BLOOD INCANTATION und MINAMI DEUTSCH - Leipzig

26.04.2025 | 13:56

16.04.2025, Anker e.V.

Easy Listening war gestern...

BLOOD INCANTATION ist schon ein kleines Phänomen. Nicht im Entferntesten habe ich daran gedacht, dass eine solche spezielle Musik so hohe Wellen schlagen könnte und mittlerweile Clubs mit bis zu 800 Gästen einfach mal ausverkauft. Und meine "Befürchtung" scheint real, dass mit dieser Größe an Venues nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Der Hype-Train oder besser das Hype-Spaceship um die vier Amerikaner nimmt grade erst Geschwindigkeit auf. Dabei ist es nicht nur der FOMO-Faktor der Norman und mich nach Leipzig treibt, sondern hauptsächlich die Tatsache, dass "Absolute Elsewhere" eine absolute Göttergabe im Bereich progressiven Death Metal darstellt und in unserer gesamten Redaktion die Silbermedallie in den Jahrescharts 2024 souverän nach Denver holte.

Auch in unseren nerdigen Kreise ist es durchaus keine Selbstverständlichkeit für gutturalen Gesang und dissonante Songstrukturen mit Jam-Charakter, dass solche Platzierungen erreicht werden – jedoch spricht es eindeutig für die musikalische Qualität der Jungs. Nun hatte ich in unserer Gruppentherapie von einer Live-Aufführung in Pompeij geträumt und so weit ist der Status der Band sicherlich noch nicht, aber auch der "Anker" ist eine Location, die mit dem entsprechenden Ambiente durchaus einen angemessenen Rahmen für diese Veranstaltung bieten kann. Eigentlich war zwar das ebenfalls sehr passende UT Connewitz geplant gewesen. Aber mit der Terminierung am 30.04.2025 (Remember 1. Mai) hätte man sich in diesem politisch sehr aufgeladenen Bezirk keinen Gefallen getan. Also schwupps – Umterminierung und Ortswechsel eingeleitet und retrospektiv muss ich sagen, dass der Umzug ins Soziokulturelle Zentrum in der Renftstraße absolut keine abgespeckte Notlösung ist. Der Sound ist an diesem Abend einfach eine Wucht und gefällt mir nochmal deutlich besser als im UT Connewitz. Wer also die Chance auf eine Konzertveranstaltung im Anker hat, sollte sich ohne Umwege ein Ticket besorgen.

Bevor wir uns mit der Vorgruppe beschäftigen, führt der Weg unweigerlich zum Merch-Stand. Und BLOOD INCANTATION fährt gewaltig auf. Eine solche Auswahl an Shirts, Long-Sleeves und diversen Gimmicks ist echt außergewöhnlich. Somit wandern ein Tour-Shirt mit Album-Cover und ein extrem stylischer Hoodie in meinen Warenkorb. Grade der Hoodie ist mit seinen 60 EURO fast schon ein Schnäppchen, während die Shirts mit 35 EURO leider die Preisentwicklung von Übersee-Bands auch heute widerspiegeln. Mit den aktuellen Zoll-Entwicklungen im Hinterkopf ist allerdings die Alternative "Besorg ich mir zuhause über deren Onlineshop" leider keine Option mehr. So wir mir geht es anscheinend vielen, da nicht nur die Schlange den ganzen Abend nicht abreißt, sondern auch viele Gäste nicht nur gucken, sondern die Euros im Minutentakt über den Tresen wandern.

Wir bewegen uns jedoch schleunigst zur Bühne, um pünktlich zum Start von MINAMI DEUTSCH zur Stelle zu sein. MINAMI was bitte? Es ist sicherlich keine so leichte Aufgabe, einen passenden Support-Act für BLOOD INCANTATION zu finden, aber eine japanische Krautrock-Band ist schon eine kleine Überraschung. Klammert man jedoch einmal den Death-Metal-Anteil der Songs aus, dann passt dieser kosmische Psychedelic-Rock wie die Faust aufs Auge. Dabei geht es gar nicht darum, dass wir uns mit nur vier Nummern in 30 Minuten schonmal an längere Songs gewöhnen dürfen, sondern, dass sich die Japaner das Deutsch im Bandnamen redlich verdienen.

