Area4 Festival 2008 - Lüdinghausen

29.09.2008 | 17:30

30.08.2008, Flugplatz Borkenberg

Samstag, 30.08.2008

Zehn Uhr in der Früh, Tag zwei, die gestaute Hitze im Auto ist unerträglich. Also wird erst mal draußen bei strahlendem Sonnenschein in Ruhe das Kotelett vom Vorabend auf Toast zum Frühstück gesnackt und der Festival-Planer studiert. "12.30 – 13.00 BECK’S GEWINNERBAND" heißt es, doch zu diesem Zeitpunkt ist uns diese Gewinnerband noch unbekannt. Gegen halb eins machen wir uns auf zum Festivalgelände und müssen feststellen, dass die vorige Nacht wohl für viele doch länger ging, denn der Campingplatz ist noch total verschlafen und so auch das Publikum vor der Stage eher spärlich vertreten.

Die Bühne noch leer, aber ein Banner enthüllt die für uns bis dahin mysteriösen Gewinner des Contests. Die Rede ist von HUTCHINSON, vier Musikern aus Berlin und Hamburg. Frontmann Nico Kozik, bekannt durch Projekte wie PAYOLA oder die SISSIES, und Band betreten die Bühne. Vor allem Drummer Thilo Jeß im "Rocky-Style" mit Stirnband gefällt. Kleiner, aber nicht tragischer Kritikpunkt zu Beginn sind die permanenten Ansagen des Frontmanns, der oftmals vor Songs nur knappe Sätze wie "Wir sind HUTCHINSON" verlauten lässt. Das kann um diese Uhrzeit schon mal das eine oder andere unausgeschlafene, nach einer Dusche verlangende Gemüt zur Erregung bringen. Wie auch immer, die kleine Fanbase, bestehend aus drei Mann, ist mitgereist und führt zu Beginn den Jubel alleine an. Doch nach Versorgung des "Publikümchens" mit Band-Shirts und Gratis-CDs kommt langsam Fahrt in die Brunch-Atmosphäre. HUTCHINSON wissen mit ihren tiefgestimmten Gitarren und scheppernden Drums zu gefallen, welche sie für eine Mischung aus Stoner, Alternative und streckenweise Indie benutzen.
[Markus Großheim]

Direkter Anschluss und zugleich ein Heimspiel – es spielt die "Schülerband" aus Dinslaken im Ruhrpott, eher unter dem Namen (THE) KILIANS bekannt. Es ist 13.30 Uhr und so langsam wacht alles auf und reibt sich den Kater aus den Augen. Die fünf Frisch-Abiturienten, welche durch Thees Uhlmann entdeckt wurden und auch Vorband der TOMTE-Frühjahrs-Tour waren, starteten ihre Karriere 2005 mit noch selbstvertriebenen EPs, doch schon im April 2007 erschien die erste "richtige" EP "Fight The Start", mit der sie sich auch gleichzeitig von dem "The" im Bandnamen trennten. Wie man es schon von anderen Bands kennt, wenn die ganze Sache erst einmal ins Rollen kommt, dann läuft's auch ordentlich. So erschien 2007 das erste und bis jetzt einzige Album der KILIANS "Kill The Kilians" und erreichte einen beachtlichen 75. Platz in den deutschen Album-Charts. Ein solcher Verlauf versprach einiges, und so wollte sich trotz enormer Hitze keiner diese Show entgehen lassen.

