Gruppentherapie: JUDAS PRIEST - "Invincible Shield"
25.03.2024 | 22:00Hören wir hier wohl schon das Album des Jahres?
Soundchecksieger mit einem Schnitt hart an der Neuner-Marke! Das bedeutet, diese Scheibe finden alle mindestens sehr gut, für die meisten bedeutet sie aber noch viel mehr! So finden sich auch sehr schnell zehn Redakteure, die hier meist euphorisch von ihren Höreindrücken berichten. Marcel findet "Invincible Shield" natürlich auch bockstark. Gibt es denn überhaupt etwas zu kritisieren an der neuen JUDAS PRIEST? Findet hier jemand ein Haar oder gar eine Fliege in der Suppe?
Hui, was für ein überraschendes Brett ist "Invincible Shield" denn geworden? Klar, das letzte Werk, "Firepower", ist mit Sicherheit die beste JUDAS PRIEST-Scheibe seit "Angel Of Retribution", vielleicht sogar seit "Painkiller" gewesen. Und doch hatte die Band mit "Redeemer Of Souls", "Nostradamus", "Ram It Down" oder den beiden Ripper-Scheiben immer auch mal schwächeres Material präsentiert, zumindest nach der "Turbo"-Veröffentlichung. Dementsprechend war ich auf vieles eingestellt.
Aber wenn der Metal God persönlich in 'Panic Attack' zu den Screams ansetzt, dann läuft es mir kalt den Rücken runter. Der Bub ist Anfang 70! Wahnsinn. Auch die Gitarrenarbeit von Tipton und Faulkner ist wieder wunderbar ausgefallen. Das Album ist wesentlich vielseitiger als der rabiate (und weiterhin großartige) Vorgänger, bietet zum Beispiel auch die melancholische Hymne 'Crown Of Horns'. Natürlich solltet ihr die Variante mit drei Bonus-Songs kaufen und genießen.
Ist "Invincible Shield" besser als "Firepower"? Ich weiß es noch nicht. Das gute letzte Album von KK'S PRIEST wird jedenfalls locker geschlagen. Ich bin begeistert, aber meine: Ich habe hier noch gar nicht alles entdeckt.
Note: 9,0/10
[Jonathan Walzer]
Jeder Mensch, der irgendwann mit dem Heavy Metal infiziert wird, kommt an JUDAS PRIEST nicht vorbei. Das ist Fakt. Bei mir hat es mit dem Livealbum "Unleashed In The East" begonnen und endete Anfang der Neunziger mit der sensationellen "Painkiller"-Scheibe. Danach folgte die große Flaute und niemals hätte ich der Band ein weiteres Meisterstück dieser Art zugetraut.
Doch so darf man sich irren. Nach den bestenfalls zwar ordentlichen, letztlich aber doch belanglosen Platten der letzten zweieinhalb Dekaden schafft es "Invincible Shield" mich alten Metal-Hasen wieder in den Bann zu ziehen. Keine Ahnung, wo ich anfangen oder aufhören soll, das Album ist nämlich mit einer massiven Anzahl an ganz starken Nummern gesegnet, die sich durchaus mit einigen Bandklassikern messen können. Bereits der im Vorab veröffentlichte Track 'Panic Attack' zeigte, wo der priesterliche Hammer im Jahr 2024 hängt. JUDAS PRIEST liefert endlich das Album ab, was nach "Painkiller" hätte kommen dürfen. Comeback des Jahres? Definitiv!
Note: 9,5/10
[Frank Wilkens]
JUDAS PRIEST. Seit meiner Jugend begleitet mich der Name bei meiner Reise durch die Welt des Heavy Metal. Die ersten Alben, die ich im zarten Alter von 14 oder 15 gehört habe, nämlich "Ram It Down" und "Turbo" sowie "Priest…Live!" und das ein paar Jahre später folgende "Painkiller", sind die Werke, die meinen Sound von JUDAS PRIEST definiert haben, aber die Band hat für mich nie auch nur annähernd den Stellenwert von IRON MAIDEN erreicht. Irgendwie fehlte immer etwas.
