ROCKHARZ FESTIVAL 2024 - Ballenstedt

22.07.2024 | 15:27

02.07.2024, Flugplatz

Das "Rockharz"-Festival steht an und POWERMETAL.de ist mit dabei. Unser Team, das sind dieses Mal eine Dame und drei Herren, hat keine Mühen gescheut, sich durch das Billing gearbeitet und fast alle Bands gesehen. Erika Becker, Stefan Rosenthal, Frank Wilkens und Andre Schnittker, von dem auch die Fotos stammen, berichten für euch, was sich am Fuße der Teufelsmauer zugetragen hat. Los geht es mit Dienstag, dem 02.07.2024.

Samstag, 06.07.2024

Manchmal ist es doch schon sehr schön, wenn man mit anderen Gästen in den Dialog geht und feststellt, was sie denn so für Empfehlungen auf einem Festival haben. In diesem Sinne gehen Grüße raus an Bene. Ohne seinen Tipp hätte ich mich sicherlich nicht am letzten Festivaltag um 11:20 Uhr vor der Bühne eingefunden. Und dann wäre mir wohl der Hype der Stunde entgangen. Lasst Spanien doch das Wunderkind Lamine Yamal haben – das RHZ hat NAKKEKNAEKKER aus Dänemark. Diese fünf Jungs zwischen 16 und 20 spielen Death Metal in der Tradition von BLOODBATH oder ENTOMBED und zwar auf einem Niveau, als wären sie schon Ewigkeiten in der Szene aktiv. Das sind fantastische Songs, die hier über den Flugplatz dröhnen und man fragt sich unweigerlich, ob hier ein Ghost-Writer seine Hände im Spiel hat. Richtig bizarr wird das Ganze mit der Tatsache, dass diese Truppe bisher noch kein Studio von innen gesehen hat. Von wegen Debütalbum – von NAKKEKNAEKKER (übrigens das dänische Wort für Nackenbrecher) existiert nicht einmal ein veröffentlichter Song auf irgendeiner Plattform. Trotzdem darf NAKKEKNAEKKER auf sämtlichen Sommerfestivals auftrumpfen und zockt neben dem HELLFEST, dem SWEDEN ROCK und dem TUSKA OPEN AIR nun auch in Ballenstedt, um sich europaweit in die Herzen der Frühaufsteher zu spielen. Wenn es in der Kategorie "Heißer Scheiss" einem Namen gibt, den ihr euch merken solltet, dann ist es diese 2020 gegründete Combo. Umso mehr freuen wir uns, dass NAKKEKNAEKKER nun auch als Opener für die LEFT TO DIE-Tour gewonnen wurde, welche von uns präsentiert wird. Bis dahin kann ich jedem empfehlen, sich diese Truppe bei Youtube zu geben. Spätestens jetzt ist das Fußballergebnis vom Vortag nur noch eine Randnotiz und ich verbuche diese halbe Stunde intensiven Todesbleis als eins der Highlights des gesamten Festivals.

[Stefan Rosenthal]

Mal wieder ORDEN OGAN schauen, da freue ich mich drauf. Das erste Mal Notiz genommen von dieser Band habe ich vor 13 Jahren exakt an dieser Stelle, als die Sauerländer noch zur frühen Mittagsstunde auftreten durften. Die Welt hat sich seither weitergedreht, das neue Album "The Order Of Fear" ist erschienen und wird die Band wieder in die oberen Chartregionen katapultieren. Dabei steht der Auftritt beim RHZ an diesem Samstag eine Weile auf der Kippe. Gegen 15.30 gibt der Veranstalter eine Unwetterwarnung heraus und bricht das Event mit der Bitte ab, alle mögen sich zu ihren Zelten oder zu ihren Fahrzeugen begeben. Die Evakuierung des Geländes verläuft reibungslos und um 16.45 dürfen alle wieder auf das Infield, die Gefahr eines schweren Sturms ist (zum Glück) gebannt. Doch die Unterbrechung sorgt nicht nur dafür, dass drei Bands ihre jeweiligen Shows nicht spielen können, auch die Technik selbst muss nach hastigem Abbau neu justiert werden. ORDEN OGAN ist schließlich die erste Band, die nach der Pause die Bühne betritt und mit 'F.E.V.E.R.' amtlich einsteigt. Die Fans sind da, die Sonne auch, alles wird gut. Ein zu Scherzen aufgelegter Seeb Levermann zeigt saubere Entertainer-Qualitäten und sorgt mit Sprüchen und erfolgreichen Mitmach-Spielchen für gute Laune. Die Band hat mit 'Conquest', 'Moon Fire' und dem Titeltrack gleich drei neue Songs ins Set eingebaut, die alle ziemlich gut ankommen. Am Ende kommt dann mit 'The Things We Believe In' ein Bandklassiker, bevor die einst als Pussy-Metal bezeichnete Band sichtlich zufrieden die Bühne verlässt. Ich persönlich hätte mir noch die Hymne 'We Are Pirates' gewünscht. Aber wie schon gesagt, die Welt dreht sich weiter und ORDEN OGAN hat auch 2024 starke neue Songs mit Live-Potential zu bieten.