KILIANS stehen für soliden Indie Rock, und der wurde auch geboten. Neben dem Hit 'When Will I Ever Get Home', der kräftig gefeiert wird, dürfen Tracks wie 'Something To Arrive', 'Enforce Yourself' oder auch 'Dizzy' nicht fehlen. Vor allem das abschließende, sehr tanzbare 'Sunday' gefällt besonders und lässt auch die Bilanz der Dinslakener besonders positiv ausfallen. Bei den Jungspunden handelt es sich um eine junge aufstrebende Band, auf die man in Zukunft weiter achten sollte. Ihr Auftritt erfüllt die Erwartungen und rechtfertigt einen Weg nach oben.
[Markus Großheim]

Setlist:
Short Life Of Margott
"Ficken"
Something To Arrive
Enforce Yourself
Jealous Lover
Inside Outside
Fight The Start
Dizzy
Tackern '06
When Will I Ever Get Home
Sunday
Sunday Bloody Sunday

Now it's partytime! Nach dem Motto scheinen die Ska-Rocker LESS THAN JAKE aus Gainesville, Florida zu agieren. Die Sonne kennt kein Erbarmen, und trotzdem lassen sich die Feierwütigen davon nicht jucken. LESS THAN JAKE bedeutet gute Laune pur, und das wird in der knapp einstündigen Show bis aufs Letzte zelebriert. Circle Pits hier, tanzende Menschen dort. Der Fünfer ist gut drauf und immer zu albernen Scherzen aufgelegt. Kreativität in Sachen Menschenmobilisierung zeigen sie, indem sie die Leute dazu auffordern, ab einem Stichwort schlagartig gen Mischerturm zu laufen und dort einen kleinen Tanz abzureißen. Großartiger Anblick, schön anzuschauende Truppe!
[Daniel Schmidt]

Setlist:
Does The Lion City Still Roar?
Johnny Quest Thinks We're Sellouts
All My Best Friends Are Metalheads
Look What Happened
Summon Monsters
The Ghosts Of You And Me
Great American Sharpshooter
The Science Of Selling Yourself Short
Conviction Notice
Al's War
Last One Out Of Liberty City
Gainesville Rock City
Plastic Cup Politics

Schon zum dritten Mal in Folge spielen die nordischen Jungs von MADSEN beim "Area4", sind also quasi alte Hasen. Und so kann man die Freude der zehnbeinigen Truppe verstehen, als sie die gut gelaunte Menschenmenge vor Augen sieht. Im Auftrag ihres aktuellen Rundlings "Frieden im Krieg" beweist das Viergespann großartige Spielfreude und überzeugt mit überaus sympathischen Ansagen sowie Mitklatsch-, Sing- oder Hüpfspielchen. Die Setlist bietet einen Querschnitt der vier Alben langen Diskografie. Dabei vergisst man keineswegs alte Hits wie 'Die Perfektion', 'Vielleicht' oder 'Du schreibst Geschichte'. Neue Abgehnummern wie 'Nitro', 'Panik' oder 'Nachtbaden' werden ebenso betanzt und besungen wie Mitschunkler der Sorte 'Liebeslied' (inklusive OASIS- und DIE TOTEN HOSEN-Anekdote!). Publikum und Band scheinen auf einer Wellenlänge zu liegen, es herrscht bei 28 Grad ausgelassene Partystimmung. A cappella bei 'Du schreibst Geschichte' oder Pyroeinlage bei 'Panik' tragen zu einer tollen Performance bei. Nachdem die letzten Klänge des Rausschmeißers 'Nachtbaden' verklungen sind, weiß man, dass MADSEN zu den Gewinnern des Festivals gehören.
[Daniel Schmidt]

Setlist:
Intro
Vielleicht
Ein Sturm
Ja oder Nein
Goodbye Logik
Verschwende Dich nicht
Die Perfektion
Nitro
Liebeslied
Du schreibst Geschichte
Panik
Nachtbaden

Wir suchen zum ersten Mal an diesem zweiten Festivaltag das "Coca-Cola Soundwave Tent" auf, um uns die Deutschrocker von EL*KE reinzuziehen, welche sich durch das Kfz-Kennzeichen ihres Autos, womit sie aus dem Emsland nach Berlin zogen, zu ihrem Bandnamen inspirieren ließen. Besagtes Nummernschild "EL-KE 573" findet sich oft, so auch heute, auf der Bühne wieder und verziert einen Gitarrenverstärker.

