Gruppentherapie: LACUNA COIL - "Sleepless Empire"

24.02.2025 | 22:54

Von Liebe, Freude, Ernüchterung und Verzweiflung!

LACUNA COIL, jawohl, da werden Erinnerungen wach. Cristina Scabbia eroberte Anfang der 2000er die Herzen etlicher Metaller und machte Anneke van Giersbergen massive Konkurrenz. Und anders als bei THE GATHERING stand der Schönen auch ein Biest gegenüber. Growl 'n' Träller-Metal war wieder ein Ding! Jetzt melden sich die Italiener wieder zurück. Unser Björn ist begeistert (zum Review von "Sleepless Empire") und Kollege Schantzen nutzt bei seinem Interview gar die Gelegenheit, alte Bilder mit Cristina auszutauschen. Alles gut also? Nein, denn unsere Soundchecker spielen das Spiel nicht mit, sind eher reserviert und gönnen der Schönen nur Platz 18 im taufrischen Februar-Soundcheck. Aber vielleicht liegt das ja am Biest!?

Irgendwie freue ich mich noch immer, wenn es ein neues LACUNA COIL-Album gibt. Kurz nach der Jahrtausendwende während meiner Zeit in den Niederlanden habe ich die Band live erleben dürfen und war von der magischen Energie begeistert, auch wenn ich nie ein besonders großer Gothic-Metal-Fan war. Und natürlich waren wir Jungs auch alle ein bisschen in die bezaubernde Cristina Scabbia verliebt.

Allerdings muss ich gestehen, dass alle Kontakte mit der Band nach den hoch geschätzten ersten drei Alben in mehr oder weniger große Enttäuschungen mündeten. Aus irgendeinem mir nicht einleuchtenden Grunde versucht LACUNA COIL seit vielen Jahren nun schon vergeblich den sogenannten New Metal in Form von abgehakten Beats, Stakkato-Riffs und Brüll-Gesang von Andrea Ferro mit dem erhabenen Glanz und der epischen Romantik des Gothic Metal zu verbinden. Auch auf dem aktuellen Album "Sleepless Empire" harmonisieren diese beiden einander schlichtweg wesensfremden Elemente einfach nicht miteinander und sorgen für eine Mischung aus immer wieder aufkeimender Freude, Ernüchterung und Verzweiflung meinerseits.

Wie sehr würde ich mir eine schlichte, traditionelle Platte von dieser Band wünschen, die wieder so wunderbar dahinfließende, traurig-schöne Kompositionen verwendet um Cristina auf den Thron zu heben, auf den sie gehört. Das wird aber wohl ein Wunschtraum bleiben.

Note: 6,0/10
[Martin van der Laan]

 

Ich liebe LACUNA COIL und musste wie wir alle seit 2019 auf ein neues Album warten - "Comalies XX" klammere ich hier mal bewusst aus. Umso mehr habe ich mich auf das neue Album gefreut und wurde nicht enttäuscht. Mir gefällt, dass ein größeres stilistisches Spektrum als früher abgedeckt wird, ohne dass man komplettes Neuland betritt. Dazu kommt, dass man sich zwei Gäste an Bord geholt hat, die zwar nichts bahnbrechend Neues einbringen, aber doch für einen kleinen Bonus sorgen. Zusätzlich hat man mit der aktuellen Single 'I Wish You Were Dead' und 'Sleep Paralysis' zwei Songs auf der Platte, die stilistisch oben und unten in Richtung Pop-Elemente und moody Stimmung den Deckel drauf machen.

Martins Analyse bestätigt mich darin, dass ich absolut nichts auf Genrebezeichnungen gebe. Ob man LACUNA COIL nun dem Gothic Metal, Nu Metal, Alternative Metal mit Gothic-Einflüssen oder sonst was zuordnen will, interessiert doch im Endeffekt nur die Person, die bei Wikipedia den Eintrag schreibt, oder? Im Übrigen haben die Elemente, die du kritisierst, Martin, schon immer den Sound von LACUNA COIL ausgemacht. Dass dieser sich über die Jahre entwickelt hat und sich modernen Klängen nicht verschließt, sehe ich als etwas absolut Positives an.

"Sleepless Empire" hat schon viele Durchläufe in den letzten Wochen bei mir gemacht und wird auch so bald nicht aus meinen Playlisten verschwinden. Von meiner Seite gibt es eine absolute Hörempfehlung für alle, die LACUNA COIL mögen.

Note: 9,0/10
[Chris Schantzen]

 

Oh, da haben wir mit Martin und meinem Namensvetter wahrscheinlich schon die beiden Enden der Skala gelesen. Und was soll ich sagen: irgendwie haben sie beide recht. Die Italiener liefen bei mir bisher immer so nebenbei mit. Einzelne Songs fand ich super, ganze Alben habe ich bisher noch nie wirklich geschafft. Ein kleines Umdenken gab es mit "Delirium", das ich größtenteils sehr stark fand.