Auch der Aus- und Wiedereinstieg von Rob Halford hat mich relativ kalt gelassen, das Comeback "Angel Of Retributon" war gut, aber ich war meilenweit von der Euphorie entfernt, die "Brave New World", das erste Album der Eisernen Jungfrauen mit Bruce Dickinson, in mir ausgelöst hat. Klar, einzelne Songs haben über all die Jahre ihre Klasse nie verloren, aber ein "Best of" von JUDAS PRIEST hat mir gereicht. Bis vor sechs Jahren "Firepower" erschienen ist. Damit hat mich die Band gepackt.
Von daher ist "Invincible Shield" das erste JUDAS PRIEST-Album, auf das ich echte Vorfreude hatte. Seit der Ankündigung des neuen Albums bin ich noch tiefer in den Kosmos der Priester getaucht und habe mich rückwärts durch die Discographie gearbeitet. Es ist schön, mit 50 Jahren Klassiker wie "Screaming For Vengeance" oder "Defenders Of The Faith" ganz neu entdecken zu können.
Zerschellt der unbesiegbare Schild daher eventuell am Felsen meiner Erwartungen? Seit den vorab ausgekoppelten Songs 'Trail By Fire' und 'Crown Of Horns' (bislang der Ohrwurm des Jahres) sind diese nämlich immens hoch. Und meine Erwartungen werden absolut nicht enttäuscht. JUDAS PRIEST gelingt es, ähnlich wie den Landsleuten (und ebenfalls von mir relativ spät liebgewonnenen) SAXON, ein Album zu kreieren, das Elemente aus allen Schaffensphasen verbindet und keinen Fan enttäuschen wird. Im Gegensatz zu IRON MAIDEN bleiben die Priester aber auf den im Laufe ihrer langen Karriere definierten Pfaden und wagen nichts sonderlich Neues, was aber absolut nicht verwerflich ist. Die Band konsolidiert ihre Stärken in elf bockstarken, zeitlosen Songs.
Die drei Bonus-Tracks der Deluxe-Ausgabe sind keineswegs Ausschussware, sondern stehen den regulären Tracks in nichts nach. Wenn das in Anbetracht des Alters der Bandmitglieder das letzte PRIEST-Album sein sollte, so übertrifft es den schon sehr guten Vorgänger "Firepower" noch mal ein ganzes Stück; wenn nicht, legt es die Messlatte für einen eventuellen Nachfolger ziemlich hoch.
Note: 9,5/10
[Maik Englich]
Na, da sind die werten Kollegen aber mächtig angetan von "Invincible Shield"! Man muss kein Prophet sein, um die Vermutung anzustellen, dass das Album im nächsten Redaktionspoll am Ende des Jahres wohl auf dem Treppchen landen wird. Ich glaube, wir sind alle zumindest ein bisschen erleichtert, dass JUDAS PRIEST ein Produkt abgeliefert hat, welches dem Status der Band gerecht wird.
Der flotte Einstiegsdreier mit 'Panic Attack', 'The Serpent And The King' und dem Titelsong ist natürlich ein Brett, das alle Zweifel ausräumt, ob die Priester es noch können. Großen Anteil an der Wirkung hat meiner Meinung nach die Produktion der Rhythmusgitarren, die kraftvoll und lebendig klingen und für den nötigen Punch sorgen. Meine persönlichen Favoriten unter den Songs sind aber das im Netz ja vielfach ob seines melodiösen Ansatzes geschmähte 'Crown Of Horns' und 'Trial By Fire'. Hier stimmt einfach alles. Ich habe eben gerne einen markanten und hymnischen Refrain, und der ist in beiden Stücken mustergültig ausgearbeitet.
Dann sind da aber eben auch Stücke wie 'Devil In Disguise', 'As God Is My Witness' und 'Escape From Reality', die mich nicht vollständig überzeugen. Dieses Problem hatte ich schon auf "Firepower" mit 'Necromancer' und 'Flame Thrower'. So freue ich mich über "Invincible Shield" und ziehe meinen imaginären Hut vor einer lebenden Legende, in Dauerschleife wird die Platte aber nicht laufen.
Note: 8,0/10
[Jens Wilkens]
Was soll ich noch großartig sagen, was die Kollegen nicht schon alle gesagt haben? Jeder Metaller kennt JUDAS PRIEST und nahezu jeder hat das ein oder andere Album, das er mehr oder weniger mag. Und jeder hat seine persönliche Geschichte zu der Band. Meine hat tatsächlich mit "Jugulator", dem ersten Album ohne Halford, begonnen und dementsprechend hat die Platte bei mir auch einen besonderen Status. Aber natürlich sind auch für mich "Painkiller" und "British Steel" mit die Highlights der ewig langen Bandgeschichte.
