LES CHANTS DU HASARD: Interview mit Mastermind Hazard

20.08.2024 | 12:36

Die Verbindung von Klassik und Black Metal besteht seit Anbeginn der zweiten Welle schon immer sehr vage. Bei LES CHANTS DU HASARD ist die Sache jedoch schon seit geraumer Zeit ein wenig anders gelagert. Das französische Projekt um Mastermind Hazard hat die Grenzen dieser Verknüpfung längst gesprengt und mit "Livre Quart" einen echten Meilenstein eingespielt, über den es definitiv zu reden gilt.

Man darf sicherlich gratulieren, ein 10/10-Album schafft es nicht alle Tage auf unsere Seite. Wie fühlst du dich, jetzt wo die Platte auch veröffentlicht ist?
Es ist immer sehr befreiend, eine Platte endlich draußen zu haben. In jeder Phase der Umsetzung ist eien Menge Arbeit notwendig, bis es schließlich ans Mastering geht. Außerdem fällt auch die Promotion nicht leicht, weil das Projekt sicher in keine klare Kategorie zu fassen ist. Glücklicherweise habe ich hier jedoch zwei Agenturen am Start, die mir hierbei unter die Arme greifen. Zuletzt ist auch immer ein finanzielles Risiko im Hinterkopf, zumal ich das Ganze diesmal ohne die Unterstützung eines Labels gemacht habe. Die Verkaufszahlen sind bis hierhin jedoch ordentlich, so dass ich diesmal nicht ganz so viel Geld verliere.

Mir ist relativ schnell in den Sinn gekommen, dass hier etwas sehr Spezielles und Besonderes geschaffen wurde. Allerdings bin ich am Ende auch nur der Konsument. Wie geht es dir damit? War dir ebenfalls schnell bewusst, dass hier etwas Großes entstehen kann?
Jedes Album von LES CHANTS DU HASARD baut auf seinem Vorgänger auf. Ich brauche immer einige Zeit, bis ich analysiert habe, was gut funktioniert hat und was ich verbessern muss. Auf "Livre Quart" habe ich irgendwann das Gefühl bekommen, dass die einzelnen Puzzlestücke ineinandergreifen und ich meinem Ziel, eine extreme Oper zu komponieren, immer näher komme. Vor allem bei den Vocals sind diese Extreme stark verwurzelt. Im fünften Track der Platte ('Sous La Mitre De Fer') habe ich schließlich genau das kreiert, was ich immer erreichen wollte: einen opernbasierten Song, bei dem die schwarzmetallische Stimme den dramatischen Effekt der Musik verstärkt - dies ist vielleicht dann der spezielle Moment.

Bei meiner ersten Begegnung mit LES CHANTS DU HASARD vor ein paar Jahren ("Livre Premier") schien das Projekt noch viel stärker im Black Metal verwurzelt zu sein. Es gab zwar diese klassischen Merkmale, aber im Grunde genommen war der Black-Metal-Anteil noch recht groß. Mit der neuen Veröffentlichung wird dieser Schwerpunkt zumindest in der Promotion wieder stark betont. Musikalisch ist er allerdings zu einem großen Teil aus der Musik verschwunden.
Meines Erachtens ist Black Metal eine Lebenseinstellung und kein spezieller Sound. Er knüpft an die dunkle Seite der menschlischen Seele an und ist nicht an irgendein Instrumentarium gebunden. Sollte jemand zum Beispiel finstere und aggressive Musik mit einer Ukulele und einer Harfe erschaffen, hätte ich kein Problem damit, das ebenso Black Metal zu nennen. Deshalb sehe ich LES CHANTS DU HASARD auch weiterhin als eine Black-Metal-Combo. Mir ist jedoch klar, dass viele Leute dies anders betrachten und Black Metal immer noch als eine Art extremere Rockmusik ansehen.