Pünktlich um viertel vor acht betreten die drei Niedersachsen die kleine Bühne im gemütlichen Zelt, was sich bis dahin gut gefüllt hat. Das soll sich später ändern, bis dato ist aber eine tolle Atmosphäre und vor allem gute Akustik in dem zirkusähnlichen Zelt vorhanden. Ganz anders als vor der Main Stage, wo von Band zu Band die Soundqualität und auch die Lautstärke drastisch variiert. Wer dachte, die Jungs von EL*KE bieten deutschen Kuschelrock, der wird vom Gegenteil überzeugt. Die Zweiten der "Jägermeister Rock:Liga" bieten authentischen Deutschrock, der tierisch auf die Ohren geht, und das nicht nur wegen des etwas zu lauten Soundpegels im Zelt. Neue Songs wie 'Häuser stürzen ein' vom gleichnamigen Album oder die rebellische, gesellschaftskritische Nummer 'Aufstand' werden zum Besten gegeben. Auch Tracks wie 'Tanz ab' oder 'Adrenalin' machen es schwer, ruhig zu bleiben, so werden einige Tanzbeine geschwungen, beinahe schwindelig kann es einem werden, so wie es auch im Song 'Adrenalin' heißt: "Mir ist so schwindlig, mein Herz schlägt 180 im Steh'n". Bei 'Easy Rainer', für uns der letzte Song der Band, werden schnelle Drumbeats und rhythmische Gitarrensounds an den Tag gelegt. Immer mehr Leute verlassen das Zelt, da SYSTEM OF A DOWN-Urgestein und Gesangstalent SERJ TANKIAN mit Band auf der Main Stage rockt, und so verlassen auch wir schon vorzeitig den Auftritt, um die Show des Armeniers nicht zu verpassen. Trotzdem ein wirklich gelungener und überzeugender Auftritt des Trios, obwohl ich persönlich Deutschrock bisher kritisch gegenüberstand.
[Markus Großheim]

Setlist:
Spuck nicht in mein Essen rein
Halt mich fest und ich werd verrückt
Adrenalin
Tanz ab
Aufstand
Bleib wach
Liebe oder Wahn (Sexy)
Häuser stürzen ein
Ich mag dich
Verboten scheißegal!
Easy Rainer
Wir müssen hier raus
Wilder Westen
Elke sein

Halbe Stunde Umbauen, dem Soundcheck lauschen, bis das Intro eingespielt wird. SERJ TANKIAN scheint sich bewusst von seiner um ihn versammelten Truppe abzugrenzen: er im weißen Anzug mit passendem Zylinder, seine Instrumentalgruppe im schwarzen Gegenstück. Schon hier merkt man, was für einen Status der gebürtige Armenier in der Metalszene besitzt, es wird erstmals eng an diesem Tag vor der Main Stage. TANKIAN erweist sich als ungemein exzentrisch, unterhält die Leute alleine durch seine schon fast psychopathische Mimik und Gestik. Er ist ganz klar im Mittelpunkt, seine Band THE FLYING CUNTS OF CHAOS nur Schmuck. Dabei konzentriert er sich auf sein bislang einziges Soloalbum "Elect The Dead", SYSTEM OF A DOWN-Songs, auf die viele der Anwesenden insgeheim hoffen, bleiben gänzlich außen vor. Zwischenzeitlich verbreitet er noch seine politischen Ansagen, die inzwischen etwas sehr einstudiert wirken. Klar, jedem seine Meinung, aber diese Penetranz, mit der er versucht, seine Message an die Leute zu bringen, dürfte selbst den größten Befürworter nerven.