Mit den Alben seit der Rückkehr Halfords konnte ich insgesamt wenig anfangen, bis mich vor einigen Jahren "Firepower" wieder in den Bann zog. Habe ich damals den Briten eine solche Scheibe schon nicht mehr zugetraut, habe ich ihnen "Invincible Shield" erst recht nicht mehr zugetraut, denn die Platte toppt für mich seinen Vorgänger nochmal deutlich. Man sollte die älteren Mitmenschen halt nie abschreiben. Es mag sein, dass Rob live nicht mehr ganz die Stimme von früher hat, aber das ist in dem Alter wohl komplett normal. Aber was er beispielsweise in 'The Serpent And The King' abliefert, erinnert an beste "Painkiller"-Zeiten. Aber auch die Gitarrenarbeit weiß vollkommen zu überzeugen und 'Gates Of Hell' gefällt diesbezüglich noch besonders durch das enthaltene Solo. Im Laufe der Scheibe kommen in mir immer wieder unterschiedliche Verbindungen zu früheren PRIEST-Scheiben auf, so muss ich in einigen Passagen an "Painkiller" denken, mal an "British Steel", aber auch an "Screaming For Vengeance" oder "Sad Wings Of Destiny". "Invincible Shield" ist so eine Art "Best of JUDAS PRIEST", nur mit neuen Songs. Es verbindet viele sehr erfolgreiche Facetten der Bandgeschichte und spiegelt sie in Form neuer Stücke wider. So muss eine JUDAS PRIEST-Platte klingen!
Note: 9,0/10
[Mario Dahl]
Um das Resultat der nach diesem Abschnitt folgenden Bewertung richtig zu gewichten, schicke ich gleich einmal voraus, dass ich während meiner musikalischen Sozialisation, genau wie mein Kollege Maik, immer dem "Team MAIDEN" zuzuordnen war. In diesem, was die Veröffentlichungen betrifft, bockstarken Frühjahr (öffentliche, nicht ganz ernstgemeinte Frage an die Redaktion: Eigentlich könnten wir doch unser Magazin demnächst einmal in "Bockstark" umbenennen, oder?) mit den qualitativ unglaublichen Releases dreier alter britischer Metal-Schlachtrosse, kann auch ich mit meiner Begeisterung für das neue Album von JUDAS PRIEST nicht mehr länger an mich halten. So werde ich beim Konzert der "Metal Masters"-Tour am 25. März in einer der ersten Reihen vor der Bühne in der ausverkauften Münchener Olympiahalle stehen und nach dem gehörigen Abfeiern von URIAH HEEP und SAXON mit den anderen 15.999, zu großen Teilen angegrauten Metalfans, speichelversprühend skandieren: "Priest! Priest! Priest!"
Den Anfang wird natürlich der großartige neue Track 'Panic Attack' machen, der auch das Album eröffnet und als Vorab-Single die priesterliche Fanschar rund um den Globus ungeduldig mit glänzenden Äuglein auf den 8. März 2024 warten ließ. An diesem Tag standen viele Supporter der Band schließlich mit sperrangelweit geöffnetem Mund, in Schockstarre verharrend, vor der heimischen Musikanlage: 'The Serpent And The King', 'Invincible Shield', ...
Schwindelerregend hohes Niveau, ein Kracher jagt den nächsten! So mancher wird gedacht haben: "Oh mein Gott, sie haben es 34 Jahre nach "Painkiller" endlich wieder getan!" Aber JUDAS PRIEST hat nach dem ebenfalls tollen "Firepower"-Album erneut nicht den Fehler begangen, trotz entflammter Motivation nur Kopien der Songs ihres Meisterwerks zu erschaffen. So finden sich in Tempo und Ideenvielfalt sehr abwechslungsreich gestaltete Lieder auf "Invincible Shield". 'Devil In Disguise' klingt mit der verfremdeten Stimme im Refrain sogar recht modern, wobei insgesamt attestiert werden kann, dass der süchtig machende Spagat aus Gitarrenhärte, Melodien und Rob Halfords nach wie vor unvergleichlich wandelbarer Stimmgewalt in früheren Jahrzehnten wie auch heute der Grund war und ist, weshalb Millionen von Metalfans auf JUDAS PRIEST schwören!