Dein Künstlername ist eng mit deiner Band verknüpft. Bedeutet dies, dass du alleine für die Musik verantwortlich bist, oder haben auch andere Musiker einen entscheidenden Anteil an der Entstehungsgeschichte des neuen Albums gehabt?
Göran Setitus, ein Gastsänger auf "Livre Quart", hat mich beim Songwriting unterstützt. Er hat bereits auf dem letzten Album "Livre Troisi​è​me" gesungen, und ich liebe seine tiefe, beeindruckende Stimme. Diesmal habe ich einen Song lediglich für ihn geschrieben. Das Ergebnis ist der Schlusstrack 'Les Ombre Vagabondes'. Es passt einfach perfekt zusammen und bringt der Platte eine sehr finstere Endung.

Wie muss man sich die Arbeit schließlich im Studio vorstellen? Sind tatsächlich Musiker eines Orchesters zugegen, oder ist dies finanziell nicht machbar?
Ich muss dich hier leider enttäuschen. Die gesamte Platte besteht aus bestehenden Samples. Es hat keine menschlichen Musiker im Studio gegeben, außer eben den Sängern. Die Miete eines Orchesters bedeutet einen extremen finanziellen Aufwand, den ich mir momentan nicht erlauben kann - wenngleich genau das weiterhin eines der Ziele für die Zukunft bleibt.

Finstere Klassik ist im Metal nicht ungewöhnlich, jedoch sieht man selten neue Acts, die hier gewisse Einflüsse aus der Szene klar benennen können. Was genau hat dich und auch die Arbeiten an "Livre Quart" geprägt?
Der größte Teil meiner musikalischen Inspiration kommt aus der klassischen Musik, speziell aus der Phase der Romantik. Strauss ist vielleicht der wichtigste Komponist für mich, und seine Oper "Elektra" gehört bis heute zu meinen wichtigsten Einflüssen. Ich komponiere meine Songs nicht auf der Basis alternierender und sich wiederholende Riffs, sondern auf Grundlage variierender Grundmuster, so wie es in der klassischen Musik ebenfalls geschieht. Darüber hinaus lege ich großen Wert auf eine bewegende Atmosphäre und einzelne Inhalte, die dich mitreißen. Die technische Seite sollte niemals zielführend sein, sondern lediglich ermöglichen, die Emotionen zu tragen. Aber ohne die technischen Komponenten und Arbeitshilfen könnte ich niemals erreichen, was ich gerade im Sinn habe.

Wie viele Menschen waren denn letztlich am Entstehungsprozess beteiligt?
Insgesamt konnte ich auf drei verschiedene Sänger zurückgreifen und habe den Rest selbst übernommen. Ich bin sehr glücklich, dass alle zugesagt haben, auf diesem Album zu singen. Laura, die Sopranstimme, und Christian, der Tenor, sind professionell ausgebildete Sänger, die diesem Album extrem viel geben konnten. Es macht schon einen sehr großen Unterschied zum vorherigen Album, bei dem ich keine professionellen Akteure verpflichten konnte.

Die Symbiose aus klassischer Musik und Heavy Metal wurde in der Vergangenheit schon mehr und minder erfolgreich erprobt. Oftmals muss man hierbei zum Beispiel an eine Band wie THERION denken, die viel für diese Vermischung getan hat. Glaubst du, dass deine Zuhörer womöglich diejenigen sind, die mit THERION aufgewachsen sind, seither aber auch nach neuen Künstlern Ausschau halten? Wer genau ist die Zielgruppe von LES CHANTS DU HASARD?
Ich denke, dass unsere Zielgruppe aus Leuten besteht, die mit Metal, Dark Wave und Ambient aufgewachsen sind, womöglich auch Gothic lieben und sich bereits mit klassischer Musik auseinandergesetzt haben. Viele Leute sind dann schnell verloren, wenn du die Rock-Instrumente und speziell das Schlagzeug auspackst. THERION zum Beispiel, aber auch Acts wie PROFANUM AETERNUM, APOCALYPTICA und VAN CANTO, haben versucht, Metal klassischer darzustellen, jede Band auf ihre eigene Weise. Doch am Ende des Tages haben sie ihre Rhythmussektion beibehalten, weil die Leute einen starken Punch hören wollen. Aber das ist am Ende dann auch wieder Metal. Ich glaube daher auch nicht, dass die Klassik-Szene in diesem Metier weiter wachsen wird, weil es große Schwierigkeiten gibt, das Ganze auf die Bühne zu bringen. Die Musiker sind zu teuer, und außerdem ist es enorm schwierig, klassische Instrumente und verzerrte Gitarren live in die richtige Balance zu bringen. Und eine Band, die nicht live auftritt, hat kaum Möglichkeiten, etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Daraus schließe ich, dass der Transfer auf die Bühne für dich auch vorerst nicht infrage kommt.
Ich denke in der Tat eine Menge darüber nach und hatte auch schon verschiedene Visionen hierzu. Ich musste aber alle Ideen wieder verwerfen, weil ich momentan keine Option sehe, das Ganze realistisch und gleichzeitig zufriedenstellend umzusetzen. Wie du bereits sagtest: Ein Orchester ist sehr teuer, die Orchestrierung zu reduzieren wiederum würde wenig Sinn ergeben, und lediglich zu bereits eingespielter Musik live zu singen, ist irgendwie albern. Man sollte aber niemals nie sagen. Dinge, die noch nicht geschehen sind, müssen nicht zwangsläufig unmöglich sein.