Für Abwechslung im sehr routinierten Set sorgt das ABBA-Cover 'Money'. Die Meute unterhält sich zudem zwischenzeitlich mit einer kleinen Wall Of Death und vor allem in den vorderen Reihen mit lautstarken Chören. Dass der gute Mann dann auch noch vor seiner eigentlichen Zeit die Bühne ohne Zugabe trotz großen Verlangens danach verlässt, lässt einige enttäuschte Gesichter zurück.
[Daniel Schmidt]


Es geht auf Mitternacht zu, die Sonne und so auch die Hitze sind glücklicherweise verflogen, und so hat der großflächige Sonnenbrand an jeglichen Körperstellen Zeit, sich zu beruhigen. Der zweite Festivaltag neigt sich seinem Ende zu, doch vorher steht noch der Headliner des Abends an: die modebewussten Schweden rund um Frontsau und Hupfdohle Pelle Almqvist, kurz: THE HIVES. Von mir sehnlich erwartet, von meinem Kollegen eher skeptisch beäugt.

Garagenrock für voll auf die Zwölf mit druckvollen Gitarren-Riffs und garantierter Abrissstimmung darf für die nächsten eineinhalb Stunden erwartet werden. So kommt es auch. Die Schweden starten mit der schnellen Nummer 'Hey Little World' und heizen so den geschätzten 15.000 Rockbegierigen ordentlich ein. Hierzu sei bemerkt, dass es keine Wellenbrecher gibt, so dass es öfter zu Rangeleien mit "Nicht-Pogern" kommt und die Leute aus den ersten Reihen ordentlich Druck von hinten bekommen. Jedoch tut dies glücklicherweise der Stimmung keinen Abbruch. Nach einigen Selbstzelebrierungen und Pelles gewohnt akrobatischen Einlagen lassen Klassiker wie 'Main Offender', 'Walk Idiot Walk' oder 'Hate To Say I Told You So' nicht lange auf sich warten. Die Stimmung kocht, und es wird kräftig gepogt und abgespackt, wobei hierbei der in Massen fließende Alkohol und die knallende Sonne tagsüber wohl kaum ein unwesentlicher Faktor ist. Den übermäßig konsumierten Alkohol an diesem Abend empfinden wir als extrem störend, da manche Leute anscheinend nicht ihre Grenzen kennen und sich absolut daneben benehmen, nur weil sie nicht zuhause oder unter Fremden sind. Es gibt einige Situationen, in denen die Stimmung zu eskalieren droht und das Ganze nichts mehr mit Spaß zu tun hat, doch so weit kommt es nicht. Somit zurück zur Musik: Nach ein paar Einheiten Pogo und gut sechzehn Knallern wird der Auftritt der Frackmänner von der Ausrastnummer 'Tick Tick Boom' vollendet. Staub liegt in der Luft, denn durch geschätzte 30.000 zappelnde Füße wird der staubtrockene Untergrund in die Luft gewirbelt, und schließlich verstummt die Bühne mit einem letzten ohrenbetäubenden "Boom!".

Abschließend kann man sagen, dass der Auftritt der HIVES definitiv zu den intensivsten und stimmungsvollsten des Festivals gehört und dass die fünf Schweden ihrer Headliner-Rolle völlig gerecht werden. Wenn man die Entwicklung dieser Band betrachtet, die vom Mittags-Act zum Headliner mutiert ist, sagt dies doch einiges über die Band aus (oder auch über Schwierigkeiten seitens des Veranstalters erfahrene Headliner zu buchen?).

So geht der zweite Festivaltag für uns mit fiependen Ohren und staubigen Gesichtern zu Ende, und wir machen uns auf zum Auto, um neue Kraft und ein paar Biere für den dritten und letzten Festivaltag zu tanken.
[Markus Großheim]

Setlist:
Intro
Hey Little World
Main Offender
Try It Again
A Little More For Little You
Walk Idiot Walk
A.K.A. I.D.I.O.T
A Thousand Answers
Won't Be Long
Die, All Right
Diabolic Scheme
You Dress Up For Armageddon
You Got It All ... Wrong
Two-Timing Touch And Broken Bones
Return The Favour
Bigger Hole To Fill
Hate To Say I Told You So
Tick Tick Boom

Redakteur:
Daniel Schmidt

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