robinson die Band dabei bewusst an ihre Grenzen, um das aus seiner Sicht beste Ergebnis zu bekommen, womit er aber anno 2010 etwas zu weit ging. So beschreibt Jonathan Davis die Aufnahmen als ungemein schwierig, anstrengend und traumatisierend, während er im Album in der Retrospektive einen großen Fehler sieht, eben weil es einen musikalischen Rückschritt darstellte. Als Tiefpunkt der Zusammenarbeit zwischen Davis und Robinson entpuppte sich dabei die Aufnahmesession zum Song 'Pop A Pill', in dem Davis die Abhängigkeit seiner damaligen Lebensgefährtin thematisiert, die von Robinson ins Studio geladen wurde, was natürlich für eine reichlich schwierige Atmosphäre während der Aufnahme sorgte. Zugestehen muss man KORN allerdings, dass die Zeitreise in die Neunziger gelungen ist, denn mit ihrem spröden Sound, den teils abgedrehten Arrangements und dem weitgehenden Verzicht auf große Hooklines könnten Songs wie 'Pop A Pill', 'Lead The Parade' oder 'Move On' durchaus auch auf "Life Is Peachy" stehen, ohne negativ aufzufallen. Gleichzeitig kommen die Tracks nicht ganz an die Klasse des frühen KORN-Meisterwerks heran, wobei die Trackliste mit 'Oildale (Leave Me Alone)' und 'Fear Is A Place To Live' zumindest zwei echte Volltreffer im Gepäck hat, die ich auch durchaus wieder einmal gerne in der Setliste der Kalifornier sehen würde. Neben dem Mangel an ganz großen und einprägsamen Krachern muss ebenfalls die etwas zu ausladende Trackliste kritisiert werden, denn mit dreizehn Songs ist selbige einfach etwas zu lang geraten und hat zumindest hinten heraus zu viele Durchhänger im Gepäck. Ein wirklicher Fan der Scheibe bin ich also auch nach einer erneuten Betrachtung nicht geworden, kann allerdings gerade durch den Kontext dieses Diskografie-Checks verstehen, warum sich "Korn III - Remember Who You Are" zumindest bei einigen Kollegen sehr großer Beliebtheit erfreut, denn auch "Life Is Peachy" wird in unserer Endabrechnung von vielen Kollegen sehr positiv gesehen. Doch dazu später mehr, vorerst muss für euch die Information reichen, dass ihr als Liebhaber der KORN-Frühphase durchaus ein Ohr für das dritte selbstbetitelte Album öffnen solltet, denn euch könnte die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln deutlich besser gefallen als mir, weshalb am Ende der Platz im Mittelfeld unserer Werkschau durchaus in Ordnung geht.
Und damit sind wir auch schon am Ende des ersten Teils unseres Diskografie-Checks angekommen, doch die wichtigsten Fragen bleiben natürlich noch unbeantwortet. Welches das beste KORN-Album ist, welche Scheiben auf dem Treppchen stehen und wo das eben erwähnte "Life Is Peachy" am Ende landet, beantworten wir euch zeitnah im zweiten Teil an dieser Stelle. Seid gespannt und haltet die Augen offen!
- Redakteur:
- Tobias Dahs