Die Passion für unseren obskuren Krautrock wird mit voller Passion ausgelebt. Die Songs pendeln wie flinke Wiesel zwischen Psychedelic Rock der 1970er und experimentellem Space Rock und setzen ganz genrekonform auf Atmosphäre statt auf griffige Songstrukturen. Dabei spielt es dann auch eine eher untergeordnete Rolle, ob der Gesang rein japanisch, wie im Opener, daherkommt oder später ins Englische kippt. Hier regiert absoluter Loop-Wahnsinn und Minimalismus im Klangkonstrukt. Dabei hört man zu keiner Sekunde, dass die Band aus Tokyo stammt und nicht aus München (AMON DÜÜL II) oder Köln (CAN). Solche Musik muss erlebt werden und lässt sich mit Worten nur ungenügend beschreiben. Ich empfehle jedem aufgeschlossenen Leser, sich mal den vom Rockpalast aufgezeichneten Auftritt vom Freak Valley Festival 2019 in der WDR-Mediathek zu Gemüte zu führen. Das lohnt sich definitiv. Grundsätzliche Liebhaber von Krautrock müssten die Truppe ja eh schon auf dem Zettel haben – nicht wahr?

Setliste: Futsu Ni Ikirenai; Grumpy Joa; Can't Get There; I've Seen A U.F.O.

Wie sagte ich grade? Solche Musik muss erlebt werden und lässt sich nicht mit Worten beschreiben. Das trifft 1:1 und wahrscheinlich sogar noch mehr für BLOOD INCANTATION zu. Auch die Amerikaner servieren ihren Gästen nur vier Songs - aber lassen sich dafür zumindest knapp 60 Minuten Zeit.  

Dabei ist der Einstieg in die "Absolute Elsetour" natürlich absolut erwartbar. Erst gibt es 'The Stargate' auf die Lauscher und dann folgt konsequenterweise direk 'The Message'. Wie auf der Platte sind diese beiden Knaller in jeder Phase der folgenden über 40 Minuten großartig. Dazu fährt BLOOD INCANTATION eine spacige Licht-Show auf, welche sich jetzt schon für größere Konzerthalle bewirbt und auch die beiden Obelisken auf der Bühne komplettieren diesen atmosphärischen Trip großartig. Paul Riedl ist gut bei Stimme und growlt so herrlich pervers, dass die Schwarte kracht, auch wenn hier wieder der instrumentale Aspekt der Musik deutlich im Zentrum steht. Gefühlt geben die Jungs den Songs Live noch mehr Raum zum Atmen und wälzen bestimmte Arrangements noch etwas länger aus als im Studio. Das kann allerdings auch nur subjektive Wahrnehmung sein, da ich analog zur Vorgruppe auch immer mal wieder den Faden verliere und die Gedanken sich im psychedelischen Ur-Smog zersetzen.

Nach der Komplettaufführung des "Absolute Elsewhere"- Meisterwerks geht es zurück zum 2019er Werk "Hidden History Of The Human Race" und mit dem fünfminütigen 'Inner Paths' folgt der kürzeste Track des Abends. Ebenfalls eine großartige Nummer, welche damals schon erwarten ließ, was 5 Jahre später passieren könnte. Grade dieser Song kommt mir mit seiner dramatischen Entwicklung heute so vor, als würde er locker eine Viertelstunde gehen. Das meine ich auch gar nicht negativ, sondern durchweg positiv. Was ich jedoch durchaus kritisch anmerken muss, ist, dass dann mit 'Obliquity Of The Ecliptic' (von der "Luminescent Bridge"-EP) bereits der letzte Song des Abend erklingt. Ich dachte immer das "Value For Money"-Defizit bei amerikanischen Rockbands sei nur ein Gerücht bzw. ein Klischee, aber mittlerweile habe ich schon wiederholt diese Erfahrung machen müssen. Heute ist es schon extrem kurz. Das ist besonders ärgerlich, weil auch dieser Song nochmal eine echte Offenbarung an spannendem Songwriting darstellt und einen immer tiefer in den Malstrom zieht.

Die Fans sind so im spährischen Raum gefangen, da hätten man ruhig auch noch den extrem ruhigen Titeltrack der EP nachlegen können. Aber Pustekuchen. Somit bleibt ein bitterer Nachgeschmack einens ansonsten fantastischen Abends. Warum wurde das Set nicht mit "Excerpts" aus "Timewave Zero" aufgelockert oder nochmal ein Schädelspalter der Frühphase rausgeholt? Wenn man aus künstlerischer Sicht der Meinung ist, dass das restliche Songmaterial nicht dem Flow oder Anspruch des Abends gerecht wird, dann hätte man ja immerhin nochmal eine Coverversion in den Raum werfen können.

So wird das abrupte Ende dem restlichen Abend leider nicht gerecht. Das ändert zwar nicht an der herausragenden Performance der Band, aber schmälert den Gesamteindruck leider doch nachhaltig. Zumindest haben wir ja noch eine längere Heimfahrt vor uns um noch weiter bei dieser besondere Art der Tonkunst zu verweilen. Ein tolles Konzert - nur leider deutlich zu kurz.

Setliste: The Stargate; The Message; Inner Paths (To Outer Space); Obliquity Of The Ecliptic


Text: Stefan Rosenthal, Fotocredit: Norman Wernicke

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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