[Frank Wilkens]

Anmerkung der Redaktion: Ende Juni hat Maik ein Interview mit Seeb geführt.

Nach dem guten ORDEN OGAN-Auftritt steht nun feinster melodischer Death Metal auf dem Programm. SOILWORK gehört bereits seit "A Predator's Portrait" zu meinen absoluten Lieblingen und nahezu jedes Album rotiert sich im Player einen Wolf. Insbesondere das letzte Doppel mit "Verkligheten" und "Övergivenheten" gehört meiner Meinung nach zum Besten, was in unserem Genre so veröffentlicht wurde. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass SOILWORK eine der Bands ist, welche mich live selten begeistern kann. Viel zu selten schaffen es Björn & Co., den komplexen, ausgetüftelten Sound der Platte in ein Live-Setting zu transferieren, zu häufig scheint irgendwas mit der Technik nicht 100%-ig zu stimmen und nahezu jedes Mal ist der Sound eine Katastrophe. Nunja – so wohl auch wieder heute. Wieder klingt es zumindest etwas seitwärts von der Bühne ziemlich klumpig und die feinen Nuancen, die ich hören will, kommen zu wenig zur Geltung. Da kann Sylvain Coudret sich noch so sehr Mühe geben und sich den Allerwertesten abrocken. Irgendwie bekommt man das Gefühl, dass heute keine richtige Einheit auf der Bühne steht. Insbesondere Björn ist auch echt neben der Spur und verpasst Einsätze und macht grundsätzlich einen unmotivierten und möglicherweise auch leicht angetrunkenen Eindruck. Meine Vermutung ist, dass die Band nach der Räumung des Infields wegen des Gewitters nicht mehr damit gerechnet hat, heute nochmal arbeiten zu müssen. Das ist echt schade, da die Songauswahl erstklassig ist und man als Fan trotzdem irgendwie seinen Spaß hat. Aber wenn man ehrlich zu sich ist, ist das heute kein guter Auftritt und zeigt einfach deutlich, dass Songs wie 'The Nurturing Glance' oder 'Övergivenheten' eben kein 'Highway To Hell' sind, welche selbst die grausigste Performance einer Dorfkapelle nicht seiner Magie berauben kann. Bei solchen vielschichtigen Kunstwerken, wie diesen Songs, muss einfach alles passen und das tut es heute Nachmittag einfach nicht. Bitter, aber mit JUDAS PRIEST steht für mich noch ein Hochkaräter in den Startlöchern, und die Jungs haben ja live selten enttäuscht. Oder Franky?

[Stefan Rosenthal]

Was die Live-Performance der ewigen Metal-Gods in den letzten drei Jahrzehnten angeht, muss ich die Frage leider mit einem lapidaren aber ehrlichen "keine Ahnung" beantworten. Es ist nämlich das erste Mal, dass ich JUDAS PRIEST seit der legendären "Painkiller"-Tour Anfang der 90er Jahre auf der Bühne erlebe und ich bin daher entsprechend neugierig. Das aktuelle Album "Invincible Shield" ist der Hammer und auch die zahlreichen Berichte der Pressekollegen bezüglich der aktuell bisher absolvierten Shows sind überwiegend positiver Natur. Die Band legt furios mit 'Panic Attack' los, bevor 'You've Got Another Thing Comin'' den sauberen Start komplettiert. Die Trackliste ist gespickt mit Klassikern, die wohl jeder Heavy-Metal-Fan herunterbeten kann und Rob Halford scheint sich mit jedem Song wohler zu fühlen, denn zu Beginn des Konzertes wirkt er auf mich noch etwas schwerfällig. In der untergehenden Sonne von Ballenstedt zeigt der alte Haudegen aber im Laufe des Konzertes, was anno 2024 noch in ihm steckt. Allen Unkenrufen und Bedenken meinerseits zum Trotz legt JUDAS PRIEST hier einen absolut tollen Headlinerauftritt hin. Die Jungs aus Birmingham lassen auch gar keine Zweifel zu, man ist hier gewillt, den Tagessieg einzufahren. Beide Gitarristen spielen sich den Allerwertesten ab und Ian Hill ist und bleibt der solide Fels in der Brandung. 'Breaking The Law' und 'Turbo Lover' werden souverän dargeboten, bevor mir altem Knacker die Tränen der Freude aus den Augen kullern. Warum? Meine erste Berührung mit JUDAS PRIEST war seinerzeit tatsächlich das Livealbum "Unleashed In The East", speziell 'Victim of Changes' und das FLEETWOOD MAC-Cover 'The Green Manalishi (With the Two Prong Crown)'. Beide Titel sorgen an diesem Abend definitiv für wohlige Schauer. 'Painkiller' wird von Drummer Scott Travis persönlich angesagt und vor der Zugabe 'Hell Bent For Leather' passiert es tatsächlich: Rob Halford entert die Bühne mit dem Motorrad! Mit 'Living After Midnight' geht schließlich ein sehr guter Gig zu Ende, den ich der Band tatsächlich so nicht mehr zugetraut hätte.