Daher könnte ich jetzt weiter mit feuchten Äuglein über jeden einzelnen Song schwadronieren, was anhand der tollen Beiträge der Kollegen nicht notwendig ist. Auf die Bonus-Tracks der CD-Variante möchte ich jedoch noch dringend verweisen: Die schelmische Benennung als "Bonus-Drecks" ist hier gänzlich fehl am Platze, weil das metallisch rock 'n' rollende 'Fight Of Your Life', das pathetisch-aufpeitschende 'Vicious Circle' sowie das recht ausgefallene, auf seine Art königlich diamantene, leicht gruselig-balladesk tönende 'The Lodger' wunderbar zu den anderen Liedern passen, und speziell der letztgenannte Track für mich ein wenig die Kirsche auf der Torte ist.
Note: 9,5/10
[Timo Reiser]
Ein 50. Bandjubiläum zu feiern, ist ja allein schon Grund genug um alle imaginären Hüte zu ziehen. Wenn man dann aber mit so einem Knaller wie "Invincible Shield" um die Ecke kommt, ist die Freude noch größer. Warum? Nun, die Antwort ist simpel, denn das Material ist einfach frisch, mitreißend und überraschend abwechslungsreich innerhalb der eigenen Nische. Wobei der Begriff "Nische" an dieser Stelle vielleicht etwas unpassend scheint, denn innerhalb eben jener haben sich die Priester von jeher ziemlich weit ausgedehnt. Was mich allerdings sehr freut, ist der Umstand, dass man es sich auf die alten Tage nicht leicht macht und das Schema des sehr guten Vorgängers "Firepower" einfach wiederholt. Bei all den Jubelarien über diese Scheibe hätte wohl kaum jemand über einen zweiten Teil genörgelt. Okay, die, die immer nörgeln, sicherlich schon, aber diese Musikfreunde können sich wohl auch nicht allein an der Tatsache erfreuen, dass es diese Band in dieser Stärke überhaupt noch gibt.
Schauen wir ein bisschen genauer auf die einzelnen Songs, so haben wir mit dem rabiaten Opener 'Panic Attack' gleich die erste Überraschung am Start, denkt man doch bei dessen Einleitung noch an "Turbo", nur um kurz danach von einem Riffgewitter ins Hier und Jetzt versetzt zu werden. Auf der anderen Seite haben wir mit dem wunderschön-melodischen 'Crown Of Horns' eine Nummer im Repertoire, die mich von Beginn an mit ihrer großartigen Melodie an der Angel hatte. Zu melodisch? Klar, ihr Gestrüpp-Metal-Hörer!
Weitere Highlights wären das majestätische Titelstück mit seinem hymnenhaften Chorus, das stampfig-verschachtelte 'Escape From Reality' und das hackende 'As God Is My Witness'. Ihr seht, die Band deckt ihre komplette Bandbreite auf einem Album ab und weckt Erinnerungen an "Defenders Of The Faith", "Killing Machine" und "British Steel". Zum Glück bleibt die Schmerzkugel vor der Tür, obwohl Andy Sneap an den Knöpfchen saß. Logischerweise ist dabei keine organische Klangwelt entstanden, aber die atmungsfreie Notenbetankung, die man sonst von ihm über den Schädel gezogen bekommt, ist es auch nicht. Die Gitarren von Faulkner und Tipton sind sehr weit im Vordergrund, aber dieses Mal gibt es auch kleine Hügel im Tieftonbereich. Dass Travis sein Instrument beherrscht, wissen alle und dass Rob noch so gut bei Stimme ist, mag auf studiotechnische Unterstützung zurückzuführen sein. Das ist mir aber gelinde gesagt schnurzpiepegal, solange ich diese Stimme einfach nur in dieser Qualität hören darf. Dass ich bei 'Devil In Disguise' und der Passage mit "frantic … romantic" leider jedes Mal an das unsägliche METALLICA-Stück denken muss, ist mein Problem, ich weiß. Es nun hierhin geschrieben zu haben, erleichtert aber immens. Ich drehe noch eine Runde mit "Invincible Shield". Tolles Teil!