Hätte ich wetten sollen, so hätte ich all mein Geld auf eine Machtverschiebung im Gesangsbereich in Richtung Cristina gesetzt. Bei der immer kommerzielleren Ausrichtung wäre das ein logischer Schritt gewesen. Aber Pustekuchen. Und wisst ihr was? Gut so! Keifer und Growler Andrea macht seine Sache auf "Sleepless Empire" hervorragend und setzt für mich – Achtung: Frevel – mehr Akzente als Frau Scabbia. Ich hätte die Dame gerne auch mal in tieferen, emotionaleren Tonlagen gehört, doch ist sie aber ausschließlich für die hohen Tonlagen zuständig, in denen sie teilweise wie Sharon den Adel klingt.

Musikalisch dagegen hat die Band für mich das ARCH ENEMY-Problem. Die Kanten werden beschnitten, die Produktion immer mehr abgerundet. Das ist selbstverständlich weiterhin dick und fett, schiebt und drückt, springt dir aber nicht mehr mit beiden Füßen direkt ins Gesicht. Gefällig und durchaus konsumfreundlich. Auch hätte ich erwartet, dass die Elektronik noch mehr Einzug in die Musik erhält – an den ursprünglichen Gothic-Sound erinnern maximal noch die Klamotten. Das ist purer Modern Metal heutzutage.

Mir gefällt LACUNA COIL vor allem dann, wenn man aus dem ansonsten sehr engen Korsett einmal ausbricht ('Gravity', 'Never Dawn'). Obwohl, der Ausflug in den Modern-Rock-Bereich ging aus meiner Sicht auch daneben ('I Wish You Were Dead'). Einzeln betrachtet, muss ich fairerweise gestehen, dass viele Songs überzeugen können, aber im Gesamtkontext ermüdet das ewige Mid-Tempo und das zwanghafte Hinarbeiten auf einen getragenen Refrain aber ein wenig.

Somit kann ich festhalten, dass "Sleepless Empire" keine Liebe auf den ersten Blick ist, es sich stattdessen eher um ein Album handelt, in das ich mich wahrscheinlich noch mehr hineinfuchsen muss und von dem am Ende vielleicht trotzdem wieder nur einzelne Songs übrig bleiben.

Note: 7,0/10
[Chris Staubach]

 

Jetzt haben wir schon die drei möglichen Enden des Meinungsspektrums zu "Sleepless Empire" gelesen, sodass eigentlich für mich nur die Frage bleibt, wo ich mich relativ zu den Noten der Kollegen einsortiere.

Nun, definitiv wird es deutlich höher hinausgehen als bei Kollege Martin, denn der angeführte Kritikpunkt der verstärkten Konzentration auf die Nu-Metal- und Modern-Metal-Aspekte des Bandsounds erschließt sich mir nicht. Immerhin waren - wie Chris Schantzen schon richtig bemerkt hat - diese Zutaten schon immer ein durchaus relevanter Bestandteil des LACUNA COIL-Sounds, nur bekommen die härteren und moderneren Aspekte seit einigen Alben eben mehr Platz eingeräumt. Auch Chris Staubachs Notenbalken überspringe ich noch recht deutlich, denn auch wenn Chris mit seiner Kritik am sehr schwachen 'I Wish You Were Dead' recht hat und auch ich mir wie bei so vielen Kollegen wünschen würde, dass die Produktionen im Metal mal wieder mehr Ecken, Kanten und Charakter zulassen würden, ist "Sleepless Empire" im Ganzen allerdings keinesfalls ermüdend, sondern liefert einfach großflächig starke Kost und packende Kompositionen, die allen Fans der Band definitiv gefallen werden.

Die Entscheidung, dabei nicht die Poppigkeit des Bandsounds mit einer Betonung von Cristinas Vocals zu forcieren, kann auch ich dabei nur lobend hervorheben, denn so vermeiden es die Italiener in der Belanglosigkeit der heutigen Modern-Metal-Szene zu verschwinden. An Chris Schantzens Punktemarke scheitere ich dann allerdings doch, denn meinen Player wird "Sleepless Empire" trotz vieler starker Songs nicht dauerhaft blockieren, auch weil die Platte eben nicht ganz auf dem Niveau der Klassiker des eigenen Bandkatalogs rangiert. Für die eine oder andere Runde mit einem breiten Grinsen im Gesicht wird es aber dennoch definitiv reichen, weshalb ich 8,5 Zähler für eine angemessene Wertung halte.

Note: 8,5/10
[Tobias Dahs]

LACUNA COIL fand bei mir früher gar nicht statt. Tatsächlich konnte ich der Band bis 2012 gar nichts abgewinnen. Doch dann erschienen mit "Dark Adrenaline", "Broken Crown Halo" und "Delirium" drei wirklich richtig starke Alben. Hier gefiel mir insbesondere die immer stärkere Anbandelung mit dem modernen Metal, dementsprechend bin ich hier mit dem guten Martin nicht einer Meinung.