[Frank Wilkens]

Da ist er, mein Sechser im Lotto. Nach dem Konzert in München habe ich auf dem "Rockharz"-Festival zum zweiten Mal in diesem Jahr die Möglichkeit, Idole meiner Jugend abzulichten. Am 18.12.1983 konnte ich Halford und Co. im Rahmen der "Rockpop in Concert"-Reihe vom ZDF (kein Witz!!, der Sender hat echt mal Konzerte der härteren Gangart aufgezeichnet und ausgestrahlt!) in der großen Dortmunder Westfalenhalle zum ersten Mal live erleben. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich JUDAS PRIEST in genau 14812 Tagen mit meiner Kamera vom Graben aus fotografieren darf, ich hätte demjenigen einen Vogel gezeigt. Ich? Solche Bands fotografieren? Niemals! Gut, es ist anders gekommen. Auf meine alten Tage scheint mir die Sonne aus dem Allerwertesten und ich geniesse eine hervorragende Show. Natürlich sind die Darsteller älter geworden. Der Kelch geht auch an mir nicht vorrüber. Wenn ich jedoch mit 72 Jahren noch so fit wie Rob bin, werde ich mich nicht beklagen. Wie Frank habe ich auch die geile Sache mit dem Motorrad gesehen. Leider gibt es davon keine offiziellen Fotos. Nach den üblichen "three songs, no flash" heißt es für uns Fotografen, Equipment einpacken. Natürlich halten wir uns an diese Vorgaben.

[Andre Schnittker]


Fazit

Während Peter Tägtren mit HYPOCRISY in die Nacht hineinbellt, geht für Herrn K. aus M. und mich unser zweites "Rockharz"-Festival zu Ende. Schon nach unserem ersten Besuch im vergangenen Sommer waren wir entflammt und dieser Zustand hat sich auch in diesem Jahr wieder eingestellt. Das Festival am Fuße der Teufelsmauer bei Ballenstadt ist in jeglicher Hinsicht gelungen. Die Bandauswahl hat auch dieses Mal wieder überwiegend unseren Geschmack getroffen und da es nur zwei Hauptbühnen gibt, auf denen sich im Wechsel alles abspielt, konnten wir jede Band, die uns interessiert hat, ohne lange Wege und ohne Überschneidungen sehen. Sehr angenehm ist es, dass zwischen den einzelnen Shows jeweils nur wenige Minuten Pause liegen. Ermüdende Wartezeiten gibt's nicht.

Das "Rockharz" konzentriert sich mit seinem Konzept auf das Wesentliche: Musik! Das gefällt uns gut. Wir brauchen keine Nebenschauplätze mit allerlei Spielchen, wie sie auf anderen namhaften Festivals angeboten werden. Und offensichtlich sehen das auch viele andere Fans so, die es in den letzten Jahren in steigender Zahl hierhergezogen hat. Unter den altgedienten Besuchern gibt es die einen oder anderen, die die wachsende Zuschauerzahl  - inzwischen werden über 24000 Tickets verkauft - mit Unbill betrachten. Ihnen wird es zu voll.  Aber so ist das halt: Qualität und die Sehnsucht nach dem ursprünglichen Metalvergnügen mit Gleichgesinnten setzen sich eben durch. Trotzdem wäre es klug, wenn die Macher des "Rockharz"-Festivals nicht der Verführung erliegen würden, das Festival weiter wachsen zu lassen. Denn die kurzen Wege und das Gefühl, auf dem Gelände ausreichend Luft zum Atmen zu haben, sind wesentliche Merkmale, die diese Metalparty zu einem solch tollen Erlebnis werden lassen.

[Erika Becker]

Photo Credit: Andre Schnittker

Redakteur:
Andre Schnittker

Login

Neu registrieren