Note: 9,0/10
[Holger Andrae]
Ja, meine Kollegen haben schon recht, wenn sie betonen, dass kaum ein Heavy-Metal-Dinosaurier so frisch und spielfreudig klingt wie JUDAS PRIEST auf "Invincible Shield", vermutlich in der Tat das beste Album der Band seit "Painkiller". Es klingt wie eine Best-Of-Platte in neue Songs verpackt, alle PRIEST-Trademarks werden in voller Pracht zelebriert, und das ist natürlich auch gut so. Vor allem der treibende Titelsong und das schleppende Monster 'Devil In Disguise' sind schon ganz großes Tennis, ich gebe es ja zu.
Und trotzdem finde ich die ganze Veranstaltung hier nur so mittelspannend, weil ich eben schon genau weiß, was ich bekommen werde. Das ist klassischer Heavy Metal in reinster Form, der Sound geht direkt in die Nackenmuskulatur, und da ist auch keine Note zu viel dran und drin. So etwas kommt natürlich in die Sammlung. Aber die überschwängliche Begeisterung vieler meiner Mitstreiter vermag ich nicht so recht zu teilen. Die spare ich mir für die nächste große sensationelle Entdeckung aus dem aktuellen Metal-Underground auf. Da ist gerade mal wieder wahnsinnig viel los und es gibt jede Menge aufregender neuer Bands zu entdecken. Ich würde mich sehr freuen, wenn die treu ergebenen JUDAS MAIDEN- und IRON PRIEST-Gemeinden sich auch für diese Perlen etwas Zeit nehmen. Und die Undergroundler schauen sich bitte auf "Invincible Shield" noch mal genau an, wie man perfekte Hooklines schreibt!
Note: 8,0/10
[Martin van der Laan]
Der Tenor im Hause scheint rundum positiv, kaum einer ist gewillt, Haare oder gar Fliegen in der Suppe zu finden, die JUDAS PRIEST uns zum Fünfzigsten kredenzt hat. Die Noten bewegen sich bislang stabil im Spektrum zwischen acht und neuneinhalb Punkten, der Soundchecksieg war da sehr konsequent und - sind wir ehrlich - ein nicht allzu unvorhersehbares Ereignis.
Dass ich in diesen Chor mit einstimmen möchte, kommt ebensowenig überraschend, war diese Band doch von den großen, alten, britischen Genreflaggschiffen stets meine unangefochtene Nummer Eins. Einen Anlass, diese Rangfolge zu überdenken, haben die Herren Halford, Tipton, Hill & Travis mir niemals geliefert, und daran hat sich auch mit Herrn Faulkner an ihrer Seite nichts geändert. Aus meiner Sicht ist keine einzige dauerhaft aktive Metalband dieses Kalibers heute qualitativ noch so nahe an den eigenen Klassikern wie JUDAS PRIEST, und warum das so ist, illustrieren die Black-County-Veteranen mit "Invincible Shield" in allen Facetten, die so bunt sind, wie es das knallige, aber trotzdem rundum gelungene Artwork aus dem Pinsel von - natürlich - Mark Wilkinson verheißt.
Holg und Martin haben es bereits angedeutet, und ich will es nochmals unterstreichen: Dieses Album präsentiert uns in jeder Faser die höchste Schule des Gestaltens von magischen, eindringlichen, unvergesslichen Hooklines, und zwar an wirklich allen Fronten. Halfords Stimme thront natürlich über allem, das war vorhersehbar, und dennoch schwingt die Band auch im Instrumentalbereich den Zauberstaub: Was Ian Hill etwa beim eindringlichen, schleppenden Groover 'Crown Of Horns' an Feinfühligkeit und Tiefgang in seine Basslicks legt, ist schlicht fabelhaft! Die Leadgitarren und Soli sind von Song zu Song ein Fest, und sie finden ihre Magie gleichwohl zuvorderst in der Präsenz, der Prägnanz und der Fähigkeit, im genau richtigen Moment loszulassen, um als Fanal dazustehen zu können, statt sich in unzähligen Variationen und endlosen Schleifchen in sich selbst zu verlieren. Hier zündet die Band ein Feuerwerk, lässt die Rakete steigen und den Hörer staunend zurück, anstatt ihn in einem Märchenschloss den Ranken von Efeu und Dornbusch anheim fallen zu lassen.