Wo würdest du dich und deine Musik denn eher sehen? Auf einer großen Metal-Bühne oder doch eher in einem Opernhaus?
Ein Opernhaus wäre hier sicherlich die Erfüllung eines Traumes. Aber ich glaube, es wird auch ein Traum bleiben, weil alleine das Betreiben dieser Einrichtungen viele Ressourcen frisst und hier die Kostenfrage wieder aktiv wird. Realistischer wäre, in einem kleineren Venue vor ein paar hundert Leuten zu spielen. Im vergangenen jahr schlug beispielsweise jemand vor, in einer alten Kirche in London zu spielen. Dort würde ich LES CHANTS DU HASARD eher sehen.

Bevor es soweit kommen wird, stehen aber noch andere Termine an.
Ich muss natürlich momentan viel Promotion betreiben, da es mir ein Anliegen ist, die Band so bekannt wie eben möglich zu machen. Parallel arbeite ich aber auch am Nachfolger von "Malivore", dem Black-Metal-Album, das ich letztes Jahr veröffentlicht habe.

Welche Ziele verfolgst du darüber hinaus?
Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Leute LES CHANTS DU HASARD aktiv supporten, konnte ich nun eine Vinyl-Version von "Livre Quart" zusammenstellen. Das war bei den letzten beiden Scheiben leider nicht möglich. Weiterhin möchte ich bei der nächsten Scheibe noch mehr physische Tonträger anbieten, die Promotion ausweiten und das Ganze auf ein noch professionelleres Level bringen.

Im Hinblick auf die Musik habe ich schon erste Ideen zu einem Nachfolger. Es wird ein weiterer Versuch sein, die extreme Oper zu perfektionieren, und ich kann kaum abwarten, weiter daran zu arbeiten. Ich arbeite zudem an meiner Stimme, um den Kontrast zwischen Metal- und Opernstimme weiter zu verbessern und dies auch auf den nachfolgenden Alben präsentieren zu können.

Last words?
Vielen Dank für dein Review und die Zeit, die du dir für dieses Interview genommen hast. LES CHANTS DU HASARD ist ein Projekt, das in keine gängige Kategorie passt und deshalb auch viel schwerer zu promoten ist. Ich bin sehr dankbar für jeden einzelnen, der völlig vorurteilsfrei an die Sache herangeht und sich inspirieren lässt. Ich glaube außerdem, dass es eine sehr spannende Erweiterung des typischen Metals ist und man hier vielleicht noch Wege einschlagen kann, die bis dato unerforscht sind. Mein ultimatives Ziel besteht darin, darzustellen, welche neuen Nuancen ein Orchester im Hinblick auf düstere Musik bringen kann. Ich denke, dass ich bislang nur an der Oberfläche gekratzt habe. Daher dürft ihr noch einiges von mir erwarten!

Chant I - Parmi les poussières



https://www.youtube.com/watch?v=3rWf9Cc8LmQ

Redakteur:
Björn Backes

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