Das dann folgende und bislang letzte Album "Black Anima" konnte mich dann aber nur teilweise mitreißen. Und gleiches gilt jetzt auch für "Sleepless Empire". Die Kompositionen sind natürlich gut, aber wie die Kollegen schon sagen, es fehlen die Ecken und Kanten und damit die Widerhaken für die Gehirnwindungen. Es will nicht wirklich hängen bleiben. Gleichzeitig wird mir persönlich Cristinas Gesang etwas zu wenig eingesetzt. Gerade ihre Stimme ist das Wiedererkennungsmerkmal dieser Band, da kann der brüllende Andrea nicht mithalten, auch wenn er seinen Job gut macht. Gerade unter diesem Gesichtspunkt mit Cristinas Gesang gefällt mir das von Chris und Tobi kritisierte 'I Wish You Were Dead' tatsächlich am besten auf der Platte. Zudem weiß auch 'Hosting The Shadow' zu gefallen, was aber erneut mehr an Cristinas Refrain liegt als an Gastmusiker Randy Blythe von LAMB OF GOD.

Ob "Sleepless Empire" überhaupt Runden in meinem Player drehen wird, weiß ich noch nicht. Dafür müsste ich mich erstmal dazu entschließen, das Album in meine Sammlung aufzunehmen. Das sehe ich aktuell jedoch noch nicht.

Note: 7,0/10
[Mario Dahl]

Das ist ja ein munteres Auf und Ab bei dieser Gruppentherapie. Natürlich hat Martin zum großen Teil Recht, wenn er die ersten drei Alben nochmal in den Fokus setzt und insgeheim beklagt, dass es danach sukzessive abwärts ging. Für mich war Prime-LACUNA COIL aber ohne Frage in der Zeit von 2002 bis 2007. Gerade der 2006er Meilenstein "Karmacode" darf doch nicht einfach ignoriert werden, Martin.

Danach ging es künstlerisch und kommerziell allerdings wirklich wieder in die andere Richtung. Ein größeres Publikum zu haben bedeutet nicht, dass man nun Musik für diese Massen komponieren sollte und dabei die Stärken, die einen groß gemacht haben, sträflichst ignoriert. Wie war das mit McDonalds und Salat bestellen?

Dass die Band heutzutage immer noch die Hits von "Comalies" und "Karmacode" regelmäßig spielt und auch "Comalies XX" überhaupt existiert, spricht doch eine deutliche Sprache, was der wahre Kern der Fans hören möchte und schlussendlich mit der Truppe verbindet. Gerade diese ominöse Neuaufnahme, über dessen Sinn und Zweck man ewig diskutieren kann, hat nun aber auch wieder Spuren im aktuellen Songwriting hinterlassen. Zurück zur Kernkompetenz quasi. Somit schafft "Sleepless Empire" nicht nur wirklich gut den Spagat zwischen den letzten Alben und den Klassikern, sondern funktioniert auch als Querschnitt über das gesamte Schaffen der Italiener ganz gut.

Auch Growler Andrea zeigt sich mittlerweile deutlich verbessert, wobei auch ich seine Akzente eher als schmuckes Beiwerk sehe. Da ist und bleibt Cristina eben das absolute Aushängeschild und sie macht ihren Job auch wieder absolut einwandfrei. Bleibt noch die Sache mit den "Ecken und Kanten", die ich persönlich eh nicht für so essenziell halte, dass man in eine solche Diskussion zu viel Kraft investieren sollte. Somit steht für mich fest, dass LACUNA COIL das beste Album seit mindestens 2009 gelungen ist und mehr durfte man nun wirklich nicht erwarten. Tolle Überraschung.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

Ich habe das erste Mal 2001 die Musik von LACUNA COIL gehört, speziell 'When A Dead Man Walks' vom zweiten Album "Unleashed Memories". Auch wenn ich weiterhin großer Fan von Cristina Scabbia blieb, so wurde die Band mir leider immer gleichgültiger. Nicht gleichgültig, aber doch eher mit gezügelter Neugier machte ich mich an "Sleepless Empire" ran.

Was soll ich sagen, ich bin hellauf begeistert. Solch ein frisches, modernes und intensives Album habe ich lange nicht mehr von der Mailänder Truppe gehört. Gerade der Opener 'The Siege' greift auf Anhieb und der unter Mithilfe von Ash Costello konzipierte Track 'In The Mean Time' strotzt vor Ideen. Ein Attribut, was ich der Band nicht immer attestieren konnte. Die Musik von LACUNA COIL lebt aber eben auch von der Emotionalität, die eine Verkopftheit ausblenden lässt. Ist hier gut gelungen. Auch wenn ich mich wiederhole, ich fahr ziemlich auf "Sleepless Empire" ab.

Note: 8,5/10
[Frank Wilkens]

Fotocredits: Die Band-Fotos stammen von Cunene und wurden von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.

Redakteur:
Thomas Becker

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