Dass die Band dabei in der Tat immer wieder die eigene Historie zitiert und keine allzu neuen Wege geht, damit hast du absolut recht, lieber Maik. Doch du vergisst zu betonen, dass die Diskographie der Truppe aus Birmingham in sich selbst bereits so vielseitig und bunt ist, dass "Invincible Shield" schon allein mit den Referenzen an die eigene Vergangenheit, mittels Reflexion der Band auf sich selbst, ein bunteres Kaleidoskop an Einflüssen und Variationen auffahren kann, als es die meisten Bands in ihrer ganzen Vita vollbringen. Während mich die Scheibe dabei von der Grundstimmung her durchaus an "Angel Of Retribution" erinnert, finde ich im Gegensatz zu Holger doch auch - zu meiner freudigen Erbauung - die eine oder andere "Painkiller"-Referenz, etwa im Opener, aber auch viel "Ram It Down", ein bisschen "Turbo", einen Hauch von "Stained Class" und vieles mehr: Insbesondere eben auch den kurz, aber tief gezogenen Hut vor "Screaming For Vengeance" und "Defenders Of The Faith". Dies unterstreicht die Band zuletzt auch dadurch, dass sie verdammte vierzig Jahre nach '(Take These) Chains' und 'Some Heads Are Gonna Roll' zum dritten Mal in ihrer Geschichte eine Komposition von Bob Halligan Jr. aufbietet, und was für eine: 'The Lodger', der Abschlusstrack der wunderschönen Limited Edition des Albums ist nämlich ein sehr ungewöhnliches, aber mitreißendes Stück mit besonders packendem Refrain.
Ja, alles in allem lässt die neue JUDAS PRIEST einfach keine Wünsche offen. Noch nicht ein mal bei Andy Sneaps Produktion, die wie Holg richtig sagt, zwar keineswegs roh oder organisch klingt, aber dennoch auch nicht am Loudness War zu leiden scheint und daher alle Instrumente transparent herausarbeitet und glänzen lässt. So hat "Invincible Shield" aus meiner Sicht absolut das Zeug zum späten Klassiker einer wunderbaren Band.
Note: 9,5/10
[Rüdiger Stehle]
Mehr als 50 Jahre in a Nutshell. So einfach kann man "Invincible Shield" zusammenfassen. JUDAS PRIEST ist es nicht nur gelungen, dem fantastischen Vorgänger einen kongenialen Nachfolger zur Seite zu stellen, sondern ihm auch einen ganz anderen Schwerpunkt zu verpassen. Ob nun erneute Reminiszenzen an "Painkiller" oder aber die rockigere Frühphase – jetzt kriegen alle Fans die absolute Vollbedienung geliefert. Beinahe jeder Song ist allererste Sahne und birst förmlich von starken Hooks, einprägsamen Refrains und (natürlich) Referenzgitarren.
Und wie es sich für einen solchen Langdreher gehört, wird auch fast jeder Hörer seine eigenen Favoriten und Highlights ausmachen. Ich kriege aktuell beispielweise 'Gates Of Hell' überhaupt nicht mehr aus dem Schädel. Ebenso fantastisch sind diese gesanglichen OZZY-Vibes bei 'Escape From Reality' und sollte 'Giants In The Sky' tatsächlich der letzte offizielle Song der Jungs aus Birmingham sein (lyrische Interpretationen möglich), dann ist das ein Bye-Bye, welches dem Legendenstatus der Briten gerecht wird.
Nichtsdestotrotz gebe ich meinen Kollegen Recht und empfehle jedem, nicht auf die drei Bonustracks zu verzichten. Wenn wir in unserer Musikbubble, analog zu Cineasten, auch dazu neigen, Obskuritäten höher wertzuschätzen und abzufeiern, hat im Endeffekt niemand etwas dagegen, wenn mal wieder ein qualitativ hochwertiger Blockbuster um die Ecke kommt. Und das ist "Invincible Shield" ohne Frage. Vielleicht das essenziellste Metal-Album des Jahres, was meint ihr?
Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]
Foto Credits: Andy 'Elvis' McGovern
- Redakteur:
- Thomas Becker